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Hero und Leander

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Die beiden Esel hießen Hero und Leander. Esel haben oft hochtrabende Namen. Der Kutscher von Hero und Leander hieß Dröselmann. Alle drei waren städtische Angestellte von Altenroda.

Hero und Leander hatten einen kleinen Wagen durch die Anlagen der Stadt zu ziehen, Müll abzufahren, manchmal etwas Gartengerät herbeizuschaffen, auch ein Fuderlein Sand oder Dünger zu befördern, und sie taten unter Führung ihres Kutschers Dröselmann das alles in gemessener, durchaus unüberhasteter Weise. Niemals gingen sie am »Bleiernen Hecht« vorüber. Sie blieben vor dem Wirtshause stehen und zwangen förmlich ihren Kutscher, einzukehren und seinen Schnaps zu trinken. Ein paarmal kam es dann vor, daß die Esel mit dem Wagen allein weiterfuhren und den Grünzeughändlern ihre Geschäftsauslagen, wie Kohlköpfe und Möhren, die vor der Tür ausgestellt waren, auffraßen, was Anlaß zu Geschimpfe und Beschwerden gab. Das alles aber war den Eseln egal. Sie hatten wenig Rechtlichkeitssinn.

Auch an der ersten Promenadenbank blieben die Grauen immer halten. Diese Bank hieß »Neubergers Ruh«. Professor Neuberger hatte viel Verdienste um die städtischen Anlagen von Altenroda, so daß man ihn durch Anbringung einer Tafel geehrt hatte, welche der ersten Promenadenbank seinen Namen gab.

Seit sich der zerstreute Gelehrte einmal auf ein Butterbrot gesetzt hatte, das ein Kind auf der Bank liegen gelassen hatte, versäumten humorliebende Gymnasiasten nie, auf dem Schulwege eine Butterstulle auf »Neubergers Ruh« als Falle zu deponieren, was den hellen Hosen des Professors noch verschiedentlich häßliche Flecken einbrachte.

Die beiden Esel Hero und Leander aber lungerten jeden Morgen auf das, was die anderen Esel, die nun in der Schule festsaßen, auf der Bank hinterlassen hatten. Lohnte sich der Fund, dann machte Dröselmann Halt, kratzte alle Butter mit dem Messer in eine Stullenecke zu einem Schlemmerbissen für sich selbst zusammen und verfütterte das Brot an seine Getreuen. Als die Gymnasiasten von solchem Tun Wind bekamen, ärgerten sie sich und schwuren Dröselmann und seinen Langohren Rache. An einem wunderschönen Juni-Nachmittage hatte sich Dröselmann, der ein bißchen lange im »Hecht« gesessen hatte, unter einem Baume, der an der Grenze zwischen Promenade und Eulenwald stand, schlafen gelegt. Die beiden Esel versanken in milde Träumereien. Es war alles so friedlich, daß niemand an die Nähe eines bösen Feindes geglaubt hätte. Und doch schlich er heran, und zwar in Gestalt des Obertertianers Müller III. Dieser berühmte Fährtensucher und Krieger, der in seinem Araberstamme den Namen »Vater der Stille« führte (wodurch seine Gewandtheit im Anschleichen angedeutet werden sollte), hatte vom Eulenwalde aus das Gespann und den schlafenden Kutscher erspäht und sich sofort angeschlichen, um festzustellen, ob Dröselmann auch wirklich schlafe, und ob da irgend etwas zu machen sei.

Der Eselmann Leander öffnete das linke Auge zu einem Blinzeln, stellte auch das linke Ohr etwas senkrecht und versuchte mit einem kleinen Schnaufer des linken Nasenloches nach der Richtung, wo Müller III anschlich, Witterung zu bekommen. Die rechte Hälfte Leanders schlief weiter.

»Liebe Frau,« sagte nach einiger Zeit Leander, »ich glaube, es kommt jemand.«

»Laß mich in Ruh,« schimpfte die Frau und schlug dem störenden Eheherrn die Schwanzquaste auf den Rücken. »Weib, da drüben ist was nicht recht richtig,« flüsterte der Mann.

»Du sollst mich in Ruhe lassen, schnaubte die Gattin und stieß mit dem Hinterfuße nach dem Manne.

