Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Wie wurde die Industrie im Mittelalter ursprünglich betrieben? Jede Wirtschaft erzeugte selbst, was sie brauchte. Jede Bauernwirtschaft – die wir uns nicht als Zwergwirtschaft vorstellen dürfen, sondern als eine Hausgenossenschaft, eine große Familie, in der mehrere Generationen, ein Vater mit seinen Söhnen und deren Weibern und Kindern, mitunter auch Kindeskindern hauste – produzierte nicht bloß ihre landwirtschaftlichen Rohprodukte, sondern verarbeitete diese auch, zu Mehl und Brot, zu Garn und Geweben, zu Geschirren und Werkzeugen usw. Der Bauer war sein eigener Baumeister und Zimmermann, sein eigener Schreiner und Schmied.
Die Bedürfnisse der Gutsherren waren in der Regel viel weitergehend als die der Bauern; aber auch der Gutsherr mußte alles, was er brauchte, auf dem eigenen Hofe, dem Herrenhof (Fronhof), oder in den von ihm abhängigen Bauernwirtschaften erzeugen lassen. Ihm standen jedoch mehr Arbeitskräfte zu Gebote als den Bauern: mit den Lebensmitteln, die ihm die Bauern abgaben, konnte er ein zahlreiches, meist unfreies Gesinde ernähren; daneben konnte er über jeden seiner Bauern während einer gewissen Anzahl von Tagen im Jahre (Frontage) verfügen. Er konnte daher eine gewisse Arbeitsteilung eintreten lassen, die einen ausschließlich oder vorwiegend mit Bau- oder Zimmermannsarbeit, andere mit Lederarbeit, dritte mit dem Schmieden von Waffen usw. beschäftigen.
So bildeten sich auf den Fronhöfen die Anfänge des Handwerks im Mittelalter.
Wo sich Städte aus der Römerzeit erhalten hatten, namentlich in Italien und Südfrankreich, erhielten sich auch Reste eines städtischen, freien Handwerks. Aber für Deutschland kommt es gegenüber dem Handwerk auf den Fronhöfen fast gar nicht in Betracht.
Hatte aber einmal ein Arbeiter eine besondere Geschicklichkeit in einem Handwerk erlangt, dann war es irrationell, ihn mit anderen Arbeiten zu beschäftigen. Er fing an, wenn der Fronhof nicht seine ganze Arbeitskraft in seinem Handwerk in Anspruch nahm, für andere zu arbeiten, für benachbarte Bauernwirtschaften oder Fronhöfe, die zu klein waren, um einen solchen Meister halten oder ausbilden zu können. Natürlich konnte er es nicht tun ohne Erlaubnis seines Grundherrn und ohne diesen mit einer Abgabe zu entschädigen.
So sehen wir die Anfänge der Kundenarbeit sich entwickeln.
Daneben tritt aber bald noch eine andere Tätigkeit: die für den Markt.
Manche Fronhöfe bildeten besondere Anziehungspunkte für die Bevölkerung der näheren oder weiteren Umgebung. So namentlich die kaiserlichen oder königlichen Residenzen (Pfalzen) und die Bischofsitze. Kriegsvolk sammelte sich dort, Gefolge, Beamte, und zeitweise strömte dort noch viel anderes Volk zusammen, zu Festen und Lustbarkeiten, zu Gerichtstagen, zu Kundgebungen aller Art. Was das Land damals an Reichtum produzieren konnte, häufte sich namentlich an diesen Orten an. Sie bildeten naturgemäß auch die ersten Anziehungspunkte für die Kaufleute, in Deutschland anfangs meist Ausländer, Italiener und Juden. Dort fanden die Kaufleute am leichtesten Absatz für ihre Waren, und auch die Handwerker durften dort am ehesten erwarten, ihre Produkte gegen andere eintauschen zu können.
Die Ortschaften, die mit solchen Fronhöfen verbunden waren, wurden zu Märkten. Sie wuchsen an Bevölkerung und Reichtum, wurden dadurch am ehesten in den Stand gesetzt, sich zu befestigen, und am ehesten dazu getrieben, weil sie die Raubgier am meisten anlockten. Durch die Befestigung wurde eine Ortschaft zu einer Stadt.
Waren große Volkszahl und Reichtum Ursachen, einen Ort zu befestigen, so bildete die Befestigung und die Sicherheit, die sie bot, in den damaligen unsicheren Zeiten wieder einen Grund, der die Bevölkerung und den Reichtum der Stadt vergrößerte.
Auf diese Weise überzog sich Deutschland seit dem achten Jahrhundert, und ebenso früher oder später jedes der anderen Länder der abendländischen Christenheit, mit einem Netz von Städten.
Nur wenige der Städte waren von Anfang an freie Städte. Die meisten waren aus grundherrlichen Dörfern hervorgegangen, ihre Bewohner einem oder mehreren Grundherren untertan. Aber je mehr die Städte an Reichtum und Volkszahl wuchsen, desto mehr konnten sie des Schutzes des Grundherrn entraten, desto mehr wurden für ihre Bewohner die Abgaben und Leistungen an den Fronhof zu überflüssigen Lasten, und desto mehr wuchs ihre Macht, sich derselben zu entledigen. Immer entschiedener wendeten sich die Stadtbürger gegen die Grundherren, bis es ihnen schließlich überall gelang, die Freiheit zu erobern.
Von dieser Entwicklung blieben die Handwerker natürlich nicht unberührt. Sie bildeten ja einen sehr wesentlichen Bestandteil der städtischen Bevölkerung, nahmen an den Kämpfen gegen den Grundherrn lebhaften Anteil und hatten teil an den Erfolgen der Stadt.
Diese bildete nicht nur einen Markt, sondern auch eine Schutzwehr für die Handwerker. Neben den Handwerkern des Fronhofs ließen sich bald auch andere Handwerker in der Stadt nieder, flüchtige Leibeigene oder Hörige von anderen Fronhöfen und Freie, die das Handwerk schon betrieben oder sich ihm zuwandten. Damals herrschte noch kein Überfluß an Handwerkern, im Gegenteil, die Stadt war froh, wenn ihre Bevölkerung sich vermehrte, wodurch ihr Wohlstand und ihre Macht wuchs. Sie schützte entlaufene Leibeigene und Hörige. Blieben sie ein Jahr unangefochten in der Stadt, dann waren sie frei. Die Handwerker selbst sahen die neu zuziehenden Berufsgenossen nicht als Konkurrenten an, sondern als Kampfesgenossen, und hießen sie freudig willkommen. Neben den hörigen und leibeigenen wuchs die Zahl der freien Handwerker. Jene verbündeten sich mit diesen, das Ansehen und die Macht der städtischen Handwerker nahmen zu, und die Unfreien unter ihnen wurden immer selbständiger. An Stelle ihrer Hofdienste und Naturallieferungen traten Geldabgaben. Sie erhielten die Marktfreiheit, das Recht, frei und ungehindert zu kaufen und zu verkaufen. Schließlich setzte sich überall der Grundsatz durch, daß jeder in einer Stadt Ansässige schon dadurch von vornherein persönlich frei sei.
Ein Handwerk nach dem anderen verschwand auf den Fronhöfen, ein Handwerk nach dem anderen wurde ausschließlich städtisch. Was die Gutsherren ehedem auf den eigenen Höfen hatten erzeugen lassen, mußten sie nun in den Städten als Waren kaufen.
Und das Handwerk hörte völlig auf, von unfreien Menschen betrieben zu werden. Am Ende dieser Entwicklung finden wir nur noch freie Männer unter den Handwerkern, das Handwerk selbst blühend und hochgeehrt.
Die Zeit dieser Entwicklung ist für jedes besondere Handwerk und jede besondere Lokalität verschieden. Sie beginnt im allgemeinen mit dem elften und endet mit dem vierzehnten Jahrhundert.
Die hofhörigen Goldschmiede begannen schon gegen Ende des elften Jahrhunderts neben dem Dienste für den Fronhof für den Markt zu arbeiten. Und diese Arbeit hatte schon damals ihren knechtischen Charakter so sehr verloren, daß Freie sich ihr widmeten. (Hans Meyer, Die Straßburger Goldschmiedezunft von ihrem Entstehen bis 1681, Leipzig 1881, S. 154.) Andererseits war in Bonn noch im vierzehnten Jahrhundert das Recht zu weben ein Amt, es war abhängig vom Fronhof. (Maurer, Geschichte der Städteverfassung in Deutschland, Erlangen 1870, II, S. 323.)
Der Kampf gegen die städtischen Grundherren war nicht der einzige, den das aufstrebende Handwerkertum zu führen hatte. Ebenso wichtig wurde der Kampf gegen die städtischen patrizischen Geschlechter.
Wir haben gesehen, wie die Städte ursprünglich nichts waren als ummauerte Dörfer. Die Verfassung des Dorfes war die Markverfassung; diese blieb auch die Verfassung der Stadt. Wie das Gebiet des Dorfes, die Dorfmark, zerfiel das der Stadt, die Stadtmark, in zwei Teile, die geteilte und die ungeteilte Mark (Weide, Wald, Wasser). Alle, die im Dorfe angesessen waren und eine eigene Wirtschaft trieben, hatten Anteil daran; sie bildeten zusammen eine Genossenschaft, die sich selbst verwaltete, nach eigenen Gesetzen lebte. Wo sich Grundherrschaften in den Marken bildeten, erhielten die Grundherren mancherlei Vorrechte, sie bildeten die ständigen Markvorsteher, die Beschlüsse der Märkerversammlung bedurften ihrer Zustimmung. Es war dies sozusagen ein konstitutionelles Regime.
Ursprünglich war in der Regel jeder Neuzuziehende als Markgenosse willkommen. Grund und Boden war ja im Überfluß vorhanden, dagegen fehlte es an Menschen, die ihn bebauten. Das änderte sich zuerst in den Städten, deren Bevölkerung rasch anwuchs. Hier schwand bald der Überfluß an Grund und Boden, und die altangesessenen Familien fürchteten schließlich, sich zu schädigen, wenn sie die Neuzuziehenden noch an der Mark teilnehmen ließen. Die Markgenossenschaft verwandelte sich nun in eine geschlossene Gesellschaft, die neue Mitglieder nicht mehr oder höchstens in Ausnahmefällen aufnahm, wenn ihr daraus besonderer Vorteil erwuchs.
Neben den altangesessenen Geschlechtern bildete sich nun in der Stadtgemeinde eine zweite Schicht von Einwohnern, die der später eingewanderten, die an der gemeinen Stadtmark gar keinen oder doch nur geringen Anteil besaßen, und die, weil sie nicht zur Markgenossenschaft gehörten, auch in deren Verwaltung nichts dreinzureden hatten. Das Markregiment war aber gleichbedeutend mit dem Stadtregiment. Die Neubürger waren daher in der Stadt politisch rechtlos. Die Altbürger wurden zu einer Aristokratie.
Anfangs waren die Neubürger als Schutzbürger bloß geduldet in der Stadt. Aber mit der Zeit wuchsen sie an Zahl und Reichtum. Sehr viele Kaufleute, die meisten Handwerker gehörten zu ihnen. Sie begannen sich zu fühlen und Anteil an der Stadtregierung zu verlangen. Früher oder später, in manchen Städten im dreizehnten, in anderen im vierzehnten Jahrhundert, begannen sie den Kampf gegen das Geschlechterregiment, und es gelang ihnen schließlich fast überall, im vierzehnten oder fünfzehnten Jahrhundert, es zu stürzen und Anteil an der Regierung zu erlangen.
Die gemeine Mark wurde den Geschlechtern nicht genommen. Wo sich eine solche noch erhalten hatte, nicht verteilt worden war, blieb auch die Markgenossenschaft als geschlossene Genossenschaft innerhalb der Stadtgemeinde bestehen. Aber die Stadtgemeinde hörte auf, eine Markgemeinde zu sein. Die politische Grundlage der Städte bildete nicht mehr die Markverfassung, sondern, wenigstens in Deutschland, die Zunftverfassung.
Größere Menschenmassen können nicht auf die Dauer kämpfen, ohne sich zu organisieren. Auch die Handwerker mußten sich eine Organisation geben; ein Vorbild dazu fanden sie in den Markgenossenschaften. Bereits hatte man auf reichen Fronhöfen, wo viele Arbeiter beschäftigt waren, die Arbeiter jedes Gewerbes in Genossenschaften unter einem Meister organisiert, allerdings nicht zu Zwecken des Kampfes, sondern der Produktion und Verwaltung. Aber wo es zu Kämpfen der hörigen Arbeiter gegen ihre Grundherren kam, mußten diese Genossenschaften auch kriegerischen Zwecken dienen; sie wurden beibehalten, als die Handwerker ihre Freiheit errungen hatten. Aus dem hörigen Handwerksamt wurde eine freie Innung.
Neben dieser gründeten vielfach die freien Handwerker in den Städten zu ihrem Schutze Organisationen, die von vornherein frei waren und sich selbst verwalteten. Diese freien Innungen wirkten auf die Hörigen zurück, unterstützten sie in ihren Kämpfen. Schließlich wurden beiderlei Genossenschaften identisch, und nach Aufhebung der Hörigkeit in den Städten finden wir nur noch freie Innungen oder Zünfte.
In den meisten Städten bildeten sich freie Zünfte schon im zwölften oder dreizehnten Jahrhundert. In anderen erst später. Und nicht alle Gewerbe kamen gleichzeitig dazu, sich in Zünften zu organisieren. Die reichsten und diejenigen, welche die meisten Mitglieder zählten, gelangten am ehesten dahin. Die ältesten Zünfte waren neben denen der Kaufleute die der Wollenweber und Gewandschneider. Nach ihnen kamen die der Schuster, Bäcker, Metzger usw. Es kam auch vor, daß einzelne Gewerbe zu schwach vertreten waren, als daß sie eine Zunft für sich hätten bilden können; sie mußten sich dann der Zunft eines anderen Gewerbes anschließen, wollten sie des Schutzes einer Organisation teilhaftig werden. So gehören zum Beispiel die Bader in Reutlingen zur Metzgerzunft, in Eßlingen zur Kürschnerzunft.
Wer nur konnte in der städtischen Bevölkerung, schloß sich einer Zunft an. Sogar die feilen Dirnen bildeten Zünfte, zum Beispiel in Frankfurt, Genf, Paris, wo sie unter dem Schutze der heiligen Magdalena ihr »horizontales Handwerk« trieben. (Maurer, a. a. O., II, S. 471.) Aber nicht alle Berufe waren in der glücklichen Lage, Zünfte organisieren zu können, so wie auch heute nicht alle Proletarier in der Lage sind, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Zahlreiche Berufe blieben stets übrig, die entweder ihren Mann zu schlecht nährten oder zu verachtet waren, als daß sie zu Zünften sich hätten zusammenschließen oder Zutritt zu schon bestehenden Zünften hätten erlangen können. Auf diesen armseligen »Pöbel« sahen die zünftigen Handwerker ebenso hochmütig herab, wie die Patrizier auf sie selbst, und es fiel ihnen nicht ein, auch für diese tiefsten Schichten der Bevölkerung einzutreten.
Neben der Altbürgerschaft erwuchs in den zünftigen Handwerkern eine zweite Schicht Privilegierter in der Stadt.
Je mehr aber die Zunft zu einem Privilegium würde, desto mehr entwickelte sich innerhalb des Handwerks ein neuer Klassengegensatz: der zwischen Meister und Geselle.
Die Masse der Lohnarbeiter in den Städten bildeten die Handwerksgesellen. Vergnügt und zufrieden lebten sie da, »ohne jenen, dünkelhaften Neid, der mißvergnügt auf im Leben Höherstehende hinblickt«, stolz auf ihren Stand, in »blühender Wohlhabenheit«, mit einem »gerechten Anteil am Arbeitsertrag«. Was hätten sie noch verlangen sollen? Gleich den Meistern standen auch sie unter dem »Schutze der Zunft«, die bei ausbrechenden Streitigkeiten zwischen ihnen und den Meistern entschied und »alle ihre Gerechtsame« wahrte; sie gehörten zur Familie des Meisters, aßen an seinem Tische, wurden von ihm Kindern gleich geachtet und zu ehrbarem, sittlichem Lebenswandel angehalten, auf daß sie wert würden der Ehre der Meisterschaft, die als ein »von Gott verliehenes Amt« betrachtet ward, eine Ehre, der sich der Geselle ebenso mit Ehrfurcht nahte wie der Kleriker der Priesterweihe und der Edle dem Ritterschlag. Noch lebten ja die »Handwerker in brüderlicher Liebe und Treue miteinander in der Zunft«, noch arbeitete man »nicht bloß um des Gewinnes willen, sondern nach dem Gebot Gottes«, noch galten in der Zunft die Grundsätze »der Gleichheit und Brüderlichkeit«.
So schildern uns Freunde des Zunftwesens und Schwärmer für das Mittelalter die Lage der Gesellen in der Zeit der Blüte des zünftigen Handwerks, und aus diesen Schilderungen haben heutzutage gewisse Kreise geschlossen, es bedürfe bloß einer Wiederbelebung des Innungswesens, um die Klassengegensätze zwischen Arbeitern und Unternehmern zu beseitigen und die soziale Harmonie herbeizuführen. Die Innungen seien die geeigneten Institutionen, die Interessen nicht bloß der Meister, sondern auch der Gesellen zu wahren.
Der jüngste unter den hervorragenden deutschen Historikern, der die Lage der Handwerksgesellen zu Ausgang des Mittelalters so idyllisch geschildert, ist Herr Johannes Janssen, dessen eigene Worte wir oben zum Teil gebrauchten. Johannes Janssen, Geschichte des deutschen Volkes seit dem Ausgang des Mittelalters, I, S. 315 bis 342. Indessen muß es doch Bedenken erregen, wenn der genannte Historiker als Beweis für den Wohlstand der Gesellen unter anderem besonders die Klagen der Obrigkeiten, Meister und bürgerlichen Schriftsteller über den Luxus und Übermut der Gesellen anführt, die unerträglich würden. Wenn derlei Klagen beweiskräftig wären, dann könnte man mit leichter Mühe dartun, daß die Lohnarbeiter sich zu jeder Zeit aufs wohlste befunden haben.
Wenn man den
Tatsachen näher tritt, findet man denn auch ganz andere Verhältnisse als jene Idylle, die uns Janssen geschildert hat.
Wenige neuere historische Werke haben solches Aufsehen erregt wie das von Janssen, und bis zu einem gewissen Grade ist dies auch ganz berechtigt. Janssen hat der liberalen protestantischen Reformationslegende einen gewaltigen Stoß versetzt und dargetan, daß hinter der religiösen Phrase der Reformation sich sehr materielle Interessen bargen. Darauf hat freilich der wissenschaftliche Sozialismus schon vor Herrn Janssen hingewiesen, und zwar hat er nicht einseitig wie dieser bloß auf protestantischer, sondern auch auf katholischer Seite solche Interessen wirksam gefunden; aber dem großen Publikum war es neu, und ebenso überraschte es, wenn gezeigt wurde, daß Männer, die von den heutigen Säulen der Ordnung so hochgehalten werden wie Luther und seine Genossen,
Revolutionäre waren, die revolutionäre Ziele mit revolutionären Mitteln anstrebten. Der Forscher, der die Reformationszeit bereits kennt, wird in dem Werke Janssens manche Anregung, manchen neuen Aufschluß finden. Insofern ist es verdienstlich. Aber wir würden uns sehr davor hüten, es dem größeren Publikum als eine wahrheitsgetreue Darstellung zu empfehlen. Wir kennen kein modernes historisches Werk, das sich an
Unwahrheit mit dem des Herrn Janssen messen könnte. Von den sozialen Verhältnissen zu Beginn der Reformation gibt er zwei Darstellungen. Zuerst zeigt er nur die wirklichen oder eingebildeten
guten Seiten dieser Verhältnisse: So glücklich, meint er, sei Deutschland unter der Herrschaft des Katholizismus gewesen. Dann werden die
schlechten Seiten der sozialen Zustände im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts hervorgehoben. Seht, ruft er, wohin der Unglaube der jüngeren Humanisten, sowie das römische Recht und der Protestantismus Deutschland gebracht haben!
Dazu kommt noch eine absonderliche Art von »Darstellung aus den Quellen«. Herr Janssen hebt aus den Quellen nicht das
Charakteristische heraus, sondern das ihm
Passende; er teilt aus ihnen nicht bloß
Tatsachen mit, sondern auch, und zwar vornehmlich,
Urteile und
Wünsche, die er dann frischweg in Tatsachen umsetzt – wenn sie seinen Zwecken entsprechen. Eine katholische Zunftordnung empfiehlt den »Zunftgenossen«, in »brüderlicher Liebe und Treue« zusammenzuleben; ein katholisches Traktätlein erklärt, der Handwerker arbeite nicht um des Gewinnes, sondern um Gottes willen: Sind das nicht »quellenmäßige Beweise« für die Biederkeit und Treue der Katholiken? Ein katholischer Pfaffe schreibt, eine Reformation der Kirche sei notwendig: Ist das nicht ein deutlicher Beweis, daß die Kirche ohne gewaltsame Umwälzung, ohne Losreißung vom Papsttum hätte reformiert werden können, in einer Weise, daß Deutschland einig und glücklich geblieben wäre? Was hat dagegen der Protestantismus gebracht? Die protestantischen Pfaffen jammern, wie das ihre Art, in ihren Predigten und Schriften darüber, daß die Welt von Tag zu Tag gottloser werde: Geht daraus nicht deutlich hervor, wie schlecht die Reformation die Menschen gemacht hat? Es besagen das ja die unverdächtigsten – die protestantischen »Quellen«.
Mögen auch Janssens Zitate alle richtig sein, durch die Art ihrer Zusammenstellung und Verwendung wird die auf sie aufgebaute Darstellung zur
Fälschung. Sie wird nicht verbessert durch die Manier, die seit Mommsen unter den deutschen Historikern Mode geworden, Verhältnisse der Vorzeit mit modernen Namen zu bezeichnen und so den Leser förmlich dazu zu drängen, von den historischen Besonderheiten der alten Zeit abzusehen und sie mit unserem Maße zu messen. So wie Mommsen bei den alten Römern mit den Worten und Begriffen der modernen kapitalistischen Produktionsweise hantiert, so Janssen im Mittelalter und der Reformationszeit. »Das kirchliche Recht«, sagt er an einer Stelle (I, S. 412), »erklärte die
Arbeit für allein wertschaffend«, welcher Satz jedoch nur dadurch bewiesen wird, daß Janssen sich über seine Bedeutung völlig im unklaren zeigt. Ebenso liebt er es, vom »Recht auf Arbeit« zu sprechen, das die Zünfte garantierten. Wem und wie, das werden wir sehen.
Alles in allem ist das Werk Janssens demjenigen, der nach unbefangener Belehrung sucht, nicht zu empfehlen.
Die ersten Nachrichten über die Handwerksgesellen oder »Knechte«, wie sie früher genannt wurden, finden wir in Deutschland im dreizehnten Jahrhundert. Vordem dürfte das Halten von Knechten seitens der Handwerker nur vereinzelt vorgekommen sein, so daß man keine Veranlassung fand, sie zu erwähnen.
Bei den Straßburger Wollenwebern ist noch im dreizehnten Jahrhundert von einem Gesellenrecht keine Rede, und auch im vierzehnten Jahrhundert sind Meister und Knechte wenig geschieden. (G. Schmoller, Die Straßburger Tucher- und Weberzunft. Straßburg 1879, S. 389. Vergleiche S. 451.)
Vor dem vierzehnten Jahrhundert waren die Bedingungen der Bildung eines besonderen Knechte- oder Gesellenstandes höchst ungünstig. Die Handwerker waren, wie wir bereits wissen, zum Teil noch Hörige auf den Höfen der großen Grundherren, zum Teil Freie, aber nicht Vollbürger. Nur die Grundbesitzer, die Markgenossen, besaßen politische Rechte, die Organisationen der Handwerker hatten kaum rechtliche Existenz, sie waren vor allem Kampfesorganisationen. Jeder zuwandernde oder neu hinzuwachsende Handwerker war da willkommen als Kampfesgenosse, als eine Verstärkung der Zunft. Man hatte nicht nur keine Ursache, ihn von der Zunft auszuschließen, man mußte im Gegenteil alles aufbieten, ihn zu ihr heranzuziehen. Dies war die Bedeutung des Zunftzwanges, der durchaus kein Monopol begründen sollte. (Vergleiche G. L. v. Maurer, a. a. O., II, S. 399.) Noch 1400 setzten die Straßburger Weber fest, jeden ohne weiteres, ohne Lehrlingszeit, in die Zunft aufzunehmen, der nach dem Urteil der Fünfmannen redlichen Herkommens sei. (Schmoller, a. a. O., S. 402.)
Die Technik des Handwerks war noch äußerst primitiv und erforderte nicht die Kooperation, das Zusammenarbeiten mehrerer. Jeder Handwerker konnte sich leicht Werkzeuge und andere Produktionsmittel beschaffen. In vielen Gewerben lieferte damals noch der Kunde die Rohstoffe, und der Handwerker verarbeitete sie gegen Lohn, meist in dessen Hause. Die meisten Handwerker waren zu arm, Knechte zu halten; kein Handwerker war in der Regel gezwungen, sich als Knecht zu verdingen, da weder technische noch ökonomische oder gesetzliche Verhältnisse ihn hinderten, selbständig zu arbeiten. Woher hätten also die Handwerksknechte kommen sollen?
Anders gestalteten sich die Dinge seit dem vierzehnten Jahrhundert. Es entwickelt sich ein besonderer Gesellenstand mit eigenem Recht, das Lehrlingswesen bekommt bestimmte Formen. Maurer nimmt an (a. a. O., II, S. 367), diese Neuordnung des Handwerks sei nach dem Vorbild der Ritterorden erfolgt; so wie diese Pagen, Knappen und Ritter unterschieden, so das zünftige Handwerk Lehrlinge, Gesellen und Meister. Es haben aber wohl noch andere Verhältnisse darauf bestimmend eingewirkt.
Im vierzehnten Jahrhundert wurde das Handwerk der wichtigste Erwerbszweig in den Städten; es überflügelte an Bedeutung immer mehr nicht bloß die Landwirtschaft, sondern oft selbst den Handel. Die Handwerker wurden immer wohlhabender, die Zünfte immer mächtiger und angesehener, ihr Einfluß auf das Stadtregiment immer bedeutender.
