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In absentia.

Heiliger Abend war's. Ob der Sturm brauste und mit Regen warf, ob frischer Schnee vom Himmel wirbelte oder die Sterne glänzten über der stillen Erde, weiß ich nicht. Aber ein feierlicher, friedvoll anmutender Abend war's; das weiß ich, denn das ist immer so.

Und es war auch in dem kleinen Dörflein, von dem ich erzähle, genau so wie überall am heiligen Abende im deutschen Vaterlande. Menschenleere Gassen, hier ein freundliches Frauengesicht am unverhüllten Fenster der überreich erhellten Wohnstube, dort ein lautes, tiefes Männerlachen, und überall ein Christbaumschimmer und überall ein Kinderjubel.

Nur die Schule lag still. Der Herr Kantor Ehrenfried Becker saß allein an seinem Tische und blätterte in Briefen und Photographien.

Er war aber keiner von den Einsamen, Traurigen, die am heiligen Abend keine andere Freude haben als die Erinnerung an ein Glück, das vorüberging, sondern er schmunzelte vergnügt, und endlich stand er gar auf und lachte laut und lustig.

Er war einer von den wenigen Menschen, die lustig lachen können. –

Gleich darauf schimpfte er auf seinen Sohn, der aber gar nicht anwesend war, sondern in der großen Stadt als Arzt lebte.

»Unmusikalisch ist der Junge gräßlich! In der Klavierschule ist er bis auf Seite 10 gekommen. Und singen – pfui Spinne! Aber das ist doch das Stärkste, was er geleistet hat. Die kleine Reimannsche Messe soll ich machen lassen! Zum heiligen Tage! Auf meinem Chore! Und so was nennt sich Doktor!«

Er lacht halb grimmig vor sich und zündet sich die Pfeife an. Dann greift er nach einem Briefe, der am Nachmittage gekommen ist und den er erst siebzehnmal gelesen hat.

»Liebster Vater, Du glaubst gar nicht, wie betrübt ich bin, daß du nicht zu meiner Verlobung kommen willst. Auch Lucie ist ganz unglücklich, denn sie hat längst erkannt, daß Du der prächtigste Mann der Welt bist.«

»Na, na, na!« macht Ehrenfried, dann liest er weiter.

»Und aus welchem Grunde kommst Du nicht? Du mußt Orgel spielen. Sieh mal, lieber Vater, es ist ja recht schön, pflichttreu zu sein, aber was zuviel ist, ist zuviel! Daß Du jetzt keinen Kollegen zur Vertretung bekommst, sehe ich ein; aber Du hast Dich doch seit Jahren mit dem Steinhuber Karl abgequält, daß er Dich mal Sonntags auf der Orgelbank vertreten kann. Und der spielt doch schon ganz hübsch. Etwas verstehe ich doch auch von der Musik (hier muß der Ehrenfried zwei Minuten lang husten), und die Reimannsche Messe hat der Steinhuber, als ich das letztemal zu Hause war, tadellos gespielt (hier grunzt der Ehrenfried fürchterlich). Also konntest Du doch den Karl zu Weihnachten spielen lassen.«

Herr Ehrenfried schüttelt melancholisch den Kopf und läßt den Brief sinken.

»Er ist ein Idiote, jawohl, ein richtiger musikalischer Idiote! Brosig und Schnabel – bittet für ihn! Ich gebe ihn auf!«

Nach diesem Stoßseufzer liest er weiter, aber nur einen Satz:

»Du wirst uns allen so fehlen!«

»Fehlen – na ja natürlich!«

Ehrenfried kratzt sich heftig auf dem Kopfe und geht ein paarmal aufgeregt durch die Stube.

»Wir sind ja immer mehr wie lustige Kumpane und Brüder gewesen, der Junge und ich! Wie er klein war, haben wir uns zusammen im Walde herumgetrieben, und wie er Student war, in der Kneipe. Und die Mutter hat auf uns beide immer ganz egal geschimpft. Jetzt verlobt er sich, und ich bin nicht dabei!«

Er greift wieder nach dem Briefe und liest.