»Aber Herochen,« klagte der Mann, »ich dachte doch nur ...«

»Du sollst nicht denken! Schlaf!«

Und er schlief, sowohl mit der rechten als auch mit der linken Seite; denn er war ein Esel und folgte dem Weibe.

Der »Vater der Stille« war jetzt nur zwei Schritte von dem Kopfe Dröselmanns und überzeugte sich, daß dieser in tiefem Schlafe lag. Dann schlich er zurück und rannte, als er sich sicher glaubte, nach dem Eulenwalde, wo unter der Querkaeiche sein Stamm, die Hullah-Araber, lagen. (Indianer spielen galt den Tertianern von Altenroda für zu albern; so was machten höchsten die Quartaner und die noch tieferstehenden Jahrgänge, mit denen man keine Fühlung hatte. Von Tertia an war man räuberischer Beduine.)

»Hört mich an,« sagte der ›Vater der Stille‹; ich, euer Scheich, habe erkundet, daß dieser Giaur, welcher sich Dröselmann nennt, schläft. Allah versenkte ihn in den Schlaf der Ungerechten, welche sich mit giftigen Getränken, die uns Rechtgläubigen verboten sind, berauschen. Die Stunde der Rache ist gekommen. Dieser Giaur hat uns wiederholt des täglichen Brotes beraubt, womit wir unseren Erzfeind, den Professor Neuberger, anlocken wollten. Allah schicke den Hund von Professor, der mir erst in der Osterzensur wieder ›mangelhaft‹ in der Naturkunde gab, in die tiefste Dschehenna!«

»Allahu ekber,« murmelten die Krieger.

»Was tut ein freier ben Arab?« fuhr der Scheich fort. »Er nimmt dem Feinde zunächst seine Rosse. Tapfere Krieger, edle Söhne des ruhmbedeckten Stammes der Hullah-Araber, sprecht mit mir die heilige Fatha, die erste Sure des Korans, und dann brecht mit mir auf, daß wir den Sieg an unsere Fersen heften und den Feind seiner Rosse berauben.«

Da rief der ganze Stamm: »Hamdullilah, Hamdullilah!« und tanzte um das Feuer, das entzündet war, in wilder Freude. Hadschi Ali ben Gorah ben Akiba aber, ein sehr betagter Stammesgenosse (er war nämlich in jeder Gymnasialklasse einmal sitzen geblieben), machte ein sorgenvolles Gesicht und sagte:

»Wenn wir, wie unser Scheich sagt, den Sieg an unsere Fersen heften, dann wird der Sieg hinter uns sein, das heißt mit anderen Worten, wir werden davonlaufen und die Sieger werden uns auf den Fersen sein.«

»Schweig, du Vater des vertrockneten Gehirns und Bruder der Kurzsichtigkeit,« zürnte der Scheich, »wie kann Dröselmann, der ein lahmes Bein hat, uns verfolgen, zumal wenn er trunken ist? Stammesgenossen, ich sage euch, schon nach einer halben Stunde werden wir die Sure des Sieges beten!«

»Allah il Allah!« rief der ganze Stamm.

»Laßt uns gehen; denn Asr, die Stunde des Aufbruchs, die beste des ganzen Tages, ist gekommen.«

Sie verbeugten sich in der Richtung gen Mekka und dann brachen sie auf, einer hinter dem anderen, huschend, gebückt, voran der Scheich. Jetzt waren sie vor einer Schonung.

»Gerade aus!« gebot der Scheich leise und kroch in die Pflanzung. Alle Hullah-Araber krochen hinterher, als letzter Hadschi Ali ben Gorah ben Akiba, der ob seiner Erfahrungen immer das Ehrenamt hatte, den Rückzug zu decken, und als Sohn des städtischen Försters auch die genaueste Ortskenntnis besaß.

Plötzlich erdröhnte ganz in der Nähe ein Schuß. Sämtliche Araber flogen auf die Nasen.

»Wartet, ihr Halunken,« donnerte die Stimme des Försters, »euch werde ich lehren, in die Schonung zu kriechen. Ich erschieße die ganze Bande!«

Die Araber fraßen sich vor Angst in den Sandboden ein. Ein zweiter Schreckschuß. Dann die Stimme des Scheichs: »Der Förster! Er schießt mit Hasenpfeffer! Jungens, lauft!«

Alles rannte. Der Förster fluchte. Am meisten fluchte er, als er seinen eigenen Sprößling unter den Waldfrevlern entdeckte, den Hadschi Ali ben Gorah ben Akiba. »Na warte, Fritze,« brüllte der Forstmann, »komm du mir nach Hause!«

Im Kastanienwäldchen sammelten sich die Hullahs. Der Scheich fand seine Fassung schnell wieder.

