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Ernst hatte einen Starkasten, in dem wohnten jahraus jahrein … Sperlinge.
»Gräm dich nicht, Ernst,« sagte der Brieger Wilhelm, »gräm dich nicht, ich kenn' ein Herrenschloß in der Nähe, in dem wohnt jahraus jahrein ein Schafskopf.«
Aber Ernst sah den Trostgrund nicht ein und grämte sich. Seit seinem zehnten Jahre wartete er auf die Stare und auf das Glück. Das kam so:
Ernsts Mutter war eine stille, verträumte Frau gewesen. Sie hatte viel gelesen und viel für sich hingegrübelt, mehr als dem Vater, der ein kleiner Bauer war, lieb sein mochte. Aber er störte sie nicht. Er liebte sie wie etwas Feines, Vornehmes, über dessen Besitz ein grober Kerl, wie er, froh sein müßte. Er hatte auch schon gewußt, als er die Förstertochter heiratete, daß sie nicht so für die Arbeit sein würde wie manche andere. Es schadete auch nichts. Er arbeitete für zwei oder drei, und sie konnte mit dem Ernst, der ihr Einziger war, so lange lesen oder plaudern, wie sie wollte. Durch den steten Umgang mit der Mutter wurde Ernst ein braver, scheuer, verträumter Bursche, dessen Phantasie hungriger war als sein Magen.
Einmal, als er eine praktische Anwandlung hatte, baute er sich einen Starkasten, und die Mutter half ihm. Fertig brachte ihn freilich erst der Vater, und auch dann sah er noch nicht übermäßig schön aus. Aber die Mutter erzählte während der Zimmerei dem Ernst eine wundersame Geschichte, und das war die Hauptsache.
Die Stare seien Schicksalsvögel, die alljährlich fortziehen in ein geheimnisvolles Land, wo Sphinxe stehen und Pyramiden. Die Mutter könne dem Ernst ein Bild zeigen davon. Und der Star, der an der Pyramide, die fünftausend Jahre alt sei, genistet und der Sphinx ins Auge geschaut habe, werde ein prophetischer Vogel. Wenn er heimkehrt ins Vaterland, so pickt er mit dem Schnabel geheimnisvolle Zeichen in das Holz des Kästchens, in dem er wohnt, und wer diese Zeichen zu enträtseln vermöge, könne daraus sein Schicksal lesen.
Der Ernst verstand nicht alles; aber sein Schicksal hätte er gern gewußt. Er träumte immer von hohen Dingen und wußte zum Beispiel nicht genau, ob er ein Bischof, ein General oder ein Lokomotivführer werden würde. Da sollten ihm die Stare aus der Not helfen. Und so stand er am Gartenzaun und schaute nach dem Starkasten, der auf einem hohen Birnbaum angebracht worden war, und wartete auf die Stare. Jedem, der vorbeiging und ein Interesse zeigte, erzählte er die Geschichte von den Schicksalsvögeln. Der kleinen, schwarzen Anna, der Tochter des Großbauern, der gegenüber wohnte, erzählte er sie dreimal, denn sie begriff so etwas nur schwer.
Es läßt sich denken, daß Ernsts Zorn groß war, als statt der erwarteten Stare eine Sperlingsfamilie in das neue Häuslein auf dem Baume einzog, eine Sperlingsfamilie, von der anzunehmen war, daß sie von dem Prophezeien keine Ahnung hatte. Denn an einer gewöhnlichen Hofmauer lernt sich so was nicht.
Ernst zeigte Gelüste, auf den Birnbaum zu klettern und die frechen Mieter an die Luft zu setzen. Die Mutter wehrte ihm und sprach:
»Erstens muß das Glück von selbst kommen und zweitens könntest du herunterfallen.«
Aber als Ernst zwei Jahre älter geworden war, wagte er es und – ließ von einem Knechte den Starkasten herunterholen vom Birnbaume und auf den Kirschbaum plazieren.
Die Stare kamen auch auf den Kirschbaum nicht; dagegen fügten sich die Sperlinge in die Wohnungsveränderung mit Würde.
Mit den Jahren verminderte sich Ernsts Interesse an dem Starkasten, da er sich entschlossen hatte, weder Bischof, noch General, noch Lokomotivführer zu werden, sondern daheim bei der Mutter zu bleiben. Nur im Frühjahr, wenn die Stare kamen, gab er scharf Obacht. Freilich immer vergebens.