Einzelne Handwerker kamen durch ihre Wohlhabenheit in die Lage, Knechte halten zu können. Die Zünfte hatten die »Klinke der Gesetzgebung« erobert und damit die Möglichkeit, ihren Sonderinteressen den Schutz des Gemeinwesens angedeihen zu lassen. Dieselben Verhältnisse, welche diese Entwicklung herbeiführten, schufen aber auch Elemente, aus denen die Handwerksmeister ihre Knechte rekrutieren konnten.
Die Fortschritte des Handwerks und des Handels revolutionierten auch die ländlichen Verhältnisse. Wir werden näher darauf eingehen, wenn wir auf die Ursachen der Bauernkriege zu sprechen kommen. Hier nur so viel, daß diese Umwälzung nicht nur schließlich zu den Bauernkriegen führte, sondern auch ein fortgesetztes Strömen von proletarisierten Landbewohnern in die blühenden Städte veranlaßte, die Schutz und Freiheit und Wohlleben verhießen.
Wie stark der Zuzug in (verhältnismäßig) größere Städte von außen, das heißt von Dörfern, Flecken und kleinen Landstädtchen war, zeigen deutlich die Untersuchungen Büchers in seinem trefflichen Werke über die Bevölkerung von Frankfurt a. M. im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert. Vergleiche dazu auch die interessante Besprechung des Buches durch Karl Lamprecht im »Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik«, Tübingen 1888, I, S. 485 ff.
So betrug der Zuwachs der Frankfurter Bürgerschaft an männlichen Neubürgern christlichen Bekenntnisses ausschließlich der einheimischen Bürgersöhne:
in der Zeit vom | Personen | durchschn. jährl. |
1311 bis 1350 | 1293 | 32 |
1351 bis 1400 | 1535 | 31 |
1401 bis 1450 | 2506 | 50 |
1451 bis 1500 | 2537 | 51 |
Der Zuzug wird also immer stärker, je mehr wir uns dem sechzehnten Jahrhundert nähern.
Auch der Bezirk, aus dem sich die auswärtigen Neubürger rekrutieren, erweitert sich immer mehr. Von je 100 Bürgern Frankfurts stammten aus einer Entfernung:
bis 2 Meilen | 2-10 Meilen | 10-20 Meilen | über 20 Meilen | |
1311 bis 1350 | 54,8 | 35,5 | 6,5 | 3,2 |
1351 bis 1400 | 39,4 | 42,9 | 11,1 | 6,6 |
1401 bis 1450 | 22,9 | 54,4 | 12,6 | 10,1 |
1451 bis 1500 | 23,2 | 51,2 | 11,3 | 14,3 |
Nicht der ganze Zuzug von außen wurde in die Bürgerschaft aufgenommen; je mehr es proletarisierte Elemente waren, die sich in die Städte drängten, desto mehr dürften sie die Reihen der unsteten Bevölkerung dort angeschwellt haben. Diese aber statistisch festzustellen, dazu fehlt uns jeder Anhaltspunkt. Wir müssen uns damit begnügen, darauf hinzuweisen, daß die Zahl der Armen in den deutschen Städten zu Ende des fünfzehnten und Anfang des sechzehnten Jahrhunderts ganz unglaublich hoch angewachsen war. In Hamburg sollen 1451 bis 1538 16 bis 24 Prozent der Bevölkerung Arme gewesen sein, in Augsburg gab es 1520 angeblich 2000 Nichtshäbige. Woher diese Elemente stammten, darüber haben wir bloß Vermutungen; aber die ganze Sachlage weist darauf hin, daß der Zuzug proletarisierter Elemente vom Lande einen großen Anteil an dieser erstaunlichen Höhe des städtischen Lumpenproletariats hatte.
Die Neuzuziehenden suchten wohl meist im Handwerk unterzukommen, zum mindesten ihre Kinder ein solches erlernen zu lassen. Die Handwerksmeister erhielten jetzt Knechte und Lehrlinge genug, bald mehr, als ihnen lieb war. Denn natürlich suchten sich die Knechte sobald als möglich selbständig zu machen, Meister zu werden; die Zahl der Handwerker wuchs rascher als die Nachfrage nach ihren Produkten. Hatte ehedem die Zunft jeden neu hinzukommenden Handwerksgenossen als Kraftzuwachs mit offenen Armen aufgenommen, so sah sie jetzt in jedem neuen Ankömmling einen unwillkommenen Konkurrenten für die ohnehin schon zu zahlreichen Genossen. Ihre Macht beruhte jetzt nicht mehr auf den Fäusten, sondern auf den Geldbeuteln ihrer Mitglieder, und die waren um so straffer gespannt, je geringer die Konkurrenz innerhalb des Gewerbes. Die Zünfte wurden daher immer exklusiver, sie benutzten immer mehr ihre politische und ökonomische Macht, um fremden, namentlich ländlichen Elementen den Zutritt zum Handwerk zu erschweren und innerhalb desselben das Meisterrecht immer mehr zu einem schwer zugänglichen Privilegium zu gestalten. Die dahinzielenden Einrichtungen entstanden nicht erst in der Zeit der »Verknöcherung« des Zunftwesens; ihre Bildung beginnt im vierzehnten Jahrhundert und ist im sechzehnten Jahrhundert im wesentlichen abgeschlossen. Die folgenden Jahrhunderte haben nichts Erhebliches mehr hinzugetan; sie sind also ein Produkt des Zunftwesens in seiner Blüte, wie es heute so manchem Innungsschwärmer als Ideal vor Augen schwebt.
Schon bei der Aufnahme des Lehrlings zeigte sich die Exklusivität. Den Anfang machte man mit der Ausschließung der Frauen vom Handwerk. Der Lehrling mußte männlichen Geschlechtes sein.
Die Männer hatten keineswegs von Anfang an ein Monopol auf das Handwerk. Aus Deutschland sind uns darüber unzweideutige Dokumente nicht erhalten. Dagegen liegt die Sache klar in Frankreich. Dort waren noch im dreizehnten Jahrhundert die Frauen nicht grundsätzlich vom Handwerk ausgeschlossen. »Unter hundert Handwerkern, deren Statuten Boileaus Werk Réglements sur les arts et métiers de Paris. enthält, sind nur zwei, in denen die Frauenarbeit schlechthin ausgeschlossen ist, in einem anderen sind nur gewisse Operationen ihr entzogen. In allen dreien waren, aus den vorliegenden Statuten und Beschlüssen selbst erkennbar, in einer vorausgehenden Periode die Frauenarbeit und der Betrieb durch Frauen erlaubt. Dagegen sind in acht Handwerken die Frauen geradezu als berechtigt erwähnt, ihre Befugnisse denen der Männer völlig gleich. Dazu kommen sechs weitere, welche ausschließlich oder sehr überwiegend von Frauen betrieben werden und wie alle anderen Handwerke drei Abstufungen von Lehrdirne, Arbeiterin und Meisterin nebst allen übrigen charakteristischen Merkzeichen des Handwerks haben und teils von weiblichen, teils von weiblichen, und männlichen Vorstehern geleitet und überwacht werden. Die übrigen lassen zwar nicht direkt erkennen, daß sie, außer den Meisterfrauen und -töchtern, auch fremde Frauen zur Arbeit zuließen, aber es kann auch aus ihren Statuten direkt ein Verbot nicht abgeleitet werden.« Fr. W. Stahl, Das deutsche Handwerk, Gießen 1874, S. 68.
Indessen haben sich auch in Deutschland noch Beispiele aus dem vierzehnten Jahrhundert erhalten, in denen Frauen entweder eigene Zünfte bildeten, so in Köln die Garnzieherinnen, oder mit Männern zusammen in einer Zunft waren und selbständig ihr Handwerk trieben.
Die Ordnung der Schneider von Frankfurt am Main von 1377 sagt: »Auch welche das Handwerk treiben will, die nicht einen Mann hat, sie soll vorher Bürgerin sein und es mit dem Rat austragen; wann das geschehe, soll sie dem Handwerk 30 Schillinge geben, dem Handwerk zu gemeinem Nutz, und ein Viertel Wein, das sollen die vom Handwerk vertrinken. Wenn dies geschieht, hat sie mit ihren Kindern das Recht zum Handwerk.« (Dieselben Anforderungen wurden an die Männer gestellt.) (Stahl, a. a. O., S. 80.)
Auch andere Handwerke standen an manchen Orten noch im vierzehnten Jahrhundert den Frauen offen, so haben zum Beispiel in Köln die Fleischer, Beutelmacher, die Wappensticker und Gürtler die Frauen mit gleichen Rechten in ihre Zünfte aufgenommen. Im allgemeinen aber sind die fremden Frauen im vierzehnten Jahrhundert bereits vom Handwerksbetrieb ausgeschlossen. Nur das Recht der Meisterfrauen und -töchter, im Handwerk mitzuarbeiten, hat sich in den meisten Gewerben bis ins sechzehnte Jahrhundert erhalten. Dann verschwand auch dieses. Die Ausschließung des weiblichen Geschlechtes von der Handwerksarbeit wurde von da an zu einer grundsätzlichen und vollständigen.
Aber auch unter den männlichen Lehrlingen begann man eine Auswahl zu machen, und eine Bevölkerungsschicht nach der anderen wurde von dem Recht ausgeschlossen, ihre Söhne dem Handwerk zuzuwenden. Man gelangte schließlich in den verschiedenen Handwerken so weit, daß sie von den Lehrlingen, eine Ahnenprobe verlangten. Nur jene Knaben sollten von einem Meister als Lehrlinge aufgenommen werden dürfen, die eine bestimmte Reihe von Ahnen mit ehelicher, freier und ehrlicher Geburt nachweisen konnten. Ja, in manchen Städten wurde sogar der Nachweis ehelicher Zeugung verlangt. Daß diese Forderung die Möglichkeit zu den weitestgehenden Schikanierungen mißliebiger Personen gab, liegt auf der Hand. Die Forderung der ehelichen Abstammung durch mehrere Generationen schloß einen großen Teil der Proletarier aus. Die der freien Geburt machte jenen, die von hörigen Bauern abstammten, den Eintritt in jedes zünftige Handwerk unmöglich. Für »unehrlich« endlich galten vornehmlich jene Berufe, in denen die in die Städte strömenden Bauern am ehesten ein Unterkommen fanden, sowie manche unzünftig auf dem Lande betriebenen Handwerke und endlich jene Berufe, die sich vorzugsweise aus den Deklassierten der städtischen Bevölkerung rekrutierten. Maurer (a. a. O., II, S. 447) zählt als solche »unehrliche« Berufe auf die der Schäfer, Müller, Leineweber, dann Gerichts- und Stadtknechte, Feldhüter, Totengräber, Nachtwächter, Bettelvögte, Gassenkehrer, Bachfeger, Wasenmeister und Henker, sowie Zöllner, Pfeifer und Trompeter, unter Umständen auch Barbiere und Bader.
Die Leineweberei war großenteils eine ländliche Hausindustrie. Im fünfzehnten Jahrhundert wanderten Leineweber massenhaft in die Städte. Im Jahre 1488 zum Beispiel wanderten 400 Landweber aus Schwaben in Ulm ein. Kein Wunder, daß man sich dieses Andranges zu erwehren suchte.
Die älteste Urkunde, die verordnet, solche Elemente vom Handwerk fernzuhalten, dürfte wohl die Rolle des Bremer Schuhmacheramtes von 1300 sein. (Freilich nur in Kopien aus dem siebzehnten Jahrhundert erhalten, in denen man vielleicht dessen Bedürfnissen Rechnung getragen hat.) In dieser Urkunde wurde es verboten, die Söhne von Leinewebern oder Lastträgern im Handwerk zu unterrichten. V. Böhmert, Beiträge zur Geschichte des Zunftwesens, Leipzig 1862, S. 16, 68.
Die Lehrlingszeit wurde möglichst ausgedehnt.
Ursprünglich gab es keine Bestimmungen darüber, überhaupt keinen Lernzwang. Die ersten uns erhaltenen Statuten, die einen solchen verfügen, datieren aus dem Jahre 1304, wo er in Zürich für Müller, Huter, Gerber eingeführt wurde. Aber erst im fünfzehnten Jahrhundert ward er allgemein.
Die Lehrzeit selbst war verschieden. Wir finden eine Lehrzeit von einem Jahre (zum Beispiel bei den Tuchscherern in Köln im vierzehnten Jahrhundert) und eine von acht Jahren (bei den Goldschmieden daselbst, zur gleichen Zeit). Meist galten drei Jahre. In England wurde die Lehrzeit sehr ausgedehnt, bis zu zwölf Jahren (schließlich wurden sieben Jahre die Regel); dafür fand dort der Lehrling nach überstandener Lehrzeit kein gesetzliches Hindernis mehr vor, Meister zu werden. Das ist wohl einer der Gründe, warum in England Gesellenorganisationen in dem Sinne, wie sie in Deutschland existieren, nicht zu entdecken sind.
In Deutschland wurde die Lehrzeit nicht so sehr ausgedehnt. Dafür wurde die Gesellenzeit zwischen der Lehrzeit und der Meisterschaft eingeschoben und möglichst verlängert, namentlich durch die Wanderjahre.
Als Sitte wird das Wandern der Gesellen schon im vierzehnten Jahrhundert erwähnt, doch bestand damals noch nirgends ein Wanderzwang; wohl aber Wanderverbote. Die erste Erwähnung des Wanderzwanges finden wir 1477 bei den Wollenwebern zu Lübeck, die verlangen, ein Meistersohn müsse Jahr und Tag gewandert haben, ehe er Meister werde. Von den Gesellen ist da noch keine Rede. Im sechzehnten Jahrhundert fängt der Wanderzwang an, häufiger zu werden. In England hat er nie bestanden.
Die vorgeschriebene Wanderzeit betrug ein bis sechs Jahre; meist war sie auf drei bis vier Jahre festgesetzt.
Ein weiteres Mittel, eine Überfüllung des Handwerks zu vermeiden, war die Beschränkung der Zahl der Lehrlinge und Gesellen, die ein Meister halten durfte. Damit erreichte man übrigens noch einen anderen Zweck. Man hinderte die reichen Meister, reine Kapitalisten zu werden und den kleinen Meistern übermächtige Konkurrenz zu machen.
Schon im vierzehnten Jahrhundert kommen solche Beschränkungen der Zahl der Lehrlinge und Gesellen vor.
So erließen zum Beispiel 1386 der Bürgermeister und die Zunftmeister des Schneidergewerbes von Konstanz eine Verordnung, in der geklagt wird, »daß etliche Meister viel Gesinde hätten, was den anderen schade und gefährlich sei. Es wurde daher jedem einzelnen verboten, mehr als fünf Knechte und zwei Lehrjungen zu halten«. G. Schanz, Zur Geschichte der deutschen Gesellenverbände, Leipzig 1877, S. 9.
Im fünfzehnten Jahrhundert sind diese Beschränkungen allgemein. Schmoller, a. a. O., S. 453. Karl Bücher, Die Bevölkerung von Frankfurt a. M. im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert, I, S. 607. Karl Werner, Die urkundliche Geschichte der Iglauer Tuchmacherzunft, Leipzig 1861, S. 17, 29. F. Ruby, Das Iglauer Handwerk urkundlich dargestellt, Brünn 1887, S. 114.
Nicht jedem Gesellen war es mehr möglich, selbständig zu werden. Die Arbeit des hörigen Handwerkers im Fronhof war verschwunden, auch die des freien Handwerkers im Hause des Kunden hatte entweder völlig aufgehört oder war im Verschwinden. Die Handwerker verarbeiteten jetzt eigene Rohstoffe in eigenen Werkstätten, sie mußten Häuser besitzen, Vorräte anschaffen können. Ein tüchtiger Handwerksbetrieb erforderte bereits in manchen Gewerben ein gewisses Vermögen. Wohlhabenheit wurde immer mehr nicht bloß Folge, sondern auch Voraussetzung eines selbständigen Handwerksbetriebs. Kein Wunder, daß die Zahl der Knechte immer mehr wuchs, die es nie zur Selbständigkeit brachten, die dazu verurteilt waren, ihr Leben lang Knechte zu bleiben.
Aber trotz alledem nahm die Zahl der Gesellen, die Meister wurden, immer noch schneller zu, als den bereits selbständig Gewordenen lieb war. Daher wurde der Tendenz der ökonomischen Entwicklung durch gesetzliche Maßnahmen nachgeholfen und die Erlangung der Meisterschaft, die im dreizehnten Jahrhundert noch an keine lästigen Bedingungen geknüpft wurden, immer mehr erschwert. Die meisten dieser Bedingungen entstammen dem fünfzehnten Jahrhundert.
Ehe der Geselle Meister wurde, sollte er das Bürgerrecht der Stadt erwerben; war ihm das gelungen, dann mußte er oft noch jahrelang auf die Erlangung des Meisterrechtes warten.
Es heißt zum Beispiel in der Ulmer Weberordnung von 1403: »Wohl mögen die Bürger, die fünf Jahre lang in Ulm haushäblich sitzen, ihre Kinder das Weberhandwerk lernen lassen, und wenn die Lehrjahre zu Ende seien, diesen das Zunftrecht kaufen. Wolle aber ein auswärtiger Weber, er möge vom Lande oder aus anderen Städten sein, das Bürgerrecht empfangen, so soll er doch fünf Jahre lang das Weberhandwerk nicht treiben und ihm auch das Zunftrecht nicht eher verliehen werden. Knappen oder Knechten des Weberhandwerkes soll es jedoch nichts helfen, daß sie fünf Jahre hier seien, es soll ihnen vielmehr das Zunftrecht nicht eher verliehen werden, als bis sie das Bürgerrecht vorher fünf Jahre lang gehabt haben.« (Schanz, a. a. O., Seite 8.)
Eine weitere Bedingung war die Herstellung eines Meisterstücks. Natürlich hatten die zünftigen Meister, also die künftigen Konkurrenten, zu entscheiden, ob es gelungen sei. Die Ahnenprobe war womöglich noch peinlicher als beim Lehrling; eine hohe Aufnahmetaxe mußte entrichtet und ein kostbares Meisteressen, ein Bankett, den Zunftbrüdern angerichtet werden.
Nicht allzu leicht kam ein Geselle dazu, allen diesen Bedingungen zu genügen. Romantische Schwärmer wollen uns glauben machen, man habe dadurch bloß das Interesse der Kunden wahren, ihnen die Gewähr solider und tüchtiger Arbeit geben wollen. Wie wenig das die wirkliche Ursache der erwähnten Beschränkungen war, erhellt schon aus verschiedenen Äußerungen der Interessenten selbst. So sagte die Tuchmacherzunft von Iglau in einer Eingabe an den Rat dieser Stadt (1510) ausdrücklich, sie verlange die Ausdehnung der Lehrzeit auf vier Jahre, »daß einer so leicht zu dem Handwerk nicht komme«. (Karl Werner, a. a. O., S. 30.) Der Erzbischof von Mainz empfahl 1597 den Gerbern und Sattlern verschiedener Städte eine lange Lehrzeit und Wanderschaft, »um beide, Gerber und Sattler, bei gedeihlicher Aufnahme zu erhalten, auch ihnen durch andere unerfahrene Stümper das Brot nicht vom Munde wegnehmen zu lassen«. (Stahl, a. a. O., S. 40, 41.) Bemerkenswert ist auch, daß diese Beschränkungen für Meistersöhne, oft auch für solche, die Meistertöchter oder Meisterwitwen heirateten, entweder ganz aufgehoben oder sehr reduziert und rein formell waren. Diesen gegenüber hörte merkwürdigerweise die ängstliche Sorge um »die Wahrung der Standesehre« gar sehr auf. Es trat das nicht etwa erst zur Zeit der »Entartung« des Zunftwesens ein, wie man uns so gern erzählt. Bereits im vierzehnten Jahrhundert wurde in Frankfurt das Handwerk der Fleischer, in Bremen das der Schuhmacher den Meistersöhnen und Meistertöchtern reserviert (Schanz, a. a. O., S. 14); ja, im fünfzehnten Jahrhundert begegnen wir bereits Versuchen, die Zünfte zu schließen, die Zahl der Meister von vornherein festzusetzen. In Hamburg bitten 1468 die Fischer den Rat, ihre Zahl von 50 auf 40 herabzusetzen; 1469 wird dort die Zahl der Goldschmiede auf 12 beschränkt, 1463 in Worms die der Weinschröter auf 44. Auch der Erblichkeit des Meisterrechtes begegnen wir schon in dieser Zeit.
Die Beschränkungen hatten vor allem zwei wichtige Folgen: einerseits verschärften sie die Wirkungen der zunehmenden Proletarisierung des Landvolkes und trugen wesentlich dazu bei, ein städtisches Proletariat zu schaffen, das außerhalb jeder zünftigen Organisation stand, und andererseits brachten sie in das zünftige Handwerk selbst einen Gegensatz zwischen Meistern und Gesellen hinein. Immer geringer wurde im Verhältnis zur Zahl der Gesellen die der Meister, immer strenger verfolgte man alle diejenigen, die es versuchten, sich mit Umgehung der Zunft selbständig zu machen, als »Pfuscher«, »Bönhasen« usw.; bald wurde auch außerhalb der Stadt, in den Vorstädten, ja selbst in entlegeneren Dörfern, mitunter auf mehrere Meilen, meist auf eine Meile (die sogenannte »Bannmeile«) im Umkreis die Ausübung des Handwerks untersagt. So wurde zum Beispiel 1500 in Zwickau bestimmt, daß in den Dörfern der Bannmeile kein Leineweber sich niederlassen dürfe, außer in den größeren Dörfern je einer. Ähnliche Beschränkungen bezüglich anderer Dorfhandwerker waren dort schon 1421 und 1492 erlassen worden, nicht ohne Widerstand. (E. Herzog, Chronik der Kreisstadt Zwickau, Zwickau 1845, II, S. 154, 162.) Solche Bestimmungen gaben Veranlassung zu den heftigsten Kämpfen zwischen den zünftigen Stadtmeistern und den nicht zünftigen Dorf- und Vorstadthandwerkern, Kämpfen, die auch in den Bauernkrieg hineingespielt haben. Während die ländliche Bevölkerung zahlreich in die Städte strömte und die Zahl derjenigen immer mehr wuchs, die sich zu Knechts- und Gesellendiensten anboten, wurde es immer schwerer für den Gesellen, das zünftige Meisterrecht zu erlangen, immer schwerer, außerhalb der Zunft selbständig zu werden. Es wuchs damit die Zahl derjenigen, die sich dazu verurteilt sahen, ihr Leben lang Handwerksknechte zu bleiben; das Gesellentum begann an Stelle eines bloßen Übergangsstadiums aus der Lehrlingsschaft zur Meisterschaft der dauernde Zustand für zahlreiche handwerksmäßige Arbeiter zu werden. Der Geselle fühlte sich bald weniger als künftiger Meister wie als des Meisters Ausgebeuteter, immer mehr gerieten seine Interessen mit denen des Meisters in Konflikt.
Die Gegensätze zwischen Meistern und Gesellen wurden zu Ausgang des Mittelalters immer schroffer. Solange der Meister der Hauptarbeiter war, der höchstens zeitweise einen Gehilfen sich beigesellte, hatte er keinen Grund, die Arbeitszeit übermäßig auszudehnen, worunter er selbst ja am meisten gelitten hätte. Der Knecht aß mit ihm aus einer Schüssel; es war doch nicht der Mühe wert, für den einen besonders zu kochen: ging es dem Meister gut, so auch dem Knechte, beider Interesse war in hohem Grade identisch. Der Geldlohn spielte daneben in den Anfängen der Warenproduktion nur eine geringe Rolle, nicht seIten teilten Meister und Knecht den Erlös aus der Arbeit.
Bei den Straßburger Webern herrschte die Sitte, daß der Knecht mit dem Meister auf den dritten oder den halben Pfennig arbeitete, ein Drittel oder die Hälfte der Entlohnung der gemeinsamen Arbeit erhielt. (Schmoller, a. a. O., S. 416«.) Dasselbe finden wir bei den Goldschmieden in Ulm, nach der Ordnung von 1364. (Stahl, a. a. O., S. 332.)
Anlässe zu Zwistigkeiten, die nicht rein persönlicher Natur waren, sondern aus dem Klassengegensatz entsprangen, kamen unter solchen Umständen kaum vor.
Alles das änderte sich, sobald die Zahl der Gesellen in einem Betrieb eine größere wurde. Vier oder fünf Gesellen bei der Arbeit zu überwachen, war nicht so einfach, wie einen. Der Meister wurde immer mehr aus einem Vorarbeiter ein Antreiber, der aus den Gesellen soviel Arbeit als möglich herauszupressen suchte. In dem Maße, in dem deren Arbeitslast wuchs, wurde die seine erleichtert. Wurden der Knechte sehr viele beschäftigt, dann genügte ihre Arbeit allein, nicht bloß sie selbst zu erhalten, sondern auch dem Meister ein hübsches Einkommen zu gewähren. Mitunter wurde diesem selbst die Arbeit des Antreibens zu lästig; er entledigte sich ihrer durch Einführung des Stücklohnes, der sich vom Ende des vierzehnten Jahrhunderts an entwickelt. Namentlich beim Weberhandwerk läßt sich dessen zunehmende Ausbildung verfolgen. Schanz, Gesellenverbände, S. 109. Und schon im fünfzehnten Jahrhundert fand man es mitunter nötig, zu verbieten, daß der Meister nicht selbst arbeite.
Je weniger der Meister selbst mitarbeitete, je mehr er darauf angewiesen war, daß seine Knechte Mehrwert für ihn erarbeiteten, desto größer sein Bemühen nach Verlängerung ihrer Arbeitszeit. An der täglichen Arbeitszeit scheint freilich kaum gerüttelt worden zu sein, wohl aber macht sich das Bestreben nach Abschaffung des blauen Montags und nach Einführung der Arbeit an den zahlreichen Feiertagen, ja selbst an Sonntagen, immer mehr geltend.
In Sachsen erließ Herzog Heinrich 1522, unmittelbar vor dem Ausbruch des Bauernkriegs, ein scharfes Mandat, worin er das Arbeiten an Feiertagen verbot, dafür aber auch erklärte, es sei den Gesellen nicht gestattet, den »freien« oder »guten Montag« zu halten. (C. W. Hering, Geschichte des sächsischen Hochlandes, Leipzig 1828, II, S, 31.) – Als die Schneidergesellen in Wesel 1503 streikten, konstatierte der Bürgermeister auf der Zunftstube, die Schneidergesellen seien ein gar unruhiges Volk, »aber auch die Meister haben viel Schuld, denn sie wollen nicht, wie der Geselle wohl verlangen kann, dreimal des Tages ordentlich zu essen geben, und bürden zu viel Arbeit auf«. Er drohte den Meistern mit Strafe, wenn sie auch fernerhin »an Sonn- und Feiertagen morgens bis zum Amt (Messe)« arbeiten ließen und den Lehrjungen »Haarfuchsen gäben oder sie gar mit Fäusten schlügen«. Diese bürgermeisterliche Rede finden wir bei Janssen verzeichnet (a. a. O., I, S. 337). Zu seiner Zunftidylle paßt sie schlecht.
