Josef Kastein
Sabbatai Zewi
Josef Kastein

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Achtes Kapitel

Tumult

Eine Zeit ist für das Erlebnis reif, wenn sie den Mut hat, für eine Sekunde die klägliche Kontrolle des Gehirns auszuschalten und sich auf die Notwendigkeiten des Herzens zu verlassen. Es ist für den Wert des Erlebens nicht entscheidend, ob es vor der Vernunft bestehen kann. Vernunft ist Fessel, Erlebnis ist Befreiung; und selbst wenn es böse ausgeht, liegt in dem, was es eigentlich darstellt: Antwort auf einen Anruf, der entscheidende Gewinn. Vernunft ist Monolog des Individuums. Erlebnis ist Zwiesprache der Kreatur mit Gott.

Sabbatai Zewi hat selbst fast nichts dazu getan, die Bereitschaft dieser Zeit herbeizuführen. Soweit sie nicht Allgemeingut war, haben andere das Entscheidende getan. Er selbst verfügte nur über den untrüglichen Instinkt, wo er auftreten und ernten könnte. Solche nachspürende Erwägung brachte ihn auf den Weg nach Ismir. In dieser Stadt ist eine viel größere Bereitschaft, als er je hat erwarten können. Das hat er vor allem seinen Brüdern zu danken. Sie sind durch ihre kaufmännische Tätigkeit reiche Leute geworden, und sie verwenden ihren Reichtum großzügig im Interesse ihres Bruders. Sie verteilen mit vollen Händen Geld an die Armen und die kleinen Leute, die Arbeiter, Fischer und Handwerker. Sie geben es zu dem frommen Zweck, damit diese Menschen in Ruhe und ohne Not sich auf die neue Zeit vorbereiten können. Im Ergebnis wirkt es wie ein Stimmenkauf für den Messias. Vielleicht handeln sie ganz bewußt und aus politischen Motiven, weil es ihnen wichtig ist, von allem Anfang an eine so starke Anhängerschaft für ihren Bruder bereitzustellen, daß schon sein erstes Auftreten von keiner Gegnerschaft 164 mehr gefährdet werden kann. Zwar ist in Ismir der Bann gegen Sabbatai längst vergessen, aber hier, wie in Jerusalem und in Konstantinopel, ist die Teilnahme auf Seiten des Volkes und der Widerstand auf Seiten der Gelehrten. So wie es überall auf der Welt ist.

Für Ismir ist in diesem Augenblick entscheidend, daß die Gelehrten zwar gegen Sabbatai sind, daß sie aber keine Autorität mehr besitzen. Die latente Stimmung der Zeit, die in Abschriften verbreiteten Offenbarungen Nathans, Gerüchte aus Kairo, Jerusalem und Aleppo, Sabbatais alte Schülerschaft und das Geld seiner Brüder bewirken zusammen einen Zustand drängender Erwartung, der durch die interessierte Teilnahme der europäischen Kaufleute noch gesteigert wird und jeden Anlaß zur Explosion willig hinnimmt. In solcher Stimmung empfangen sie die Nachricht, daß der Messias vor den Toren der Stadt ist.

Die Gassen geraten in Bewegung. Die Menschen drängen zum Rande der Stadt. Da kommt ihnen ein Zug entgegen, der den Schaulustigen eine noch nie gesehene Augenweide bereitet: Menschen in Prachtgewändern, staubbedeckt von der Reise, laut Psalmen singend, erregt, tanzend; junge Menschen und würdige Alte, verzückte Gesichter und ernste, mit den Runen der Weisheit gezeichnet. Man hat schon vernommen, daß von allen Enden des Orients her Männer ihre Familien verlassen haben, um Teilnehmer dieses Einzuges zu sein. Und unter ihnen geht ein hochgewachsener, dunkler, schöner Mensch mit fanatischen Augen: der Messias. Neben ihm – unerhörtes Ereignis für diese Juden – neben ihm eine Frau in einem Mantel aus weißer Seide, sehr schön 165 und so stolz, wie man sich Königinnen vorstellt. Und über dem ganzen Zuge lagert eine Wolke von brausenden, leidenschaftlich erregten Stimmen. Ein Märchen wird Wirklichkeit, stellt sich hier dar und ist doch noch schöner als die bildhafteste Vorstellung, weil man es greifen und daran glauben kann, ohne Widerlegung und Erwachen fürchten zu müssen.