Über all dem Warten und Hoffen wurde Ernst ein großer Bursche. Vater und Mutter starben, und er bekam die Wirtschaft. Als die Mutter begraben war, war sein Staunen, daß er so allein zurückblieb, noch größer als seine Trauer. Den Vater vermißte er mehr als tüchtigen Arbeiter. Da kam der Brieger Wilhelm zu ihm und sagte, nun müsse er selber frisch zugreifen.
Und er tat's – ohne Lust, ohne Geschick. Er dachte immer an seine Mutter. Mit ihr war sein Glück begraben, und kein Vogel kam aus dem rätselhaften Süden, ihm ein neues zu verkündigen.
Es konnte nicht fehlen, daß Ernst melancholisch wurde. Die Stare kamen nicht, meinte er, weil sie ihm nichts zu prophezeien wüßten … keine gute Aussicht, kein Glück! Arbeiten würde er müssen mit den Dienstboten … nutzlos, freudlos, sein Leben lang.
Heiraten würde er nicht. Er wußte keine als die Anna, und die würde ihn sicher nicht mögen, weil sie zu reich und zu stolz war.
* * *
Da geschah etwas Großes. An einem Frühlingsmorgen kam ein starkes Starenmännlein, faßte den Sperlingsvater, der im Kasten wohnte, kurzer Hand beim Kragen und warf ihn heraus aus dem Hause. Der würdige, graue Herr schimpfte zwar und mochte sich auf sein Erbrecht berufen, aber es half ihm nichts. Auch Madame Spatz wurde herauskomplimentiert; Kinder waren zur Zeit nicht da.
Der siegreiche Star musterte das eroberte Schlößlein, fand es seinen Bedürfnissen entsprechend und pfiff seinem Weibe. Das kam, zwinkerte befriedigt mit den Augen und kroch in den Kasten.
Ernst, der eben im Garten arbeitete, sah mit bebendem Herzen dem Vorgange am Starkasten zu. Das Gesicht wurde ihm bleich, die Lippen öffneten sich zu raschem Atmen, und die Hacke entsank seinen Händen.
Die Stare waren da!
Die Schicksalsvögel, – die Glücksboten!
War er auch längst zu dem Standpunkte gelangt, daß die Geschichte seiner Mutter nur eine schöne Fabel sei, – in diesem Augenblicke glaubte er wieder daran, glaubte sie aus Gewalt seiner Phantasie, glaubte sie wegen der großen Glückssehnsucht seines jungen Herzens. Es war ihm eine süße Wonne, aus der grauen Wirklichkeit den Schritt zurückzutun zum Fabelglauben der seligen Kindheit, und so tat seine Seele den Schritt mit ihrer besten Energie.
Er schaute von dem Tage an zu dem Starkasten auf mit der gläubigen, staunenden Neugier seiner Kinderjahre.
Der Sommer kam, die Kirschen hingen reif auf dem Baume. Ernst saß an den warmen Abenden auf der Bank vor der Tür. Er sah nach dem Starkasten, er dachte an die Mutter, er dachte ans Glück. Nur daß er sah, wie der Starkasten war, daß er wußte, wie die Mutter gewesen war, und sich nicht vorstellen konnte, wie das Glück sein würde … sein könnte.
Mädchen kamen die Straße herab. Sie sahen nach dem hübschen, seltsamen Burschen; aber er sah sie nicht. Und die schöne, schwarze Anna sah vom Nachbargarten herüber mit langem Blicke, warf dann den Kopf zornig zurück in den Nacken und ging ins Haus. Aber sie guckte doch bald wieder durchs Fenster, um nach dem Träumer auszuschauen, dem bodenlos dummen Träumer, der sein Glück aus der Ferne erhoffte und nicht wußte, daß es drüben über der Straße wohne.
* * *
Als der Herbst kam, geriet Ernst in fieberhafte Erregung. Selbst für die nächstliegenden Dinge zeigte er kein Interesse. Ein paar Scheunen brannten ab im Dorfe, und in einigen Gehöften wurden Einbrüche verübt. Ernst nahm wenig Anteil an diesen ungewöhnlichen Vorgängen.
Er wartete nur, ob die Stare bald abziehen würden.