Hand in Hand mit dem Streben nach Vermehrung der Arbeitslast ging das nach Verschlechterung der Kost und Minderung des Lohnes der Knechte. Galt es, vier bis fünf Gesellen und zwei und mehr Lehrjungen zu verköstigen, da lohnte es schon, für diese eigens zu kochen. Damit war die Möglichkeit gegeben, an ihrer Kost zu »sparen«, ohne dem Wohlleben der Meistersfamilie den geringsten Abbruch zu tun. Was Janssen und seinen Gesinnungsgenossen so traulich und gemütvoll erscheint, die Zugehörigkeit des Gesellen zur Familie des Meisters, wurde zu einem Hebel der Ausbeutung des ersteren.
Noch mehr als an der Kost suchten natürlich die »sparsamen« Meister am Lohne abzuzwacken. Der Drang nach Lohnherabsetzungen ist unter sonst gleichen Umständen um so größer, je größer die Zahl der beschäftigten Lohnarbeiter. Arbeitet man nur mit einem, dann fallen ein paar Pfennige täglich mehr oder weniger nicht ins Gewicht; beutet man hundert aus, dann beträgt die Differenz täglich ebenso viele Mark, im Jahre wächst sie zu Tausenden von Mark an. In kleinerem Maßstab äußerte sich die Wirkung dieses Verhältnisses bereits im Ausgang des Mittelalters. Freilich, davon war man noch weit entfernt, daß ein Unternehmer in der Industrie Hunderte von Lohnarbeitern beschäftigte. Hielt einer sechs bis sieben Gesellen, so überstieg er in der Regel gar sehr das normale und erlaubte Maß. Immerhin genügte schon das, den Drang nach Lohnherabsetzungen viel stärker wirken zu lassen als in der Zeit, wo das Handwerk noch nicht »blühte« und nur wenige Handwerker überhaupt in die Lage kamen, auch nur einen Gesellen zu halten.
Auf der anderen Seite aber wuchs das Bestreben der Knechte, den Lohn zu erhöhen, in Deutschland namentlich infolge der Preisrevolution, die eine Folge des raschen Anwachsens der Ergiebigkeit der Silber- und Goldbergwerke im fünfzehnten Jahrhundert und ein Vorläufer der viel gewaltigeren war, die im Verlauf des sechzehnten Jahrhunderts durch die Erschließung der Metallschätze Amerikas hervorgerufen werden und das ganze zivilisierte Europa treffen sollte. Neben der Umwälzung in der Produktion der Edelmetalle waren auch die Monopole der Handelsgesellschaften an der Preissteigerung schuld. Gleichzeitig wuchs aber auch der Luxus, wuchsen die Bedürfnisse in allen Ständen, auch bei den Handwerksmeistern. Kein Wunder, daß die Knechte, die mit diesen lebten und die nicht lange vorher fast ihresgleichen gewesen waren, ebenfalls danach trachteten, an dem allgemeinen Aufschwung teilzunehmen.
Gerade in Beziehung auf die Lohnfrage wurden daher im fünfzehnten Jahrhundert und im Beginn des sechzehnten Jahrhunderts die Gegensätze zwischen Meistern und Gesellen immer schroffer.
Dies, im Verein mit den anderen Gegensätzen, auf die wir schon hingewiesen, führte dazu, daß die Kämpfe zwischen Meistern und Gesellen, die schon im vierzehnten Jahrhundert beginnen, immer zahlreicher und erbitterter werden, je mehr wir uns dem sechzehnten Jahrhundert nähern.
Unsere Zunftschwärmer und Romantiker setzen gern der kapitalistischen Industrie das zünftige Handwerk entgegen als eine Produktionsweise, die das Eldórado der Arbeiter bedeutete und von Klassenhaß nichts wußte. Erst der Kapitalismus oder, wie man in Halbasien sich auszudrücken pflegt, das »Judentum« habe die »Ethik« aus dem Wirtschaftsleben vertrieben und die Drachensaat des Klassenhasses gesät. Aber bereits die Innungsmeister und Grundbesitzer des vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts zeigen sich weit entfernt von der gerühmten paradiesischen Unschuld der vorkapitalistischen Zeit, von den folgenden Jahrhunderten zu schweigen, in denen ja der kapitalistische Sündenfall bereits seine Wirkungen geltend machte. Die »Blüte« des zünftigen Handwerks beruhte bereits auf der Ausbeutung von Lohnarbeitern und erzeugte die erbittertsten Klassenkämpfe.
Sehr richtig sagt Schanz in seinem vortrefflichen Buche, das der »ethischen« Schönfärberei der »historischen« Schule in bezug auf das Gesellenwesen einen gewaltigen Stoß versetzt: »An diese Tatsache (die Arbeiterschinderei) sollte man auch denken, wenn man von dem großen Aufschwung der gewerblichen Arbeit und dem allgemeinen Wohlstand der Handwerker im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert spricht, wie Schönberg (Zunftwesen, S. 76); denn es ist doch kaum zu bezweifeln, daß dieser Wohlstand der Meister zum großen Teile nur der unvollständig gelohnten Arbeit und dem Schweiße der sorgenvoll in die Zukunft blickenden Gesellen zu verdanken war.« (Gesellenverbände, S. 21.)
So mächtig die Zünfte auch waren und so stolz auf ihre Autonomie, ihre Selbständigkeit, sie verschmähten es nicht, zur Unterdrückung der Gesellen die »Staatshilfe« in Anspruch zu nehmen. Im fünfzehnten Jahrhundert (in England bereits im vierzehnten) wurden schon zahlreiche Lohntaxen erlassen, von den Obrigkeiten, dem städtischen Rat oder dem Landesherrn, wenn die Stadt einem solchen unterstand. Auch Taxen für ein ganzes Land, sowohl für Handwerker wie für ländliche Arbeiter, finden wir bereits. Nur eine sei hier angeführt, deren Einleitung sehr charakteristisch ist. Sie bildet einen Teil der »Landesordnung«, welche die Herzoge Ernst und Albert 1482 für Sachsen erließen. Es heißt da: »Es sind von den Prälaten, Herren, Ritterschaft und Städten viele Klagen eingelangt, wie die Untertanen in großem Fall, Abnehmen und Verderben ständen, welches aus der schweren Münze, dem unmäßigen Gesinde- und Handwerkslohn und der in allen Ständen überhand genommenen überflüssigen Kost an Essen, Getränken und Kleidung, bei den Städten aber vornehmlich daher komme, daß sie ihrer bürgerlichen Händel, als Mälzen, Brauen und Bierverkaufen, worauf doch der größte Teil ihrer Nahrung stände, durch etliche Prälaten und den Adel, der sich das angenommen Der sächsische Adel hatte also damals schon begonnen, sein Einkommen durch eine ländliche Industrie zu erhöhen. Da der Kartoffelfusel noch unbekannt war, warf er sich auf die Bierbrauerei., auch durch die Handwerker auf den Dörfern beraubt (?) würden, das doch nicht sein sollte, ihnen auch nicht zustände und vor alters also nicht Herkommens wäre. Zuvörderst wäre also, nach reiflicher Überlegung, zur Bezahlung der Gesinde- und Handwerkslöhne eine Scheidemünze von geringerem Gehalt gefertigt und ausgegeben worden. Dies einfache landesväterliche Verfahren, die Arbeiter bei der Lohnzahlung übers Ohr zu hauen, dürfte den Neid und die Bewunderung manches modernen Bimetallisten erregen. Ferner sollte künftighin niemand seine Knechte anders denn in inländisch Gewand kleiden; außer Hosen-, Kogeln-, Koller- und Brustlatztuch, das möchte ein jeder kaufen und geben, wie gut er wolle. So aber ein Herr oder Edelmann seinem Knecht nicht Schuhe oder Kleider, sondern ein genannt Geld gäbe, so möge er einem urbaren Knecht 5 Schock und einem Stallknecht 4 Schock neue Groschen geben.« Nun kommt eine Lohntaxe für Landarbeiter, dann heißt es weiter: »Einem Handarbeiter mit Kost wöchentlich 9 neue Groschen, ohne Kost 16 Groschen. Denen Werkleuten sollte zu ihrem Mittag- und Abendmahle nur vier Essen, an einem Fleischtag eine Suppe, zwei Fleisch und ein Gemüse; auf einen Freitag und andere Tag, da man nicht Fleisch isset, eine Suppe, ein Essen grüne oder dörre Fische, zwei Zugemüse; so man fasten müsse, fünf Essen, eine Suppe, zweierlei Fisch und zwei Zugemüse und hierüber 18 Groschen, den gemeinen Werkleuten aber 14 Groschen wöchentlicher Lohn gegeben werden; so aber dieselben Werkleute bei eigener Kost arbeiteten, so solle man dem Polierer über 27 Groschen und dem gemeinen Maurer usw. die Woche über 23 Groschen nicht geben.« Hunger, Geschichte der Abgaben, S. 22. Vergleiche die Lohntaxe für Handwerker des Rates zu Freiberg (1475), bei Hering, Geschichte des sächsischen Hochlandes, II, S. 17.
Welchem Arbeiter des Jahrhundert des Dampfes und der Elektrizität wässert nicht der Mund nach dem zwangsmäßig dekretierten »Fasten« des »finstern« ausgehenden Mittelalters! Die obrigkeitlichen Beschränkungen der Löhne und der Kost gehören denn auch zu den Tatsachen, aus denen Janssen und Konsorten triumphierend deduzieren; wie glücklich und behaglich die Arbeiter in der vorkapitalistischen Zeit gelebt hätten.
Diese Bestimmungen sind allerdings vernichtend für die liberale Legende von Segnungen, mit denen die moderne Zivilisation die Proletarier überschüttet. Sie beweisen jedoch keineswegs, daß die Lohnarbeiter zu jener Zeit sich besonders zufrieden gefühlt hätten. Um die Lage einer Klasse zu begreifen, genügt es nicht, sie an sich zu kennen; man muß sie vergleichen mit der Lage der anderen Klassen, mit den allgemeinen Bedürfnissen der Zeit. Heute wird im allgemeinen ein geringerer Kleiderluxus getrieben, namentlich von den Männern, heute wird auch im allgemeinen weniger gegessen. Uns erscheint ein Mittags- und Abendbrot, wie es in der sächsischen Landesordnung von 1482 vorgeschrieben ist, höchst ausgiebig. Angesichts der kolossalen Mengen, die man damals zu genießen gewohnt war, nimmt es sich dagegen etwas dürftig aus.
Das ganze Mittelalter hielt viel auf gutes und reichliches Essen und Trinken. Nur einige Beispiele aus unzähligen, die uns gerade in die Hand kommen. Gelegentlich der Vermählung von Ottokar Premysls II. Nichte Kunigunde mit dem ungarischen Prinzen Bela, die 1246 an der Donau bei Wien stattfand, wurden aus »Österreich, Steiermark und Mähren allerlei Vorräte in unglaublicher Menge herbeigeschafft: Fünf Futterhaufen schoberte man auf, jeder so groß wie die größte Kirche; Mastvieh großer und kleiner Art bedeckte die ganze Donauinsel und die nahe gelegene Heide; Wildbret und Geflügel war eigentlich zahllos vorhanden; an 1000 Muth Weizen zu Brot und Wein so viel, daß er für die Bevölkerung von zwei Ländern mehrere Tage lang ausgereicht hätte.« (F. Palacky, Geschichte von Böhmen, Prag 1866, II, I, S. 188.) Das gemahnt fast an eine Rabelaissche Schilderung. 15 61 wurden bei der Hochzeit Wilhelms von Oranien verzehrt: 4000 Scheffel Weizen, 8000 Scheffel Roggen, 13 000 Scheffel Hafer, 3600 Eimer Wein, 1600 Fässer Bier. Bei dem großen Leichenmahl nach dem Tode Albrechts von Bayern, 1509, gab es nicht weniger als 23 Gänge. Bei einem als besonders bescheiden angezeigten Hochzeitsmahl eines 1569 zum Protestantismus übergetretenen Abtes (bei Helmstedt) verzehrten 110 Personen 2 Ochsen, 3 Schweine, 10 Kälber, 10 Lämmer, 60 Hühner, 120 Karpfen, 10 Hechte, einen Zuber voll Flammfische, eine Vierteltonne Butter, 600 Eier und zwei süße Milchkäse. (A. Schlossar, Speise und Trank vergangener Zeiten in Deutschland, Wien 1877, S. 33, 35.)
Will man die Lage einer Klasse begreifen, so genügt es aber auch nicht, sie mit den anderen Klassen ihrer Zeit zu vergleichen. Der Charakter einer Gesellschaft wird weniger bestimmt durch ihren augenblicklichen Zustand als durch die Richtung ihrer Entwicklung. Nicht so sehr das Elend an sich macht unzufrieden, als vielmehr das Elend, in das man hinabgedrückt wird, oder in dem zu verharren man gezwungen ist, indes andere daneben zu Wohlleben aufsteigen. Und je rascher die Entwicklung vor sich geht, desto schärfer machen sich ihre Tendenzen fühlbar, desto energischer reagieren dagegen die durch sie verletzten Interessen, desto heftiger sind die gesellschaftlichen Kämpfe. Das Elend war vor der französischen Revolution in Deutschland größer als in Frankreich, und doch fand die Umwälzung ihren Ausgangspunkt in dem letzteren Lande, weil die ökonomische Entwicklung dort rascher vor sich ging. Seit 1870 ist Deutschland derjenige europäische Staat, in dem die ökonomische Entwicklung am schnellsten vorwärtsschreitet: dort und nicht in England ist der Hauptsitz der sozialdemokratischen Bewegung; wohl sind in letzterem Lande die sozialen Gegensätze viel größer, aber seit einigen Jahrzehnten ist ihre Zunahme eine verhältnismäßig langsame. Das Land, in dem die ökonomische Entwicklung heute am schnellsten vor sich geht, sind die Vereinigten Staaten; es ist nicht unmöglich, daß in einem bis zwei Jahrzehnten der Schwerpunkt der sozialistischen Bewegung sich dorthin neigt, obwohl in Amerika die Lage der Arbeiter im Durchschnitt besser ist als anderswo.
Von einer Entwicklung erfahren wir nun bei unseren Kulturhistorikern sehr wenig. Unsere liberalen Historiker beweisen den Arbeitern haarscharf, wieviel Ursache sie haben, glücklich zu sein, da sie sich, dank der Maschine, den Luxus von Strümpfen und Taschentüchern erlauben können, die ehedem selbst den mächtigsten Monarchen versagt blieben. Die Konservativen bringen uns einige Speisezettel, Lohntaxen und Kleiderordnungen aus dem fünfzehnten oder sechzehnten Jahrhundert und sagen: so glücklich waren Bauern und Arbeiter in der guten alten Zeit, als die Zünfte blühten und die Kirche das gesellschaftliche Leben beherrschte. Ein anderes Bild würde sich herausstellen, wenn die einen wie die anderen uns zeigen wollten, in welcher Richtung die Entwicklung heute geht und vor 400 Jahren ging. Sie müßten uns sagen, daß damals wie heute das Bestreben der ausbeutenden Klassen dahin ging, die arbeitenden Klassen immer tiefer ins Elend hinabzudrücken. Wohl gelang es damals wie heute manchen besonders begünstigten Teilen der arbeitenden Klassen vorübergehend, nicht nur das Herabgedrücktwerden zu verhindern, sondern sogar vielfach eine Verbesserung ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen zu erkämpfen; aber wenn auch ihre Lebenshaltung sich hob, so doch längst nicht in dem Grade wie die der ausbeutenden Klassen: der Pfaffen, der höheren Adligen, Kaufleute und. Meister. Ihr Anteil an dem Produkt ihrer Arbeit und an den Errungenschaften der Kultur wurde immer kleiner.
Trotz aller Braten- und Samtröcke der Handwerksgesellen finden wir in ihren Reihen keineswegs jene »blühende Wohlhabenheit« und »Behaglichkeit«, jene Abwesenheit von »Neid und Mißgunst gegen Höherstehende«, jene vergnügte Zufriedenheit, von der Janssen uns vorschwärmt, sondern das gerade Gegenteil.
Ein Kampf größerer Massen, also auch ein Klassenkampf, kann nicht geführt werden ohne eine Organisation. Auch die Gesellen wurden dazu gedrängt, sich eine solche zu geben.
Sie bedurften deren um so mehr, je blutiger die Klassenkämpfe waren, die sie zu führen hatten. In Danzig wurden noch 1385 streikenden Knechten die Ohren abgeschnitten. (Schmoller, a. a. O., S. 453.) Von dergleichen Dingen erzählt Janssen nichts. Es hätte auch zu seiner Idylle schlecht gepaßt. Und doch geschah es zu einer Zeit, wo die Zünfte noch gut katholisch und ganz vom Geiste »christlicher Bruderliebe« erfüllt waren.
Anfänglich waren die Vereinigungen der Gesellen nur vorübergehender Natur, Verbindungen zu Gelegenheitszwecken. Die erste derartige Gesellenverbindung in Deutschland ist bezeugt aus dem Jahre 1329 zu Breslau, wo die Gürtlerknechte sich vereinigt hatten, ein Jahr lang alle Arbeit einzustellen. (Stahl, a. a. O., S. 390.)
Aber bald finden wir auch festere Vereinigungen der Gesellen.
Es ist natürlich, daß die Gelegenheiten, welche die Knechte eines Handwerks in einer Stadt zusammenführten, auch den Anstoß zu ihren Vereinigungen boten und deren Charakter beeinflußten. Solche Gelegenheiten des Zusammenkommens bot im Mittelalter die Kirche und die Trinkstube, mitunter auch der Krieg. Manche der weltlichen Gesellschaften sollen daraus entstanden sein, daß die Handwerksmeister sich dem Kriegsdienst entzogen und an ihrer Stelle die Gesellen entsandten, die aus der Zunftkasse besoldet wurden. Die Gesellen behielten dann auch im Frieden ihre kriegerische Organisation gern bei. Ein Beispiel einer derart entstandenen Gesellschaft ist uns nicht bekannt geworden.
Die vorwiegende Form der Gesellenorganisation war die der kirchlichen Brüderschaften, daneben die der Trinkstuben. Die ersteren dienten vorwiegend zu Unterstützungszwecken, die Trinkstuben waren die Herde des Widerstandes gegen Meister und Obrigkeiten, doch waren die Funktionen beider Arten von Vereinigung nicht streng getrennt; auch die kirchlichen Brüderschaften wurden oft zu Widerstandskassen.
Die ersten Brüderschaften der Gesellen finden wir in Deutschland zu Anfang des fünfzehnten, vielleicht schon zu Ende des vierzehnten Jahrhunderts bei den Webern. Schon 1389 ist von einem Büchsenmeister der Weberknechte in Speier die Rede, was das Bestehen einer Unterstützungskasse voraussetzt. In Ulm hatten die Weberknechte bereits 1402 eine Bruderschaft, die zwei Betten für arme Gesellen im Hospital unterhielt und außerdem eine Begräbniskasse bildete.
Zur Charakterisierung einer solchen Bruderschaft seien die Artikel einer solchen hier wiedergegeben, deren Genehmigung die Leinweberknechte von Straßburg 1479 erlangten. Dieselben lauten (in modernes Deutsch übertragen – bei Schmoller, a. a. O., S. 93, findet man sie im Urtext abgedruckt):
»Wir Hans Gerbott, der Meister, und die Fünfmannen des Weberhandwerks zu Straßburg tun kund allen denen, die diesen Brief ansehen oder verlesen hören, daß vor uns gekommen sind die ehrbaren Hans Blesing und Martin Schuster von Wißhorn, zuzeiten Büchsenmeister (Kassierer) der Leinweberknechte zu Straßburg, daß sie eine Forderung getan und begehrt, wir sollten ihnen gönnen und bestätigen diese hier geschriebenen Punkte, Stücke und Artikel ...
Sie sollen haben ihre Bruderschaft für ewige Zeiten im großen Spital zu Straßburg und nirgend anderswo, und sollen dort nun und in künftigen Zeiten bleiben. Sie sollen alle halbe Jahr zwei Büchsenmeister wählen, das ist zu der Weihnachtfronfasten (Quatember) zwei neue und zu der Pfingstfronfasten zwei andere neue; und wenn diese Büchsenmeister eingesetzt werden, sollen sie schwören, der Büchse unsere lieben Frau (dem Vereinsvermögen) Nutzen zu schaffen, Schaden abzuwenden, sofern sie können oder mögen ohne Gefährdung. Wer zum Büchsenmeister gewählt wird und ablehnt, soll ein halbes Pfund Wachs Strafe zahlen, und es soll bei der Wahl bleiben, wie er sich auch sträuben mag, doch vorbehaltlich der Zustimmung der Meisterschaft. Wenn die Büchsenmeister alle vierzehn Tage herumgehen, den Wochenpfennig zu sammeln, so sollen sie bei der Gelegenheit nichts aus der Büchse verzehren. Wenn ein Geselle der Bruderschaft zwei Pfennig schuldig bleibt und sie nicht gibt, wenn die Büchsenmeister bei ihrem Umgang sie fordern, der zahlt zwei Pfennig Strafe. Man soll auch fernerhin kein Geld mehr aus der Bruderschaftsbüchse leihen, außer wenn einer krank wird, aber auch dann nur mit Zustimmung der Meister und gegen ein Pfand, das besser ist denn das Geld, das sie wegleihen. Ein jeder Gesell soll an jedem Fronfasten einen Pfennig in die Bruderschaftsbüchse geben und auch einen guten Straßburger Pfennig opfern; wäre es aber, daß ein Gesell um die Zeit nicht in der Stadt sei, so soll er doch seinen Pfennig geben sobald er in die Stadt kommt.« Es folgen nun Bestimmungen über den Kirchgang, geweihte Kerzen und dergleichen, dann fahren die Statuten fort: »Welcher Gesell fremd herkommt und niemals früher hier gearbeitet hat, der mag wohl acht oder vierzehn Tage unbehelligt arbeiten. Bleibt er aber länger, so soll er zwei Pfennig Stuhlfest (Einlage) geben und danach mit der Bruderschaft, wie recht ist, dienen. Wollen die Gesellen gegen die Meister vor Gericht gehen, so sollen sie die Kosten aus ihrem Säckel bestreiten und nicht aus der Bruderschaftsbüchse.« Wieder kommen Bestimmungen über geweihte Kerzen und dann Strafbestimmungen: »Welcher Gesell den Büchsenmeistern die Stuhlfest oder den Wochenpfennig vorenthält, der soll nicht mehr hier arbeiten, er hat es denn bezahlt oder es leiste ein guter Gesell die Zahlung für ihn; geschieht das nicht, dann soll man ihn aufschreiben und alle Fronfast der Gesellenversammlung verkünden.
Die Büchsenmeister sollen ihre Rechnungen vor der Gesellenversammlung ablegen und bei ihrem Eid nicht mehr als einen Schilling aus der Büchse nehmen. Auch sollen die Büchsenmacher bei ihren Eiden den Wochenpfennig wie das Fronfastengeld von einem Bruder nehmen wie von anderen. Man soll auch alle Fronfast die Messe allen Brüdern und Schwestern verkünden und für sie beten, sie seien tot oder lebendig. Sollte es vorkommen, daß ein Bruder krank werde, was Gott lange abwenden wolle, und in das Spital käme, so soll man ihm jeden Tag einen Pfennig geben aus der Bruderschaftsbüchse. Sollte ein Gesell mit dem Tode abgehen, was Gott lange abwenden möge, und in eines Meisters Haus oder anderswo in der Stadt und außerhalb des Spitals enden, so sollen die Büchsenmeister allen Gesellen gebieten, ihn zu Grabe zu bestatten, bei zwei Pfennig Strafe.
Die ledigen Leinweberknechte sollen hinfort alle in der Bruderschaft dienen.«
Die Bruderschaft war also im wesentlichen eine obligatorische Kranken- und Begräbniskasse.
Den Zünften und den städtischen Obrigkeiten waren die Brüderschaften ein Dorn im Auge. Man konnte sie nicht gut unterdrücken, ihres kirchlichen Charakters wegen; auch wurden sie immer unentbehrlicher, je mehr die Zahl der Gesellen wuchs und deren Kranken- und Begräbnisversicherung an Bedeutung gewann. Die Übertragung solcher Versicherungen auf die Zünfte hätte diese schwer belastet. Der Kampf gegen die Brüderschaften nahm daher meist die Form an, daß man sie auf das bloße Unterstützungswesen zu beschränken und der Kontrolle der Zunft und der Obrigkeit zu unterwerfen suchte.
Neben den Brüderschaften entwickelten sich die Trinkstuben. Diese Einrichtung übernahmen die Gesellen von den Meistern. Jede Zunft hatte ihre Trinkstube. »Diese Trinkstuben heckten die Kämpfe zwischen Zünften und Patriziern aus; sie waren der Hort des demokratischen Treibens.« (Stahl.) Die Gesellen tranken ursprünglich mit den Meistern zusammen. Aber je mehr die Gegensätze auf beiden Seiten sich zuspitzten, auch der Hochmut auf Seite der Meister den Gesellen gegenüber zunahm, desto mehr isolierten sich die Gesellen, halb freiwillig, halb getrieben, und bildeten eigene Trinkstuben. Und die Rolle, welche die Trinkstuben der Zünfte in den Kämpfen gegen die Patrizier spielten, dieselbe Rolle begannen nun die Trinkstuben der Gesellen gegenüber den Zünften zu spielen. Kein Wunder, daß sich um die Trinkstuben in den Städten zur Zeit des ausgehenden Mittelalters die erbittertsten Kämpfe entspannen. Die städtischen Obrigkeiten suchten sie gänzlich zu unterdrücken. Mitunter, wo noch ein Gegensatz zwischen den Zünften und dem Stadtregiment, dem Rat bestand und in diesem noch die Patrizier maßgebend waren, wurden die Trinkstuben auch der Handwerksmeister verboten, mitunter nicht die aller Handwerker, sondern bloß derjenigen, die es nicht zu einer zünftigen Organisation gebracht hatten. Überall aber finden wir im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert die Trinkstuben der Gesellen verpönt. Immer und immer kehren diese Verbote wieder.