Es schwemmt den Menschen den Boden unter den Füßen weg. Sie beginnen zu rasen, zu schreien: »Messias!!« Da tritt Sabbatai aus dem Zuge hervor und hebt die Hand auf. Weggewischt jede Stimme. Der Messias wird reden! Er redet und untersagt ihnen, ihn Messias zu nennen. Sie sollen es nicht eher tun, als bis er es ihnen gestatten wird.

Die eben noch hemmungslos schrien, schweigen sofort. Wenn der Messias es will, bezwingen sie sogar ihre Leidenschaft. Schon völlig ihm verfallen, begleiten sie ihn nach dem Hause seiner Brüder, wo er wohnen wird. Dort begibt er sich sofort in einen entlegenen Raum und beginnt zu fasten. Die Menge steht draußen und wartet.

Warum will Sabbatai nicht, daß man ihn als Messias anruft? Zu diesem Zwecke ist er doch nach Ismir gekommen. Warum schaltet er angesichts der Erregtheit der Massen, die ihm doch von der ersten Sekunde an völlig untertänig sind, noch diese Verzögerung ein, die den Eindruck einer raffinierten, auf äußerste Vermehrung der Spannung gerichteten Regie macht? Offenbar, weil er es in der Hand behalten will, wie die Dinge ablaufen und sich entwickeln. Man wird sehen, daß noch eine besondere, von außen kommende Begrüßung vorgesehen ist, deren Eintreffen er erst abwarten will. Darum hält er die Massen zurück. Das ist aber auch das letzte 166 Mal, daß es ihm gelingt. Auch der mißwollendste Betrachter muß für den weiteren Verlauf der Ereignisse zugeben, daß die Stimmung und Verfassung der Menge ihn überwältigt hat. So viel Bewußtseinsmomente man ihm auch sonst unterstellen muß: von hier ab unterliegt er der suggestiven Kraft eines seelisch überaus erregten Volkes.

Für den Augenblick ist die Menge sich selbst überlassen und kann nur aus den Nachrichten, die aus dem Hause der Brüder Zewi kommen, geringe Nahrung holen. Aber auch das mindeste kann ihr schon zur Legende und zum Wunderbericht werden. Vielleicht hat zwischen Sabbatai und seinem Bruder Elias ein Disput über irgend eine Frage stattgefunden. Durch die Gassen aber läuft folgende Erzählung: Elias glaubt nicht an die Berufung seines Bruders. Er hat auch Furcht davor gehabt, daß die Türken den Juden Strafe auferlegen, weil sie einen Messias anerkennen, der die Sultanskrone rauben will. Darum hat er sich gesagt, es sei besser, daß einer sterbe, als daß alle Juden in Not gerieten. Eines Tages, wie er seinen Bruder allein im Zimmer trifft, fällt er ihn mit einem Schwerte an. Sabbatai bleibt unbeweglich. Er schaut seinen Bruder nur an. Vor diesem Blick weicht Elias zurück und fällt wie ein Toter zu Boden. Aber von jetzt an glaubt er an den Messias.

Zur Untätigkeit verurteilt und doch sehr bereit, ihre Ergebenheit zu bekunden, wählen sie unter sich eine Leibwache von einigen hundert Männern und Frauen, die Tag und Nacht vor dem Hause des Messias warten. Es ist immerhin eine Tätigkeit, wenn sie auch nicht genügt, die ständig wachsende Ungeduld zu befriedigen. Die Menschen glauben jetzt selbst, daß Sabbatai guten Grund gehabt habe, ihnen 167 Schweigen aufzuerlegen. Sie flüstern von einem wichtigen Ereignis, das er erwarte, und sie erwarten es fiebernd mit ihm. Endlich, am 4. Tewet, dem 12. Dezember, kommt das Ereignis. Es treffen vier Männer ein, braun wie die Mohren, Wanderstäbe in der Hand. Sie gehen durch die Gassen und fragen die Menschen nach dem Hause Sabbatais. Zwei von ihnen sind nicht unbekannt. Es sind Mosche Galante und Daniel Pinto. Sie kommen von Aleppo und sind Überbringer einer Botschaft. Die Menschen zeigen ihnen den Weg und beginnen zu drängen und zu fragen: was für eine Botschaft? und woher? Es ist die Botschaft der Gemeinde Aleppo und vom Propheten Nathan aus Gaza. Über den Inhalt können sie nichts sagen. Sie tragen verschlossene Briefe bei sich.