Von den tausend Geschichten, die ihm seine Mutter erzählt hatte, war ihm gerade diese eine so lebendig geblieben, weil gerade sie sich auf sein Glück bezog.
Und eines Morgens waren sie fort.
Ernst bekam das Schlucken und lehnte lange an der Tür. Dann ging er langsam zur Arbeit.
Er mußte der Leute wegen warten bis zum Abend.
Es war ein furchtbar langer Tag. Der Pferdeknecht bekam einen Rüffel, weil er pfiff, und jede Krähe, die von weitem kam, wurde mißtrauisch betrachtet. Ernst wollte nicht, daß die Stare etwa wiederkämen.
Die Arbeit ging noch schlechter als sonst. Gewöhnlich stand der junge Bauer aufrecht auf dem Rübenacker. In der dicken Nebelwand zeichneten sich ferne Bäume ab mit undeutlichem Geäst. Und Ernst sah Zeichen, … Rätselzeichen, und wußte nicht einmal, welche Lösung er wünschte.
Der Abend kam. Die Mahlzeit ging vorüber, die Leute entfernten sich. Nur Heinrich, der Großknecht, blieb sitzen, um etwas Wirtschaftliches zu besprechen.
Heinrich war ein umständlicher Bursche und so dickfellig, daß er die Ungeduld seines Herrn nicht bemerkte. Er verlor sich ins Breite.
Und einmal behauptete er, er habe Schritte im Garten gehört. Aber Ernst sagte, es sei nur der Wind, der mit den Weinspalieren klappere.
Auch Heinrich ging endlich, und die alte Luise hörte auf zu poltern in der Küche.
Ernst war ungestört.
Aber er wartete noch. Wie leicht konnte auf der Straße jemand vorbeikommen und ihn belauschen. Dann wäre er sicher verlacht worden. Er ahnte, daß im Dorfe über ihn und den Starkasten neuerdings wieder viel gesprochen werde.
Da pfiff der Wächter draußen vor dem Tore des Großbauern, der Schulze war, zehnmal. Dann schlürfte er hinab ins Niederdorf.
Jetzt war es Zeit.
Mit äußerster Vorsicht öffnete Ernst die Tür und trat hinaus in die Nacht. Auf den Zehen schlich er ums Haus zu einem niederen Schuppen, an dessen Außenwand gewöhnlich die große Leiter hing.
Die Leiter war weg.
Diebe?!
Ernst durchfuhr es eiskalt. Auch der Bauer Friedrich hatte am Morgen, nachdem bei ihm eingebrochen worden war, die eigene Leiter an der Giebelwand angelehnt gefunden. So hatte der Heinrich vorhin richtig gehört?
Scheu, furchtsam schlich Ernst zurück nach dem Hause. Ein paarmal duckte er sich zusammen, preßte sich an die Wand, wenn es irgendwo knackte oder raschelte.
Endlich war er im Hause. Er verriegelte die Tür. Nach und nach faßte er sich. Er suchte sich die Axt, die immer im Hausflur lag, und schlich über die dunkle Treppe.
Oben in der Giebelstube, dort würden sie sein. Er wollte lauschen, und wenn er etwas hörte, den Heinrich wecken. Der war stark wie ein Bär. Mit ihm zusammen würde er sein Eigentum verteidigen auf Leben und Tod.
In der Giebelstube rührte sich nichts. Da öffnete er die Tür. Die matt erhellten Fenster waren geschlossen.
Nun trat er näher und sah hinab in den Garten.
Nichts! Nur die Bäume regten ihre Äste.
Aber jetzt, – da, eine Gestalt, – die Leiter, – also doch! –
Er will rufen, hinauslaufen, aber er kann sich nicht rühren. Nur die Hand umklammert fest die schwere Axt.
Das Ende der Leiter steigt empor in die Luft. – Jetzt! – Was ist das? – – Nicht an den Giebel wird die Leiter angelehnt, – nein, – an den Kirschbaum, auf dem der Starkasten ist, – sein Starkasten, – sein Glück –
Da hält sich der Ernst nicht, die Treppe fliegt er hinab, zur Tür hinaus, nach dem Garten. Eine schwarze Gestalt sieht er, einen schrillen, kurzen Schrei hört er, dann trifft seinen Kopf ein schwerer Schlag – –
Sekundenlang steht Ernst betäubt. Dann greift er nach dem harten Gegenstande, der ihm an den Kopf geflogen ist. –
Sein Starkasten!
