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Pinkus.
Er stammte aus Brzezany.
Das liegt in Ostgalizien.
Noch hinter Lemberg.
Daran ist nichts auszusetzen; denn selbst hinter Lemberg müssen doch Leute wohnen. Auch: warum soll einer nicht Pinkus heißen und aus Brzezany stammen? Aber die Altenrodaer Bürger schimpften darüber, daß Pinkus aus Brzezany sich in ihrer Stadt niedergelassen und seine ostgalizische Kultur in Form einer »Gemischtwarenhandlung« dort hatte in Erscheinung treten lassen. Die Bürger von Altenroda waren zum großen Teil stramme Antisemiten, sie schimpften auf den Juden, machten Witze über seinen Namen, seine Herkunft und sein Aussehen, und wenn sie einigen alten unnützen Kram zu verkaufen hatten, bestellten sie heimlich den Pinkus und suchten noch so viel von ihm herauszuschinden, wie es bei solchem Trödel und solchem Käufer eben möglich war. Auch borgten manche bei ihm Geld.
Pinkus stand sich in solcher Gemeinde glänzend. Er kaufte alles zusammen, was ihm unter die Finger kam. Der Apotheker hatte einmal bei einem Faschingsfeste der »Harmonie« eine alphabetische Aufzählung des Pinkusschen Warenbestandes zum Besten gegeben: Armleuchter, Abortspapiere, Betschemel, Bartflechtenmittel, Cypernwein, Cäsarenwahnsinn (antiquarisch von Quidde) Dörrgemüse, Daunenfedern, Emaillegeschirr, Einreibe, Feigen, Fichtes Reden, Heiligenbilder, Hosenträger usw.
Acht Tage nach dem Faschingsfeste der »Harmonie« kam Pinkus zu dem Apotheker und sagte:
»Herr Doktor Apotheker, ich bedanke mer for den schönen Witz, was der Herr Doktor Apotheker gemacht haben mit mir armen Mann. Ich habe in der letzten Woche gemacht ausgezeichnete Geschäfte!«
Als Pinkus gegangen war, sagte sich der Apotheker: »Ich bin ein Esel! Ich habe für den Mann Reklame gemacht.« Niemand widersprach, da niemand da war.
Also, halb Altenroda schimpfte auf Pinkus, und ganz Altenroda machte gelegentlich Geschäfte mit ihm. Pinkus stand sich gut dabei. Er überragte an Geschäftsklugheit sämtliche Bürger der Stadt, und da geistige Überlegenheit immer Neid erzeugt, freute sich die gute Stadt Altenroda, als es eines Tages gelang, den wirklich geizigen und schachersüchtigen Pinkus hineinzulegen. Der Held, dem die Ehre zufiel, war ein armer Musiker, der Sonnabends und Sonntags im »Bleiernen Hecht« zum Tanze aufspielte, zwischendurch mal in einer Familie zur Hochzeit oder beim fünfzigsten Geburtstag und sich sonst durch Privatstunden (zu sechzig Pfennigen) sein tägliches Armeleutebrot zusammenfingerte.
Und nun kommt die Geschichte.
Pinkus hatte eine Baßgeige gekauft. Er hatte zwar keine Ahnung von Musikinstrumenten, aber warum sollte er auf der Auktion die Baßgeige nicht kaufen, wenn er sie billig bekam?
Es hatte aber auf der Auktion auch ein Musikant auf die Baßgeige gesetzt. Sechzig Mark hatte der arme Teufel im Beutel, und als Herr Pinkus einundsechzig Mark bot, mußte der andere das hübsche Instrument im Stich lassen.
Traurig erzählte der Musikus im »Bleiernen Hecht« sein Mißgeschick den Kameraden.
»Laß mich nur machen,« sagte nach einer Pause tiefen Nachsinnens der eine.
Nächsten Tag ging dieser Mann zu Pinkus.