Die Boten und ein Gedränge von Volk kommen vor Sabbatais Haus. Es wird Nachricht hineingegeben: Boten sind da. Es kommt Antwort heraus: Sabbatai ist mitten in dem großen Fasten. Er will es nicht unterbrechen. – Aber das Volk lehnt sich auf, wird ungeduldig, beginnt zu schreien. Die Botschaft ist doch an den Messias gerichtet, an ihren Messias, und ihr Inhalt geht sie genau so an wie Sabbatai. Er soll sein Fasten unterbrechen, soll die Gesandten empfangen, die Briefe öffnen, sie lesen und den Inhalt dem Volke bekanntgeben. Er gibt endlich nach, mit der Geste dessen, der sich dem Anruf des Volkes nicht verschließen will.

Der eine Brief enthält eine Huldigung der Gemeinde Aleppo. Der andere ist eine Begrüßung des Propheten Nathan, überschwänglich und voll blühenden Wortreichtums in der Anredeformel, weitschweifig und belanglos im Text, wenn man ihn mit der sonstigen Diktion Nathans vergleicht. Es ist die ständige 168 Wiederholung des Themas: du bist der wahre Messias; an dich glaube ich; durch dich wird die Erlösung kommen. Aber für das Volk ist das Ereignis wichtiger als die Formulierung. Sie empfangen eine entscheidende Bestätigung. Da kommen ernsthafte, gelehrte Männer nach Ismir gepilgert, von weit her, mit Worten, deren Ton sie tiefer begreifen als den Inhalt. Es ist die erste offizielle Deputation und Huldigung an den Messias. Und sie haben so lange warten müssen, daß sie alles annehmen, was ihrer Freude endlich freie Bahn verschafft. Die Ekstase bricht aus. Sie rufen ihn wieder als ihren Messias an, mit einer unerhörten Heftigkeit, gegen die es keinen Widerstand mehr gibt.

Es reißt auch Sabbatai mit. Indem er das Eintreffen dieser Botschaft als das auslösende Moment annimmt, erklärt er, daß er sein Fasten nunmehr nicht nur unterbreche, sondern völlig einstelle. Es sei kein Raum mehr für Fasten. Freuen sollen sich alle Menschen. Und er gibt sein erstes Dekret auf religiösem Gebiete bekannt: von heute an bis zum Ende dieses Jahres darf nicht mehr gefastet werden! Zu Ehren dieses Augenblickes muß vielmehr ein großes Fest gefeiert werden! – Das ist für die Masse Balsam und Rauschtrank zugleich. Ihr Feiertag beginnt.

Sabbatai belohnt die Boten fürstlich, veranlaßt seine Freunde, ein gleiches zu tun, und schickt sie als Träger weitester Wirkung für ihn wieder auf den Heimweg. Hier drinnen in der Stadt hat er gewonnenes Spiel. Wenn er sich fortan auf der Straße sehen läßt – er tut es gerne und zu mancherlei Zwecken – ist er stets von den Hunderten seiner Leibgarde umgeben. Jeder Schritt aus dem Hause gestaltet sich zu einem pompösen öffentlichen Aufzug. Vor ihm her wird 169 eine Fahne getragen, auf die ein Psalm als Devise geschrieben ist: »Die Rechte des Herrn ist erhoben.« Die Menschen kommen mit kostbaren Teppichen und Decken aus den Häusern und breiten sie vor ihm auf der Straße aus. Aber mit großer Gebärde der Bescheidenheit und Demut tritt er nicht darauf, sondern geht seitwärts am Rande entlang. Das hindert ihn nicht, einen großen silbernen Fächer zu tragen, mit dem er von Zeit zu Zeit diesen und jenen feierlich berührt. Und die, denen das geschieht, glauben, daß sie damit dem Himmel geweiht seien. Er hat sich einen goldenen Siegelring machen lassen mit einer zu einem Kreis gewundenen Schlange darin; vielleicht als vage Erinnerung an das ägyptische Symbol der Ewigkeit, vielleicht – wie er selbst angibt – weil das Wort Nachasch, Schlange, den gleichen Zahlwert habe wie das Wort Maschiach. Er veranstaltet mit seinen Getreuen, von Fackelträgern umgeben, auch nächtliche Umzüge mit Lärm und Liedern. Das war an sich nach den Gesetzen der Stadt ein strafbares Beginnen, denn nur den ›fränkischen‹ Kaufleuten war es gestattet, sich nachts mit einer Laterne in den Straßen zu zeigen. Aber das Volk kümmert sich um solche Verbote nicht mehr. Es hat auch von der türkischen Wache nichts zu fürchten, weil die sich vor der fanatischen Menge vorsichtig zurückzieht. Das dient immerhin zum Anlaß, in der ganzen Welt zu verkünden, daß die Behörden nicht wagten, die Juden in ihrer messianischen Freude auch nur im geringsten zu stören.

