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Jung Peter stand auf dem Mühlenplan seines Vaters. Es war im zeitigen Frühjahr, und er selbst noch ganz jung. Da hatte der Peter einen Weidenstecken im Dorfe unten geschnitten und hielt ihn noch in der Hand. Aber als der Görnigbauer unten auf der Straße vorbeifuhr, wurde der Peter unruhig und bohrte den Stecken tief in die Erde.
Er stützte sich darauf und sah der Agathe nach. In ein Kloster kam sie zur Erziehung, in ein fernes, fernes Kloster. Darüber tat dem jungen Peter das Herz weh. Weil er noch so jung war, konnte er weinen, und er weinte viele Tränen.
Auf den Stecken vergaß er.
* * *
Der Stecken faßte Wurzeln und wurde grün. Er stand auch niemand im Wege, und da ließ ihn der Vater stehen. Er sagte, es würde mit der Zeit ein Baum daraus werden.
Der Peter liebte den jungen Schößling. Er stand oft bei ihm und schaute hinab nach der Straße und darüber hinaus in die blaue Ferne. An das Kloster dachte er, an das schöne Mädchen, das dort bei den Büchern saß und gewiß sehr gelehrt und fromm wurde, während er ein grober, dummer Peter blieb, der nichts wußte, als daß ihm oft sehr bange sei.
* * *
Nach zwei Jahren war sie zurück. Sie war jetzt siebzehn und der Peter neunzehn.
Anfänglich betrachtete er sie wie eine Fremde. Wenn er sie traf, brannte ihm das Herz vor Liebe, aber es war auch ein Unbehagen dabei. Es war ihm, als ob sie nicht mehr ins Dorf passe und also auch nicht mehr zu ihm. Manchmal, wenn er allein war, zürnte er mit ihr und sagte sich los von ihr. Bloß weil sie feiner war als er. Er hatte neuerdings manchmal eine Wut gegen das Feine und manchmal eine Wut gegen das Grobe. Alle ihre Kleider waren ihm zu schön, selbst die Nesseljacken, und alle seine eigenen Kleider waren ihm zu schlecht, sogar der Tuchrock. Und wenn er sich so in einen rechten Zorn geredet und sich ganz und gar klar war, daß er nun nichts mehr von ihr wissen wolle, – ging er die Dorfstraße hinunter, wie rein zufällig an Görnigbauers Haus vorbei und sah nach, ob sie etwa am Fenster oder im Garten sei.
Das ging das ganze Frühjahr so. Da kam der Johannisabend. Die Johannisfeuer brannten auf allen Bergen und Hügeln der Umgegend. Die Leute aus Peters Dorfe kamen nach dem Mühlenplane seines Vaters, denn das war der höchste Punkt am Orte; und sie brachten Raketen, Leuchtkugeln, Springfröschlein und alte Besen für das Feuer.
Bald war das Fest im Gange. Auch der Görnigbauer und Agathe waren da. Der Mühlplan war groß und das Feuer gerade an dem entgegengesetzten Ende von dem Orte, wo die Weide stand. Um das Feuer herum standen alle Leute. Nur Agathe promenierte ein wenig. Da gesellte sich der Peter zu ihr und sagte freundlich, er möchte ihr einmal etwas zeigen.
Damit führte er sie zu der jungen Weide. Stockend und unbeholfen erzählte er, an welchem Tage er das Bäumlein gepflanzt, und daß er immer an sie gedacht habe, wenn er es gesehen. Und er habe es doch alle Tage gesehen!
Es war ein warmer Abend, ein weicher Duft lag über den Feldern. Das Johannisfeuer warf flackernde Lichter über den Plan; sprühende, glänzende Streifen flammten in den dunkeln Abendhimmel hinauf, und bunte, schimmernde Kugeln kamen langsam herab zur blühenden Erde.
Agathe schaute sinnend, träumerisch nach der jungen Weide und sah dann den Peter an, halb fragend und verständnislos, aber ganz freundlich. Da faßte der Peter plötzlich ihre Hand und stieß heraus:
»Weißt du, warum? Weil – weil – ich dir so gut bin, Agathe, – so sehr gut, – und du sollst – meine Frau werden, wenn ich vom Militär zurück bin, und wenn du willst –«
Das junge, schüchterne Klosterkind erschrak. Sie machte sich los und stammelte:
»Peter, – aber Peter, – so was, – ich – ich, – es ist nicht recht von dir!«
Und sie ging zurück zum Feuer. Wie ein Verbrecher, der rasch gehandelt hat und auch bald ertappt wird, so stand der Peter. Er wußte nicht, was er getan hatte, und auch nicht, was ihm geschehen war. Allmählich erst erwachte er aus der Bestürzung, und da faßte ihn der Zorn.