Die bereits öfters erwähnten Werke Schmollers und Büchers bringen reichliche Belege für den Feldzug gegen die Trinkstuben in Straßburg wie Frankfurt und auch anderwärts. »Wie man in Mainz, Worms, Speier und Frankfurt 1421 den Versuch machte, alle Trinkstuben der Knechte zu verbieten und diese schwören ließ, nur zu kirchlichen Zwecken zusammenzukommen, wie man in Konstanz 1390 und 1423 jede genossenschaftliche Verbindung der Knechte verpönte, so geschah es allerwärts. Und den Höhepunkt dieser ganzen Bewegung sehen wir in der Straßburger Knechteordnung von 1465. Durch Verhandlung verschiedener Städte zustande gekommen und nicht bloß in Straßburg, sondern auch in mitvertragenden Städten veröffentlicht, sollte sie ein für allemal den Unruhen ein Ende machen. Schmoller, a. a. O., S. 525. Über die Kämpfe gegen die Gesellenschaften Nürnbergs handelt eingehend Bruno Schönlanks Schrift »Soziale Kämpfe vor dreihundert Jahren«, Leipzig 1894.
Diese »Knechteordnung«, ein »Sozialistengesetz« unserer Vorväter vor vierhundert Jahren, verdient in ihren wesentlichsten Bestimmungen wiedergegeben zu werden. Sie lautet:
»Dies ist der Städteboten, sowohl der oberländischen wie der niederländischen, Meinung, so auf den Montag nach dem Sonntag Jubilate zu Straßburg von der Handwerksknechte und anderen dienenden Knechte wegen beieinander gewesen sind, und hat man sich dahin vertragen, daß das gehalten werden soll, wie hiernach geschrieben steht:
Des ersten sollen hinfort nimmermehr Handwerksmeister oder Knechte sich zusammen verbinden, vereinen oder verheften, keine Bündnisse machen, kein Gebot oder Verbot untereinander halten ohne den Urlaub und die Erlaubnis der Meister und des Rates einer jeglichen Stadt, in der sie dann sitzen.
Und dann sollen hinfort alle dienenden Knechte, sie mögen Rittern, Knechten oder Bürgern dienen, so in den Städten ansässig sind, über die man zu gebieten hat, und auch alle Handwerksknechte, so in den Städten dienen, geloben und schwören, den Bürgermeistern und dem Rat derselben Stadt gehorsam zu sein, ihrem Gericht sich zu unterwerfen, nirgend anderswo Recht suchen zu wollen.
Es sollen auch die Handwerksknechte hinfort den Meistern ihres Handwerks keine Knechte mehr verbieten und keinerlei Sache noch keinen Knecht mehr vertrinken«, das heißt das Streiken, das Inverruferklären oder »Schelten« von Meistern und das Ächten von Streikbrechern ist verboten. Derselbe Paragraph verlangt weiter, der Knecht solle seine Streitigkeiten mit Meistern oder anderen Knechten vor der Meisterschaft seiner Stadt austragen und sich deren Urteil fügen, es sei denn, die Sache gehöre vor den Rat. Jeder Meister, der einen Knecht aufnimmt, soll ihn binnen acht Tagen dem Zunftvorsteher anzeigen und dieser ihm den Eid abnehmen lassen, sich stets dem Meistergericht zu fügen. Dann wird der Name des neuen Knechtes in ein besonderes Buch eingeschrieben. Der Meister, der die vorgeschriebene Anzeige binnen acht Tagen unterläßt, zahlt für jeden Tag Versäumnis fünf Schilling. Recht nette Anfänge einer polizeilichen Überwachung der Gesellen!
Der folgende Paragraph bestimmt, Handwerksknechte und andere dienende Knechte sollten keine Messer tragen, außer wenn sie über Land gehen.
»Und welcher Knecht sich wider diese vorgeschriebenen Stücke, Punkte und Artikel setzt und ihnen nicht nachleben will, den sollen alle anderen Meister in diesem Kreise nicht aufnehmen zum Knecht, noch ihn in Haus oder Hof aufnehmen, wenn das verkündet worden, und welcher Meister sich dagegen vergeht, zahlt vier Gulden Strafe.« Von den Geldstrafen fällt die Hälfte dem Rat, die andere Hälfte der Zunft zu.
Keine der verbündeten Städte darf diese Ordnung ohne Zustimmung der anderen ändern.
Es sollen alle Dienstknechte und die nicht Bürger zu Straßburg sind, »nachts in unserer Stadt nicht auf Schleichwegen gehen«. Von Ostern bis Michaeli dürfen sie nicht nach 10 Uhr, von Michaeli bis Ostern nicht nach 9 Uhr abends auf der Straße sein, außer im Dienste der Herrschaft oder Meisterschaft. Der Übertreter wird mit dreißig Schilling Geldstrafe oder vier Wochen im »Turm« bei Wasser und Brot gebüßt.
Alle Dienstknechte sollen nach den oben angegebenen Zeiten auch nicht in Wirtshäusern oder Gärten zusammenkommen. Die dafür angedrohte Strafe ist die gleiche wie oben.
Wirte sollen ihre Häuser nicht verhängen, Knechte nicht aufnehmen nach der erwähnten Zeit, bei fünf Pfund Geldstrafe. »Doch geht dies Herren, Ritterknechte, Kaufleute und Pilger nicht an, die ehrliche und redliche Leute sind.
Und welcher Knecht so frevelhaft wäre, daß er das hier Vorgeschriebene nicht tun wollte, der soll nimmermehr zu Straßburg dienen ohne Erlaubnis der Meister und des Rates.«
Außerdem enthielt die Knechteordnung noch folgende vier Punkte: »1. Es sollen auch alle Handwerksknechte und andere dienende Knechte hinfort keine Trinkstube oder gedingte Häuser oder Gärten, auch keine Gesellschaft mehr haben, in der sie zusammengehen, es sei, zu Ehren und sonst in keinem Weg bedrohlich. 2. Sie mögen auch auf jeden zweiten Sonntag nach jeglichen Fronfasten ein Gebot haben von ihrer Kerzen wegen, doch sollen sie solches Gebot nicht haben, sie hätten denn das vor einem Zunftmeister (Zunftvorsteher) verkündet; der soll dann einen oder zwei, die da Meister sind des Handwerks, in dem diese Knechte dienen, dazu ordnen und schicken, dabei zu sein. 3. Es sollen auch die Handwerksknechte ihre Leichenbegängnisse auf Feiertage und nicht auf Werktage verlegen. 4. Es sollen auch nicht über drei Dienstknechte noch Handwerksknechte gleiche Kugelhüte, Röcke, Hosen noch andere Abzeichen, straflos tragen.«
Die Trinkstuben und andere Vereinigungen der Gesellen wurden da also entschieden verboten. Bloß ihre kirchlichen Vereinigungen (wohl nicht bloß »ihrer Kerzen wegen«, sondern auch zu Unterstützungszwecken) blieben erlaubt, wurden aber der Kontrolle der Meister unterstellt.
Die letztgenannten vier Bestimmungen finden sich jedoch in der Knechteordnung von 1473 nicht mehr, die sonst mit der von 1465 übereinstimmt. Es ist die Redaktion von 1473, erhalten im Tuchmacherbuch von 1551, die wir oben abgedruckt (in modernes Deutsch übertragen nach dem bei Schmoller mitgeteilten Original, a. a. O., S. 208 ff.).
Also bereits binnen acht Jahren mußten die drakonischsten Bestimmungen dieses »Sozialistengesetzes« wieder aufgehoben werden, und auch die anderen erwiesen sich als unwirksam.
Und so ging es überall. Kurz nach 1400 verbot der Rat zu Frankfurt Taglöhnern und Dienstknechten, Trinkstuben zu halten. Wer ihnen trotz des Verbots ein Haus oder eine Stube als Trinkstube herleihe, solle mit der hohen Strafe von täglich einem Gulden belegt werden. In einer Abschrift dieses strengen Verbots sind elf seitdem erlaubte Stuben eingetragen, darunter die der Gartenknechte und der Sachsenhäuser Knechte. Bücher, a. a. O., S. 135. Vergleiche S. 603, das Verbot von 1421, und S. 609.
In der Tat, die Verbote stellten sich als unwirksam heraus; überall finden wir im fünfzehnten Jahrhundert die Gesellen im Vordringen, eine der gegen sie aufgerichteten Schranken fällt nach der anderen; sie erringen sich Anerkennung ihrer Verbindungen, der Beitritt zu denselben wird obligatorisch, sie werden eine Macht. Am Schlusse des Jahrhunderts nahmen die Gesellen wohl eine achtunggebietende Stellung ein, und ihre Organisationen leisteten Ansehnliches. Man erhält jedoch von dem Charakter des Zunftwesens im ausgehenden Mittelalter eine ganz andere Auffassung, wenn man zusieht, wie diese Errungenschaften erkämpft wurden, als wenn man sie als Zustand betrachtet, der aus dem »Geiste« des Mittelalters herausgewachsen und ihm für seine ganze Dauer eigentümlich ist. Das tun aber die meisten Kulturhistoriker; was sich am Ende eines Zeitraumes als Ergebnis langer und erbitterter Kämpfe herausstellt, schildern sie als den Zustand während dieses ganzen Zeitraumes.
Daß alle Versuche scheiterten, die Organisationen der Gesellen zu unterdrücken, lag vor allem an der Unentbehrlichkeit der letzteren, an ihrer wachsenden Bedeutung in der städtischen Produktionsweise. Nicht nur wurde die handwerksmäßige Industrie in den meisten Städten die Hauptnahrung, sondern in der Industrie selbst wurden die Gesellen an Zahl und Bedeutung den Meistern gegenüber eine achtunggebietende Macht. Das Gedeihen der Stadt wurde immer abhängiger von den Lohnarbeitern des Handwerks. Stellten diese irgendwo die Arbeit ein, zogen sie weg, dann drohte dem betreffenden Handwerk der Verfall, der betreffenden Stadt schwere Schädigung. Dazu kam, daß die Verhältnisse das stramme Zusammenhalten der Gesellen sehr begünstigten. Noch waren die Städte nicht groß. Die Bevölkerung Frankfurts 1440 berechnet Bücher auf 8000 Köpfe, die Nürnbergs betrug 1449 20 000. Bücher, a. a. O., S. 196, 34. Die Zahl der Knechte dürfte kaum zehn Prozent der Gesamtbevölkerung erreicht haben. Lamprecht, a. a. O., S. 497.
Bei so kleinen Zahlen war es natürlich, daß die Knechte eines Handwerks innerhalb einer Stadt sich gegenseitig persönlich kannten. Ihr Verkehr wurde noch erleichtert dadurch, daß die Angehörigen des gleichen Handwerks es liebten, alle zusammen in einer Straße zu wohnen, die oft nach dem Gewerbe den Namen erhielt und ihn mitunter bis heute bewahrt hat. Auch war im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert noch nicht die anmutige Gewohnheit aufgekommen, die Arbeiter in den Werkstätten zuchthausmäßig durch vergitterte und weiß verstrichene Fenster von der Außenwelt abzuschließen. Man arbeitete gern, so oft das Klima es erlaubte, auf der Straße vor dem Hause oder wenigstens bei offenen Türen und Fenstern. Da bedurfte es keiner Presse, keiner Versammlungen, um sich über zu tuende Schritte zu verständigen. Und wehe dem, der nicht solidarisch mit den anderen vorgegangen wäre! Er wäre seines Lebens nicht wieder froh geworden. Der einzelne Arbeiter war ja nicht bloß in der Arbeit, sondern auch in geselliger Beziehung ganz auf seine Mitarbeiter angewiesen.
Das Wandern der Gesellen aber machte sie beweglich gegenüber den schwerfälligen Meistern und führte zu einer innigen Verbindung der so stramm solidarischen Gesellenschaften der einzelnen Städte untereinander. Da gab's bei einem Streik keinen Zuzug von außen! Schmoller jammert darüber: »Für die sittliche (!) und geschäftliche Haltung der Gesellenverbände konnte aber die Tatsache, daß die Majorität nicht ortsansässig war, nur ungünstig wirken; sie steigerte den Leichtsinn, die Unverantwortlichkeit, den Übermut, das Machtgefühl gegenüber den Meistern. Diese waren an den Ort gefesselt; sie konnten sich, selbst wo die Verbindung der Hauptladen vorhanden war, doch immer nur schwer und langsam mit ihren Kollegen aus anderen Städten verständigen. Die Gesellen hatten jederzeit Verbindungen und Nachrichten überallhin; sie fühlten sich nicht als Bürger der Stadt, in der sie arbeiteten; jahrelang in Bewegung, kam es ihnen nie darauf an, den Ranzen zu schnüren und, den Wanderstab zu ergreifen. Mit Pfeifen und Trompeten zogen sie bei Streitigkeiten leichtlich in Massen aus, legten sich in einer benachbarten Stadt auf die faule Haut und verlangten, wenn man mit ihnen Frieden schließen wollte, regelmäßig die Bezahlung ihrer Zeche an diesem Orte. Durch ihre bessere Verbindung und den viel stärkeren Korporationsgeist hielten sie jeden Zuzug ab und blieben so häufig Sieger im Kampf.« G. Schmoller, Das brandenburgisch-preußische Innungswesen (Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte, I. Band, S. 79).
Zu alledem kam noch, daß Weib und Kind sie selten beschwerten. Verheiratete Gesellen waren Ausnahmen, kamen in manchen Gewerben gar nicht vor. Sie gehörten ja zur »Familie« des Meisters, und diese meinten, sie besser ihrer »väterlichen« Zucht unterwerfen und von Trinkstuben fernhalten, sie besser überwachen und durch (verhältnismäßig) schmale Kost und Truck aller Art ausbeuten zu können, wenn man sie im Hause hielt, ihnen das Heiraten versagte. Ein verheirateter Geselle unterlag auch zu sehr dem Drange, sich selbständig zu machen, wenn nicht auf gesetzlichem Wege, als zünftiger Meister, so auf ungesetzlichem, als irgendein vorstädtischer oder dörflicher »Pfuscher« oder »Störer«.
Aber gerade durch ihren ledigen Stand erlangten die Gesellen eine ganz außerordentliche Widerstandskraft; viel mehr als das Wandern, dürfte die Ehelosigkeit die von Schmoller in seiner eben zitierten Darstellung geschilderten Eigenschaften und Vorteile der Gesellen, ihren Trotz, ihre Sorglosigkeit, ihr Selbstbewußtsein begünstigt haben.
Um wieviel schwerer wird dem Proletarier der Kampf heute! Bei jedem Streik, bei jeder Wahl, überall, wo er mit seiner Persönlichkeit für seine Sache einstehen soll, haben Weib und Kind die Konsequenzen seines Handelns mitzutragen. In kleinen Städten, wo die Arbeiter sich leicht auch ohne Presse und Versammlungen verständigen können, sind es die Rücksichten auf die Familie, die den Arbeiter dem Unternehmer botmäßig machen. In großen Städten wieder kennen die Arbeiter einander nicht; um sich zu verständigen, bedürfen sie der Presse, großer Versammlungen und Vereine; die Verständigung von Mund zu Mund genügt nicht mehr, jenen Zusammenhalt, jene Einmütigkeit zu schaffen, die dem zentralisierten übermächtigen Kapital gegenüber noch in ganz anderer Weise notwendig ist, als gegenüber den kleinen Handwerksmeistern: kein Wunder, daß die ökonomischen Kämpfe der Arbeiter heute immer mehr politische Kämpfe werden, daß die Freiheit für sie Brot bedeutet, daß, wer ihnen ihre politischen Rechte nimmt, ihnen ihr Brot nimmt, daß die Verhältnisse überall sie zwingen, den Kampf um höheren Lohn und kürzere Arbeitszeit zu erweitern zu einem Kampf um politische Macht.
Bei den Handwerksgesellen des ausgehenden Mittelalters bis weit in die neuere Zeit hinein finden wir dagegen keine ihnen eigentümlichen politischen Tendenzen. Sie gingen völlig auf in ihren gewerblichen Organisationen, durch die sie ja Erfolge errangen und sich eine Position schufen, wie es heute selbst bei dem Besitz weitgehender politischer Rechte nur wenigen Arbeiterorganisationen unter ausnahmsweise günstigen Umständen, und dann nur vorübergehend, gelungen ist. Selbstverständlich waren nicht in allen Gewerben die Gesellen gleich begünstigt. Es gab schwächere und stärkere, einflußlose und mächtige Organisationen. Zahlreiche Proletarierschichten, solche, die leicht ersetzbar waren, brachten es zu gar keiner Organisation, waren der Willkür der Ausbeuter preisgegeben. An ihnen offenbarte sich weder jener »korporative Geist« noch die »Idee der Nächstenliebe«, die angeblich im Mittelalter allenthalben grassierten.
Es kam sogar vor, daß Arbeiter, die es im dreizehnten oder vierzehnten Jahrhundert zu einer Organisation gebracht hatten, diese wieder verfallen sehen mußten; es waren das ungelernte Arbeiter, Taglöhner, deren Organisationen von dem Andrang nichtzünftiger Konkurrenten vom Lande hinweggeschwemmt wurden. Der Rückgang der Landwirtschaft in den Städten mag dazu mit beigetragen haben. Aber auch nichtlandwirtschaftliche Taglöhner hatten ein solches Schicksal. So sind zum Beispiel die Opperknechte (Bauhandlanger), die Weinknechte und Sackträger in Frankfurt gegen Ende des vierzehnten Jahrhunderts (1387) noch zünftig. Aber neben ihnen finden wir schon einige nichtzünftige Taglöhner, so sechzehn Weinknechte, vier Sackträger, zehn Säger und sechs Stangenträger. 1440 sind die Opperknechte als Zunft nicht mehr vorhanden, die Zunft der Weinknechte fristet noch ein kümmerliches Dasein bis ins fünfzehnte Jahrhundert, die der Sackträger bis in die erste Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts, aber die nichtzünftigen Elemente kommen neben ihnen immer mehr zur Geltung.
Diese städtischen Proletarier, die es entweder nie zu einer Organisation brachten oder derselben verlustig gingen, sanken immer tiefer, oft absolut, stets relativ im Vergleich zu den organisierten Gesellen. Immer größer wurde die Kluft zwischen beiden Elementen.
Je größer die Erfolge der organisierten Handwerksknechte waren, desto mehr fühlten sie sich als eine privilegierte Klasse, als Aristokraten, die ebenso verächtlich auf die unter ihnen stehenden Proletarier als »unehrliche Leute« herabblickten wie ihre Meister selbst. Ein Geselle, der »unehrliche Leute« in die Trinkstube mitnahm, wurde bestraft. Wer unter solchen zu verstehen war, haben wir oben gezeigt. Bald sträubte sich der Dünkel der organisierten Arbeiter dagegen, mit den anderen Proletariern den gleichen Namen zu tragen. In der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts finden wir überall, daß sie den Namen »Knecht« mit Entrüstung zurückweisen und den Namen »Geselle« in Anspruchs nehmen. Man sieht darin gern ein Erwachen des »demokratischen Geistes«, einen Versuch, sich den Meistern sozial gleich oder wenigstens ähnlich zu stellen. Wir können diese Auffassung nicht teilen. Gerade solange die Lohnarbeiter Knechte geheißen hatten, waren sie den Meistern sozial viel näher gestanden, denn als »Gesellen«. Jetzt waren sie allerdings über Bauern und Proletarier emporgestiegen, aber nicht so schnell wie die Meister, die ihre Ausbeuter und Herren geworden waren. Im vierzehnten Jahrhundert noch hatten die Knechte zusammen mit den Meistern in denselben Trinkstuben getrunken. Im fünfzehnten Jahrhundert hielten es die Meister bereits unter ihrer Würde, mit Knechten an einem Tische zu sitzen. Diese wurden aus den Trinkstuben der Meister verwiesen und hatten lange Kämpfe um eigene Trinkstuben zu führen. Und da soll ihnen die Idee gekommen sein, sich den Meistern mehr ebenbürtig zu fühlen als früher!
Nein, sie schämten sich, mit den anderen Knechten, die nicht nur nicht den allgemeinen Aufschwung mitmachten, sondern vielfach tiefer sanken, in einen Topf geworfen zu werden. Heute finden wir mitunter in Gewerben, in denen die Arbeiter durch ihre gewerkschaftliche Organisation besondere Vorteile errungen haben – meist qualifizierte Arbeiter, denen bisher weder die Maschine, noch die Frauenarbeit erhebliche Konkurrenz macht –, da finden wir einen ähnlichen Dünkel wie den, der bewirkte, daß die Gesellen den Knechtenamen verwarfen. Es ist noch nicht lange her, daß gar viele unserer Schriftsetzer zum Beispiel sich beleidigt fühlten, wenn man sie für »Arbeiter« erklärte. Sie waren »Künstler«.
Je mehr die Berufsgenossenschaften der Gesellen in verschiedenen Gewerben leisteten, desto mehr verengte sich der Horizont der darin organisierten Arbeiter. Ihre Genossenschaft als die stärkste und mächtigste von allen zu sehen, nicht bloß gegenüber den Meistern, sondern auch gegenüber den Gesellen anderer Berufe, wurde jetzt ihr einziges Streben. Ihre Organisation entwickelt nicht Klassenbewußtsein, sondern engherzigen Kastengeist voll Eifersüchtelei und kleinlicher Eitelkeit.
Anfangs wurden in die Gesellenvereinigungen eines Gewerbes auch Arbeiter anderer Gewerbe, ja Angehörige anderer Stände aufgenommen, die mit den Gesellen sympathisierten. Das hörte später auf. In die Brüderschaft der Schlossergesellen in Frankfurt wurden zum Beispiel aufgenommen:
Von 1402 bis 1471 | 1096 Mitglieder, darunter 27 Nichtgesellen |
Von 1472 bis 1524 | 1794 Mitglieder, darunter 6 Nichtgesellen |
Von 1402 bis 1471 | 35 Gesellen, die nicht Metallarbeiter waren |
Von 1472 bis 1496 | 6 Gesellen, die nicht Metallarbeiter waren |
Von 1496 an wurde überhaupt kein Geselle mehr aufgenommen, der nicht Metallarbeiter war. Bücher, a. a. O., S. 619.
Diese Zahlen könnte man vielleicht auch dadurch erklären, daß sich neben der Schlosserbrüderschaft andere Vereinigungen bildeten, so daß fremde Gesellen es nicht mehr notwendig hatten, in der Organisation der Schlosser eine Stütze zu suchen. Welchen Grad aber die Eifersüchteleien der verschiedenen Gesellenschaften untereinander erreichten, dafür zeugen deren unzählige Streitigkeiten. Bald gab es kaum ein empfindlicheres Ding als die »Standesehre« der Gesellen; sie war fast so zart und gebrechlich wie heute die eines Offiziers oder Korpsstudenten. Nicht hochgradiges Ehrgefühl, sondern hochgradiger Dünkel war der Grund dieser Feinfühligkeit.
Bekannt ist jener Fehdebrief der Leipziger Schusterknechte, den sie 1471 zur Wahrung der beleidigten Standesehre der dortigen Universität zusandten. Ebenso selbstbewußt waren die Bäcker und Buben des Markgrafen Jakob v. Baden, die 1470 den Reichsstädten Eßlingen und Reutlingen einen Fehdebrief sandten. 1477 sagte gar der Koch des Herrn v. Eppenstein zu Münzenberg mit seinen Küchengehilfen dem Grafen zu Solms die Fehde an. C. W. Hering, Geschichte des sächsischen Hochlandes, S. 176. Kämpfe von Arbeitern untereinander finden wir dagegen schon im vierzehnten Jahrhundert. So in Straßburg 1350 die Kämpfe der Weberknechte mit den Wollschlägerknechten, 1360 der ersteren mit den Leinweberknechten. Am hartnäckigsten aber zeigten sich wohl die Bäckergesellen von Kolmar, die 1495 einen Streik anfingen, weil der Rat anderen Gesellenschaften, die ebenso kostbare Kerzen angeschafft hatten wie sie, erlaubte, gleich ihnen am Fronleichnamstag neben dem heiligen Sakrament einherzugehen. Zehn Jahre lang streikten sie, bis sie den Sieg über die Stadt und ihre Mitgesellen errangen. Ähnlicher Fälle gibt es eine Unzahl.
Angesichts einer solchen Borniertheit konnten die Gegensätze zwischen Meistern und Gesellen und die daraus resultierenden Kämpfe, so zahlreich, so heftig sie auch waren, dennoch eine einheitliche Arbeiterbewegung nicht erzeugen und ebensowenig Tendenzen zur Umgestaltung der Gesellschaft. Gerade in den kräftigsten und erfolgreichsten Arbeiterorganisationen entwickelte sich nicht nur das Bewußtsein ihrer Solidarität mit den anderen Arbeitern, das Klassenbewußtsein, sondern vielmehr geradezu ein Gegensatz einerseits zu den anderen mit aufstrebenden Organisationen, deren Erfolge man mit neidischem Blicke betrachtete, andererseits zu der anwachsenden Masse des Proletariats, dem es nicht gelang, eine Organisation zu bilden, und das immer tiefer in Not und Elend versank. Erst die kapitalistische Industrie hat die Organisation der Gesellen zersetzt, diese selbst sozial degradiert und auf eine Stufe mit den anderen Proletariern gebracht. Erst die kapitalistische Produktionsweise hat so die Vorbedingungen eines einheitlichen Klassenbewußtseins der gesamten Arbeiterklasse geschaffen. Ruft sie auch hier und da neue Arbeiteraristokratien hervor, so doch nicht auf allzu lange Zeit. Ihre Tendenz geht nach Nivellierung der gesamten Arbeiterschaft. Eine der größten Umwälzungen, an der sie jetzt arbeitet, geht dahin, auch die privilegierte Stellung der Kopfarbeiter, des »neuen Mittelstandes« zu vernichten, sie den Handarbeitern sozial gleichzustellen, eine Nivellierung so unerhörter und gewaltiger Natur, daß sie gar manchem weisen Manne heute noch als absurde Utopie erscheint, obwohl sie unter seinen Augen bereits begonnen hat.