»Tapfere Krieger der Hullahs,« rief er; »ihr habt einen heimtückischen Überfall glorreich überwunden. Laßt uns die Sure des Sieges sprechen. Denn der Feind hat trotz seiner Feuerschlünde nichts über uns vermocht. Leider wird er durch seine Schüsse den geweckt haben, den wir überfallen wollten. Wir müssen also unseren Kriegszug für heute abbrechen.«

Er hatte nicht ganz recht. Zwar, als die Schüsse erdröhnten, waren auch Hero und Leander in wilder Flucht davongelaufen, hatten zuletzt den Wagen umgeworfen, die Geschirre zerrissen und waren von dem Förster eingefangen worden. Der Kutscher Dröselmann aber hatte von all diesen Ereignissen nichts bemerkt. Er erfreute sich eines gesegneten Schlafes.

Am nächsten Morgen wurde Dröselmann auf das Rathaus zitiert und ihm daselbst ein wenig freundlicher »Guten Morgen« gesagt.

Fünf Tage später durcheilte die Stadt das Gerücht: die Esel seien schon wieder durchgegangen. Diesmal aber waren sie nicht wieder eingebracht worden, sondern mit Geschirr und Wagen spurlos verschwunden. Das Gespann war offenbar gestohlen worden. Dröselmann mußte wieder aufs Rathaus kommen und wußte von dem ganzen Vorfall nichts zu melden, als daß er ob der ungeheuren Sommerhitze am Wegrande ein wenig entschlummert sei, und daß bei seinem Erwachen die Esel auf und davon waren.

Darauf sagte der Bürgermeister: »Gute Nacht, lieber Dröselmann, »wir brauchen Sie fürderhin nicht mehr. Schlafen Sie weiter recht wohl!«

*

Im Eulenwalde lag ein altes Jagdhaus, das sich ein adliger Herr in früherer Zeit gebaut hatte, das aber nun ganz in Verfall geraten und seit Menschengedenken unbewohnt war. Ein grasverwachsener Waldweg führte zu ihm, der kaum manchmal zu einer Holzfuhre benutzt wurde.

Nach diesem alten Jagdhause schafften die Hullah-Araber ihre Beute, und der Zufall wollte es, daß sie ganz unbemerkt blieben.

Die Hullahs feierten ein großes Siegesfest, und es zeigte sich, daß jeder seinen Karl May gründlich kannte.

»Tapfere Krieger,« rief der Scheich, »seht ihr sie leuchten, die Sonne unseres Ruhmes? Seht ihr sie stehen, die erbeuteten Rosse und Wagen unseres Feindes? In allen Zelten des Morgenlandes, bei den Wachtfeuern der Wüste und an den Ufern des Nils wird man von unserer Großtat sprechen.«

»Allahu ekber!« riefen die Krieger und entzündeten ihre Pfeifen.

»Tapfere Krieger,« fuhr der Scheich fort, »ein echter ben Arab liebt sein Roß; seht, wie ich dem meinen den Kuß des Friedens gebe!«

Er näherte sich dem Kopfe der Eselin und wollte sie küssen. Hero aber schnappte nach ihm; auch bespritzte sie ihn aus ihren Nasenlöchern.

»Dieses Roß,« sagte der Scheich, indes er sich das Gesicht abwischte, »tut noch etwas fremd zu mir. Ich will ihm zeigen, daß ich sein Freund bin.«

Nun brachte er eine Menge Zuckerstücke zum Vorschein, die er den Vorräten seiner Mutter entnommen hatte, und fütterte die Eselin.

»Weib,« sagte der Esel Leander; »lasse dich nicht von einem Manne, der dich hat küssen wollen, mit Zucker speisen.«

»Ach, du bist wohl eifersüchtig?« fragte die Frau und fraß dann erst recht.

Da seufzte der Mann: »So sind die Weiber!« Aber er fügte sich drein; denn er war ein Esel. Hadschi Ali ben Gorah tröstete ihn mit einem Bündel Möhren.