»Siehst Du, wenn Du bloß mein Vater wärst, da ging's ja noch; aber Du bist gleichzeitig mein bester Freund, der Mann, den ich am meisten liebe und verehre von allen wegen seines kinderfrohen, sonnigen Herzens, seiner ewig jungen, ewig grünen Phantasie und seines meerestiefen Gemüts, der Seltenen einer, die wenige verstehen und doch alle lieben müssen. Und Du fehlst mir heute

Der Ehrenfried legt den Brief hin. Die Rührung will ihn überkommen, und er mag nicht gerührt sein. So kommt es, daß sich sein Gesicht für einen Augenblick zu einem ganz unbeschreiblichen Flunsche verzieht. Dann geht er wieder ein paarmal durch die Stube. Er will der Sehnsucht Herr werden, die ihn mit ganzer Gewalt nach dem Sohne gepackt hat. Aber das hält schwer, und so greift er wieder nach dem Briefe.

»Mutter und Schwester Liese sind heute glücklich hier angelangt. Sie sind auch gar nicht zufrieden mit Dir. Liese sagt, Du wärst in musikalischen Dingen so komisch, und Mutter – – na, Du weißt ja, lieber Vater, ich werde dich schon verteidigen.«

Der Ehrenfried haut vergnügt den Brief auf den Tisch und lacht unbändig.

»Verteidigen wird er mich, – bravo! O, liebe Alte, was magst du wieder auf mich raisonniert haben! Ich sehe dich ordentlich mit den Armen fuchteln, von Vaterpflichten reden und dabei ganz rot werden. – – Junge, jetzt wirst du auch bald eine Alte haben!«

Bei dem letzten Gedanken wird der Ehrenfried wieder ein bißchen melancholisch, aber gleich darauf schnappt er vergnügt mit den Fingern.

»Er verteidigt mich – das ist anständig! Er ist ein guter Kerl, er hält Stange, auch wenn's gegen sein Interesse geht. Hä! Wir haben immer zusammengehalten, wenn wir uns als Jungen zu lange rumgetrieben oder später, wie wir größer waren, als Studenten bekneipt hatten. Immer zusammengehalten! Immer gegen die Weiber, denn das sind Philister! Wär' auch noch schöner! Gelt, Junge, wir zwei – na, ich sage schon, uns kann keine!«

Und er liest wieder.

»Es geht natürlich nicht, daß Du an meinem Verlobungsabend so ganz trocken allein zu Hause sitzest. Also schicke ich Dir anbei den Stoff zu einem kleinen Knipp, damit Du wenigstens in absentia meine Verlobung kräftig, begießen kannst. Trink mal auf mein Spezielles! Und auf Lucies Spezielles natürlich auch.«

»M. w.! Machen wir!« sagt der Ehrenfried und geht an das Fenster, das nach dem Garten führt. Er öffnet es und schaut hinaus in die Nacht. Dicht am Hause, tief im Schnee, stehen fünf mächtige Weinflaschen.

Der Ehrenfried schmunzelt und schnalzt mit der Zunge.

»Nu, ihr Dickbäuche, kalt draußen, gelt? Pyramidaler Eiskübel, so ein Schulgarten! Kommen Sie rein, Fräulein Rotkäppchen, komm' Sie rein, komm' Sie rein, komm' Sie rein –«

Und indem er das schöne Lied von der Einladung in die gute Stube trällert, zieht er eine Flasche herauf und betrachtet sie mit großer Zärtlichkeit.

»Champagner – ft! – Feine Marke! Ein Staatskerl der Junge! Hält was auf unsereins!«

Nach diesem väterlichen Herzenserguß holt der Ehrenfried fünf Weingläser, stellt sie auf den Tisch und öffnet dann mit feierlichem Ernst die Weinflasche, ohne aber vorläufig einzuschenken; denn in seinem schalkhaften, jungen Herzen ist der Gedanke aufgetaucht, eine ganz besondere Separat-Verlobungsfeier zu begehen, die nachträglich gewiß den Beifall seines Sohnes finden würde.