Die handwerksmäßige Produktion des Mittelalters wirkte nicht so revolutionär. Die organisierten Gesellen waren ein unruhiges, trotziges Völkchen, geübt in den Waffen, eifersüchtig auf ihr gutes Recht und ihre Standesehre. Viel leichter als die modernen Arbeiter waren sie geneigt, sich selbst ihr Recht zu verschaffen durch Niederlegung der Arbeit, durch Unruhen, wenn es sein mußte, durch Waffengewalt. Ihr Gebaren war viel »radikaler« als das des heutigen Proletariats. Die Mehrzahl unserer Anarchisten erscheint gar fromm im Vergleich zu den verwegenen, losen Gesellen des ausgehenden Mittelalters. Aber das betrifft nur ihr äußerliches Gebaren. Ihre Tendenzen waren höchst zahmer Natur. Der »blaue Montag« war wohl die radikalste ihrer Forderungen. Was sollten sie auch die Umwälzung einer Gesellschaft anstreben, in der sie zu den Privilegierten gehörten, an deren Vorteilen sie teilnahmen, wenn auch nicht in dem Maße wie die Meister oder gar die Kaufleute und Fürsten? Wohl wurde ihr Anteil an diesen Vorteilen verhältnismäßig immer geringer, wohl erregten sie erbitterte Kämpfe um Vermehrung ihres Anteils, aber nie stellten sie dabei die Gesellschaft in Frage, in der sie lebten. Wohl mochten sie in revolutionären Zeiten mit anderen, weitergehenden revolutionären Elementen zusammengehen. Auch die Zunftmeister taten dergleichen, wo sie mit der »Ehrbarkeit«, den städtischen Markgenossen und Kaufleuten im Streit lagen. Aber die einen wie die anderen waren gleich unzuverlässig und ermangelten jeder Ausdauer. Der erste Widerstand, die erste Niederlage genügten, daß sie die Erhebung im Stich ließen, deren Ziele ihnen von vornherein nicht sehr am Herzen gelegen hatten und die sie bloß ausnutzen wollten, ihre augenblicklichen Sonderinteressen zu fördern. Es war dieses mit eine der Ursachen, warum die revolutionäre Erhebung von 1525 so rasch zusammenbrach.
Das Ziel einer neuen Gesellschaft, ein soziales Ideal, haben die Gesellenschaften des ausgehenden Mittelalters sich nicht gestellt.
Einen anderen Charakter als die städtischen Handwerksgesellen entwickelten die Bergarbeiter. Im Altertum waren die Bergarbeiter, soweit wir sehen können, ausschließlich unfrei gewesen – Sklaven oder Strafgefangene. Im Mittelalter waren sie freie Männer. Ursprünglich waren sie auch Markgenossen.
Wir haben bereits darauf hingewiesen, daß das Gebiet jeder Markgenossenschaft in zwei Teile zerfiel, die geteilte und die ungeteilte Mark.
Jede Familie in der Markgenossenschaft erhielt im Dorfe ein Stück Land, auf dem ihr Hof stand (Wohnhaus, Wirtschaftsgebäude und Garten), als Sondereigen. Außerdem wurde das Ackerland, die Feldmark aus der gemeinen Mark ausgeschieden und nach bestimmten Regeln an die Familien verteilt. Weide, Wald, Wasser und Weg blieben Gemeinbesitz und bildeten die ungeteilte Feldmark; aber deren Gebiet wurde mit der Zeit eingeschränkt, teils durch die Vermehrung der Bevölkerung, die zur Anlegung neuer Dörfer und zur Aussonderung neuer Feldmarken für diese aus der gemeinen Mark führte, teils durch die Zurückdrängung der Jagd und Viehzucht durch den Ackerbau, was zur Erweiterung der verteilten Feldmark auf Kosten der ungeteilten Mark führte.
Wie der Anteil jedes Genossen an der verteilten Feldmark ursprünglich gleich groß war, so auch sein Anteil an der Nutzung der gemeinen Mark. Die Art dieser Nutzung aber wurde von der Gesamtheit bestimmt. Sie regelte die Benutzung der Viehweide, den Bezug von Laubstreu, Bau- und Brennholz aus den Forsten, endlich auch die Steingewinnung. Jeder Markgenosse hatte das Recht, innerhalb der gemeinen Mark unter gewissen von der Genossenschaft festgesetzten Bedingungen Steine in den Steinbrüchen zu brechen und zu verwenden.
In den meisten Markgenossenschaften blieb die Steingewinnung eine untergeordnete Tätigkeit, die nur in Ausnahmefällen betrieben wurde. Ganz anders in Gegenden, wo Adern von Salz, Eisen, Kupfer oder gar Silber oder Gold zutage lagen und findig wurden, oder, was vielleicht noch häufiger vorkam, wo die eingedrungenen Germanen einen ehedem von Kelten oder Römern begonnenen Bergbau wieder in Angriff nahmen. Dort mußte die Arbeit des Grabens nach den Mineralschätzen und des Brechens und Förderns der kostbaren Erze bald in den Vordergrund treten. Die erwähnten Mineralien wurden überall benötigt und gesucht, aber nur an wenigen Stellen gefunden. Frühzeitig begannen daher die Gemeinwesen, die solche Bergwerksbezirke besaßen, ihre Mineralschätze über ihren eigenen Bedarf hinaus auszubeuten, um den Überschuß an die Nachbargemeinden im Tausch für Produkte derselben abzugeben. Solche Mineralien gehörten also zu den ersten Objekten der Warenproduktion und des Warenhandels.
Die Bergwerksbezirke waren meist im Gebirge gelegen, wo der Ackerbau von vornherein eine geringe Rolle spielte. Je mehr der Bergwerksbetrieb sich entwickelte, desto mehr trat jener hinter diesen zurück. Man bedurfte nicht mehr so viel Ackerlandes wie früher, da man gegen die Produkte der Bergarbeit Lebensmittel eintauschen konnte. Man entzog aber auch dem Ackerbau – und ebenso der Viehzucht – immer mehr Hände, da die Markgenossen immer mehr sich dem Bergbau zuwandten, wenn sich dieser lukrativ gestaltete. Die Produktion für den Selbstgebrauch findet ihre natürliche Grenze im eigenen Bedürfnis. Die Warenproduktion findet ihre Grenze im Bedürfnis des Marktes, und der war für die Produkte des Bergbaus praktisch unbegrenzt, da die wenigen Stellen, an denen Salz und Metalle gefunden und gewonnen wurden, nicht imstande waren, über den Bedarf des Marktes hinaus zu produzieren, der ein ausgedehnterer war, als man glauben sollte. Von Hand zu Hand, von Dorf zu Dorf gingen die wertvollen Materialien ungeheure Strecken weit. Namentlich die Metalle waren, sobald sie zu Waffen, Werkzeugen oder Schmuck verarbeitet worden, verhältnismäßig leicht zu transportieren.
Schon in der Steinzeit finden wir einen ausgedehnten Handel von Horde zu Horde mit Waffen und Schmuck oder Materialien, die zu deren Herstellung dienten. In Frankreich, halbwegs zwischen Tours und Poitiers, findet sich massenhaft guter Feuerstein von honigartiger Farbe und gleichmäßigem Kern. Bei Pressigny-le-Grand entdeckte Dr. Leveillé die Reste eines Werkplatzes, von dem aus ein weites Gebiet mit Werkzeugen aus diesem Feuerstein versorgt wurde. Durch ganz Frankreich und Belgien, auch in der Schweiz, findet man Feuersteinwerkzeuge aus dieser Gegend, die durch ihre eigentümliche Farbe leicht kenntlich sind. In Amerika findet man in den Grabhügeln der Ureinwohner des Mississippitals nebeneinanderliegend Kupfer vom Oberen See, Glimmer aus den Alleghanies, Muscheln vom mexikanischen Golf und Obsidian aus Mexiko. (Lubbock, Die vorhistorische Zeit, Jena 1874, I, S. 74, 77, 187.)
Was heute bloß für die edlen Metalle, ja vielfach nur noch für das Gold gilt, daß es Waren sind, die jeder nimmt, nach denen jeder verlangt, von denen man nie zu viel haben kann, das galt in den Anfängen der Warenproduktion auch für Eisen, Kupfer, mitunter selbst Salz. Der Trieb, sie zu produzieren, war daher maßlos. Kein Wunder, daß der Bergbau überall, wo der Reichtum des Bodens an nutzbaren Mineralien ihn begünstigte, die vornehmste Tätigkeit wurde. Der Ackerbau, der noch lange bloß zur Befriedigung des eigenen Bedürfnisses, nicht zur Warenproduktion betrieben wurde, trat dort hinter ihn zurück.
Ursprünglich waren Gruben nur im Gebiet der gemeinen Mark angelegt worden. Aber wie nun, wenn der Bergbau sich ausdehnte und man in der verteilten Feldmark wertvolle Mineralien fand? Die Feldmark war bloß zu Zwecken des Feldbaus verteilt worden; wurde ein Ackerlos diesem Zwecke entzogen, nicht regelrecht bebaut, so fiel die Verfügung darüber wieder der Markgenossenschaft zu. Dies trat ein, sobald man anfing, in dem Los nach Erzen zu graben. Da aber der Bergbau überall, wo er sich entwickelte, vornehmer wurde als der Ackerbau, genügte es bald, einen Mineralreichtum in der verteilten Feldmark gefunden zu haben, um die betreffenden Äcker und Wiesen wieder der gemeinen Mark zufallen zu lassen. Ja, um das Finden der Mineralschätze mit aller Macht zu fördern, verwandelte schließlich schon die Wahrscheinlichkeit, daß ein Feld Erze enthalte, dasselbe zu einem Bestandteil der gemeinen Mark, bis endlich das Verlangen nach den wertvollen Mineralien auch das Sondereigen des Hofes aufhob. Jeder Markgenosse erhielt das Recht, überall in der Mark, wo immer es sein mochte, nach erzführenden Adern zu suchen und zu schürfen; wurde jemand dadurch geschädigt, so mochte er Entschädigung dafür fordern, wehren durfte er es nicht. »Denn das Bergrecht ist stark und noch König, noch Hertzog, noch Graffen en kan dagegen, wenn sie schon wellen graben in den koelgarten vnd vort bis vnder eines menschen schlafkammer«, heißt es in einem alten Buche der Abtei Steinfeld. H. Achenbach, Das gemeine deutsche Bergrecht in Verbindung mit dem preußischen Bergrecht usw. dargestellt, Bonn 1871, I, S. 71.
Im allgemeinen zeigte die Entwicklung der Markverfassung die Tendenz, die Rechte und das Gebiet des Sondereigens auf Kosten der gemeinen Mark umsomehr auszudehnen, je mehr der Ackerbau gegenüber Viehzucht und Jagd an Bedeutung gewann. In Bergwerksbezirken dagegen, wo der Ackerbau durch den Bergbau an Bedeutung verlor, sehen wir eine entgegengesetzte Tendenz. Das Bergrecht schränkt die Rechte des Sondereigens ein und stellt es in gewissen Punkten der gemeinen Mark wieder gleich.
Die Grubenplätze fielen aber in das Bereich der gemeinen Mark nur, um sogleich wieder aus ihr ausgeschieden zu werden. Die ersten Bergwerke waren höchst primitiver Natur, bloße Tagbaue, einfache Gruben, aus denen man die Erze hervorholte. Einer oder einige wenige Arbeiter genügten, eine solche Grube zu bearbeiten. Sie gemeinsam zu nutzen, wie etwa die gemeine Weide, ging nicht an. Wie die einzelnen Lose in den verschiedenen Feldfluren mußten auch die verschiedenen Grubenplätze einzelnen Markgenossen zur Benutzung überwiesen werden. Da aber die verschiedenen Gruben verschiedenen Ertrag abwarfen und die Zahl der Gruben nicht, gleich der der Ackerlose, eine beliebig vermehrbare war, geschah, um die Interessen der Gesamtheit zu wahren, die Überweisung nur gegen Abtretung eines bestimmten Anteils des Ertrags an die Genossenschaft. Und ebenso wie die Bebauung der geteilten Feldflur unterstand auch die der Gruben der Überwachung und Leitung der Genossenschaft, und so wie ein nichtbebautes Ackerlos an diese zurückfiel, so auch eine verlassene Grube. Sobald der Nutznießer einer Grube aufhörte, sie weiter zu bebauen, verlor er jedes Anrecht an sie.
Das erste Recht aber, mit einer Erzstätte belehnt zu werden, hatte naturgemäß derjenige, der sie gefunden, nicht etwa derjenige, dem der betreffende Platz bis dahin gehört hatte, falls er schon in Sondereigen übergegangen war. Dies Vorrecht des Finders hat sich bis in unsere Tage erhalten.
Bei weniger wertvollen Mineralien ist der Bergbau lange auf einer primitiven Stufe geblieben, bei Eisenstein- oder Kohlengruben zum Beispiel mitunter bis ins neunzehnte Jahrhundert. Der Bergbau auf edle Metalle hob sich jedoch frühzeitig auf eine hohe Stufe der Technik, wie wir noch sehen werden. Immer umfangreicher wurden die Bergwerke, immer komplizierter und gefährlicher. Es wurde immer unmöglicher, daß jeder belehnte Genosse, jeder »Gewerke«, den Bau auf eigene Faust betrieb, wie es ihm am besten paßte. Die verschiedenen Gruben wurden immer abhängiger voneinander, bildeten immer mehr ein einheitliches Ganzes. So ängstlich auch die verschiedenen Gewerken darüber wachten, daß ihre Gruben oder »Zechen« getrennt blieben, daß jedem der Anteil an seinem Gebiet gewahrt werde, der Betrieb wurde immer mehr durch die technische Notwendigkeit ein gemeinsamer. Der markgenossenschaftliche Beamte, der anfänglich den Grubenbau bloß zu überwachen gehabt hatte, der Bergmeister, wurde der Leiter des gesamten Betriebs, den er planmäßig organisierte.
Bergwerke, in denen es so weit kam, waren aber auch so reich, daß ihre Erträge die Gewerken und Markgenossen, welcher Begriff sich in den betreffenden Distrikten anfangs wohl in der Regel deckte, der Bergwerksarbeit immer mehr enthoben, die schließlich gänzlich ihren Knechten oder Knappen zufiel. Die Gewerken wurden nach und nach zu Kapitalisten.
Die Zahl der Knechte nahm in reichen Bergwerken immer mehr zu. Dazu kamen die Arbeiter in den Hütten, in denen die Metalle aus den Erzen gewonnen wurden. Neben diesen wanderten auch immer mehr Handwerker in den Bergwerksdistrikt ein, um das Bergzeug herzustellen, die gewonnenen Metalle zu verarbeiten oder den wachsenden Bedürfnissen der Bevölkerung zu dienen. Auch die Kaufleute fanden reichen Erwerb daselbst durch den Vertrieb der gewonnenen Bodenschätze, ihre Zahl wuchs daher rasch an. So bildete sich um das Bergwerk eine Stadt, eine »Bergstadt«, in der die Markgenossen, die »Berg- und Hüttenherren« nur noch eine Minorität bildeten, eine Aristokratie, zusammen mit den Kaufleuten, die sich wohl zum Teil aus ihnen rekrutierten.
So eigentümlich diese Berggenossenschaften sich auch gestaltet hatten, so blieben sie doch unverkennbar Markgenossenschaften. Feldbau und Viehzucht verloren freilich für sie an Bedeutung. Nächst dem Bergwerk war aber der Wald für sie von höchster Wichtigkeit, denn er lieferte das Brennmaterial für die Hütten, die Erze zu schmelzen und die Metalle zu gewinnen. Wo sich die alte, markgenossenschaftliche Verfassung der Gewerken noch erhalten hatte, traten diese daher auf als Waldgenossenschaft.
Wie sich so die Verfassung einer alten Berggemeinde gestaltete, zeigt uns anschaulich die Darstellung, die Gierke von dem »großen Berggemeinwesen des Harzes mit dem Mittelpunkt Goslar« gibt: Otto Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Berlin 1868, I, S. 443.
»In der Stadtverfassung war die Genossenschaft der Berg- und Hüttenherren (Bergleute und Waldwerken, montani und silvani) eine zwischen Kaufleuten und Gilden (Münzern, Krämern und Handwerkern) stehende bürgerliche Körperschaft und nahm als solche am Stadtregiment teil, entsandte Deputierte zur Aufzeichnung der Statuten und mußte bei jeder Rechtsveränderung vom Rate befragt werden; auch genoß sie. nach dem Stadtrecht die Befreiung von der Pfändung und das Recht erweiterter Selbsthilfe gegen ihre Diener. In bezug auf den Harzforst waren die Waldwerken zugleich eine Markgemeinde, welche auf drei echten Forstdingen zusammenkam und neben Bergbau und Schmelzhüttenbetrieb Holznutzung, Jagd und Fischerei ausübte. Für das gesamte Berg- und Hüttenwesen aber bildete die Gesamtheit aller Bergleute und Waldwerken eine selbständige autonome Genossenschaft, vorbehaltlich einer ursprünglich dem Reichsvogt, später der Stadt Goslar und in specie dem Ratsausschuß der Sechsmänner zustehenden obersten Aufsicht und höchsten Gerichtsbarkeit. Die Gewerken selbst dirigierten daher unter dem von ihnen gewählten Bergrichter oder Bergmeister den Bergbau, sie setzten sich auf ihrer allgemeinen Versammlung zu Goslar, wenn auch unter dem Einfluß des Rates, die Bergordnung, den Bergfrieden, und das Bergrecht; sie sprachen als Schöffen Recht im Gericht des Bergmeisters, das für Schuldsachen und eigentliche Bergsachen die erste Instanz war, von einem montanus aber in allen Sachen zuerst angegangen werden mußte.«
Die Selbständigkeit und Reinheit der Markverfassung hat sich bei den Bergwerksgemeinden indes kaum irgendwo lange erhalten. Das Aufkommen der großen Grundherrschaften brachte sie ebenso in Bedrängnis wie die der Bauern.
Die reichen Bergwerksgenossenschaften hatten freilich ganz andere Mittel, sich ihrer Dränger zu erwehren, als die armen Bauerngemeinden; wir haben auch kein Beispiel davon gefunden, daß die Bergleute im Mittelalter irgendwo der Hörigkeit oder gar Leibeigenschaft verfallen wären. Aber gerade der Reichtum der Bergwerke lockte die Herren an, sie sich zinspflichtig zu machen. Gleich der Jagd erklärten diese Herren den Bergbau für ihr Vorrecht: in manchen linksrheinischen Weistümern wird der Bergbau ausdrücklich dem Wildfang gleichgestellt und dem »gnädigen Herrn« der »Wildfang auf der Erde und in der Erde« vorbehalten. Der größte Grundherr im Lande war aber der König; ihm gelang es von vornherein, eine Reihe von Bergwerken an sich zu reißen; bald machte er Anspruch auch auf die Bergwerke, welche Adlige, Klöster oder Bischöfe an sich gerissen hatten. Die Könige respektive Kaiser in Deutschland erklärten schließlich, niemand dürfe den Bergbau betreiben, der nicht von ihnen belehnt sei. Der Bergbau, zunächst auf Gold, Silber und Salz, wurde für ein Regal erklärt.
Anfangs gelang es auch den Kaisern, ihre Ansprüche, wenigstens zum Teil, geltend zu machen. Achenbach gibt uns in seinem obengenannten Buche mehrere Beispiele davon. So brachte zum Beispiel Friedrich I. im zwölften Jahrhundert mehrere Bischöfe dahin, daß sie ihre Bergwerke als Lehen von ihm annahmen. Aber schon im nächsten Jahrhundert begann der Rückgang der kaiserlichen Macht, indes die der großen Grundherren sich zur landesfürstlichen Gewalt entwickelte. Das Bergregal fiel nun den Landesfürsten zu, und diese wurden bald stark genug gegenüber den kleineren Grundherren und den einzelnen Gemeinden und Genossenschaften, um dies Regal auch vollständig zur Durchführung zu bringen.
Schon Karl IV. hatte sich gezwungen gesehen, das Bergregal der Kurfürsten in seiner Goldenen Bulle anzuerkennen (1356). Karl V. endlich garantierte in seiner Wahlkapitulation I519 den Reichsständen allgemein ihre Regalien.
Die markgenossenschaftliche Verfassung war damals im Bergbau bereits allgemein aufgelöst, wenigstens soweit größere Bergwerke in Betracht kamen. Nicht nur waren an Stelle der frei gewählten, genossenschaftlichen Beamten landesherrliche Beamte getreten, die unabhängig von den Markgenossen und Gewerken den Betrieb des Bergwerks leiteten, Recht sprachen und darüber entschieden, wer mit einer Grube zu belehnen sei, wer nicht; auch die Exklusivität der Markverfassung hatte in bezug auf die Bergwerke ein Ende gefunden. Der Bergwerksbetrieb war mit deren Beschränkungen immer unverträglicher geworden. Er bedurfte immer größerer Arbeitermassen, die man von weither anziehen mußte, da sich in den öden Gebirgsgegenden, in denen die Bergwerke meist angelegt wurden, nur eine spärliche Bevölkerung fand; je kostspieliger und ausgedehnter aber die Bergwerke wurden, desto mehr bedurften sie auch des Zuflusses großer Kapitalien; daher das Bestreben, das Bergwerkseigentum den großen Kaufleuten der Städte zugänglich zu machen. Daß diese Kaufherren in der Regel mit den Fürsten auf bestem Fuße standen, denen sie so oft durch Darlehen aus der Verlegenheit zu helfen hatten, mag auch dazu beigetragen haben, daß die Landesherren ihre Macht dahin geltend machten, das Privilegium der Markgenossen auf Ausbeutung der Bergwerke zu brechen. Die Bergwerke wurden aus den Marken ausgeschieden, die Berge, auf denen sie lagen, wurden für »frei« erklärt. Auf den freien Bergen war der Bergbau jedermann gestattet – vorbehaltlich der Genehmigung des Landesherrn. Nachdem so die Schranken des Eindringens fremder Elemente beseitigt worden, strömte bald, namentlich in den Silber- und Goldbergwerken, ein buntes Gewimmel von Kaufleuten, Wucherern, Abenteurern, Arbeitern, Bettlern zusammen, sein Glück zu erringen. Dadurch erst wurde der rasche Aufschwung der großen Bergwerke ermöglicht.
Jeder Zusammenhang des Bergwerks mit der Mark wurde aufgelöst. Kein Wunder, daß dann die römischen Juristen, die von der Markverfassung ohnehin nichts verstanden, mit dem aus ihr entsprungenen deutschen Bergrecht nichts anzufangen wußten. Erst G. L. v. Maurers epochemachende Forschungen über die Markverfassung haben, wie zu manch anderem sozialem Gebilde, so auch zum deutschen Bergrecht den Schlüssel geboten.
Für einen römischen Juristen bot ein deutsches Bergwerk im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts einen sonderbaren Anblick.
Der Ausbeuter einer Grube hatte an ihr kein volles Eigentums-, sondern bloß ein Nutzungsrecht. Es wurde von einem Beamten des Fürsten, dem Bergmeister, verliehen. Der Belehnte, der Muter, bildete nun eine Gewerkschaft mit vier, später mehr Anteilen oder Kuxen (aus dem tschechischen Kus, der Teil). Eine bestimmte Anzahl dieser Kuxe fiel dem Fürsten zu. Die Kuxe waren verkäuflich.
Bei diesen Idealanteilen am Bergwerk spielt die Zahl 4 eine große Rolle. Nach der Kuttenberger Bergordnung scheint es unzweifelhaft, daß das Bergbaurecht ursprünglich in 4 Idealanteile geteilt wurde, wenn mehrere an dessen Ausbeutung sich beteiligten. Später machte man 8, 16, 32, endlich 4 x 32 = 128 Kuxe daraus, welche Zahl dann zur Regel wurde. Zum erstenmal finden wir sie angedeutet in einer Urkunde von 1327; aber zu Freiberg ist die Ausbeute erst von 1698 an nach 128 Kuxen verteilt worden. (Vergleiche Achenbach, a. a. O., S. 291.)
Der Besitzer eines oder mehrerer Kuxe war ein »Gewerke«. Die Bergwerke wurden also von Aktiengesellschaften betrieben. Ein Kux gab aber kein Anrecht an das Bergwerk, sondern nur an dessen Reinertrag. Dieser wurde unter die Kuxbesitzer verteilt. Ebenso wurden auch die Kosten des Bergwerks unter sie repartiert. Überstiegen die Kosten eine Zeitlang den Ertrag und war ein Gewerke nicht imstande, die ihm auferlegte Zubuße zu leisten, so verlor er seinen Kux, den die Mitgewerken einem anderen übertragen durften. Wurde eine Grube überhaupt nicht mehr abgebaut, dann verlor die Gewerkschaft jedes Anrecht an sie, und dem Fürsten stand es frei, sie weiter zu verleihen.
Aber nicht genug an diesen, den Eigentumsbegriffen des römischen Rechts hohnsprechenden Bestimmungen. Der Betrieb des Bergwerks wurde von den Beamten des Fürsten geleitet, der die Rechte der Markgenossenschaft usurpiert hatte, und die Gewerken hatten äußerst wenig dreinzureden.
Die Bergordnung des Herzogs und Kurfürsten August von Sachsen (gedruckt 1574) nennt im dritten Artikel folgende vom Fürsten eingesetzte Bergbeamte: zwei Bergräte, die alle halbe Jahr mit einem Hauptmann, Oberbergmeister und Bergwerksverwalter die Bergwerke besuchen sollen. »Außerdem haben wir in jeder Bergstadt nach derselben Gelegenheit und Größe des Bergwerks einen Bergmeister und eine ziemliche Anzahl Geschworene, bergverständige Männer, Zehender, Austeiler, Gegenschreiber, Bergschreiber, Hüttenverwalter, Hüttenreuter, Rezeß- und Hüttenschreiber, Silberbrenner und Markscheider gesetzt und verordnet.«
Die Gewerken ernennen (Artikel 42) die Steiger und Schichtmeister, aber nur mit Willen und Zulassung des Hauptmanns, Oberbergmeisters, Bergwerksverwalters und Bergmeisters jedes Ortes. Laut Artikel 44 haben diese Beamten das Recht, die Steiger und Schichtmeister zu entlassen. Der Schichtmeister nimmt die Arbeiter auf und entläßt sie, aber nur mit Einwilligung des Bergmeisters und zweier Geschworenen.
Agricola, dessen Buch wir die letztere Mitteilung entnehmen, Wir haben die deutsche, trefflich illustrierte Ausgabe benutzt: »Vom Bergwergk XII Bücher, darin alle Empter, Instrument, Gezeuge vnd alles zu disem handel gehörig, mitt schönen Figuren vorbildet vnd klärlich beschriben sindt, erstlich in Lateinischer sprach durch den Hochgelerten vnd Weittberümpten Herrn Georgium Agricolam, Doctorn vnd Bürgermeistern der Churfürstlichen statt Kempnitz, jetzund aber verteutscht durch den Achtparen vnd Hochgelerten Herrn Philippum Bechium, Philosophen, Arrzet vnd der Loblichen Vniuersität zu Basel Professoren«, Basel 1557. teilt uns auch des näheren die Funktionen der einzelnen Beamten mit.