Hadschi Ali stand neuerdings beim Stamme wieder in höchsten Ehren; denn seine Deutung von der Heftung des Sieges an die Fersen hatte sich bewahrheitet, und obwohl sich von väterlicher Seite wegen des Betretens der Schonung der Sieg nachträglich sogar auch noch an Alis Hosenboden geheftet hatte, war der Edle doch dem Stamme treu geblieben und hatte sich an der neuen Kriegstat beteiligt.

Auch die anderen Hullah-Araber hatten für die beiden erbeuteten »Rosse« allerhand Leckerbissen mitgebracht, sogar Weißbrot und Schokolade, so daß Leander seine Hero anschmunzelte und sagte: »Die Lauseigel sind gut. Wir haben unsere Lage verbessert!« Hadschi Ali ben Gorah aber legte seine sechzehnjährige erfahrene Stirn in Falten und sagte:

»Was fangen wir nun mit den Eseln an?«

»Zuerst müssen wir furagieren,« sagte Mullah ben Nadir, dessen Vater beim Train gedient hatte. »Esel brauchen Heu. Ich weiß eine Wiese in der Nähe, wo Heu zu haben ist. Auch Klee mögen sie.«

Dieser Vorschlag wurde angenommen; der Scheich und zwei Krieger zogen aus, um zu erkunden, ob Wiese, Kleefeld und Weg sicher seien, und dann brach der ganze Stamm auf und schaffte ein Fuder Heu und Klee herbei. In dem alten Jagdschloß waren noch bedeckte Räume genug, daß das Eselpaar einen Stall, der Wagen eine Remise fand.

»Was machen wir nun mit den Eseln?« fragte der weise Ali wieder. »Es genügt nicht, wenn wir sie bloß immerzu füttern.«

»Nein,« sagte Ibn Dschisirah, »wir müssen sie reiten. Esel sind Reittiere.«

»Wir haben keine Sättel,« warf Ali ein.

»Sättel,« höhnte der Scheich; »wie oft ist der große Kara ben Nemsi, den sie im Abendlande Karl May nennen, ohne Sattel geritten! Ich werde es euch zeigen; denn ich bin euer Scheich.«

»Hai! Hai! Der Vater der Stille!« jubelten die Krieger. Der Scheich schirrte nun die Eselin ab, gab ihr die zärtlichsten Kosenamen, erinnerte sie an den Zucker, den er ihr verehrt hatte, und schwang sich mit einem kühnen Schwünge auf den Rücken des Tieres.

Der Erfolg war ein gewaltiger. Hero drehte erst verwundert den Kopf um, was bedeuten sollte: »Nanu? Was ist das für eine Frechheit?« Dann wippte sie ein wenig mit dem Rücken, dann machte das Vieh unvermutet einen kreuzförmigen Satz, einen wahren Zaubersprung, zugleich nach vorn, hinten, rechts und links, so daß der Scheich wie eine abgeschossene Rakete in die Luft flog.

»Allah kerim!« riefen erschrocken die Krieger.

Der Scheich, der nach glänzender Kurve gelandet war, erhob sich. Er hatte sich gewaltig geschlagen, ließ aber nichts merken, sondern sagte gleichmütig:

»Dieses Roß scheint falsch zugeritten zu sein. Ich will das andere probieren.«

Nun kam Leander an die Reihe. Leander hatte mit Behagen zugesehen, was für Teufelsmätzchen sein Weib mit dem Araber vollführte.

»Ja, ja, lasse sich einer mit der ein, mit der wird kein Esel fertig,« sagte er bei sich. Während sich nun der Scheich mit ihm zu schaffen machte, dachte sich Leander: »Wie wäre es, wenn ich den Schlingel auf mir reiten ließe? Gewiß bekäme dann das nächste Mal ich den Zucker und das Weib bekäme nichts; das würde sie sehr kränken.«

Aus diesen ehelichen Erwägungen heraus ließ Leander den Scheich aufsteigen und setzte sich in gemütlichen Trab mit ihm.

Die Hullahs waren außer sich vor Entzücken.