Seine Rechte umklammerte die junge Weide. Ausreißen wollte er sie und hinübertragen und ins Feuer werfen. Das sollte sie sehen.
Aber der junge Baum war wurzelfest und widerstand. Da schlich der Peter einen schmalen Feldrain entlang und setzte sich ins blühende Gras. Erst als die Menschen alle fort waren, ging er zurück nach dem Mühlplan. Auf der Treppe zur Mühle saß er. Rechts drüben glommen noch ein paar Kohlen wie Glühwürmer im Grase, links stand die kleine Weide, die er kaum sehen konnte in dem nächtlichen Dunkel, und im Dorfe drunten erloschen die Lichter.
Er war so allein, und ein Frösteln faßte ihn in der Johannisnacht.
* * *
Ehe er zu den Soldaten kam, war er wieder mit ihr ausgesöhnt. Gesprochen hatten sie freilich nicht davon; aber er wußte, daß sie ihm nicht böse sei.
Sehr gern hätte er ein kleines Andenken an sie mit fortgenommen. Er wagte aber nicht, um eines zu bitten.
So ging er zu der jungen Weide und schnitt ihr die Spitze ab. Das gewonnene Holz verwendete er weise. Ein Hölzlein rechts schräg und ein Hölzlein links schräg fügte er in spitzem Winkel aneinander, dazwischen ein wagerechtes Mittelhölzchen, und das alles zusammen gab ein regelrechtes, lateinisches A und sollte heißen Agathe.
Den Talisman nahm er mit und schloß ihn in den Spind in der Kaserne. Er sagte niemand etwas davon, auch dem einzigen Freunde nicht, den er gewann.
Aber wenn ihm einmal vor den Kameraden graute oder vor dem Unteroffizier oder vor dem ganzen Militär oder vor dem Leben, da nahm er das lateinische A aus dem Spinde.
Es war schon ganz verdorrt, aber es roch immer noch so gut. Es roch nach der Heimat!
Und einmal, als er mit den Kameraden zu viel gezecht und dann mit allerhand Stadtmädeln getanzt hatte, hielt er vor dem lateinischen A eine Bußbetrachtung.
* * *
Als sein Hochzeitstag nahte, wünschte er, daß die Agathe als Braut einen Kranz von Weidenblättern trage. Aber da kam er bei der Görnigbäuerin schlecht an. Myrte müsse es sein wie bei jeder anderen ehrlichen Jungfrau.
Darein mußte sich der Peter fügen. Aber als er das Brautbouquet bestellte, ließ er drei Weidenreislein hineinbinden, die er selbst lieferte.
Und seine junge Frau liebte von da an die Weide ebenso wie er. Beide sagten: die Weide sei ihr Lebensbaum.
* * *
Nach einiger Zeit schnitt der Peter wieder Weidenzweige ab. Er trug sie zum Bieler-Korbmacher und sagte: er solle eine kleine Schwinge daraus machen.
»Gerade aus diesen Ruten?« fragte der Bieler.
»Gerade aus diesen!« sagte der Peter.
Als die Schwinge fertig war, sagte er zu seiner Frau:
»Wenn du einen Taler gespart hast, leg ihn in die Schwinge, und ich mach's auch so.«
Es kamen viele Taler in die Schwinge, und wenn sie voll war, machte sie der Peter leer; denn er kaufte Papiergeld.
* * *
Jung Peter war der alte Peter geworden, denn es war nun ein neuer Jung-Peter da. Der war ein schmuckes Bübchen, das die Gesundheit vom Vater und die Schönheit von der Mutter geerbt hatte. Die lustige, überschäumende Seele hatte er von keinem, die war ureigen sein.
Gar manchmal verpaßte der Müller, den frischen Frühlingswind auszunützen. Er tollte mit dem Jungen auf dem Mühlplan herum. Am öftesten saßen beide an der Weide. Wollte der junge Peter eine Pfeife, so machte ihm der alte Peter eine, und wollte er eine Peitsche, so bekam er sie auf der Stelle.