Er stellt also zunächst eine große Photographie, die seinen Sohn und dessen Braut darstellt, auf das Sofa und setzt zwei Gläser vor das Bild auf den Tisch. Dann bricht er zwei Tannenzweiglein von dem kleinen Christbäumchen, das unerhellt im Winkel steht und bindet mittelst zweier Zwirnsfäden je ein Reislein an die Gläser der Verlobten. Hierauf schleppt er einen großen Lehnstuhl herbei, legt fürsorglich ein Kissen hinein, holt eine Fußbank heran, nimmt endlich ein großes Bild seiner Frau von der Wand herunter und setzt es in den Lehnstuhl, indem er sagt:

»Nimm Platz, liebe Frau! Den Strickstrumpf hole ich dir auch noch.«

Und er holt ihn und legt ihn neben das Glas, das er seiner Frau gewidmet hat. Dann placiert er noch ein Bild seiner Tochter auf einen Stuhl, dem er ebenfalls ein Glas vorsetzt, und sagt endlich:

»Nanu sind wir alle beisammen; jetzt kann ich mich auch setzen. Aber vorher muß ich noch einschenken.«

Und er gießt alle fünf Gläser voll. Dann sitzt er ein Weilchen ruhig und schmunzelt still vor sich hin. Endlich erhebt er sich, schlägt an sein Glas und hält folgende Rede:

»Herzlich geliebtes Brautpaar! Liebe Frau! Liebe Tochter! Zu einer schönen Feier sind wir am heutigen heiligen Weihnachtsabend hier versammelt. Der liebe Gott hat dir, mein herzensguter Junge, eine Weihnachtsgabe beschert, wie sie besser die treueste Liebe für dich nicht wünschen konnte. Ein schönes, edles Mädchen hat er dir ans Herz gelegt, das nun bald dein Weib werden soll. – – – Mein lieber, lieber Junge du, – was soll ich sagen, – was soll ich dir wünschen, – du siehst mich bewegt, – das Herz ist mir so voll, – na ja, ich wollte eben sagen, – du kannst dir ja denken, – es ist ja ganz klar, – na ja eben, – prosit!«

Und Herr Ehrenfried leert sein Glas auf einen Zug. Dann stürzt er nach dem Sofa, nimmt das Bild auf und bedeckt es mit Küssen, indem er unausgesetzt zärtlich brummt: »Nu, Junge!« »Nu, mein lieber, lieber Junge!« »Nu du, du, du Kerle du!« Dabei kollern ihm die Tränen über die Wangen. Endlich beruhigt er sich ein wenig. Er richtet sich auf, zupft den Rock zurecht, streicht sich den Bart und haucht dann zärtlich und mit unendlicher Vorsicht auch einen Kuß auf die Stirn seiner zukünftigen Schwiegertochter.

Dann holt er tief Atem. Ist er nicht eigentlich ein alter Narr? Ach was, gar keiner ist er! Ein Philister ist er! Er hat wollen eine ulkige Rede halten und ist gleich feierlich geworden und dann gar stecken geblieben. Aber er mußte den Jungen küssen, jawohl, er mußte! Hierbei fällt ihm ein, daß er jetzt eigentlich seiner Frau auch einen Kuß geben müßte. Eigentlich ja, ganz natürlich! Aber er setzt sich auf seinen Platz und blinzelt nur pfiffig nach dem Lehnstuhl hinüber.

»Ich will dich nicht echauffieren, Mutter!«

Durch diese billige Ausrede ist sein eheliches Gewissen beschwichtigt; dagegen fällt ihm eine Unterlassungssünde schwer auf die Seele.

Vier Gläser sind noch voll.