»Er reitet! Er reitet wirklich! Er fällt nicht herunter!« riefen sie. Der Scheich aber sagte leuchtenden Auges:

»So reitet ein ben Arab!«

*

»Was machen wir wegen der Esel?« fragten sich auch die Räte der Stadt Altenroda. Sie empfanden den Verlust der Tiere als eine Schande. Das »Stadtblatt« und einige benachbarte Zeitungen machten in Poesie und Prosa böse Witze über die Affäre. So wurde schließlich auf die Wiedereinbringung der schamlos gestohlenen Esel eine Belohnung von dreihundert Mark gesetzt, die auch bald auf fünfhundert erhöht wurde. Im »Löwen«, im »Roß« und im »Hecht« aber wurde fast von nichts anderem gesprochen als von dem entschwundenen Stadtmarstall, und es wurden große Wetten abgeschlossen, ob die Tiere wiederkommen würden oder nicht. Schließlich erhöhten diejenigen, die, auf die Rückkehr der Esel gewettet hatten, die Prämie von sich aus auf tausend Mark. Der abgesetzte Eselskutscher Dröselman hatte der Stadt den Rücken gekehrt und war nach Berlin gezogen, wo er zwei Brüder hatte, die von ähnlichem Kaliber waren wie er. Seine Frau hatte Dröselmann in Altenroda zurückgelassen.

*

Den Eseln erging es indessen im Eulenwalde vorzüglich. Wenn sich der Stamm der Hullah-Krieger auch nicht täglich vollzählig versammelte, was wegen verschiedener schwerer Hinderungsgründe nicht immer möglich war (Klavierstunde, Tante zu Besuch, zum Schneider maßnehmen gehen, Strafarbeiten machen, Arrest absitzen und so), es waren doch immer einige der Helden anwesend und vergaßen nie, manches Leckere mitzubringen. Die Esel waren des Nachts angebunden, wurden aber am Nachmittag losgelassen und führten ein freies Leben voller Wonne. Leander, der gutmütige Mann, ließ auf sich reiten, bei Hero, der störrischen Eselin, aber gelang es nur dem Scheich, einen Rekord von elf Sekunden aufzustellen, dann flog auch er unweigerlich.

Manchmal in stiller Nacht, wenn sie allein waren, sagte der Mann:

»Ach, Frau, in diesem verwunschenen Schlosse ist es schauerlich zur Nachtzeit. Hörst du, wie das Käuzchen schreit und wie laut der Bach rauscht? Auch klappert der Wind mit den Dachsparren.«

»Er klappert nicht! Du klapperst! Und zwar mit den Zähnen. Du bist ein Feigling!«

»Ach, Frau, ich wollte gewiß mutig sein wie ein Löwe, wenn ich nur erst wieder bei Papa Dröselmann im Stalle stände. Da wohnten Menschen ringsum und zwei Hunde sind im Hofe, ein Boxer und ein Pinscher, der die ganze Nacht bellt.«

»Du bist ein Esel, darum bist du dumm; wärst du eine Eselin, so wärst du klug. Geh nur zu deinem Dröselmann, lasse dich alle Tage an den Wagen spannen, schleppe Lasten und kriege schlechtes Futter! Geh, geh! Ich bleibe hier. Und wenn du gehst, wirst du noch etwas Dümmeres sein als ein Esel.«

»Nämlich was denn?«

»Ein Witwer!«

»O weh, ein Witwer will ich nicht sein!«

»So halt's Maul! Männer, die nicht Witwer sind, haben das Maul zu halten.«

Das tat denn Leander und fürchtete sich in dem einsamen Waldhause halb zu Tode. Erst wenn der Morgen kam, schlief er ein.

*

An einem Sonntagnachmittage, als fast der ganze Stamm der Hullah versammelt war, sagte der Scheich:

»Tapfere beni Hullah! Es find zwölf Tage und zwölf Nächte vergangen, seit wir auf unserem glorreichen Kriegszuge die Rosse des Giaurs Dröselmann erbeuteten. Ihr habt gehört, was diesem Vater der Verschlafenheit und Enkelsohne der Kümmelflasche begegnet ist. Sein Mudir (Bürgermeister) hat ihn aller seiner Ehrenstellen entsetzt und seiner Einkünfte entkleidet. Er hat ihn in die Verbannung gejagt, wo ihn die Krokodile der Verzweiflung fressen werden. Allah verbrenne seine Seele in Spiritus. Was uns dieser Giaur geschadet hat, ist gerächt. Der freie Sohn der freien Wüste aber, der ben Hullah, ist großmütig und edel. Wenn seine Rache erfüllt ist, hört er auf, zu strafen.