Der Bursche vermag für den Augenblick nicht nachzudenken. So nimmt er einfach das hölzerne Häuslein und trägt's nach der Wohnstube, wo das Licht noch brennt.
Dort legt er den Starkasten auf den Tisch und starrt ihn minutenlang an – untätig, ohne die brennende Neugier all der letzten Jahre. Der mächtige Sturm der Wirklichkeit hat die blaue Flamme seiner Träumereien verlöscht.
Die erste Frage, die aus seiner seelischen Erstarrung auftaucht, ist nicht sehr geistvoll. Warum das eine Brettchen loser erscheint, als die anderen. Er kann es mit den Fingern losmachen ohne Meißel und Zange.
Aber da schnellt er empor und wird weiß wie die Wand. Aufstöhnend sinkt er auf die Bank zurück, schließt die Augen und streckt beide Hände gegen den Starkasten.
Auf der Innenseite des Brettchens ist die Wunderschrift. – – –
Ernst sitzt lange gänzlich regungslos, den Kopf gegen die Wand gelehnt. Die letzten Minuten brachten zu viel. Aber dann faßt er sich und greift nach dem Brettchen.
Und er liest. Dabei ist's, als ob er versteinere. Nur sein todblasses Gesicht färbt sich sehr langsam rot. Ein leises, zischelndes Wort kommt ihm endlich vom Munde:
»Anna!«
Da steht's, ganz deutlich – sogar kalligraphisch.
Es dauert sehr lange, ehe der Träumer zur Erkenntnis seines wirklichen Glückes kommt. Aber dann bricht er in unbändige Heiterkeit aus:
»Schwarzer Star, … ich hörte dich pfeifen, … dich werde ich fangen!«
Eilig sucht er einen großen, breiten Bleistift aus der Lade und schreibt mit festen Zügen unter den Namen »Anna« das Wort »Ernst«. Dann malt er mit Sorgfalt ein großes, prächtiges Herz um die beiden Namen, und dabei lacht er immerfort glücklich vor sich hin.
Wie er mit seinem Werke fertig ist, beschaut er es mit freudigen Augen und befestigt dann das Brettchen mit der vervollständigten Schicksalsschrift lose wieder an dem Starkasten.
Den trägt er hinaus vor das Haus.
Drüben in einer Giebelstube des Schulzenhofes ist noch Licht. Die schwarze Anna wird nicht schlafen können, der wird das Herz zu sehr klopfen.
So ein Mädel! Steigt in der Nacht auf den fremden Baum, holt sich den Starkasten heim und schreibt ihren Namen ein.
Schade, daß er sie nicht erwischt hat, als sie den Kasten zurückbrachte. Aber er war zu sehr erschrocken, als ihm sein Schicksal so an den Kopf geworfen wurde, sein Schicksal und sein großes Glück.
»Schwarzer Star, schöner Star, lieber Star, ich werd' dich schon fangen. Ich stelle auf dich.«
Daß er immerfort so lachen muß! Es wird ihn noch einer hören! Aber das ist ihm jetzt ganz gleich, er hat jetzt auch Courage, wenn schon das Mädel so viel Mut hat.
So steigt er auf den Kirschbaum und macht den Kasten wieder an. Auf einem niederen Aste, aber gerade hinüber auf den Schulzenhof zu. Die Leiter läßt er lehnen; er will's dem »Stare« bequem machen.
»Die Falle steht fein,« sagt er, als er wieder unten ist, und dann geht er vergnügt zu Bett.
Am nächsten Tage geht er nicht mit aufs Feld, obwohl Heinrich, der Großknecht, darüber sehr brummt. Er schickt alle Leute hinaus, verriegelt die Haustür und faßt vorsichtig an einem Fenster Posten.
Er beobachtet den Starkasten und den Schulzenhof.
Aber er muß lange vergeblich warten. Die Anna läßt sich nicht blicken, weder am Fenster, noch im Garten, noch im Hofe. Dagegen machen sich ein paar Sperlinge in frecher Weise am Starkasten zu schaffen. Er bekommt wieder eine Wut auf die Spatzen und würde sie gern mit der Vogelflinte herunterschießen, wenn er sich nur hinauswagen dürfte.
Aber er muß ja hier lauern.