»Na, das geht ja nicht! Gelt Junge, wenn du leibhaftig hier wärst, du würdest deinem Vater schon Bescheid tun. ›Prosit, Vater‹, würdest du sagen, ›prosit ex‹!«

Und Herr Ehrenfried macht mit dem Glase seines Sohnes › ex‹, während er aus den Gläsern seiner Schwiegertochter und Tochter nur zwei oder drei Tröpflein nippt. Dann wendet er sich nach dem Lehnstuhl.

»Na, trink mal, Mutter – Pröstchen! Feste, immer feste, wirft ja nicht gleich 'n Kopfkrampf kriegen, – mußt nicht so nuppeln, – ziehn – feste, – denk halt, 's wär' Kaffee, – weißt ja:

Trink, Mädel, trink!
Kostest du Rebenblut,
Küßt du noch mal so gut,
Trink, Mädel, trink!«

Nach dieser Strophe zieht Herr Ehrenfried den Kopf ein und schleicht auf seinen Platz. Er glaubt aus dem Lehnstuhl einen sehr mißbilligenden Blick aufgefangen zu haben.

Sein Schreck hält aber nicht lange an.

»Na, ich seh' gar nicht ein, Junge, warum gerade wir zwei immerzu vor leeren Gläsern sitzen sollen.«

Und er gießt ein, sich selbst und seinen Sohne. Dann lehnt er sich stillvergnügt zurück auf seinen Stuhl und schaut unausgesetzt hinüber nach dem Sofa. Dabei spricht er abwechselnd mit seinem Sohne und der neuen Schwiegertochter. Von seinem Jungen erzählt er, am meisten von dessen Kinderzeit. Ein Millionskerl sei er gewesen; so einen Jungen wünsche er der Schwiegertochter auch einmal.

Krach!

Das Bild im Lehnstuhl ist gerutscht und mit großem Lärm unter den Tisch gefallen. Die große Scheibe ist in tausend Scherben zersplittert.

Herr Ehrenfried ist sehr erschrocken, aber dann fischt er seine untergegangene Ehehälfte aus dem unterirdischen Dunkel wieder herauf.

»Nu Mutter, nu Mutter, was ist denn mit dir los? Gefallen biste? Ach je, ach je, der ganze gläserne Schleier kaput! Alles wegen einem unschuldigen Witze! Siehste, Mutter, so biste! Immer gleich aus'm Häusel! Nu setz dich nur wieder! Junge, Junge, das war bloß gut, daß das dir oder mir nicht passiert ist. Da würd's gleich heißen, der Wein wär' schuld. Ne, Mutter, was machst du für Geschichten! Auf den Schreck müssen wir mal trinken.«

Und er geht ans Fenster und holt eine neue Flasche. Daraus schenkt er sich und seinem Sohne fleißig ein, wobei er die Entdeckung machen will, daß der Sohn viel mehr trinke als er.

Trotzdem kommt aber auch der Ehrenfried in eine ganz animierte Stimmung. Wie er nun noch so friedlich und glücklich im Kreise seiner Lieben sitzt und eben ein Hoch auf die Mutter des Bräutigams ausbringen will, klopft es draußen an die Tür.

Besuch! Am Ende ist's gar seine Alte, die zurückkommt, um bei ihm zum Rechten zu sehen. Das würde ja ein recht freudiges Wiedersehen geben – jetzt!

Es klopft schon wieder.

Wer kann denn das bloß sein? Es ist erst 10 Uhr, und die Christnacht ist erst um 12. Ehrenfried reibt sich die Stirne, er weiß nicht, was er machen soll.

In der Verlegenheit trinkt er sämtliche Gläser auf dem Tische aus. Dann kommt ihm ein Gedanke. Er schleicht hinaus aus der Stube, hinauf in den ersten Stock und guckt durchs Saalfenster ganz vorsichtig hinab nach der Tür.

Ein Weib ist's nicht. Ehrenfried atmet erleichtert auf, aber er rührt sich nicht. Er kennt den Mann nicht, der da unten unaufhörlich weiter klopft.