Dem Berghauptmann hat jeder zu gehorchen, er ist der oberste Richter. Ihm zunächst steht der Bergmeister. Mittwochs spricht dieser mit den Geschworenen Recht. An den anderen Tagen besichtigt er die Gruben und zeigt an, was darin zu tun sei. Am Sonnabend haben ihm die Steiger Rechnung abzulegen.
Der Bergschreiber schreibt »Zettel für die, so Gruben begehren«, und fertigt jedes Vierteljahr die Rechnungen über Einnahmen und Ausgaben der Gruben für die Gewerken an, über die er Buch führt. Der Zehender nimmt den Geldertrag der Grubenausbeute ein und zahlt davon den Steigern das nötige Geld zum Betrieb der Grube. Den Reinertrag händigt der Austeiler an die Gewerken aus. Ist statt dessen ein Defizit vorhanden, so schreibt der Bergschreiber den Betrag der entfallenden Zubuße auf Zettel, die, nachdem der Bergmeister und zwei Berggeschworene sie anerkannt, an die Tür der betreffenden Gewerken (oder ihrer Vertreter) geschlagen werden.
Der Steiger verwaltet die Gruben und zahlt die Löhne, deren Höhe er mit den Geschworenen zusammen festsetzt. »Zu Zeiten verdingen sie (die Geschworenen) mit den Steigern den Berghäuern etliche Lachter eines Ganges zu hauen, um einen großen oder kleinen Lohn, nachdem das Gestein fest oder lind ist.« (S. 71.) Stoßen die Arbeiter auf unerwartet festes Gestein, so wird ihr Lohn entsprechend erhöht, oder erniedrigt, wenn das Gestein sich lockerer zeigt, als erwartet worden.
Der Schichtmeister endlich leitet und beaufsichtigt die Arbeit in der Grube.
Die Gewerken hatten, wie man sieht, abgesehen vom kommerziellen Teil, der aber bei Silbergruben, deren Ertrag in die Münze ging, auch nicht allzu bedeutend war, kaum irgend etwas anderes beim Bergwerksbetrieb zu tun, als Geld zu zahlen, wenn's schlecht ging, und Geld einzustecken, wenn's gut ging. Freilich meint Agricola (S. 31), die Gewerken sollten auf dem Berg wohnen, um ihre Arbeiter überwachen zu können. Nicht auf den Steiger sollten sie sich verlassen. »Das Auge des Herrn mästet die Pferde.« Die Mahnung des Agricola ist aber für uns nur ein Beweis, daß die Gewerken zu seiner Zeit es bereits liebten, fern von der Stätte zu wohnen, an der ihr Reichtum produziert wurde; sie waren für den Produktionsprozeß überflüssig geworden, dessen Leitung die landesfürstliche Bürokratie in die Hand genommen hatte.
In demselben Maße, in dem die Persönlichkeit der Gewerken für den Betrieb überflüssiger wurde, wuchsen die Ansprüche an ihr Kapital. Ein Bergwerk erfolgreich und mit Glück auszubeuten, wurde bald ein Privilegium großer Kapitalisten, der großen Kaufleute und Bankiers in den Städten.
Die bergmännische Technik entwickelte sich zu Ende des Mittelalters und im Beginn der Neuzeit in auffallender Weise, namentlich in Deutschland, welches damals das »Peru Europas« war, das silber- und goldreichste Land unseres Erdteils.
Die Mühen und Gefahren, damit aber auch die Kosten des Bergbaues wachsen rasch, wenn man in die Tiefe dringt. Der Bergbau nach den meisten Materialien, zum Beispiel Eisen und Steinkohlen, ist daher, wie schon bemerkt, lange Zeit sehr primitiv geblieben. So war zum Beispiel der Braunkohlenbergbau unter dem Erzgebirge bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts zu wenig rentabel, um den Großbetrieb zu ermöglichen. Nur kleine Bergwerke, oft nur Tagbaue existierten dort, in denen der Gewerke selbst mit Weib und Kind Kohle förderte; die Grubenarbeit fand in der Regel nur im Winter statt, wenn die landwirtschaftliche Arbeit ruhte. Die Gewerken waren meist Bauern. (Vergleiche Braf, Studien über nordböhmische Arbeiterverhältnisse, Prag 1881, S. 4.) – Der Griffelschiefer im Meininger Oberland wird heute noch in der primitivsten Weise gewonnen. »... Überall besteht der Betrieb in der Anlage zahlreicher Löcher auf Punkten, wo möglichst nahe an der Oberfläche der beste und am leichtesten zu bearbeitende Griffelstein gewonnen werden kann. Dort geht man diesen bestqualifizierten Gesteinspfeilern nach, lagert den Schutt möglichst nahe an dem Gewinnungsort, und läßt die Arbeit wieder liegen, sobald entweder der Griffelstein durch irgendeine der zahlreichen Störungen des Lagers verworfen ist, oder das Loch wegen sehr unvollkommener oder gänzlich fehlender Wasserführung ersäuft.« Der Betrieb erfolgt durch kleine Pachtgesellschaften von Griffelarbeitern, die in den Brüchen ihr Rohmaterial selbst fördern. (E. Sax, Die Hausindustrie in Thüringen, Jena 1882, I, S. 70.) In ähnlicher Weise haben wir uns wohl ursprünglich jeden Bergwerksbetrieb vorzustellen.
Sobald man tiefer grub, konnte man über gewisse Grenzen mit einfachen Werkzeugen nicht hinaus; die Förderung der Gesteinsmassen wurde mühsam; die Luftzufuhr zu den Gruben begann zu versagen, und dadurch wurde ein weiteres Vordringen unmöglich, unterirdische Gewässer ersäuften die Gruben.
Die Gier nach den edlen Metallen wußte indes alle diese Hindernisse zu besiegen, sie zwängte den Forschungsgeist der Praktiker wie der Gelehrten in ihren Dienst, setzte der in ihren Anfängen begriffenen wissenschaftlichen Technik immer neue, immer größere Aufgaben, trieb sie von einer Erfindung zur anderen, auf daß sie die Kräfte der Natur unterjochten, immer wirksamere Werkzeuge ersännen, immer großartigere Bauten ermöglichten.
So finden wir im sechzehnten Jahrhundert bereits das Bergwesen Deutschlands mit seinen Silber- und Goldgruben auf einer erstaunlichen Höhe der Technik.
Wer sich damit vertraut machen will, findet dazu einen vortrefflichen Führer in dem schon erwähnten Buch des Chemnitzers Georg Agricola.
Für unseren jetzigen Zweck entspricht jedoch besser die Wiedergabe des weniger detaillierten und fachmännischen, aber lebendigeren, übersichtlicheren und kürzeren Bildes, das der Joachimsthaler Pastor Matthesius in seiner »Sarepta« von den technischen Vorkehrungen entwirft, die der Betrieb eines Silberbergwerks zu seiner Zeit erforderte. Johann Matthesius, Bergpostilla oder Sarepta ... Sampt der Joachimsthalischen kurtzen Chroniken biß auffs 1578 Jar, Nürnberg 1578. Das Buch ist eine Sammlung von Predigten, die von 1553 bis 1562 gehalten worden.
Die Wissenschaft war bereits in den Dienst des Bergbaues genommen worden. Theoretisch gebildete Ingenieure hatte die Bergwerke einzurichten und zu leiten. Diese Arbeit überstieg schon bei weitem die Kräfte des einfachen, ungebildeten Bergknappen.
Den Kompaß freilich mußten auch diese anzuwenden verstehen. »Das sind schöne Instrument und Dankens und Preisens wert. Denn sie weisen nicht allein den Wanderleuten auf Erden und den Schiffleuten auf der offenbaren See, sondern auch euch Bergleuten, so ihr mitten in der Erde seid und auf welche Stunde (nach welcher Himmelsgegend) die Gänge streichen und wo ihr zufahren sollt.« Man sieht daraus, welch ein komplizierter, weitverzweigter Bau damals schon ein Bergwerk war, wenn der Bergmann, um sich zurechtzufinden, des Kompasses bedurfte. Namentlich diente dieser aber den Ingenieuren bei ihren trigonometrischen Messungen, um die Grenzen der einzelnen Gruben zu bestimmen (Markscheiden), Ventilationsschachte zu führen und dergleichen. »Sonderlich aber diente er zur edlen Kunst des Markscheidens, der man beim Bergwerk nicht geraten kann, will man anders den Gewerken (Grubenherren) nicht zu Schaden bauen oder bald zum Durchschlagen kommen, Wasser benehmen, Wetter (Luft) bringen und jeden bei seiner Gerechtigkeit schützen und handhaben ... Es müssen die Laien, so von Euklid und der gründlichen Geometrie unterrichtet sein, viel Instrument und Schnüre und Messens haben neben ihrem Pfeffel und Lölhölzel und was dergleichen alter Instrument, Maßstäbe und Schnüre mehr sein. Aber der Triangel und acht auf die Proportion haben, das ist in diesem Fall Meister, wer sich darein schicken kann.« (S. 143.)
Wir sehen da bereits eine Eigentümlichkeit der kapitalistischen Großindustrie sich entwickeln, die Scheidung der Arbeiter in zwei Klassen: auf der einen Seite ungebildete Handarbeiter, an deren physische Kraft, und auf der anderen Seite gebildete Kopfarbeiter, an deren geistiges Können die höchsten Ansprüche gestellt werden.
Eine »Überproduktion an Intelligenz« gab es jedoch im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts noch nicht, wenigstens nicht auf technischem Gebiet, eher auf theologischem. Die Ingenieure liefen noch nicht so zahlreich herum, wie heutzutage, und waren daher hoch geschätzt. So ruft auch Matthesius, man solle »der Künstler Mühe und Arbeit preisen und solche Wunderleute, die mit Wahrheit umgehen, vor einem anderen Bergmann, der nur einen alten Schacht fassen und auszimmern kann, halten lernen. Wie etwan Fürsten und Herren solche künstliche Leut', die Gott und die Natur anderen vorgezogen, auch wissen nach ihrem Wert zu halten. Kaiser Maximilian hat seine Künstler gar wohl gehalten; denn da derjenige, so das Werk zu Innsbruck gesetzt und die Wasserkunst (Pumpwerk) auf dem Kuttenberg angegeben und einen großen See mit einem Instrument wie mit einem Heber und Koster gar trocken abgezogen hat, und von etlichen schlecht gehalten ward und klaghaftig bei dem Herrn Kaiser vorkam, sagte der fromme Kaiser: ›Die Leute wissen nicht mit Künstlern umzugehen‹.
Weil aber gottlob diese und andere freie Künste zu dieser Zeit neben dem Evangelio wieder in die Schulen kommen und viele gute Leute wissen, wozu sie dienen und wie man der Quadrangel und Triangel zur Abmessung der Erden brauchen könne, sollen Bergherrn und Bergstädt feinen Köpfen, die hiezu naturt und geneigt und Lust und Lieb' zu der Mathematiken und den Künsten haben, behilflich und förderlich sein, daß sie solch Markscheiden aus dem rechten Grunde ergreifen und auf nützliche und beständige Instrumente trachten, damit man immer von Tag zu Tag das Wasser und Berg (Gestein) mit leichter Unkost heben könne.«
Die Wissenschaft ward also beim Bergbau schon im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts der Produktion nutzbar gemacht; das Herkommen, der Brauch der Väter, der beim Handwerk eine solche Rolle spielt, ist verbannt, an seine Stelle tritt methodische, wissenschaftliche Forschung als ein revolutionärer Faktor; ihr Zweck ist die beständige Umwälzung der Produktion, die Erfindung immer besserer Instrumente, das heißt solcher, die geringere Unkosten erfordern, die mehr Arbeit ersparen. Das alles sind der modernen, kapitalistischen Großindustrie eigentümliche Züge.
Wie weit unter diesen Umständen das Maschinenwesen damals im Bergbau gediehen war, sieht man aus der folgenden Schilderung des Matthesius: »Bergarbeit ist eine Roßarbeit, und mancher hebt an schweren Berg- und Wasserhaspeln, daß er nicht allein Blut auswirft, sondern zeucht oft auch den Hals gar daran ab, da er mutternackt einen ganzen Tag stehen und das Wasser halten und seine gesetzte Schicht auffahren muß. Nun ist das auch eine Gnade und Gabe Gottes, daß Gott euch den sauren Nasenschweiß, so von der Sünde wegen menschlichem Geschlecht aufgeseilet, dennoch mit nützlichen Instrumenten und Künsten lindert und spannt ein Roß an der Leute Statt und läßt durch Wasser, Wind und Feuer, Wasser und Berg aus den Tiefsten mit schönen Künsten heben und treiben, damit die Unkost auch geringert und die verborgenen Schätze desto eher ersunken und offenbar werden.
Diese Wohltat, daß Vieh und Element frönen und auch ihre Schicht fahren und viele künstlichen Köpfe dem Bergwerk mit ihrer Erfindung nützlich dienen, ist bei Gott dankens- und bei der Welt rühmens- und vergeltenswert. An einem schweren Haspel einen ganzen Tag stehen und viel Umschlag um einen Pfennig tun müssen und oft vom Haspel gerückt und vom Haspelhorn geschlagen zu werden, ist eine saure Nahrung. Desgleichen, da ihrer zween eine Schicht viel Schock Wasser, da ein Zuber fast einen Eimer hält, herausziehen, kost' auch viel Leibs und zeucht einem wieder das Mark aus Arm und Beinen heraus. Nun hat Gott Künstler geben, die ehrliche Vorteil und Hilf' erdacht, daß man Schwengräder, Haspelwinden, Schwengstangen an die Haspel gemacht, damit es etwas leichter und mit einem Vorteil zugehe. Item, daß man runde Scheiben und Räder anrichtet mit ihren Scheibenspillen, Kammrädern, Fürgelegen oder Getrieben und Leisten, damit nicht allein die Arme und Seiten, sondern Füße und der ganze Leib auch Berg und Wasser heraustreten und heben, das ist auch dankenswert. So ist der Göpel auch eine schöne Kunst, da man mit Rossen Berg und Wasser zu Tag austreibt und in einer Schicht mehr herausfördern kann, als an zwanzig Haspeln. Also auch die Roßkunst mit der Premscheibe. Scheibe zum Bremsen, Vergleiche Agricola. So geht es auch leichter und mit künstlichem Vorteil zu, so ihr Wellen und Stempel in die Gruben hängen solltet, daß ihr eure Brustwinden, Kloben und Windstangen habt. Die Gebirger oder Oberländer sollen auch ihre Bulgen (Utres, Schläuche bei Agricola) und ledernen Säcke haben, darin sie Erz von den hohen Alpen im Winter vor die Hütten führen, und ihre Hunde, die solche Säcke (leer) wieder in das Gebirge hinantrecken (ziehen).
Ein geraumer und verwahrter Stollen mit seinem Gerinn und Dreckwerk zugerichtet, ist freilich die schönste Kunst auf dem Bergwerk, denn solcher, der nimmt Wasser und bös Wetter (schlechte Luft) und bringt gut Wetter und gibt leichte Förderung mit Truhen und Hunden; derfür Bergleute unserem Gott auch danken und ihre Steuer, vierten Pfennig und neuntes, willig, schleunig und treulich reichen und dargeben sollen. Wo man aber Stollen nicht anbringen kann, da haben Wasserkünste ihren Preis, wenn man Wasser mit Kannen hebt an der Scheibe oder mit einem Rad, welches die Leute treten, oder da man mit Wasser und Wind das Wasser über sich bringt. Wo Wasser in Gründen fließen, kann man durch ein Zeug das Wasser über sich treiben und' also auf Schlösser und Höhen bringen, wie solche Wasserkünste an vielen Orten angerichtet sind. Da aber die Wasser unter der Erden sollen über sich bracht werden, muß man vom Tage Wasser in die Gruben führen, wie eine solche Wasserkunst in Pithii Bergwerk gedacht wird, da dieser reiche Fundgrübner in der Wasserradstuben vor Leid gestorben ist. Nun haben Künstler hierin viel schöne und werkliche Zeuge erfunden, sonderlich mit Röhrstangen und Pumpenberg, da man mit Leuten, Wasser und Wind die verschroten Wasser auf den Stollen oder zu Tage aushebt. Die »Pumpenberg« heißen bei Agricola lateinisch Fibulae, Bolzen (?). Dieser beschreibt im 6. Buch seines Werkes drei Arten von Gezeugen, die mit Eimern das Wasser schöpfen, sieben Arten Pumpen und sechs Arten »Gezeuge, die mit Stangen Wasser schöpfen«, wie Paternosterwerke und dergleichen, also nicht weniger als 16 Arten von Wasserhebmaschinen.
Ihr Bergleute sollt auch in euren Bergreigen rühmen den guten Mann, der jetzt Berg und Wasser mit dem Wind auf der Platten anrichtet zu heben, wie man jetzt auch, doch am Tag, Wasser mit Feuer heben soll ... Sollte hier eine seitdem wieder in Vergessenheit geratene Art Dampfmaschine gemeint sein?
Zum Beschluß, weil ich eben von Kunststücken rede, soll ich auch als ein Bergprediger Gott danken für die schöne Kunst, daß man gut Wetter durch Windfang, Lutten (bei Agricola Lotten, lateinisch canalis longus, lange Röhre), Gebläse und Fächer in einen Stollen führen oder treiben kann und das böse Wetter herausziehn oder bringen. Es ist ja werklich, daß man auf einem Stollen in der Fürst (Spitze) aus Brettern eine Lotten schlägt, verlutiert oder verklebt oder verstreicht sie mit Lehm oder Letten, damit das gute Wetter oder frische Luft in den Berg ziehn und das bös Wetter unterm Dreckwerk wieder herausschleichen könne, und sonderlich wo man mit einem Blasbalg das böse Wetter hebt, da folgt bald ein gutes an die Statt, weil die Natur nicht leiden kann, daß ein Ort leer, ledig und ohne Luft sei.
Auf dem Kuttenberg soll man das böse Wetter in großen Lutten, wie die Feueressen sind, zu Tag ausführen, wenn man zumal vorm Ort gesetzt Es ist hier das Feuersetzen gemeint. Man entzündete ein Feuer vor dem Gestein, das dadurch mürbe gemacht wurde und zerbröckelte. Ohne gute Ventilation ging das natürlich nicht. hat und dagegen bis in fünfhundert Lachter Ein Lachter ist ungefähr gleich zwei Meter. Also über einen Kilometer tief drang man damals schon in die Erde ein. und weiter gut Wetter in die Schächte bringen, wie man bei uns in Joachimsthal auch neulicher Zeit solche Zeug angerichtet, da man gut Wetter in Röhren durch Gebläse viele hundert Lachter bringt, da man etwan zwei Stollen mit großer Unkost übereinander hat treiben müssen.« (S. 145 ff.)
Matthesius spricht hier bloß vom Bergbau. Aus dem Werke Agricolas kann man ersehen, welche große Anlagen damals der Verarbeitung der Erze dienten, die Stampfmühlen, Schmelzöfen, Apparate zum Scheiden der Metalle und der Verarbeitung der »harten Säfte«, wie Salz, Glas usw. Das Mitgeteilte dürfte genügen, zu zeigen, daß die Arbeit des Bergbaues, wenigstens auf edle Metalle, im sechzehnten Jahrhundert längst den handwerksmäßigen Charakter verloren hätte. Sie bestand nicht mehr aus einer Summe einfacher Handgriffe, die der Bergmann im Laufe der Lehrzeit erlernte, um an deren Schlusse den ganzen Betrieb zu verstehen. Dieser war über das Verständnis des einfachen Arbeiters hinausgewachsen; ein Bergwerk war zu einem großen, komplizierten Organismus geworden, der ausgedehnte und kunstreiche, höchst kostspielige Anlagen bedingte, dessen Getriebe nur wissenschaftlich gebildete Techniker, »Künstler«, zu übersehen und zu leiten, und nur stärkere als menschliche Kräfte in Gang zu halten vermochten, ein Organismus, den zu besitzen und zu erhalten ein Kapital erforderte.
Ein Proletarier hatte unter diesen Umständen keine Aussicht, je eine Grube in einem solchen Bergwerk als eigener Herr abzubauen. Auch kleinere Kapitalisten waren einzeln nicht imstande, die Kosten einer ordentlichen Bergwerksanlage aufzubringen.
Freilich, es konnten sich mehrere zusammentun und eine Gesellschaft, Gewerkschaft bilden, was auch oft geschah. Aber die Anteile (Kuxe) waren nicht immer für kleine Leute erschwingbar. In manchen Zechen Joachimsthals wurde ein Kux um tausend Joachimsthaler verkauft, damals eine bedeutende Summe. (Matthesius, S. 18.) Und der Erfolg war nicht immer günstig.
Die Geologie befand sich damals noch in ihren Anfängen, der Bergbau war daher weit mehr ein Hasardspiel, als er es heute noch vielfach ist. Der Ertrag der Gruben wechselte in ganz unglaublichen Proportionen. Zuzeiten wurden nicht bloß einzelne Gruben, sondern auch ganze Bergwerke verlassen, um später wieder mit Glück aufgenommen zu werden.
Im zehnten Jahrhundert wurden die Silberbergwerke im Harz (zu Goslar) in Betrieb gebracht. In den ersten hundert Jahren war ihr Ertrag ein ungemein reicher. Dann hören wir nur wenig von ihnen, bis wir erfahren, daß ihr Betrieb 1205 wieder aufgenommen wurde, nachdem er längere Zeit eingestellt gewesen.
Im zwölften Jahrhundert begann die Ausbeutung der sächsischen Silberbergwerke, im dreizehnten Jahrhundert die der böhmischen. Wenzel II. von Böhmen behauptete 1295 in seiner Bergordnung, die Gold- und Silbergruben seien allenthalben erschöpft, nur Böhmen ströme von Gold und Silber über. Die Goslaer Bergwerke gingen im Laufe des vierzehnten Jahrhunderts abermals ein und wurden erst 1419 wieder in Gang gebracht, um das Jahrhundert über in Abbau zu bleiben.
Die Meißener Bergwerke blieben ständiger im Betrieb. Aber wie wechselte ihr Ertrag!
Der Ertrag der Marienberger Gruben betrug 1520 258 Gulden; 1521 772 Gulden; 1522 1806 Gulden; 1523 1161 Gulden; 1529 2562 Gulden; 1530 6572 Gulden; nun stieg das Erträgnis rasch, erreichte seinen Höhepunkt 1540 mit 270 384 Gulden und sank dann wieder bis 1552 auf 22 749 Gulden.
In Schneeberg wurde in den aktiven Zechen als Ausbeute (Überschuß über die Betriebskosten) verteilt:
Jahr | Mark Feinsilber |
1511 | 6 192 |
1512 | 59 340 |
1513 | 17 673 |
1514 | 8 127 |
1515 | 14 214 |
1516 | 21 156 |
1517 | 25 324 |
1518 | 9 675 |
1519 | 6 779 |
1520 | 10 787 |
1521 | 774 |
1522 | 6 321 |
1523 | 1 935 |
1524 | 253 |
1525 | 2 515 |
Die verteilte Ausbeute in den aktiven Zechen schwankte also zwischen 59 000 und 250 Mark. Wieviel in den passiven draufzuzahlen war, wissen wir nicht. Jedenfalls gab es in vielen Zechen Jahre mit großem Defizit, wo es hieß, entweder eine große Zubuße leisten oder den Betrieb (oder die Teilnahme daran) einstellen und damit sein in der Zeche investiertes Kapital ganz verlieren.
Ein großer Kapitalist, der es aushielt, machte im Durchschnitt der Jahre wohl einen hübschen Profit. Der kleine Kapitalist wurde leicht zum Bettler. Hatte er aber Glück, erwies sich sein Unternehmen gewinnreich, dann gab es Mittel genug, ihm dasselbe zu verleiden, dank dem Einfluß, den die großen Finanzleute auf die Fürsten und deren Beamte ausübten.
Agricola erzählt uns, viele hielten den Bergbau für unmoralisch wegen folgender Praktiken, die abzuleugnen ihm nicht gelingt: »Wenn sich etwa eine Hoffnung eines Metalls aus der Erde zu hauen erzeigt, so kommt entweder ein Fürst oder Obrigkeit und stoßt die Gewerken derselben Grube von ihrer Besitzung; Artikel 1 der Bergordnung Augusts von Sachsen von 1574 verspricht den Gewerken, daß ihre Teile nicht wieder konfisziert werden sollen, wie so oft geschehen. Ein nettes offizielles Geständnis. oder kommt ein spitzfindiger eigensinniger Nachbar und facht mit den alten Gewerken einen Rechtshandel an, damit er sie zum mindesten eines Teiles der Grube beraube. Oder der Berghauptmann legt den Gewerken schwere Zubuße auf, damit sie von ihren Teilen kommen, wo sie die nicht erlegen wollen oder können und er sie (die Grube), wider alle Billigkeit verloren, an sich raffe und gebrauche. Oder versproßt zuletzt der Steiger den Gang; dann, etliche Jahre hernach, so die Gewerken vermeinen, die Gruben seien nun ganz erschöpft, verlassen, könne er (der Steiger) alsbald das Erz, so verlassen, hauen und mit Gewalt an sich bringen. Überdem ist der ganze Haufe der Bergleute (von den Lohnarbeitern ist da nicht die Rede) von verlogenen, trugsamen und losen Buben zusammengelesen ... Entweder lobt er die Gang fälschlich und mit gedichtem Lob, damit er die Guggis (Kux) zweimal teurer möge verkaufen, denn sie wert sind, oder herwiederumb schilt er sie, daß er dieselben möge wohlfeil erkaufen.« (1. Buch.)
Kein Wunder, daß der Bergbau ebenso verrufen war wie heute die Börse – aber auch ebenso anziehend für die Kapitalisten. Wie diese war auch jener ein Mittel, die kleinen Geldbesitzer, die gern rasch reich werden wollten, zu expropriieren zugunsten der großen Kapitalisten, denen gegenüber natürlich solche Praktiken, wie die erwähnten, nicht gewagt wurden, wie die Fuggern, die die Schwazer Goldbergwerke gepachtet hatten, »Die Augsburger Fugger bezogen allein aus den ihnen in Versatz gegebenen Bergwerken zu Schwaz in Tirol alljährlich 200 000 Gulden; die Gesellschaft der Augsburger Höchstetter erbeutete in diesen Bergwerken zwischen 1511 bis 1517 nicht weniger als 149 770 Mark Brandsilber und 52 915 Zentner Kupfer,« (J. Janssen, Geschichte des deutschen Volkes, II, S. 390.) oder den Zwickauer Kaufleuten Römer, welches Brüderpaar den Löwenanteil aus den Schneeberger Silbergruben einheimste und dadurch seinen Reichtum enorm vermehrte.