»Herr Pinkus,« sagte er, »ich bin ein Musiker und habe gehört, daß sie eine Baßgeige zu verkaufen haben. Ich habe zwar schon eine gute Baßgeige, aber ich möchte eine – sozusagen – eine zweite Baßgeige als Reserve anschaffen.«
»Reserve is gut gesprochen,« sagte Herr Pinkus; »jeder gediegenete Musiker hat Baßgeige auf Reserve. Sie soll'n se sehen.« Und er zeigte ihm die Baßgeige und sprach dazu: »Ein hochmodernes, ein haltbares und elegantes Instrument. Kostet mich auf Ehrenwort selber hundertzwanzig Mark ohne die Spesen, aber weil ich sehe, daß Sie sind ein begabter junger Musiker, will ich Ihnen verkaufen die Baßgeige mit minimalem Profit for hundertdreißig Mark.«
»Für hundertdreißig Mark ist so ein Instrument geschenkt« sagte der Käufer, wobei sich Pinkus erschrocken ins Bein zwickte.
»Aber,« fuhr der Musikus fort, »probieren muß ich die Baßgeige erst. Denn die Hauptsache ist der Ton, und den kann man von außen nicht so genau beurteilen.«
»Sie soll'n se probieren. So e feine Baßgeige nach der letzten Mode, wo Sie selber haben gesagt, ich bin e Dammel, daß ich se for hundertdreißig Mark losschlag'! Geigen Se los!«
Der Musiker nahm die Baßgeige und fing an, darauf herumzugeigen. Pinkus machte ein verklärtes Gesicht.
»Klingt se nicht lieblich? Klingt se nich schick und adrett? Sitzt nich jeder Ton wie angegossen? Meiner Lebtage habe ich noch kei so feine Musik gehört. 's Herz im Leibe lacht einem. Na, was zulegen werden Se. Sagen wir rund hundertfünfzig Mark; ich seh', Sie sein e anständiger Mensch und e gediegener Musikus, Se verlangen nischt umsonst.«
»Für hundertfünfzig Mark ist das Instrument geschenkt,« sagte der Musiker und wieder kniff sich Herr Pinkus wütend ins Bein.
»Ausgemacht is noch nischt,« rief er; »ich hab' überhaupt keine festen Preise. Geben Se dreihundert und Se sollen de Geige haben!«
Der Musikant nickte nur, ganz in sein Spiel versunken, mit dem Kopfe.
Plötzlich stutzte er ...
Holloh, was ist das ...?
Er spielte die letzte Passage noch einmal – Nanu? Zum Donnerwetter, das ist ja – Er spielte die Passage zum dritten Male...
»Alle Hagel!«
»Was is denn? Was tun Se sich denn?«
»Herr Pinkus, ich glaube, ich glaube...«
»Was glauben Se? Was glauben Se uff eemal von de gute Baßgeig'?«
»Herr Pinkus, Herr Pinkus, mir ahnt was Schreckliches!«
Der Musikant spielte noch einmal – zweimal, drei-viermal eine fürchterliche Passage, dann sagte er erbleichend:
Herr Pinkus, es fehlt ein Ton!«
»Ein Ton! Es ist ein Ton zu wenig auf der Baßgeige! Und gerade der wichtigste. Sie ist unvollständig!«
»Sind Se meschugge, Mensch? Uff so eener seinen Baßgeige wird e Ton fehlen? Sie, Sie, Sie – Musikus Sie!«
»Herr Pinkus, ich kann mir nicht helfen – er fehlt.«
»Nu, zum Deixel, da sehn Se doch erst mal genauer nach.«
»Das will ich gerne tun, Herr Pinkus, gerne!«
Und der Musikant rasselt noch einmal die Passage ab, schüttelt den Kopf, steht auf, geht rund um die Baßgeige herum, betrachtet sie von allen Seiten, klopft ihr schließlich auf den Rücken und geigt wieder.
»Er fehlt, Herr Pinkus, er fehlt! Aber warten Sie noch! Gedulden Sie sich noch!«
Er schraubt an den Wirbeln, geigt, probiert, schraubt wieder, zerrt an den Saiten, geigt nochmals ...
»Nichts zu machen, Herr Pinkus, der Ton fehlt!«
»Aber – aber zum Deixel, was denn fer e Ton? Wieviel Tön' gehören denn zu e Baßgeige?«
»Fünfundzwanzig, Herr Pinkus! Fünfundzwanzig! Und da sind bloß vierundzwanzig, hören Sie, der fehlt!« Er geigt langsam vierundzwanzig Töne, dann rutschen seine Finger herunter, und er summt nur mit dem Munde was Tiefes, Brummiges.