Nun hat's der Klopfer offenbar satt und will gehen. Gott sei Dank! Aber he, der Kerl geht ja nach dem Garten, er will vielleicht ans Fenster klopfen. Da faßt den Ehrenfried eine Angst um seine drei Flaschen Wein, die noch draußen stehen, und er schreit hinab:

»Sie, was wollen Sie denn? Wer sind Sie denn?«

»Ich bin's, Herr Kantor – der Steinhuber Karl!«

»Ach so, Karl, Sie sind's! Ich komme gleich aufmachen.«

Und er eilt hinab.

»Nu, Karl, was bringen Sie denn? Ist doch noch gar nicht Zeit zur Kirche.«

Der Karl ist sehr verlegen und stottert ein wenig.

»Ja, Herr Kantor, ich war so allein, und ich dachte, Sie wären ja heute auch allein, und da wollte ich –«

»Da wollten Sie ein bißchen zu mir kommen. Ist recht, Karl, ist brav, ist vernünftig. Kommen Sie nur rein! Das heißt, warten Sie mal, Sie werden's nämlich da drin ein bißchen sonderbar finden, 's ist nämlich Verlobungsfeier dort drinne –«

»Verlobungsfeier? Hier?«

»Jawohl, hier! Na, Sie stören nicht. Sie nicht! Also rein ins Festlokal! – Meine Herrschaften, ich habe die Ehre, Ihnen meinen jungen Freund Karl Steinhuber vorzustellen; – meine Frau, meine Tochter, meine Schwiegertochter und mein Sohn, nämlich das Brautpaar! Und nu bitte, nehmen Sie bei den Herrschaften Platz! Sie kennen sie ja zum Teil schon!«

Der Karl ist ungeheuer verblüfft und schaut immer abwechselnd nach dem Kantor und nach dem Tische. Sagen kann er gar nichts. Da fängt der Ehrenfried schrecklich an zu lachen:

»Na nu mal nicht so schüchtern, junger Mann, immer ran, immer ran!«

»Herr Kantor, – ich – ich weiß gar nicht« –

»Sie wissen gar nicht, was das zu bedeuten hat – was? Na nu setzen Sie sich mal zu allererst, aber nicht zu nahe zu meiner Frau, sonst fällt sie untern Tisch. Und nu trinken Sie mal hier erst ein Glas, das macht den Kopf hell, und dann lassen Sie sich erzählen. Sehn Sie, Karl, es hat mich doch schrecklich gegriffen, daß ich nicht zur Verlobung des Jungen kommen konnte. Aber es ging doch nicht. Ich konnte doch nicht Sie zu den Feiertagen Orgel spielen lassen! Das wär 'ne Schweinerei geworden – was? Na, na, nehmen Sie's nicht etwa übel, ich mein's ganz ehrlich. Also kurz und gut, ich konnte nicht fort, und weil ich nun so allein war und eine ganz kannibalische Sehnsucht nach der ganzen Blase da (die Damen sind natürlich ausgenommen!), also weil ich eine fürchterliche Sehnsucht hatte, na, da hab' ich mir eben die Bilder so da rund rum gesetzt und hab' gedacht, es seien leibhaftig meine Leute, und hab' Verlobung mit ihnen gefeiert. Natürlich bloß Ulk, alles bloß Ulk! Aber ich bin immer am fidelsten, wenn ich allein bin. Das heißt, deswegen sollen Sie nicht etwa gleich wieder ausreißen, im Gegenteil – prosit!«

Der Karl kennt den Kantor schon, deshalb lächelt er ihn an und sagt:

»Nein, was Sie aber manchmal für Einfälle haben!«

»Gelt?« schmunzelt der Ehrenfried; »Einfälle wie ein altes Pferd, sagt immer meine liebe Frau, was ich auch gar nicht bestreiten kann, da ich nicht weiß, was ein altes Pferd für gewöhnlich für Einfälle hat. – Prosit! Wie schmeckt der Wein? Haben Sie schon mal Champagner getrunken, Karl? Nicht? Na, da warten Sie mal, ich hab' da im Garten draußen –«

Und er steckt den Kopf bereits durchs Fenster und bringt eine neue Flasche herbei.