»Wer Bergwerk bauen will«, sagt Matthesius (6. Predigt), »der muß Geld oder arbeitsame Hände haben, denn gar Reiche oder gar Arme sollen sich ins Feld legen, schürfen usw.«
Mit anderen Worten, beim Bergbau konnten nur noch ihr Fortkommen finden große Kapitalisten und Proletarier.
In demselben Maße, in dem die alten bergbauenden Markgenossen zu kapitalistischen Gewerken wurden, wandelten sich die Knechte oder Knappen, mit denen die Markgenossen ehedem den Bergbau betrieben hatten, zu Lohnproletariern. Sie arbeiteten nicht mehr mit den Herren zusammen und lebten nicht mehr mit ihnen in ihrem Haushalt, ihrer Familie, Freud' und Leid mit ihnen teilend. Das alte patriarchalische Verhältnis hatte aufgehört. Oft kannten die Häuer kaum die Person des Kapitalisten, für den sie schanzten, etwa eines reichen Kaufmanns in einer fernen Stadt, der von der Bergarbeit keine Ahnung hatte.
Wohl wurde dort, wo der Bergbaubezirk aus der gemeinen Mark ausgeschieden und für »frei« erklärt war, damit für jedermann, auch den Armen, theoretisch die Möglichkeit gegeben, ein Gewerke zu werden. Aber war dies unter den im vorhergehenden Kapitel beschriebenen Umständen schon für einen weniger besitzenden Bürger riskiert, so für einen Besitzlosen tatsächlich unmöglich. Höchstens bot sich hier und da einem Steiger die Aussicht, so hoch emporzuklimmen.
Mit den heutigen Verhältnissen verglichen, war die Lage der Bergknappen zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts allerdings keine ungünstige. Die tägliche Arbeitszeit, die Schichtdauer, betrug nach Agricola (4. Buch) in der Regel sieben Stunden. Die erste Schicht begann um 4 Uhr morgens und dauerte bis 11 Uhr; die zweite dauerte von 12 bis 7 Uhr. Eine Nachtschicht (von 8 Uhr abends bis 3 Uhr morgens) wurde nur in Fällen dringender Not gestattet. Kein Bergarbeiter darf zwei Schichten nacheinander tun, weil er sonst bei der Arbeit einschläft, »so er ob großer und harter Arbeit ist müd worden«.
Nicht bloß an Sonn- und Feiertagen, sondern auch an Sonnabenden wurde gefeiert. Den letzteren Tag sollten die Berghäuer benutzen, ihre Lebensbedürfnisse für die Woche einzukaufen. Die wöchentliche Arbeitszeit betrug also 35 Stunden – sie war noch kürzer, wenn ein Feiertag in die Woche fiel; und an denen war damals kein Mangel. Mitunter gab es aber noch kürzere Schichten, so in Kuttenberg und am Harz sechsstündige. Vergleiche den sehr instruktiven Artikel von H. Achenbach, »Die deutschen Bergleute der Vergangenheit«, in der »Zeitschrift für Bergrecht«, herausgegeben von Brassert und Achenbach. Bonn 1871, 12. Jahrgang, S. 110.
Über die Löhne der Bergarbeiter haben wir in den uns zugänglichen Quellen nähere Angaben nicht gefunden. Wenn wir indes bedenken, daß die allgemeine Lage der Arbeiter zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts in bezug auf materielles Wohlleben eine günstigere war als heutzutage und die Bergarbeiter eine hervorragende Stellung in der Arbeiterbevölkerung einnahmen, dann dürfen wir wohl voraussetzen, daß ihre Löhne relativ gute gewesen sind.
Aber schon zeigte die Lage der Bergarbeiter wie der Lohnarbeiter überhaupt eine Tendenz zum Niedergang. Wir haben oben gesehen, daß beim Bergbau im sechzehnten Jahrhundert bereits die Trennung von Kopfarbeit und Handarbeit eingetreten war. Das verringerte das Ansehen und das Einkommen derjenigen, denen die letztere nun einseitig zufiel. Sie wurden leichter ersetzbar, sie hatten weniger zu lernen, die Herstellungskosten ihrer Arbeitskraft waren verhältnismäßig geringer. Die Arbeitsteilung ging immer weiter und drückte die Lage der Bergarbeiter immer mehr herab.
Ein echter Bergmann sollte gar vielerlei verstehen, aber selten versteht mehr einer die ganze Kunst, klagt Agricola (1. Buch): »Gar wenige wird einer finden, die des Bergwerks vollkommenlichen Verstand haben. Denn einer hat gewöhnlich allein zu schürfen die Erfahrung, der andere zu waschen, ein anderer aber verläßt sich auf die Kunst zu schmelzen, ein anderer verbirgt die Kunst des Markscheidens, ein anderer macht künstliche Gebäu, so ist auch ein anderer des Bergrechts wohl erfahren.«
Bei den verschiedenen Maschinen gab es eine Reihe von Hantierungen, die ein jeder kräftige Mann ohne lange Anlernung verrichten konnte. Bei der Verarbeitung der Erze wurde vielfach bereits Frauenarbeit, sogar Kinderarbeit verwendet, namentlich beim Klauben und Waschen der Erze, wie wir aus dem achten Buch des Agricola ersehen.
Es wuchs die Zahl der Beschäftigungen bei der Bergarbeit, die jeder leicht und schnell ohne Vorbereitung erlernte, die einem jeden mit gesunden Gliedern zugänglich waren.
Was die Ausscheidung der Bergwerke aus der gemeinen Mark juristisch anbahnte, wurde durch die technische Entwicklung der Verwirklichung entgegengeführt, die Zulassung aller zur Bergarbeit.
An Leuten, die von dieser Zulassung Gebrauch machten, fehlte es nicht, an bankrotten, zugrunde gerichteten Bauern und an städtischen Proletariern, die ebenso gern, soweit sie nicht Vagabunden oder Landsknechte wurden, in die Gold- und Silberbergwerke Sachsens, Böhmens, Salzburgs und Tirols zogen, wie bankrotte und expropriierte Existenzen seit 1849 nach Kalifornien. Die meisten Bergleute, meint Agricola, verstehen vom Bergwerk nichts. »Denn gemeiniglich laufen diese aufs Bergwerk, die da viel schuldig seind und nicht zu bezahlen haben; oder Kaufleute, die aufgestanden sind; oder vom Pflug der Arbeit halber, die zu verlassen, gelaufen.«
Luthers Vater, ein Bergmann im Mansfeldischen Bergwerk, war auch ein zugrunde gegangener Bauer.
Wo ein Silberbergwerk in Betrieb kam, strömte rasch eine große Anzahl von Menschen zusammen. So entstand 1471, als auf dem Schneeberg in Sachsen reiche Silberadern findig wurden, dort wie durch einen Zauber eine ganze Stadt. Als 1516 das Bergwerk zu Joachimsthal zur Ausbeute gelangte, sollen mehr als 8000 Bergleute dort zusammengeströmt sein.
An verfügbaren Arbeitskräften fehlte es also nicht. Kein Wunder, daß die Löhne sanken oder wenigstens, trotz der raschen Preissteigerung im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts, nicht stiegen.
Die Gewerken und die landesfürstlichen Beamten halfen dieser Tendenz nach, wo sie nur konnten. Sie drückten nicht nur den Geldlohn nach Möglichkeit, sondern sie zwackten von diesem noch den Häuern durch die verschiedensten betrügerischen Kniffe ein gut Teil ab. So zum Beispiel durch Auszahlung in schlechter Münze oder durch das Trucksystem.
So heißt es aus Schneeberg aus dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts: »Als die Schneeberger Silberausbeute sich dergestalt vermehrte, daß das Metall nicht alles vermünzt werden konnte, fingen die Gewerken an, das ausgeschmolzene rohe Silber auswärts zu verführen und um, geringhaltigere Münzsorten zu verkaufen, mit welchen sie dann die Bergleute bezahlten oder vielmehr betrogen.« E. Herzog, Chronik der Kreisstadt Zwickau, I, S. 201.
Die bereits öfters zitierte Bergordnung Augusts von Sachsen von 1574 hält es für notwendig, in einem eigenen Artikel (47) zu verordnen, daß die Arbeiter in guter Münze gelohnt werden sollen. Artikel 43 verbietet es den Steigern und Schichtmeistern, Arbeiter in Kost zu nehmen.
Gegen das Trucksystem wurden überhaupt zahllose Verordnungen erlassen, ein Zeichen, wie sehr es im Schwange war. Meist wurde freilich nur das Aufnötigen von Waren verboten. So in der Tiroler Bergordnung (Erfindung) von 1510: »Daß kein Arbeiter genötigt oder gedrungen werden soll, Pfenwert (Ware) zur Bezahlung seines Liedlohns zu nehmen, sondern solches soll in eines jeden freien Willen stehen, und ob ein Arbeiter die Pfenwert nicht nehmen und um seinen Liedlohn klagen wollt, so sollst du als unser Bergrichter ihm förderlich, wie Bergwerksrecht ist, nach Laut der Erfindung, Klag' gestatten und Recht ergehen lassen.«
Diese Verordnungen scheinen jedoch in der Regel auf dem Papier geblieben zu sein. Vergessen wir nicht, daß die landesfürstlichen Beamten auf die Lohnhöhe und die Behandlung der Bergleute entscheidenden Einfluß nahmen, daß es also zu Lohndrückereien und Abzwackereien gar nicht ohne ihre Zustimmung hätte kommen können.
Die Arbeiter betrachteten denn auch die Fürsten und ihre Beamten als ebenso große Feinde wie die Gewerken selbst. Mit den kleinen Gewerken hatten sie sogar viele Berührungspunkte, die sie vereinigen. Das Ideal eines Bergarbeiters bestand wohl darin, selbst einmal ein solcher Gewerke zu werden. Wir haben aber gesehen, wie die Fürsten, ihre Beamten und die großen Kapitalisten die kleinen Gewerken ausbeuteten und übervorteilten, ihnen den Zutritt zu reichen Gruben erschwerten, oft unmöglich machten. Damit schmälerten sie auch die ohnehin geringen Aussichten der Bergarbeiter, sich je einmal aus dem Proletariat zu erheben. Die kleinen Gewerken und die Arbeiter hatten dieselben Gegner in ähnlicher Weise wie heute die Handwerker und die Proletarier. Dies führte dazu, daß sie sich mitunter vereinigt gegen ihre gemeinsamen Gegner, die Fürsten und die großen Kapitalisten, erhoben. Namentlich in den Alpenbergwerken finden wir diese Verbindung häufig.
Am engsten war diese Verbindung zwischen Arbeitern und Gewerken in Bergwerken, in denen der Kleinbetrieb sich erhalten hatte, zum Beispiel Eisensteinbergwerken. Der Gewerke arbeitete da selbst mit, beschäftigte vielfach gar keine Lohnarbeiter, sondern nur Familienmitglieder in seiner Grube. Aber auch in solchen Bergwerken entwickelte sich oft ein Gegensatz zwischen Arbeitern und Kapitalisten. Wenn sich zum Beispiel in den Eisenstein gruben der Kleinbetrieb erhielt, so wurden doch die Eisen hütten zu großen Anlagen mit kapitalistischen Zügen, und die Eisensteingruben gerieten bald in völlige Abhängigkeit von den Hütten, so daß die angeblich selbständigen Eigenlehner, die die Gruben bearbeiteten, ebenso die Lohnsklaven der Hüttenherren wurden, wie etwa heute die »selbständigen« Griffelmacher des Meininger Oberlandes die ihrer Verleger.
Die schärfsten Gegensätze zwischen Bergarbeitern und Gewerken bestanden in den Gold- und Silbergruben. Diese unterlagen auch am meisten dem Drucke der landesfürstlichen Bürokratie. Indessen waren gerade in solchen Bergwerken auch die Arbeiter am widerstandsfähigsten.
Die Bergleute waren die einzigen Arbeiter, die schon frühzeitig in Massen zusammenarbeiteten – in dieser Beziehung wie in mancher anderen den Arbeitern der modernen Großindustrie vergleichbar. Schon im Mittelalter wurde die Zahl der Arbeiter in einem großen Bergwerk nach Tausenden berechnet, namentlich in Silberbergwerken, so am Harz, in Freiberg, in Iglau und Kuttenberg, Achenbach, Die deutschen Bergleute der Vergangenheit. später auch im Mansfeldischen usw.
»Die Bergleute im Mansfeldischen Bergwerk«, sagt Bieringen, »kriegen meist alle vierzehn Tage ihre richtige Zahlung in dem Bergamt in Eisleben, da vor Zeiten alle Lohntage in die 18 000 bis 20 000 Talern denen Bergleuten, Köhlern, Bergbedienten usw. ausgeteilet worden.« (Johann Alberti Bieringens S. S. Theol. Cultor. und Mannßfeldischen Landes-Kindes Historische Beschreibung des sehr alten und löblichen Mannßfeldischen Bergwerks, Leipzig und Eißleben 1743, S. 8.)
Zum Unterschied von den modernen Arbeitern waren aber diese Bergarbeiter wehrhaft. Noch 1530 wurde Karl V. zu Schwaz (Tirol) von 5600 wohlbewaffneten Bergleuten empfangen, die vor seinen Augen ein Treffen aufführten.
Von den Mansfeldischen Bergleuten, die in dem thüringischen Aufstand eine besondere Rolle spielten, erzählt uns Spangenberg, es sei über sie 1519 Musterung gehalten worden: »Graf Gebhart zu Mansfeld hat dazumal in Abwesenheit seines Bruders, Grafen Albrechts, so bei Herzog Heinrichen in Braunschweig gewesen, von sein und desselben und zugleich seiner Vettern wegen den Bergleuten anzeigen und befehlen lassen, daß ein jeglicher mit seiner besten Wehr, wann man sie fordern würde, geschickt und bereit sein sollte. Dazu sie sich freudig und willig erboten, und hat sie der Bergvogt zu Eisleben, Bastian Metzelwitz, den 21. September auf die Breite über Wimmelburg zur Musterung beschieden und allda Heerschauung mit ihnen gehalten und sie nicht übel gerüstet gefunden.« Cyriacus Spangenberg, Sächsische Chronica. Frankfurt a. M. 1535.
In diesen wehrhaften Arbeiterbataillonen herrschte ein trotziger, kühner Geist, und sie waren bereit, sich jedem Unrecht, das ihnen widerfuhr, mit Gewalt zu widersetzen. Je schroffer der Gegensatz zwischen ihnen und den Kapitalisten und Fürsten wurde, die das Bergwesen beherrschten, desto häufiger wurden ihre Erhebungen.
Neben den eigentlichen Bergarbeitern scheinen namentlich die Bergschmiede ein trotziges Völkchen gewesen zu sein. Vor alters waren in der Nähe wichtiger Bergbaupunkte Bergschmiede angesiedelt, welche die bergmännischen Werkzeuge (Gezähe) und eisernen Grubengerätschaften anzufertigen hatten. Bereits die (um das Jahr 1300 erlassene) Kuttenberger Bergordnung (I. c. 16) handelt ausführlich von den Bergschmieden, bezeichnet sie als die Hauptunruhestifter auf den Bergwerken und empfiehlt den Schmiedemeistern die sorgfältige Auswahl solcher Gesellen, »die sich weder an Versammlungen oder Verschwörungen oder staatsgefährlichen Bestrebungen (contra nostram rempublicam aliquibus machinationibus) beteiligen«. (Achenbach, Das deutsche Bergrecht, I, S. 204.)
In den Chroniken jener Zeit werden gerade in den letzten Jahrzehnten und Jahren vor dem Ausbruch des Bauernkriegs ungemein zahlreiche Aufstände der Bergarbeiter gemeldet, ein Zeichen, wie gespannt die Situation war.
Als Beispiel sei der Lohnkämpfe in den sächsischen Bergwerken zu dieser Zeit gedacht.
1478 schrieben die Herzöge Ernst und Albrecht von Sachsen an den Rat von Freiberg: »Liebe Getreue. An uns ist gelangt, wie die Arbeiter auf dem Schneeberg und allenthalben in unsern Landen und Fürstentum, da Bergwerk erbaut wird, mehr Lohn fordern, denn ihnen gewöhnlich bisher geben worden ist. So ihnen selbiges gestattet, zugelassen und verduldet würde, möcht Uns und den Unsern merklicher Schade zukünftiglich daraus erstehn und erwachsen. Solchem zuvorzukommen, haben wir in Willen und sind gemeint, mit den Bergverständigen unseres Fürstentums daraus zu bereden, auf daß eine gemeine Satzung, was einem jeglichen Arbeiter nach seinem Verdienst und Arbeit zu geben sei, vorgenommen und gesatzt werden. Darum begehren wir von Euch, Ihr wollet auf Dienstag nach dem Sonntag Okuli bei uns zu Dresden sein, zwei oder drei Bergverständige, die sich auf der Arbeiter Dienst und Lohn verstehen, mit Euch bringen und kommen lassen. Auf den Tag haben wir auch andere mehr von unsern Bergverständigen, aus solcher Ordnung und Satzung zu handeln, vor uns beschieden ... Geben zu Dresden, am Montag nach Reminiszere. Anno Domini 1478.« Abgedruckt bei Klotzsch, Ursprung der Bergwerke in Sachsen, S. 87.
Arbeiter wurden zu den Verhandlungen also nicht beigezogen. Welchen Erfolg diese hatten, wissen wir nicht. Auf keinen Fall dauerte der Friede lange. Bereits aus dem Jahre 1496 heißt es: »So schlugen sie (die Bergleute) 1496, weil man ihnen einen Groschen an ihrem Hauerlohn abrechnen wollte, Richter und Schöppen zu Schneeberg in die Flucht, während ein Teil vom Berg weg, teils nach Schlettau und auf die Lüßnitz, teils nach der Geyer zog, und es mußte der damalige Hauptmann von der Planitz mit Zuziehung des Landvolkes den Schneeberg völlig einnehmen. Doch kehrte ein Teil bereits nach vier Tagen zu seiner Pflicht zurück. Gleichwohl wiederholte sich diese Widersetzlichkeit bereits nach zwei Jahren, so daß sie 1498 den Haspelern und den Jungen geboten, wenn sie nicht in Stücke zerhauen sein wollten, ihnen nachzufolgen, und sich entschlossen, den Zwickauern und Plauischen, welche man gegen sie aufgeboten hatte, entgegenzuziehen, doch endlich durch gütliches Zureden beruhigt wurden.« Benseler; Geschichte Freibergs und seines Bergbaus, Freiberg 1843, II, S. 389. Vergleiche Herzog, Chronik von Zwickau, II, S. 158.
Im Jahre 1496 empörten sich auch die Kuttenberger Bergleute wegen Lohndifferenzen, zogen gewaffnet aus und schlugen unter Aufpflanzung von Fahnen ihr Lager auf einem benachbarten Berge auf. Indessen mußten sie schließlich nachgeben.
Aus Joachimsthal haben wir Nachrichten über Bergarbeiterbewegungen kurz vor dem Ausbruch des »Bauernlärms«.
1516 kam das Bergwerk in Aufschwung. In seiner »Chronica der freyen Bergstadt im Joachimsthal von 16 Jar an bis auff das 78. Jar« berichtet Matthesius von einem Aufstand schon aus dem Jahre nach Eröffnung des Bergwerks. 1517 war »das erste Aufstehn der Bergleute, da sie ins Buchholz gezogen am Tage Margarete«.
Aus dem Jahre 1522 wird berichtet »das andere Aufstehn, da man auf den Türkner gezogen«.
Und schon wieder 1524: »das Aufstehn der Bergleute, Sabbato nach Kantate, welches durch Graf Alexander von Leißnick vertragen wird«.
Indessen entsprang aus allen diesen Kämpfen bei den Bergarbeitern ebensowenig als bei den Handwerksgesellen eine in ihren Zielen revolutionäre Bewegung.
Ist auch der Bergbau im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert technisch und ökonomisch viel mehr entwickelt gewesen als irgendein anderer Produktionszweig jener Zeit, war er auch der kapitalistischen Großindustrie am nächsten gekommen, so sind doch nicht seine Arbeiter die Leiter und Vorkämpfer des Proletariats geworden.
Die Ursache davon suchen wir in dem Charakter des Bergbaus. Er isolierte seine Arbeiter in unwegsamen Gebirgstälern, fern vom Weltverkehr, fern von den Anregungen der Handelsmittelpunkte. Manche der alten Goldbergwerke in den Tauern befanden sich in der Gletscherregion. Die Arbeit sonderte die Bergleute ab von ihren Berufsgenossen in anderen Gegenden, sie sonderte sie ab von den übrigen ausgebeuteten und unterdrückten Volksschichten, sie verengte ihren Horizont oder hinderte wenigstens seine Erweiterung und beschränkte ihr Interesse auf die kleinlichsten lokalen und beruflichen Angelegenheiten.
Wohl waren sie ausgebeutet und unzufrieden, wohl scheuten sie sich nicht, ihr Recht mit den Waffen in der Hand zu behaupten, wohl zeigten sie sich bereit, sich einer revolutionären Bewegung anzuschließen, ja ihr voranzugehen, aber nur dann, wenn ihre beschränkten Augenblicksinteressen gerade mit dem Interesse der Gesamtbewegung zusammenfielen. Sie ließen diese und deren Führer unbedenklich im Stiche, sobald man ihren besonderen Augenblicksinteressen genügte, sobald man sie in bezug auf Lohn- und Arbeitsverhältnisse befriedigt hatte.
Dank ihrer Abgeschlossenheit haben die Bergarbeiter den zünftigen Partikularismus fast noch schärfer entwickelt als die städtischen Handwerksgesellen, sie haben ihn am längsten bewahrt, bis unsere Zeit ihm ein Ende macht. Heute liegt der Schwerpunkt des Bergbaus nicht mehr in der Förderung von Gold und Silber, sondern in der von Kohle und Eisen. Deren Förderstätten bilden nicht mehr abgelegene Waldgebirge, durch Schienenstränge sind sie mit der Gesamtindustrie und dem Weltmarkt aufs engste verbunden. Da muß der Partikularismus der Bergarbeiter immer mehr weichen.
Noch weniger als Handwerksgesellen und Bergarbeiter waren natürlich die unorganisierten Proletariermassen imstande, eine wirklich revolutionäre Politik zu entwickeln und zäh und konsequent zu verfolgen. Sie fühlten sich nicht als neue, aufstrebende Klasse, sondern als Zersetzungsprodukte herabkommender Klassen. Mit diesen verbanden sie ihre Sympathien, vor allem mit den Bauern, in deren Gefolge wir sie häufig finden. Sie blieben unfähig, sich eigene Ziele zu stellen, zu schwach, ein Ziel auf eigene Faust zu verfolgen, zusammenhanglos, mißhandelt, eingeschüchtert wie sie waren. Wohl beseelte sie eine tiefe Unzufriedenheit mit dem Bestehenden, aber wir können darauf bloß schließen aus der Bereitwilligkeit, mit welcher sie sich jeder revolutionären Erhebung anschlossen. Sie waren stets bereit, gemeinsame Sache mit den Bauern zu machen, denen sie so nahe standen, sobald diese sich empörten; auch an einer kommunistischen Bewegung nahmen sie teil, wenn diese gerade irgendwo obenauf gelangte. Aber die Initiative zu einer solchen, überhaupt nur die Idee einer gesellschaftlichen Umgestaltung konnte von ihnen noch nicht ausgehen.
Weder die Bergarbeiter, noch die Handwerksgesellen, noch die unorganisierten städtischen Proletarier waren berufen, die Träger der Anfänge der kommunistischen Arbeiterbewegung zu sein. Nur eine Arbeiterschicht gab es, welche die Verhältnisse nicht nur für kommunistisch Tendenzen empfänglich machten, sondern der sie gleichzeitig die nötige geistige Anregung gaben, aus diesen Tendenzen ein neues Gesellschaftsideal herauszuarbeiten, der sie aber auch die nötige Energie verliehen, an diesem Ideal festzuhalten in Zeiten, in denen seine Erreichung völlig aussichtslos erschien. Diese Arbeiter waren die der Textilindustrie, namentlich die Wollenweber.
Natürlich ist das Gesagte cum grano salis zu verstehen. Wenn man heute behauptet, und zwar mit Recht, daß das industrielle Proletariat der Träger der sozialdemokratischen Bewegung sei, so ist damit nicht gemeint, daß nicht auch Mitglieder anderer Klassen, Kleinbürger, Literaten, Fabrikanten usw., an ihr teilnehmen und oft sehr energisch teilnehmen können. Manche derselben können sogar in den Vordergrund der Bewegung treten. Es ist damit aber auch nicht gemeint, daß jeder industrielle Proletarier Sozialdemokrat sei.
Mit einer ähnlichen Einschränkung ist auch der Satz aufzufassen, daß die Arbeiter der Textilindustrie die Träger der Anfänge der kommunistischen Arbeiterbewegung waren. Wir werden noch andere Elemente in ihr tätig sehen; auch wäre es absurd, behaupten zu wollen, jeder Weber sei Kommunist gewesen. Aber soweit wir diese Bewegung zurückverfolgen können und soweit wir zuverlässige Nachrichten über sie haben, finden wir stets Weber in hervorragendem Maße in ihr tätig, an ihr beteiligt, was doch kaum Zufall sein dürfte.
Unseres Erachtens erklärt sich diese Erscheinung ohne große Schwierigkeit, wenn man die Anfänge der Wollenindustrie betrachtet.
Von den anderen Textilindustrien, der Leinen-, Baumwoll- und Seidenindustrie, sehen wir hier ab, weil sie an internationaler Bedeutung im Mittelalter sich mit der Wollenindustrie nicht messen können. Wo die Leinen- und Barchentweberei zu Exportindustrien wurden, wie in Ulm und Augsburg, zeigten sie im wesentlichen dieselben kapitalistischen Eigentümlichkeiten wie die Wollenindustrie. Ebenso die italienische Seidenindustrie. Vergleiche über diese Romolo Graf Broglio d'Ajano, Die venetianische Seidenindustrie und ihre Organisation bis zum Ausgang des Mittelalters, Stuttgart 1893.