»So, der fehlt! Der fünfundzwanzigste. Der tiefste und gerade für die Baßgeige der wichtigste – der fehlt! Das ist schrecklich!«
»Aber wieso? Wie kann er fehlen? Wo ich das Instrument aus einer der besten, leistungsfähigsten neuzeitlichen Firmen for Musik bezogen habe. Wie kann er fehlen?«
»Weiß nicht, Herr Pinkus! Ihnen zuliebe will ich einen letzten Versuch machen.«
Der Musikant zieht ein Stück Kolophonium aus der Tasche, wichst wie rasend den Bogen, rückt den Steg, schraubt an den Wirbeln, geht um die Baßgeige, pocht abermals an ihren Rücken, schüttelt sie heftig hin und her und geigt dann und sagt:
»Es ist beim besten Willen nischt zu machen, Herr Pinkus, der Ton fehlt. Die Baßgeige sieht äußerlich großartig aus, innerlich is sie ein Krüppel!«
»Wieso 'n Krüppel? Wegen den einen Ton?«
»Herr Pinkus, Sie sind ja gewiß sehr musikalisch. Aber haben Sie schon mal die Geschichte vom Stradivarius gehört? Nicht? Also, der Stradivarius war der größte Baßgeigenkünstler, der auf der Welt gelebt hat. Er war ein Spanier. Und er hatte eine Baßgeige, die kostete, sage und schreibe, dreißigtausend Mark. Die hatte ihm die Königin von Spanien von einem alten Zigeunerprimas gekauft. Was ist passiert? Der Zigeuner war ein Lump. Eines Tages stellte sich heraus, daß ein Ton fehlt, und Stradivarius und die Königin von Spanien sitzen blamiert und mit hängenden Ohren da, und die Baßgeige, die dreißigtausend Mark, sage und schreibe dreißigtausend Mark gekostet hat, is keine hundert wert.«
»Aber, das is ja meschugge,« schreit Pinkus. »Das is doch keine reelle Rechnung. Wenn auf einer kompletten Baßgeige fünfundzwanzig Töne sein sollen und einer fehlt, da können doch abgehen höchstens vier Prozent.«
»Nee, Herr Pinkus, bei Baßgeigen is das anders. Wenn da een Ton fehlt, da läßt sich überhaupt keen richtiges Konzert mehr mit machen. Immer, wenn der Ton kommen soll, hüppt die Geschichte, wie bei einer kaputen Leier, und da pfeift einen ein gebildetes Publikum aus. Nich einmal für Tanzmusik auf'm Dorf is so 'ne Baßgeige zu gebrauchen. Die Tänzer kommen ja alle aus 'm Tritt.«
Pinkus schwitzte.
»Mein Lieber,« sagte er; »ich sehe, Se woll'n mir bloß was abschachern. Also sagen wir hundertfünfzig Mark, wie's am Anfang war.«
»Nee, Herr Pinkus, für ein' Musiker is die Baßgeige total unbrauchbar. Ich bin doch nich so dumm wie der Stradivarius! Das Möbel da, das könn' Sie höchstens an einen Holzhändler verkaufen.«
Pinkus dampfte.
»Vielleicht – vielleicht als Wanddekoration,« keuchte er.
»Na, ja, aber die Leute, die sich die Wände mit Baßgeigen dekorieren, die geh'n ja dünne.«
»Gibt's schon,« sagte Herr Pinkus schnaufend, »gibt's schon! Also, was geben Se freiwillig?«
»Nischt, Herr Pinkus, nischt! Was soll ich mit 'ner kaputen, unvollständigen Baßgeige?«
»Also, geben Se mir achtzig Mark; fertig sind wir!«
»Herr Pinkus! Auf Wiedersehen!«
Er ging wirklich. Pinkus wartete ab; als aber der Musikant um die nächste Ecke verschwand, eilte er ihm nach.
»Also, wenn schon der tiefste Ton fehlt, Se brauchen doch die Baßgeige bloß zur Reserve. Können Se se nich gebrauchen for die höheren Stücke?«
»Höhere Stücke sind bei Baßgeigen sehr selten,« sagte der Musikant kühl. »Aber damit Sie nicht ganz um Ihr Geld kommen, will ich Ihnen zwanzig Mark zahlen.«
»Sagen Se sechzig Mark!«
Sie redeten hin und her und einigten sich schließlich auf dreißig Mark. Der Musikant holte sich die Baßgeige, und Pinkus warf die Tür krachend hinter ihm ins Schloß.