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Hoch am Ochsenkopf und noch dazu abseits vom Hauptwege liegt eine weltverlorene Kolonie, die Weberhäuser. Die Leute, die in den neun verstreuten Häuslein dort leben, haben nur mit Altenroda etliche Verbindung. Was über Altenroda hinausliegt, geht sie nichts an.
Im letzten Jahre aber waren fünf Sommergäste, welche angeblich die absolute Einsamkeit, in Wirklichkeit die absolute Billigkeit suchten, in den Weberhäusern gewesen. Ende August waren die Gäste abgereist und die Weberhäuser waren so einsam wie immer.
Was, dachte der einzige Spatzenmann, der in den Weberhäusern wohnte, am Anfang Oktober, ich mach's wie im vorigen Winter, ich niste in dem Briefkasten. Der Briefkasten ist ein gutes, festes Häuslein, sicherer als diese windigen Starkästen, und ungestört ist man auch.« Besprach sich also mit seinem Weibe.
»Blech ist zu kalt,« sagte diese.
»Rede kein Blech, Weib,« sprach der Mann unwillig. »Blech ist fest. Das ist die Hauptsache. Rin in den Kasten!«
Dann krochen sie durch einen Spalt, über dem »Einwurf« geschrieben stand, und sahen sich im Kasten um. Ein reizendes Schlafgemach, von schwach bläulichem Lichte erfüllt. Unten war ein kleines Schild angebracht, wie ein Transparent, da stand »Sonnabend« darauf zu lesen.
»Mann, hier liegt was,« sagte das Weib. Es war ein dicker Brief, auf dem mit roter Schrift stand: »Eilt!«
»Der ist gut,« sagte der Mann, »der ist dick und federt wie eine Matratze.«
Dann flogen sie aus, stahlen Stroh, stahlen Heu, zupften Moos und sammelten Laub, und bald war die Wohnung ausgestattet. Als der Abend kam, und der Wind grimmig pfiff, lachte das Spatzenpaar in seinem sicheren Hause und hörte mit Behagen den Regen auf sein Dach tropfen.
Am selben Abend saß der Weber Bieselt, an dessen Hause der Briefkasten angebracht war, unten in Altenroda im »Bleiernen Hecht« und der Briefträger gab ihm einen Schnaps zum besten und sagte: »Also, Bieselt, wenn diesen Winter wirklich jemand mal bei Euch was in den Briefkasten stecken sollte, da laßt mich's wissen. Ich komm dann rauf, um zu leeren; denn Pflicht ist Pflicht.« Der Briefträger machte ein entschlossenes Beamtengesicht, als er das sagte.
*
Den Sperlingen ging's gut. Die Kost war schmal, aber das Haus war prächtig. Einmal aber in stiller Nacht, als beide geruhsam schliefen, hörten sie leise Schritte ... eine Hand tastete nach dem Kasten ... ein keuchendes Atmen hörte man ... dann flog ein Brief in den Spalt, flog gerade auf das erschrockene Ehepaar.
»So eine Gemeinheit!« schimpfte der Mann, als er sich von dem schweren Schlage erholt hatte; »ich muß sehen, wer das war.«
Er flog auf Kundschaft und kam bald zurück.
»Die schwarze Liese, die dumme Gans! Der steckt der Dragoner im Kopfe, der auf Ernteurlaub war, und nun schreibt sie ihm. Paßt sich das?«
Nein, nein, schüttelte das Weib ihr Gefieder, das passe sich ganz und gar nicht. Darauf trampelte der Mann wütend auf dem Briefe mit den Füßen herum und sagte: »Hilf, Weib! Wir buddeln den Brief unter.« Und sie buddelten ihn unter.
Zehn Tage später flog wieder in tiefer Nacht ein Brief durch die Spalte. Der Spatz war rasend, flog auf Kundschaft aus und kam bald zurück.
»Die Hubrichen, die alte Schwarte. Die schreibt gewiß an den Pinkus, daß sie die Zinsen nicht bezahlen kann! Hilf, Weib, wir buddeln den Brief unter!« Und sie buddelten ihn unter.
Am nächsten Freitag, schon vor Aufgang des Mondes, flog abermals ein Brief durch die Spalte. Der Spatz hätte mit den Zähnen geknirscht, wenn er welche gehabt hätte, flog auf Kundschaft aus und kam bald zurück. Er war blaß vor Zorn.
»Die Heinisch Selma, das Schaf, die schreibt auch an den Dragoner, der auf Ernteurlaub da war.« Und in höchster Entrüstung buddelten die beiden den Brief unter.
Zwei Tage später aber sauste schon wieder in später Stunde ein Brief durch die Spalte und eine leise Stimme draußen sagte: »Wenn mich bloß niemand sieht!«
»Das Dorf hat die Schreibwut,« schrie der Spatz, flog auf Kundschaft und berichtete, daß es die Häuslerin Steinert sei, die ohne Wissen ihres Mannes ihrem Jungen Geldbriefe schicke.
Ende November kam ein Kind geschlichen, das einen Brief ans Christkind dem Spatzenpaare auf die Köpfe warf. Alles wurde untergebuddelt.
Als aber Mitte Dezember die Hübner Frieda mit einem Briefe an den Dragoner, der auf Ernteurlaub gewesen war, angeschlichen kam, wurde der Spatz tobsüchtig.
Er riß das Lager auf, Brief um Brief empor und warf unter athletischer Anstrengung sämtliche Briefe mit Hilfe seines Weibes zur Spaltöffnung hinaus.
Am anderen Morgen trat der Weber aus dem Hause, sah die vielen Briefe im Schnee liegen, stieß einen Quieker aus, steckte alle Briefe wieder in den Kasten und sandte drei Tage später einen Eilboten an den Briefträger nach Altenroda.
Dieser kam schon vor Ablauf der nächsten Woche an, den Kasten zu leeren. Die Sperlinge aber waren inzwischen ausgezogen; denn durch die Papierlawine, die der Weber in den Kasten geworfen hatte, wären sie beinahe zerquetscht worden.
Der Briefträger leerte den Kasten, sah den Haufen Stroh, Heu, Federn, Moos und verschiedene andere Andenken der Spatzen und sagte mit einem amtlichen Blick auf den Weber: »Das Einwerfen fremder Gegenstände in öffentliche Postkästen ist verboten!«
Der Weber entgegnete nichts. Der Spatz aber meinte: »Heutzutage mag der Geier ein Sperling sein. Nicht mal im Briefkasten mehr hat man Ruhe!«