Die trinken die beiden getreulich miteinander leer. Gerade beim letzten Glase fängt der Karl heftig an zu schlucken und gleich darauf zu husten.

»Sie haben sich wohl verschluckt, Karl?«

Der Karl ist feuerrot. Aber dann richtet er sich stramm empor im Stuhle und sagt:

»Ich möchte einmal etwas sehr Ernstes mit Ihnen besprechen, Herr Kantor.«

»Bitte,« sagt der Ehrenfried, »ist ja gerade eine passende Gelegenheit dazu.«

»Sie wissen, Herr Kantor,« fährt Karl fort, »daß mein Vater im letzten Frühjahr gestorben ist und daß auch meine Mutter tot ist. Ich hab' das große väterliche Gut übernommen, und ich muß jetzt heiraten.«

»Heiraten, natürlich Karl, das ist selbstverständlich bei Ihnen.«

»Ja, Herr Kantor, ich wollte bloß wissen, ob Sie Ihre Einwilligung dazu geben.«

»Aber, lieber Freund, was könnt' ich denn etwa dagegen haben, wenn Sie heiraten wollten?«

»Ja, aber die Liesel.«

»Die Liesel? Was für 'ne Liesel?«

»Ihre Liesel, Herr Kantor!«

»Wa – Was? Meine Liesel? Die wollen Sie heiraten, Karl? Meine Liesel? Die ist ja erst neunzehn Jahre.«

»Sie ist mir gerade recht so! Ach, Herr Kantor, wenn Sie »ja« sagten, – ich würd' mich so freuen, – heute gerade am heiligen Abend, – sagen Sie doch ja!«

»Nee! – das heißt, Karl, ich will sagen, das geht doch nicht so rasch! Sehn Sie mal, – die Liesel, – ich bin ja ganz platt, – Sie meinen doch mein Mädel?«

»Ihre gute Liesel, Herr Kantor.«

»Na ja, Karl, – das ist eine verflixte Geschichte, – sehn Sie, ich bin Ihnen ja sehr gut, – Sie sind 'n schmucker, braver Kerl, – junger Mann, wollt' ich sagen, – na ja aber, sehn Sie – der Junge, das ist ja meiner, aber das Mädel ist Mutters! Und der möchte ich nicht gern in den Kram pfuschen.«

»Ach, ich glaube, die Frau Kantor wird schon einwilligen. Liesel hat's gesagt.«

»Ach was?« macht der Ehrenfried gedehnt; »die Liesel hat's gesagt? So, so! Da weiß wohl die auch schon was davon?«

»Wir beiden sind einig, Herr Kantor.«

»Einig seid ihr! 's nicht die Möglichkeit! Und die Alte, die ist auch mit im Bunde. Fehlt bloß der Vater noch, na und der muß!«

»Aber nicht doch, Herr Kantor!«

»Der muß, sage ich,« schnauzt der Ehrenfried, »Sie werden mir doch nicht sagen, wie so was in meinem Hause gehandhabt wird? Wenn für das Mädel was angeschafft wird, so hab' ich gar nichts zu sagen, ganz egal, ob das ein neues Kleid, ein Hut oder ein Mann ist. Ich versteh' doch nichts davon, sagt die Mutter.«

»Herr Kantor, so sähen Sie es nicht gern?«

Bei dieser Frage erhellt sich Ehrenfrieds Gesicht.

»O ja, lieber Karl, ich seh's sehr gern. Es ist mir recht, wenn das Mädel im Dorfe bleibt, und bei Ihnen ist sie sehr gut aufgehoben.«

Und er schließt ihn in seine Arme.

Dann sitzt der Ehrenfried ganz ruhig und nachdenklich und hört kaum, was der Karl alles sagt, wie er der Liesel schon immer sehr gut gewesen sei und wie er sie glücklich machen wolle. Nun stände seinem Glücke nichts mehr im Wege, und die Verlobung solle sein, sobald Liesel und die Frau Kantor aus der Stadt zurückkämen.