Der kleine Peter hatte eine rege Phantasie. Er wollte immer nach Schätzen graben und hatte dazu einen alten eisernen Löffel. Weil er nun nie etwas fand, vergrub der alte Peter manchmal einen Groschen oder ein paar an der Weide. Der junge Schatzgräber fand das Geld und trug es zum Krämer.
Einmal kam der kleine Peter abends nicht nach Hause. Die Mutter suchte ihn im Dorfe, und der Vater ging auf den Mühlberg. Da sah er den Peter auf der Weide sitzen. Er hatte sich da oben einen Arm und ein Bein festgebunden und wollte die Nacht auf dem Baume zubringen wie Robinson, um vor wilden Tieren sicher zu sein. Der Müller lachte.
Wenn nur der kleine Peter nicht gar so oft trotzig und unartig gewesen wäre! Manchmal wollte der Vater einen Stecken von der Weide schneiden und das wilde Bürschlein züchtigen, aber schließlich tat's ihm immer leid … um den Baum.
* * *
Nach Jahren stieg die Müllerin einmal müde hinauf auf den Mühlberg. Sie setzte sich auf die kleine Bank, die unter der Weide angebracht worden war. Der Müller sah sie von der Mühle aus und ging zu ihr.
Der Peter war nach Hause gekommen aus der Stadt. Er war zu den Soldaten ausgehoben worden; aber er hatte sich freigelost. Nun lag er sinnlos betrunken zu Hause auf seinem Bette.
Die beiden Alten seufzten. Sie hätten es gern gesehen, wenn der Peter zum Militär gekommen wäre. Eine stramme Zucht hätte ihm wohlgetan, denn auf Vater und Mutter hörte er längst nicht mehr. Er war ein echter, rechter Faulpelz und Liederjan und hatte schon unzähligen Ärger gebracht ins Müllerhaus.
Die Müllerin sah sehr bleich aus. Sie war seit Jahren kränklich, und so oft ihr der Peter Kummer bereitete, verschlechterte sich ihr Zustand.
Jetzt wandte sich der alternde Peter zärtlich zu seiner Frau:
»Gräme dich halt nicht, Mutter, … es schadet dir … und nutzt doch alles nichts … alles nichts …«
Und er lehnte müde den Kopf gegen die Weide. Der Wind fuhr durch die langen Rutenäste, und seine Melodie war einförmig und trübe.
* * *
Über ein Jahr war die Müllerin tot. Da hieß der Müller seinen Sohn Blätter von der Weide zupfen zu einem Totenkranze für die Mutter. Der Bursche tat es mit zitternden Fingern.
Auch als der Müller der stillen Schläferin den Kranz um die weiße Stirne legte, mußte der Peter dabei sein.
Da weinte der Bursche laut auf und sagte hundertmal: nun wolle er ein ganz braver Mensch werden.
Und die tote Müllerin lächelte so müde, wie sie's oft im Leben getan hatte.
* * *
Ein paar Monate später brach der Krieg mit Österreich los. Da bemächtigte sich vieler Leute im schlesischen Grenzlande eine große Angst. Wenn die preußischen Heere die Gebirgspässe nicht schützen konnten, war der Feind da.
Die alten Geschichten von Plünderung, Raub und Gewalttat, die aus der Zeit des Krieges von 1806 und 1807 und aus den Freiheitskriegen noch im Volke lebten, wurden wieder allenthalben erzählt, und eines Tages hieß es im Dorfe: die Österreicher kämen; sie seien schon ganz nahe.
Am Abende dieses Tages nahm der Müller den Peter vor:
»Peter, man kann nicht wissen, was wird. Ich will mein Geld vergraben. Und du mußt dabei sein, damit du's weißt, wenn mir was zustoßen tät.«
Der Müller schloß eine feste Lade auf. Darin lag ein Beutel mit Gold und ein großes Paket Rentenbriefe.
»Das ist mein ganzes Vermögen,« sagte er. »Auf der Mühle hab' ich Schulden; ich wollte nicht als reich verschrieen sein.«
Auch der Peter war erstaunt, daß sein Vater so reich sei. Nun wurde alles in eine Holzkiste getan und die Kiste unter ein paar Säcke gesteckt, die nach der Mühle gefahren wurden. Es war schon später Abend.