Zwei Tage nach der Ankunft der Boten, am 6. Tewet, dem 14. Dezember 1665, begibt Sabbatai sich in feierlichem Aufzuge in die Synagoge. Vor siebzehn Jahren hat er hier schon einmal gestanden und hat an 170 verschlossene Tore gerüttelt, ein entbrannter Jüngling, der noch glaubte, es genüge, sich in einem Symbol zu bekunden, um Verständnis und Nachfolgerschaft zu erringen. Heute ist er älter und reifer, und die Rollen sind so verhängnisvoll vertauscht, daß in ihm die Überzeugung entstehen kann, er ernte mit gutem Recht und Gewissen eine Saat, die er vor langem ausgestreut habe. Denn jetzt rütteln die Menschen an ihm, und während sie nichts suchen als einen Führer auf dem Wege zu ihrer Erlösung, fühlt Sabbatai sich als Mensch, als Persönlichkeit, als Individuum angerufen. Er steht da, um auf den Anruf, wie er ihn versteht, die Antwort zu geben. Er gibt sie, während das Dröhnen des Schofarhornes durch die Synagoge geht, auf dem Almemor stehend, nicht mehr ein Werbender, sondern ein Gewährender, Erfüllender. Die Menschen zittern, und er verkündet: Ich bin der Messias! – Einmal hat er sich angeboten. Jetzt ruft er sich selber aus. Er hört das Echo, eines, das die Geschichte der Juden seit mehr als einem Jahrtausend nicht mehr vergeben hat und niemals wieder vergeben wird: Es lebe unser König, der Messias Sabbatai Zewi!

Ein König mehr denn ein Messias, begibt er sich von der Synagoge in sein Haus, um dort königlichen Empfang zu halten und die Glückwünsche der Untertanen und Gläubigen entgegenzunehmen. Den ganzen Tag ziehen Menschen an ihm vorüber, küssen seine Hand, küssen den Saum seines Kleides. Neben ihm thront Sarah, schön, erregt, selbst in diesem turbulenten Chor noch eine starke, eigene Note. Man sieht unter den Gratulanten viele, von denen man gestern noch wußte, daß sie Gegner Sabbatais waren. Heute haben sie sich den Tatsachen gefügt. Wer nicht 171 innerlich überzeugt ist, begreift dennoch, daß hier in aller Realität ein König Hof hält, der jedenfalls hier und in diesem Kreise die Gewalt und Autorität eines Königs besitzt. Dieser Tatsache fügen sie sich. Sie brauchen sich dessen nicht zu schämen, denn es kommen auch zahlreiche Nichtjuden, um sich vor diesem König zu verbeugen. Das Treiben geht bis in die Nacht hinein.

Alle Ereignisse, die jetzt folgen, bis zum Schluß des Aufenthalts in Ismir, drängen sich auf den Raum von 16 Tagen zusammen, vom 7. bis zum 22. Tewet, das ist: vom 15. bis zum 30. Dezember 1665. Sie haben nirgends ihresgleichen.

Am anderen Morgen, dem 7. Tewet, wie das Volk wieder zu seinem Hause strömt, wird es mit einer seltsamen Nachricht empfangen. Sabbatai berichtet, daß in der verflossenen Nacht der Geist Gottes sich ihm offenbart und ihm verkündet habe, daß er, Sabbatai, um der Würde des Messias wirklich teilhaftig zu werden, sich seiner Frau Sarah nunmehr nähern müsse. Ein gleicher göttlicher Befehl sei an Sarah ergangen, daß sie sich ihrem Gemahl fügen müsse. Und so sind beide dem Befehl Gottes nachgekommen. Ganz wie nach dunklem Volksbrauch im Orient wird der Menge in aller Öffentlichkeit das Bettlaken mit den Spuren der Virginität gezeigt. Das Volk empfängt die Nachricht und ihre bildhafte Bestätigung mit hellem Jubel.