Nun komme ich auf die Stadt zu sprechen, welche Altenroda heißt. Gewiß, es wohnen in dieser Stadt vielerlei Bösewichte, wozu insonderheit die Professoren der Schule gehören, welche das Gymnasium heißt.«

»Allah! Wallah! Tallah!« knurrten die Krieger.

»Allah,« fuhr der Scheich fort, »wird diese Giaurs samt und sonders an einen Spieß stecken, und über dem tiefsten Schlünde der Feuermolche in der Dschehennah zappeln lassen.«

»Allah! Wallah! Tallah!« heulten die Krieger in wildem Fanatismus.

»Aber, beni Hullah, mein Ohr hat vernommen, daß einige unter euch Verwandte in Altenroda haben, und deswegen wollen wir die Stadt nicht vernichten, sondern ihr Gnade zuteil werden lassen.«

Die Männer brummten irgend etwas Arabisches.

»Ich weiß, teure Stammesgenossen, die Milde fällt euch schwer. Zu arg und schändlich seid ihr in jener Stadt oft erzürnt worden. Aber der Starke sei gnädig dem Schwachen. Um eurer Verwandten willen will ich die Stadt begnadigen und ihr die Esel zurückerstatten, um die sie jammert.«

Unwilliges, ja drohendes Gemurre.

»Hört mich, edle beni Hullah – ich habe noch andere Gründe für meine Milde. Das größte El Asr des ganzen Jahres, die größte Stunde des Aufbruchs steht bevor. (Der Scheich meinte den Beginn der großen Ferien.) Die Hullah zerstreuen sich dann auf lange Zeit; der eine zieht dorthin, wo auf weiten Steppen die Herden grasen; der andere erklimmt die höchsten Felsengipfel der Welt; der dritte stürzt sich in das Meer, um Perlen zu suchen; ein vierter sucht seinen ruhmreichen Großvater auf. Niemand wird hier bleiben, um unsere Roßherde zu bewachen und sie gegen den Überfall von Feinden oder vor wilden Tieren zu beschützen. Was soll aus ihnen werden?«

Düster sahen die Männer vor sich hin. Ihre herrliche Beute freizugeben, auf den Spaß zu verzichten, alle Tage die Altenrodaer Bürger von den verschwundenen Eseln Mirakeln zu hören, sich selbst ihres köstlichen Geheimnisses zu berauben, keine Reittiere mehr zu haben, das alles erschien ihnen Wahnsinn.

»Was du planest, o Scheich,« sagte Omar ben Gandesi zornig, »verhüte der Prophet!«

»So möge eure Weisheit entscheiden,« antwortete der Scheich verstimmt, »was nach dem großen El Asr mit unseren Viehherden geschehen soll!«

Alle versanken in dumpfes Sinnen. Die Pfeifen dampften. Endlich sagte der weise Ali:

»Wenn wir sie schon selbst nicht behalten können, so wollen wir sie doch der feindlichen Stadt Altenroda nicht zurückgeben. Möge diese Stadt zum Gelächter der ganzen Welt die esellose genannt werden in Ewigkeit. Wir werden die Esel aus ihrer schmachvollen Sklaverei erlösen, wir werden ihnen die Freiheit geben. Wald, Feld und Flur sollen ihre Weide sein, der Sternenhimmel ihr Zelt, und zu Mogreb, der Stunde des Frühgebetes, schon möge alltäglich ihr Feierabend beginnen.«

»Wohl gesprochen, edler Ali; auch ich bin für die Freiheit der Esel. Aber bedenke, was aus ihnen werden soll, wenn die Regenzeit eintritt oder wenn feindliche Stämme ihnen nachstellen.«

So sprach der Scheich. Da sprang Omar den Gandesi erregt auf und rief:

»Ich hab's! Allah hat mein Herz erleuchtet und meinen Verstand scharf gemacht wie die Zähne des Krokodils. Ihr wißt, daß die Obrigkeit von Altenroda auf die Wiedereinbringung der Esel einen Preis von tausend Silberstücken gesetzt hat. Lasset uns mit den Eseln vor das Rathaus ziehen, sagen, wir haben sie im Walde eingefangen, und uns den Preis einfordern. Wenn wir ihn teilen, hat bei El Asr, der Stunde des Aufbruchs, jeder soviel Geld, daß sein Weg mit Rosen bestreut sein wird und sich in allen Herbergen die Diener vor uns reichen Männern neigen werden.«

»Hamdullilah!« schrien die Krieger, und sie reichten sich die Hände und tanzten vor Freude. Nur der Scheich und der weise Ali blieben sitzen.