Gegen 9 Uhr kommt sie endlich in den Schulzengarten. Sie tut so, als ob sie unter den leeren Bäumen etwas zu suchen habe, und lugt dabei scharf nach Ernsts Tür und Fenstern herüber. Der aber ist weit in die Stube zurückgetreten.
Da … plötzlich gewahrt sie den Starkasten. Sie sieht, daß er wieder auf dem Baume ist, auf einem anderen Aste und gerade auf den Schulzenhof zu. Sie schrickt zusammen, wird auffällig verwirrt, guckt noch einmal genau herüber, schlägt dann eine Hand vor das glühende Gesicht und läuft eilig ins Haus zurück.
Laut auflachend sinkt Ernst auf sein altes Ledersofa.
»Der Star hat die Falle gesehen,« jubelt er. Dann sucht er seine Sonntags-Tabakpfeife und raucht ungeheuerlich, bis ihm der Kopf glüht und gegen Mittag die Leute heimkommen. Am Nachmittag findet er gar kein bißchen Ruhe. Er geht mit aufs Feld, aber dort hält er's nicht aus, da geht er ausnahmsweise einmal nach der Dorfschenke und von der Schenke wieder aufs Feld. Zur »Falle« wagt er sich nicht, um den »Star« nicht scheu zu machen. –
Wie furchtbar lang sich die Stunden auch dehnen, endlich ist's doch Abend. Die Leute sind zur Ruhe, der Wächter hat gepfiffen und ist hinunter ins Dorf.
Da tritt Ernst behutsam durch die Hintertür in den Garten. Aufgeregt ist er noch mehr als gestern, da er auf der Diebsjagd war. Mit großer Vorsicht schleicht er sich in die Nähe des Kirschbaumes, der nicht weit von der Straße steht. Am Zaune ist ein Holunderbusch, in den versteckt er sich.
Er wartet regungslos und ist zornig auf sein Herz, das ihm unnütz viel Spektakel zu machen scheint. Der Abend ist kühl, der Wind geht, aber Ernst schwitzt. Er strengt sich ganz unbeschreiblich an mit dem Horchen. Er fühlt ordentlich, wie ihm die Ohren spannen, und hat die Augen weit aufgerissen.
Manchmal wendet er den Kopf ganz behutsam nach rückwärts. – In Annas Stube ist Licht. –
Da … jetzt … das waren Schritte … Schritte auf der Straße. Es kommt auf die Gartentür zu. Jetzt ist's still; nur ein heftiges Atmen ist zu hören.
Die Gartentür wird geöffnet. Sie knarrt nicht, weil sie Ernst eingeölt hat, als es schon finster war.
Sie ist's … sie ist's wirklich. Schnell, hastig, aber doch ganz leise huscht sie zum Kirschbaum und klimmt augenblicklich gewandt wie eine Katze die Leiter hinauf. Oben rüttelt sie am Kasten, macht ihn los und kommt eilends die Leiter wieder herab. Sie will bald davongehen, besinnt sich aber und bleibt stehen. Noch einmal guckt sie sich scheu und furchtsam um, und dann reißt sie mit einem Ruck das Brettchen los und hält's dicht vor die Augen.
Ein leiser, glückseliger Ausruf kommt ihr vom Munde, und sie drückt das Brettchen an die Brust.
Da ist er, der Ernst, mit einem Satze aus dem Holunderbusch heraus.
»Gefangen hab' ich dich! Ich habe den Star gefangen.«
Sie schreit laut auf, will fliehen, aber er hält sie fest, küßt sie ganz rasend, und in der Aufregung tritt er den Starkasten, der am Boden liegt, in Trümmer.
Sie liegt glückselig in seinen Armen. Und sie bekennt ihm alles: wie sie ihn geliebt hat, wie sie unglücklich war über seine Zurückhaltung, wie sie da im Sommer den Plan faßte, den sie nun mit Bangen und Zittern ausgeführt habe.
Und dann sprechen sie von Liebe und baldiger Hochzeit.
Der Abend ist finster und kalt, aber das Glück ist über die Gasse gekommen und ist nun beim Ernst.
Durch die Luft rauscht ein Vogelzug.
»Es sind Stare,« lächelt die Anna, »Stare, die nach Ägypten ziehen.«
»Laß sie ziehen,« jubelt er, »wir schreiben uns selber auf, was wir gern wissen wollen.«