Da zuckt es plötzlich verdächtig in dem Gesichte Ehrenfrieds, und er springt erregt auf.

»Hör mal, Karl (wir sagen jetzt natürlich du), also hör mal, Karl, möchtest du dich nicht jetzt bald verloben?«

»Ja ja, – aber wie denn?« stottert Karl.

» In absentia! Das heißt also, – na ja, das heißt: Die Braut ist nicht dabei, verstehst du, und die Schwiegermutter auch nicht, gerade so wie ich die Verlobung meines Sohnes in absentia gefeiert habe. Verstehst du –?«

»Ja, ja, aber wie denn? – Wie denn?« stammelte der Karl fassungslos.

»Wirst schon sehen! Zunächst habe ich da draußen im Garten –«

Hier verschwindet sein Kopf wieder durchs Fenster.

»Also der Wein ist da! So – jetzt wollen wir zunächst mal auf dein Wohl und das Wohl deiner Braut, meiner lieben Tochter Liese, anstoßen. Prosit, mein lieber Junge!«

»Prosit, mein lieber, lieber Vater!«

Sie umarmen und küssen sich; dann sagt der Ehrenfried:

»So, die Verlobung ist also vollzogen. Jetzt müssen wir nur noch eine Anzeige schicken. He, Mutter, wenn du deinen Ehrenfried überraschen willst, mußt du's schon noch schlauer anstellen.«

Damit holt er einen Briefbogen und ein Couvert herbei, schreibt zunächst die Adresse an »Frau Kantor Becker und Fräulein Tochter«, klebt eine Marke auf und setzt dann folgende Verlobungsanzeige auf:

 

»Die glückliche Verlobung seiner Tochter Elisabeth
mit dem Gutsbesitzer Herrn Karl Steinhuber
beehrt sich ergebenst und hocherfreut anzuzeigen

Ehrenfried Becker.
Kantor und Hauptlehrer.«

 

»Fein, nicht wahr?« schmunzelt Ehrenfried; »jetzt kommt die zweite Seite. Da schreibst du drauf:

 

»Als Verlobter empfiehlt sich

Karl Steinhuber.
Gutsbesitzer.«

 

Das schreibt denn auch der Karl, und kaum ist die Schrift trocken, so packt er den Brief zusammen und steckt ihn draußen vor der Tür in den Postkasten.

»So, Junge,« ruft der Ehrenfried vergnügt, »und nun wollen wir Verlobung feiern, Verlobung in absentia.«

Sie feiern denn auch ordentlich, und gegen ¼12 Uhr wandert die fünfte Flasche aus dem Garten in die Stube. Gegen ½12 ist Ehrenfried noch bei bester Laune, aber kurz vor ¾ sagt er: »Karl, ich werd' schwindlig! Die Freude, – die Freude, – die schreckliche Freude, – zwei Verlobungen auf einmal und noch in absentia!«

Karl springt besorgt herbei.

»Laß nur, Karl, laß nur, der Champagner, – es ist tückisches Zeug, – ich bin's nicht – gewöhnt. – ich will mich einen Augenblick – aufs Sofa –«

Er legt sich.

»Karl, nimm mal – Mutters Bild – weg, – sie – sie guckt mich so – so an, – so fürchterlich – ich ich –«

Und er schläft ein.

Draußen läuten die Glocken zur Christnacht. Die Leute strömen zur Kirche. Karl Steinhuber packt die Angst.

»Vater, Vater, schlaf' nicht, wir müssen in die Kirche!«

Und er rüttelt ihn, aber vergebens. Jetzt sind nur noch fünf Minuten Zeit. Da faßt den Karl die Verzweiflung.

»So wach doch auf, Vater, wach auf! Du mußt ja Orgel spielen!«

Da schlägt der Ehrenfried die Augen auf. Mühsam besinnt er sich und sagt matt, ganz matt:

»Ich – ich – kann nicht, – Karl, geh, – spiel – spiel die kleine – Reimannsche.«


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