Als der Tanz aufhörte, sprach der Scheich:

»O, ihr Kinder des Unverstandes und Väter des Leichtsinnes! Was ihr planet, würde unser aller Verderben sein. Man würde euch durchschauen, euch nicht die tausend Silberstücke, sondern die Bastonade geben, sowie euch elendiglich einkerkern.«

»Der Scheich hat recht,« sagte Ali düster; denn er dachte an seinen Vater, den Förster. Da wurden sie alle still, und bleierne Ratlosigkeit lag über der Versammlung.

Endlich stand der Scheich auf und hielt eine Rede von solchem Bilderreichtum und von so hinreißendem Feuer, wie sie eben nur von einem Orientalen gehalten werden kann. Als er geendet hatte, reichten ihm seine Krieger die Hände, und in aller Augen lag hoher Stolz und fester Entschluß.

*

Die Johannisnacht war gekommen. Auf dem Ochsenkopf wurde ein mächtiges Johannisfeuer angezündet. Goldig flackerte es auf in der pechschwarzen Neumondnacht, und alles Volk aus der Stadt vergnügte sich und hatte sich zum Feste hinaus begeben. Selbst die größeren Kinder genossen in dieser Nacht Freiheit. Jenseits vom Ochsenkopf aber, im Eulenwalde, im Lager der Hullahs, regte es sich.

»Wir sind vollzählig beisammen,« sagte der Scheich. »Allah hat keinen um die Ehre bringen wollen, an der Heldentat, die wir vorhaben, teilzunehmen. Betet die heilige Fatha!«

Die Krieger verbeugten sich gegen Mekka, was in der herrschenden Finsternis leider nach vier verschiedenen Richtungen geschah, dann wurden die Esel aus dem Stalle geführt und an den Wagen gespannt. Der Scheich mit zwei Spähern ging voraus, der Wagen mit Begleitung folgte. Hadschi Ali ben Gorah kommandierte den Nachschub. Mit allerhöchster Vorsicht schob sich die Karawane weiter. Bei einem Gemüsefelde wurde Halt gemacht. Der Scheich entlehnte sich von einer Vogelscheuche einen alten Frack, einen fürchterlichen Zylinder und ein Halstuch; auch band er sich eine Gesichtslarve vor, die er vom letzten Fasching her besaß. So ausgerüstet, war er schrecklich anzuschauen. Er entließ nun mit einer Handbewegung alle seine Krieger und fuhr ganz allein hinein in die feindliche Stadt. Voller Bewunderung sahen die Hullahs dem unvergleichlichen Helden nach.

Die Stadt war wie ausgestorben. Was nicht zum Johannisfeuer gegangen war, steckte in den Häusern. Nur bei einer Straßenlaterne saßen drei alte Frauen auf den Haustürstufen und schwatzten.

Als sie das gespensterhafte Gefährt daherkommen sahen, schrien sie gellend auf, stürzten ins Haus und warfen die Tür hinter sich zu. Das erste der Weiber wurde ohnmächtig, das zweite schrie in Todesangst fortwährend, es hätte den Leibhaftigen gesehen, das dritte nahm Baldriantropfen.

Fernerhin unbemerkt gelangte der Scheich bis zum Marktplatz. Dort führte er sein Gespann an einen dunklen Straßeneingang, strängte die Esel ab, streichelte sie noch einmal zärtlich und verschwand im Dunkeln.

*

Vom Ochsenkopf kam mit Marschmusik und Hunderten von Fackeln der Festzug vom Johannisfeuer heim. Voran schritt der Bürgermeister. Es war in Altenroda nicht Sitte, daß, wie anderwärts, die Obrigkeit die Volksfeste nur huldvoll genehmigte, mit Steuern belegte und polizeilich überwachen ließ, sondern sie, die Obrigkeit, mußte mitmachen, sich persönlich beteiligen. Immer mehr Fackeln erfüllten den Marktplatz, die Musik dröhnte, der Bürgermeister erklomm die Freitreppe, um die übliche kleine Ansprache zu halten.