»Unter der Weide werden wir's vergraben,« sagte der Müller; »die ist mein Lebensbaum und wird mein Geld hüten.«
Die beiden Männer stachen nun mit scharfen Grabscheiten den Rasen vorsichtig aus, gruben eine Höhle und setzten die Kiste hinein. Den Rasen fügten sie künstlich wieder über die Höhle.
Nur die Sterne leuchteten zu ihrer Arbeit. Der Müller sprach leise auf seinen Sohn ein. Vernünftig solle er sein, wenn ihm, dem Alten, was zustieße, arbeiten, sparen, zusammenhalten. Der Peter sagte immer »ja, ja!« und zuletzt meinte er, es sei gewiß Schwindel, daß die Österreicher kämen.
Langsam und vorsichtig gingen beide nach Hause.
* * *
Sehr zeitig am Morgen ging der Müller nach der Mühle. Er hatte eine unruhige Nacht gehabt.
Sein erster Gang war zur Weide.
Da fand er die Grube geöffnet, die Höhle leer, die Kiste zerschlagen.
Wie ein Rasender stürmte der Müller zurück ins Dorf. Seinen Sohn wollte er wecken, der um diese Zeit immer noch schlief.
Er riß die Kammertür auf:
»Peter, … Peter, … sie haben uns … bestohlen, … das Geld … die Kiste … die Weide … Peter, … wo bist … du?«
Die Kammer war leer, das Bett stand unberührt. Eine gräßliche Ahnung packte plötzlich den Müller.
»Ooh! … Peter, … du bist der Feind?«
Und er brach zusammen über dem leeren Bette seines einzigen Kindes.
* * *
Fünf Jahre später wurde die Mühle versteigert. Der Müller hatte sich nicht mehr um sein Geschäft gekümmert, und unehrliche Nachbarn und schlechte Dienstboten hatten geholfen, daß er gänzlich herabkam.
Teilnahmslos saß der arme Mann im Gerichtskretscham, wo die Auktion war. Die Leute sagten längst, es sei nicht mehr ganz richtig mit ihm.
Daher folgte ihm ein Bauer, als der Müller plötzlich aufstand und aus dem Kretscham hinausging, ohne ein Wort zu sagen.
Der Müller ging in sein Haus, holte eine Axt und wandte sich nach dem Mühlberge. Er lief so schnell, daß ihm der Bauer kaum zu folgen vermochte.
Oben angelangt, holte der alte Peter tief Atem, sah noch einmal mit den müden, halberloschenen Augen seine Weide an, streichelte mit der Hand über ihre rissige Rinde, und dann hob er die Axt und hieb sie tief in das Holz des Baumes.
»Aber, Peter, was machst du denn?«
Der Müller sah den Bauern feindselig an.
»Laß mich in Ruhe,« sagte er und drohte mit der Axt, »alles könnt ihr verkaufen, alles, nur die Weide nicht, die ist mein! Die ist ja mein Lebensbaum!«
Und er hieb wieder auf den Baum los. Der Bauer ging zurück nach dem Dorfe. Er allein fürchtete sich vor dem wahnsinnigen Müller.
Als er mit einer ganzen Menge Leute zurückkam, sahen sie, wie der Müller die Weide herunter nach der Straße schleifte. Und als sie ihn fragten, wohin er denn wolle, sagte er:
»Da ist der Weg. Der geht in die Welt! In der Welt ist der Peter mit meinem Gelde. Ich geh' ihn suchen, die Mutter grämt sich sonst. Und die Weide nehm' ich mit.«
* * *
In der Anstalt, wohin er geschafft wurde, sprach er in seinen irren Reden oft von der Weide, von der Agathe, vom Johannisfeuer, von dem lateinischen A, von dem eisernen Löffel, von der Kiste, vom Peter.
Ein Kreuz hing über seinem Bette. Kurz, ehe er starb, nahm er's vom Nagel. Er richtete sich auf und schlug mit dem Kreuze durch die Luft:
»Peter, Peter, … du bist unartig, … sehr unartig bist du, … ja, sehr, sehr! … Siehst du die Weidenrute in meiner Hand? … Ich schlag' dich damit, Peter, ich schlag' dich damit! …«