»Unter allen Gewerben Deutschlands nimmt die Wollenmanufaktur von jeher den ersten Rang ein. Durch sie wurde im Mittelalter die Kraft und Blüte des deutschen Bürgertums bedingt. Auf der Einfuhr der ihr nötigen Rohstoffe und der Ausfuhr ihrer Fabrikate ruhte die Seemacht der Hansa und der ehemalige deutsche Welthandel. Dem durch sie verbreiteten Wohlstand verdankt das Deutsche Reich in den letzten Jahrhunderten des Mittelalters zum Teil seine Macht und seine Weltstellung ... Die Entwicklungsgeschichte der deutschen Wollenindustrie umfaßt deshalb mehr als die Entwicklung eines vereinzelten Zweiges des Gewerbefleißes; sie ist zugleich eine Geschichte der wirtschaftlichen Kultur Deutschlands. Ja, es spiegelt sich in ihr der Gang unseres nationalen Lebens ab.«
Mit diesen Worten beginnt eine Abhandlung Hildebrands »Zur Geschichte der deutschen Wollenindustrie«. In Hildebrandts Jahrbüchern, Jena 1866, 6. Band, S. 186 ff. Mit einer gewissen Einschränkung ist das da Gesagte kaum übertrieben, der Einschränkung nämlich, daß Deutschlands Stellung im Welthandel nicht allein durch seine Wollenindustrie, sondern auch durch seinen Bergbau bedingt wurde, der zeitweise zumal im Beginn des sechzehnten Jahrhunderts, das wirtschaftliche Leben Deutschlands noch stärker beeinflußte als die Wollenindustrie.
Tatsache ist, daß diese die erste Exportindustrie Deutschlands, ja der Länder der abendländischen Christenheit überhaupt bildete.
Neben Leder und Fellen diente im Mittelalter Leinwand zur Bekleidung. Wollstoffe waren ein Luxus, den anfangs nur die Vornehmsten sich erlauben konnten. Die Leinweberei war urwüchsige Familienindustrie. Die Frauen in der Familie und im Fronhof stellten die für den Selbstgebrauch nötige Leinwand her. Die Wollenverarbeitung mußte dagegen, sobald sie sich nur einigermaßen entwickelt hatte, aufhören, Familienindustrie zu sein, denn sie erfordert größere Anlagen, Färbehäuser, Walkmühlen, Schergaden usw. Diese zu errichten, waren nur größere Organisationen imstande, Klöster, städtische Gemeinden oder Zünfte.
Die ersten männlichen Weber finden wir in den Klöstern. Diese waren es wohl auch, die zur Verbreitung der Wollenweberei in Deutschland am meisten beitrugen, wie denn die Klöster in den Anfängen des Mittelalters überhaupt die Träger des technischen Fortschritts in Industrie und Landwirtschaft gewesen sind. Nichts ist falscher als die »aufgeklärte« Anschauung, die Mönche hätten ihre Herrschaft durch Beten und Evangelienabschreiben errungen.
Im Kloster zu Konstanz werden schon im neunten Jahrhundert Walker und Schneider erwähnt. Die Mönche lehrten die Umwohner des Bodensees Wolle weben und sich in Wollentuche kleiden. C. G. Rehlen, Geschichte der Handwerke und Gewerbe, Leipzig 1856, S. 97 Im elften Jahrhundert wird die Weberei in den Statuten und Regeln der Klöster noch nicht besonders hervorgehoben. Aber im zwölften Jahrhundert hat sie für die Klöster schon eine solche Bedeutung erlangt, daß in den Klosterregeln dieses Jahrhunderts der Wollhandel, die Behandlung der Wollvorräte und das Weben selbst als regelmäßige Beschäftigungen der Klosterbrüder hervortreten, »so vor allem in den Beschlüssen und Regeln des Zisterzienserordens, die dem zwölften Jahrhundert angehören.« (Schmoller, Die Straßburger Tucher- und Weberzunft, S. 301.) Die Zisterzienser machten in der Tat die Tuchfabrikation zu ihrer Spezialität. »Im Beginn des zwölften Jahrhunderts in den westlichen Grenzlanden des Deutschen Reiches, den Sitzen ausgebreiteter und berühmter Tuchindustrie gegründet, dehnt sich dieser Orden rasch nach Osten aus. Wir finden in Zisterzienserklöstern in Brabant, in Thüringen (in Altenzelle), in Schlesien die Tuchmacherei für den Verkauf, und da sie auch Laien zu Lehrlingen und Gesellen nahmen, kann es nicht gefehlt haben, daß manche Vorteile der Brabanter Weber auch in dem inneren Deutschland bekannt wurden.« Hildebrand, Zur Geschichte der deutschen Wollenindustrie, S. 216. – Daß sich die Kirche auch sonst befliß, nützliche weltliche Kenntnisse zu verbreiten, zeigt die Anfrage, die der heilige Bonifazius an den ebenso heiligen Vater in Rom richtete, wie der Speck am zuträglichsten zu genießen sei. Der Papst, Zacharias mit Namen, antwortete, er finde in den Kirchenvätern nichts über diese für das Wohl der sündigen Menschheit so wichtige Frage. Seiner Ansicht nach solle man den Speck nur genießen, wenn er tüchtig durchgeräuchert oder gebraten sei. Wolle man ihn aber roh genießen, dann möge dies erst nach Ostern geschehen. (Vergleiche A. Schlossar, Speise und Trank vergangener Zeiten in Deutschland, S. 9.)
Außer in den Klöstern entwickelte sich aber rasch auch in den Städten die handwerksmäßige Wollenweberei, zuerst in den Niederlanden, wo sie schon im zehnten Jahrhundert aufzublühen begonnen hatte.
Die neue Industrie war eine Luxusindustrie. Wollene Stoffe blieben lange nur den vornehmeren und reicheren Bevölkerungsklassen zugänglich; als im fünfzehnten Jahrhundert auch bei Handwerkern und Bauern eine Nachfrage nach Wollstoffen entstand, galt dies als Zeichen des großen Luxus, der sich in den unteren Ständen breitmache.
Feine Tuche waren hochbezahlte Luxusartikel. Als solche lohnten sie weiten Transport, konnten also Gegenstand des Exports werden. Der Markt dafür war ganz Europa. Kein Wunder, daß, wo die nötigen Vorbedingungen zusammentrafen, wo sich besonders guter Rohstoff in Massen vorfand und gleichzeitig die Technik die nötige Höhe erreichte, die Tuchindustrie sich leicht zur Exportindustrie entwickelte.
Zuerst war dies der Fall in Flandern. Flandrische Tücher waren schon im dreizehnten Jahrhundert in ganz Europa berühmt. In Flandern entwickelte sich frühzeitig die Wollenweberei. Den flämischen Webern stand aber nicht nur die Wolle zu Gebote, die das eigene Land in großer Menge produzierte, sondern auch die englische Wolle, die beste damals bekannte Wolle. England selbst entwickelte erst spät seine Wollenindustrie. Hier eine Bemerkung; die nicht zum obigen Thema gehört, uns aber nicht unwichtig erscheint. Hildebrand weist in seiner bereits genannten Abhandlung darauf hin, daß sich die Wollenmanufaktur (später, in der kapitalistischen Zeit) namentlich in jenen Ländern entwickelt hat, die zur Schafzucht geeignet sind, so Norddeutschland, Sachsen, England. Der Weinbau dagegen scheint die Schafzucht und damit die Wollenmanufaktur in ihrer Entwicklung gehindert zu haben, so in Südwestdeutschland (a. a. O., S. 232, 233). Vielleicht könnte man noch weiter gehen und sagen: Die Schafzucht begünstigt den landwirtschaftlichen Großbetrieb in der Form der Weidewirtschaft. In den Ländern, welche die Schafzucht lohnten, entwickelte sich daher mit dem Aufblühen der kapitalistischen Wollenindustrie auch zuerst die Möglichkeit eines kapitalistischen Großbetriebs in der Landwirtschaft; in diesen Ländern hatten die Grundherren am meisten Anlaß, die Kleinbauern zu expropriieren, große landwirtschaftliche Betriebe zu bilden. Der Weinbau dagegen begünstigte den Kleinbetrieb. Wo er gedieh, war es profitabler für die Grundherren, ihre Bauern durch Steigerung der feudalen Lasten auszubeuten, als ihre eigenen Betriebe durch Legung von Bauern zu vergrößern. In den weinbautreibenden Gegenden, Süddeutschland, verschiedene Teile Frankreichs usw., erhält sich daher das Kleinbauerntum. Die verschiedenen Formen des Grundbesitzes in den genannten Ländern erklären sich also aus den verschiedenen Produktionsformen, die sich dort entwickelten.
In vielen Städten blieb die Wollenindustrie ein Handwerk, das nur für den lokalen Markt arbeitete, wie die anderen Handwerke in der Regel auch. Aber auch dort geriet sie in Abhängigkeit vom Weltmarkt, denn der innere Markt wurde ihr streitig gemacht durch die auswärtige Konkurrenz, und wurde dadurch ein Stückchen Weltmarkt. Dieser wurde daher für die Wollenindustrie auch dort maßgebend, wo es ihr nicht gelang, ihren lokalen Charakter abzustreifen und zur Exportindustrie zu werden. Damit gerieten die Tuchproduzenten jener Gegenden aber in Gegensatz zu den Kaufleuten, die Tücher importierten und ihnen so Konkurrenz machten. Es war dies nicht die herkömmliche Feindschaft der Masse der Bevölkerung als Konsumenten gegen die Kaufleute, sondern ein ganz besonderer Gegensatz zwischen Produzenten und Händlern. Während die Masse der Bevölkerung den Kaufleuten um so feindlicher gesinnt ward, je höherdiese ihre Preise absetzten, wuchs der Ingrimm der Wollenarbeiter um so mehr, je billiger die Kaufleute ihre Waren, die fremden Tücher, auf den Markt brachten.
Es entwickelte sich aber noch ein anderer Gegensatz der Wollenarbeiter gegen die Kaufleute: neben dem zwischen zwei Konkurrenten entstand der Gegensatz des Ausgebeuteten zu dem Ausbeuter. Wo die Wollenindustrie Exportindustrie wurde, ward ein Kapital notwendig, sie zu betreiben. Man verkaufte ja nicht mehr direkt an den Käufer. Die Ware mußte weite Reisen machen, mitunter von Markt zu Markt wandern, ehe sie losgeschlagen wurde; in der Zwischenzeit, hatte sie manche Gefahr zu bestehen. Es dauerte lange, bis der Erlös für die Ware heimkam. Wo die Wollenindustrie Exportindustrie wurde, mußte man aber auch bald anfangen, den Rohstoff; die Wolle, von weiter her zu beziehen. Die nächste Umgebung reichte nicht aus, den steigenden Bedarf an Wolle zu befriedigen. Und je mehr sich die Industrie entwickelte, je mehr die Konkurrenz wuchs, je größer die Ansprüche an die Feinheit und Güte des Tuches wuchsen, desto sorgfältiger wurde man in der Auswahl des Rohstoffes. Nur wenige Gegenden erzeugten genügend gute Wolle. Die beste kam, wie schon bemerkt, aus England. Die Rohstoffe wurden immer teurer, je fernerher sie bezogen wurden, und immer größere Vorräte von ihnen mußte man anlegen. Das im Rohstoff anzulegende Kapital wuchs, und dessen Umschlag verlangsamte sich in demselben Maße, in dem der Export sich ausdehnte. Entweder mußte also der Tuchproduzent selbst ein Kapitalist werden, oder er wurde abhängig vom Kaufmann, der ihm die nötigen Vorschüsse machte. In beiden Richtungen ist die Entwicklung vor sich gegangen. Der Wollenarbeiter wurde entweder zum Hausindustriellen im modernen Sinne herabgedrückt, zu einem Hausarbeiter mit einem Gesellen oder ohne einen solchen, der das Rohmaterial vom Kaufmann erhielt und an diesen sein Arbeitsprodukt wieder gegen entsprechende Löhnung ablieferte, oder der Tuchproduzent wurde Kapitalist, der eine größere Anzahl Gesellen beschäftigte und nicht nur die Produktion, sondern auch den Handel in die Hand nahm. Nicht immer war es der Webermeister, dem es gelang, sich zu dieser Stellung emporzuschwingen; oft ein anderer Handwerker, der an der Herstellung des Tuches mitwirkte. Die Wolle hatte die verschiedensten Prozesse durchzumachen, ehe das Tuch fertig war, Prozesse, die sich immer mehr verselbständigten und verschiedenen Handwerken zufielen. In Straßburg zum Beispiel trennten sich im vierzehnten Jahrhundert zuerst die Wollschläger, von den Webern; sie hatten die Wolle zu reinigen, herzurichten und zu verspinnen. Das Garn kam dann zum Weber. Vom Webstuhl gelangte das Tuch in die Walke; auch die Walkerei wurde im vierzehnten Jahrhundert ein eigenes Gewerbe. Ebenso das Handwerk der Tuchscherer, die das Tuch nach der Walke zu bearbeiten hatten. Am spätesten löste sich die Wollenfärberei von der Weberei los. Erst in der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts beginnt die Färberei als selbständiges Gewerbe aufzutreten, und bis ins sechzehnte Jahrhundert hinein färbten viele Tuchmacher ihre Tücher selbst.
Jedes dieser Gewerbe war technisch von den anderen abhängig, jedes suchte die anderen auch in ökonomische Abhängigkeit von sich zu bringen. Namentlich zwischen den Wollschlägern und Webern entspann sich ein lebhaftes Ringen. Hier und da, zum Beispiel in Schlesien, gelang es den Webern, die Wollschläger von sich abhängig zu machen, meistens aber waren es diese, die die Weber zu ihren Knechten machten. Aus den Wollschlägern entwickelte sich eine Aristokratie von Wollhändlern, die die Wolle bei ärmeren Meistern des eigenen Gewerbes oder durch Knechte im Hause herrichten und verspinnen ließen, um sie dann auch durch Knechte oder durch selbständige Hausindustrielle verweben zu lassen. Bereits zeigen sich Anfänge des Manufaktursystems, am ersten ausgebildet in den Klöstern, die alle zur Herstellung des Tuches notwendigen Teilarbeiten in einem Hause vereinigten. Aber auch im Handwerk finden wir seit dem fünfzehnten Jahrhundert hier und da, daß die Tucher neben Wollschlägerknechten auch Weberknechte in ihren Häusern arbeiten ließen. Wir finden ferner eine weitgehende Arbeitsteilung in der Weberei in der Weise, daß jeder Wollenweber eine Spezialität webte; die Wollenweberei zerfiel in fünf bis sechs Unterabteilungen; eine andere Arbeitsteilung trat in der Wollschlägerei ein, deren verschiedene aufeinanderfolgende Verrichtungen verschiedenen Arbeitern zugewiesen wurden, infolgedessen Aufhören des zünftigen Wollschlägergewerbes, Zuteilung der verschiedenen Verrichtungen desselben an unzünftige, zum Teil auch ungelernte Lohnarbeiter, an Landleute, Frauen und Kinder. Dem kapitalistischen Charakter der Tuchindustrie entspricht es auch, daß sie den Stücklohn frühzeitig entwickelte. Es kam auch stellenweise schon dahin, daß der Stücklohn schädlich wirkte und daher wieder abgeschafft wurde, so in Ulm 1492 durch einen Ratsbeschluß, »weil die Eilfertigkeit der Güte Eintrag tue«. Das schöne System der Strafabzüge, wodurch der moderne Kapitalist die bestmögliche Qualität bei schleunigster Arbeit erzwingt, war im finsteren Mittelalter nur wenig entwickelt.
Außer dem Stücklohn bezeugt den kapitalistischen Charakter der Tucherei der Umstand, daß die Weberknechte sich oft schon verheirateten, ungleich den meisten anderen Handwerksgesellen, aber gleich den modernen Proletariern. Der Weberknecht gehörte in diesem Falle nicht mehr zur Familie des Meisters.
Die Wollenindustrie ist auch diejenige städtische Industrie, in der der technische Fortschritt am raschesten vor sich ging. Wir haben schon darauf hingewiesen, daß sie frühzeitig einen verhältnismäßig großen technischen Apparat erforderte. Dieser Apparat gestaltete sich um so umfangreicher, je mehr sich die Arbeitsteilung entwickelte, die durch die Produktion für den Export, die Massenproduktion, sehr gefördert wurde.
Zunächst mußte die rohe Wolle gereinigt werden. Dazu war eine Wollküche erforderlich. Dort wurde sie durch die Wollschläger gereinigt und gelockert. Hierauf mußte sie zum Verspinnen in gleichmäßige Flocken verteilt werden. Das geschah meist durch ein selbständiges Handwerk, die Wollkämmer, oder durch Frauen. Mitunter verrichtete man es in eigenen Häusern, den Kämmhäusern.
Vom Wollkämmer kam die Wolle zum Spinner. Das Spinnen wurde entweder durch eine eigene Zunft besorgt oder durch das Gesinde der Weber oder durch Außerzünftige, namentlich Frauen. Das Spinnrad war im sechzehnten Jahrhundert bereits völlig eingebürgert.
Vom Spinner kam das Garn zum Weber, der es auf dem Webstuhl verarbeitete, von diesem zum Walker in die Walkmühle. Diese waren im Mittelalter allgemein. Waren die Tücher aus der Walkmühle gekommen, dann wurden sie auf Rahmen gespannt, um getrocknet zu werden. Dazu waren eigene Plätze erforderlich. Hierauf nahmen die Karder die Tuche in Arbeit, die mit den Kardenbürsten die Fäden auflockerten, worauf die Tuchscherer die aufgelockerten Fäden abschnitten. Dazu bedurften sie eigener Vorrichtungen, der Schergaden. Dann kamen die Tuche in den Bleichgarten zur Bleiche oder ins Färbehaus, mitunter auch schon zum Tuchdrucker (im Steuerregister von Augsburg wird 1490 ein solcher verzeichnet).
Endlich finden wir noch Manghäuser für die Tücher erwähnt; es scheint also, daß diese auch geglättet und gepreßt wurden wie heute die Leinwand. B. Hildebrand, Zur Geschichte der deutschen Wollenindustrie. Hildebrands Jahrbücher, 1866, VII, S. 90 bis 98.
Ein Teil dieser Apparate war so umfangreich und kostspielig, daß sie der einzelne gar nicht erwerben. konnte. Sie waren Besitztum entweder der Städte oder der Zünfte. Ein kapitalistisches Eigentum einzelner Unternehmer an den Werkzeugen ihrer Arbeiter entwickelte sich damals noch nicht. Aber bereits begann sich infolge der fortschreitenden Arbeitsteilung der Erfindungsgeist gerade auf dem Gebiet der Wollenindustrie zu regen; die Einführung der erwähnten Apparate bedeutete eine Reihe technischer Revolutionen und den Anstoß zu weiteren technischen Revolutionen, zu ununterbrochenen Verbesserungen und Vervollkommnungen. Das Spinnrad zum Beispiel trat zu Ende des fünfzehnten Jahrhunderts auf, zunächst als Handrad. 1530 erfand Jürgens von Wattenmül im Braunschweigischen das Tretspinnrad. Die Walkerei wurde ursprünglich bloß mit den Füßen betrieben. Die Erfindung der mit Wasser getriebenen Walkmühlen (vielleicht im zwölften Jahrhundert) machte der Fußwalkerei allmählich den Garaus. Die letzten Fußwalker finden wir im vierzehnten Jahrhundert.
Durch jeden dieser Fortschritte wurden Arbeitskräfte überflüssig gemacht. Diese Seite des modernen Industrialismus trat nirgends so früh auf wie bei den Arbeitern der Wollenindustrie.
So nahe dem großindustriellen, kapitalistischen Wesen wie der Bergbau gelangte freilich die Wollenindustrie vor der Reformation nicht. Sie blieb darin hinter diesem zurück. Aber während er in Wildnissen vor sich ging, während die Bergarbeiter isoliert blieben, fern von den Wohnungen anderer Menschen, ohne Zusammenhang mit deren Kämpfen und Bestrebungen, nahm die Wollenindustrie ihren kapitalistischen Charakter am meisten in Städten an, durch die der Weltverkehr flutete, die den Anregungen der vorgeschrittensten Länder Europas ausgesetzt waren, Italiens, der Niederlande, Frankreichs, Deutschlands. In diesen Städten war die Wollenindustrie dasjenige Gewerbe, das den kapitalistischen Charakter am frühesten und schärfsten entwickelte, wie auch zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts in England die Textilindustrie die industrielle Revolution eröffnen sollte. Die Meister strebten danach, zu Kaufleuten, zu Kapitalisten zu werden, die ihren Gesellen mehr als die Meister irgendeines städtischen Handwerks als Ausbeuter gegenüberstanden und durch eine tiefere Kluft von ihnen getrennt waren. Wo ihnen das nicht gelang, da wurden sie selbst zu Lohnsklaven der Kaufleute herabgedrückt, zu Hausindustriellen, die ihren Gesellen näher standen als die Meister eines anderen Handwerks, sich mit diesen solidarisch fühlten gegenüber ihren Ausbeutern. Den Gesellen aber wurde der unzünftige Proletarier als Arbeitsgenosse, als sozial Gleichstehender immer nähergebracht.
Und während so für die Wollenarbeiter die zünftige Borniertheit immer gegenstandsloser wurde, erweiterte sich ihr Horizont durch die Bedeutung, die der Weltmarkt für sie gewann. Was für die anderen Bürger bloß ein Sonntagsvergnügen war:
»Ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit, in der Türkei
Die Völker aufeinanderschlagen«,
das war für die an der Wollenindustrie Beteiligten die ernsteste Sache von der Welt. Die Zufuhr ihrer Rohstoffe, der Absatz ihrer Waren hing davon ab, ob etwa England im Krieg mit Frankreich sei, und wie sich Flandern dabei verhalte, wie die Hansa mit Dänemark stehe, ob die Straße nach Nowgorod offen sei, ob der Kaiser Frieden mit Venedig mache usw. Wer für den Welthandel arbeitet, für den hört die Kirchturmspolitik auf, aber auch die Sorglosigkeit, die Sicherheit des Handwerkers, der bloß für Gevattern und Bekannte arbeitet. Zu den städtischen Kämpfen, an denen die Wollenarbeiter teilnahmen, in denen sie oft die erste Rolle spielten, zu den Zunftkämpfen, welche durch die oben angedeuteten sozialen und technischen Veränderungen entfesselt wurden, gesellten sich noch die Rückwirkungen auswärtiger Veränderungen und Handelskrisen, um das Gewerbe nie zur Ruhe kommen zu lassen, es in beständiger Umwälzung zu erhalten. Die Wollenindustrie war das revolutionärste städtische Gewerbe des ausgehenden Mittelalters, und revolutionär waren auch ihre Arbeiter. Für sie bedeutete die Gesellschaft nichts Festes, Unwandelbares; sie konnten am leichtesten auf die Idee kommen, sie zu ändern. Sie empfanden am schroffsten die Ausbeutung, hatten die meisten Gründe zur Feindschaft gegen die Reichen.
Die Wollenindustrie war aber auch unter allen Handwerken das kraftvollste. Jede Stadt bildete damals ein Gemeinwesen für sich, in den wohlhabenden Städten aber, denjenigen, die für den Weltmarkt der abendländischen Industrie arbeiteten – und der erstreckte sich von England bis Nowgorod und Konstantinopel –, war die Wollenindustrie das ökonomisch bedeutendste Gewerbe. Von ihr, das heißt von ihren Arbeitern, hing das Gedeihen der Stadt ab.
Aber nicht bloß an ökonomischer Bedeutung, auch an Zahl bildeten die Wollenarbeiter, vornehmlich die Weber, in den Städten, in denen die Wollenindustrie blühte, eine Macht, die uns gering erscheinen mag, die aber in den kleinen Städten jener Zeit ganz gewaltig war. Es waren, relativ betrachtet, ungeheure Menschenmassen, welche diese Industrie damals in ihren Hauptsitzen konzentrierte.
In Breslau marschierten die Weber schon 1333 mit 900 wohlbewaffneten Männern auf. In Köln wurden nach einem einzigen niedergeschlagenen Aufstand der Weber 1800 derselben verbannt. Besonders zahlreich waren sie in den Niederlanden. 1350 zählte man in Löwen 4000 Webstühle, ebenso viele in Ypern, 3200 in Mecheln. 1326 wurden 3000 Weber auf einmal aus Gent vertrieben, weil sie zu einem Aufstand gegen die flandrischen Grafen geneigt waren. In der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts standen dort 18 000 mit Tuchmacherei beschäftigte Männer in Waffen. In Brügge lebten zur Zeit der Blüte des Handwerks 50 000 Menschen von der Verarbeitung von Wolle. Hildebrand, a. a. O., S. 83. Vergleiche auch Dr. H. Grothe, Bilder und Studien zur Geschichte vom Spinnen, Weben, Nähen, S. 215 ff. Berlin 1875.
Aus dieser Zusammendrängung in einzelnen Ortschaften erwuchs den Webern eine gewaltige revolutionäre Kraft. Kein Wunder, daß die Chronik des Abtes Trudo von ihnen sagt, sie seien stolzer und frecher als alle anderen Gewerke.
Faßt man alle diese Umstände zusammen, dann begreift man es, daß gerade die Wollenindustrie zum Herde der sozialrevolutionären Bestrebungen der Reformationszeit wurde, daß die Weber bei jedem Kampfe gegen die bestehenden städtischen und staatlichen Gewalten im Vordertreffen kämpften und daß sie leicht einer Richtung zugänglich wurden, die der ganzen herrschenden Gesellschaftsordnung den Krieg erklärte, daß bei den kommunistischen Bewegungen des ausgehenden Mittelalters und der Reformationszeit, soweit diese überhaupt etwas von einem proletarischen Klassencharakter an sich haben, in der Regel die Weber damit in Verbindung stehen. »Nicht umsonst«, sagt Schmoller, »hat die Sprache, den Begriff des Webers und Verschwörers identifizierend, bis auf den heutigen Tag vom Zettel des Webstuhls das Bild genommen, wie man heimlich und langsam politische Unruhen anzettelt« Schmoller, a. a. O., S. 465. »In den Augen mancher Zeitgenossen«, sagt Hildebrand, »haben die Tuchmacherzünfte eine Stellung eingenommen, ähnlich derjenigen, welche man von einzelnen Seiten im Jahre 1848 der bevorzugten (!) Klasse ›der Arbeiter‹ zu geben suchte.« Hildebrand, a. a. O., S. 115.