»Bürgerinnen und Bürger unserer lieben Stadt! Der Johannisabend ist für alle ein Fest der Freude!«

»I–a, i–a!« tönte es von irgendwo her. (Das sind wieder Schulbuben, die Unfug treiben, denken alle.)

»Zwar ist es schön und friedlich in den Mauern unserer Stadt, aber herrlich ist es doch, in holder Sommerzeit einmal hinauszuschweifen nach Wald und Berg...«

»I-a, i–a!«

Plötzlich ein begeistertes, markerschütterndes Schreien. Und nun folgt ein Hexensabbath: »Die Esel! Die Esel!« Fackeln drängen nach einer dunklen Ecke.

»Die Esel! Die Esel!«

»Was ist los? Was gibt es?«

»Die Esel sind da! Unsere Esel sind da! Unsere lieben Esel sind da! Unsere Stadtesel sind da!«

Die ganze Menge gerät in Tumult. Der Bürgermeister läßt zwei Trompeter blasen.

»Ruhe! Was gibt es?«

Bäckermeister Chibulke schreit mit seiner Löwenstimme über den Platz:

»Unsere Stadtesel sind da! Hero und Leander. Da stehen sie an der Eulengasse!«

»Herbringen! Zeigen! Die Esel! Die Esel!«

Über den Marktplatz bewegt sich, von vier Männern und zahlreichen Fackeln begleitet, das Eselsgespann. Die Leute staunen sich die Augen aus den Köpfen, sie zappeln, schlagen mit den Händen, schreien.

Vor dem Bürgermeister hält das Gespann. Es tritt tiefe Stille ein. Der Bürgermeister blickt die Esel entgeistert an.

»Wo kommen die her?« fragt er.

»Ich weiß nicht,« sagt der Bäcker. »Am Eingang der Eulengasse haben sie gehalten, ganz ohne Kutscher.«

»Es ist ein Plakat an dem Wagen,« ruft einer.

»Vorlesen! Vorlesen! Ru–uhe!«

Ein Mann liest von der Freitreppe aus das Plakat vor, das an dem Eselswagen war:

»Bürger von Altenroda!

Um eurer zahlreichen Sünden und Missetaten willen seid ihr gestraft worden, daß ihr euer schönes Eselsgespann verlöret und die ganze Welt über euch lachte. Diesmal soll Gnade für Recht ergehen, und ihr bekommt euer Gespann wieder. Das nächste Mal fällt es strenger aus! Seid also gut zu euren Armen und nachsichtig mit eurer Jugend! Sonst wehe euch! Die tausend Mark Belohnung soll die Frau Dröselmann bekommen, die durch eure Härte des Ernährers beraubt worden ist. Tut ihr das nicht, so werdet ihr die Esel nicht lange behalten. Gezeichnet: Die Männer des Rechts.«

Ein ungeheures Gelächter ging los. Nur die Hullahs standen still und stolz da, und ihr Scheich hüllte sich schweigend in seinen Burnus.

*

Die tausend Mark wurden wirklich an die Frau Dröselmann gegeben. In Altenroda herrschte viel zu viel Humor und Biedersinn, als daß das nicht geschehen wäre. Frau Dröselmann, die ohnehin froh war, daß sie ihr altes Trinkhuhn von Mann los war, schlug selig die Hände zusammen, als sie das Geld bekam, und sagte:

»Gott sorgt'! Der Mann ist fort, und die Esel sind da!« Darob wurde sie zur städtischen Eselkutscherin ernannt. Sie verrichtete ihr Amt ausgezeichnet, hielt vor keinem Wirtshaus, war zuverlässig und betreute ihre Tiere mütterlich...

Nur wenn sie in die Gegend kam, wo die Promenade an den Eulenwald grenzt, wollten ihr die Grauschimmel allemal durchgehen. Eine unbändige Sehnsucht zog Hero und Leander nach dem alten Jagdhause im Eulenwalde. Und wenn sie eine bunte Gymnasiastenmütze sahen, zitterten sie vor Freude.


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