Was ist das? Wahrheit? Betrug? So weit hier die Virginität Sarahs dargetan werden soll, ist es ganz zweifellos Betrug. Man mag für Sarahs Lebenshaltung jedes Verständnis aufbringen, aber man kann nicht leugnen, daß sie zahllose sexuelle Beziehungen aufzuweisen hatte. Also ist der Nachweis der 172 Virginität künstlich und muß einem Zwecke gedient haben. Will er auf ein Wunder hinweisen, daß Sarah trotz ihrer Mädchenzeit wieder Jungfrau geworden ist? Will er der strengen Auffassung dieser schlichten Leute von der Unberührtheit eines jüdischen Mädchens bis zur Ehe eine Konzession machen und dem gegnerischen Gerede von ihrer Dirnenhaftigkeit die Spitze abbrechen? Möglich auch, daß dieser Vorgang seiner eigenen Rechtfertigung dient, und die öffentliche Demonstration nur eine Begleiterscheinung ist. Vielleicht ist es beim Volke, bestimmt aber ist es bei seinen Gegnern noch nicht vergessen, daß er einmal zwei Ehen unter befremdlichen Umständen hat auflösen müssen. Damals berief er sich zur Rechtfertigung seines Verhaltens auf göttliche Anweisung. Heute schließt er den Ring seines Beweises. Damit findet er beim Volke Glauben und Anerkennung. Nicht so bei seinen Gegnern. Wie höhnisch sie über seine Beziehungen zu Sarah denken, bringt eine zeitgenössische – nichtjüdische – Quelle mit einiger Grobheit zum Ausdruck: »Sarah . . . die aber ebensowenig mit ihm zufrieden war, als wenn sie einen Priester der heidnischen Göttin Cybele oder einen Verschnittenen bekommen hätte. Er enthielt sich, wie er selbst sagte, dieser Frau, so wie er es auch gegen die ersteren getan hatte.«

Die ungewöhnliche Bedeutung, die Sabbatai selbst diesem Vorgang zumißt, ergibt sich daraus, daß er sogleich einen feierlichen Zug nach der Synagoge veranstaltet. Er bedient sich dabei eigener und neuer Symbole. Vor ihm her gehen Männer, die Schalen mit Konfitüren und Vasen mit Blumen tragen. Dahinter geht ein Mann, der einen Kamm in einem Futteral trägt. Er selbst läßt sich von zwei Chachamim 173 begleiten, die ihm zur Seite gehen und seinen weißen Mantel halten. Er trägt seinen silbernen Fächer wie einen Aaronsstab und teilt wieder Würdigkeiten aus, indem er den und jenen damit berührt. So kommen sie zur Synagoge, und dort betätigt er sich sogleich mit einer neuen Manifestation. Er nimmt einen Stock und schlägt damit sieben Mal gegen das Tabernakel, in dem die Thorarollen aufbewahrt stehen. Dabei spricht er den vollen Namen Gottes aus. Ist es eine symbolische Wiederholung des Vorganges, als Moses in der Wüste den Felsen schlug, damit er Wasser für die Dürstenden hergebe? Ist es ein Anpochen bei Gott, ein Anrennen gegen ihn? Ein Hinweis auf die Unverletzlichkeit des Messias? Es bleibt ein symbolischer Akt, dessen Inhalt ihm selbst nicht klar gewesen sein wird, und der die Züge einer Affekthandlung trägt. – Den Sinn dieses ganzen Aufzuges ergänzt Sabbatai jetzt durch eine Prophezeiung: Sarah sei in dieser Nacht mit einem Sohne schwanger geworden. Aber dieses Kind werde nicht leben.

Hier wird sichtlich zum andren Male eine Zweckbehauptung aufgestellt. Wenn sich gerade in der Person des Messias, des Gesegnetsten unter den Menschen, der eine große Segen des jüdischen Bewußtseins, der Segen von der Nachkommenschaft, nicht erfüllen soll, so ist das entweder nur als Strafe zu begreifen, oder als besondere himmlische Anweisung. Es sei denn, daß man sich zu dem blasphemischen Gedanken entschließe, es fehle an der Möglichkeit oder der Voraussetzung einer Nachkommenschaft des Messias. Wenn das Volk auch diese Verkündigung hinnimmt wie alles und jedes, so hat es doch eine stille Enttäuschung darüber nie verwinden können und diese leere Stelle in seinem Vorstellungsbilde vom 174 Messias durch die Erfindung ausgefüllt. So findet sich in der sabbatianischen Verteidigungsschrift des Baruch de Arezzo die Angabe, dem Messias seien ein Sohn und eine Tochter geboren. Andere Quellen lassen nach seinem Abfall einen Sohn geboren werden, der Ismael-Mardochai geheißen haben soll. Fromme Erfindungen. Der Messias ist ohne Nachkommen gestorben.

Wie Sabbatai diesen Auftritt zur Bekundung neuer Symbole verwendet, so benutzt er den anschließenden Gottesdienst zu einer für jüdische Begriffe einschneidenden Änderung der herkömmlichen Gebetsordnung. Um zu bekunden, daß jetzt jeder Alltag zu einem Feiertag geworden sei, singt er beim Eintritt in die Synagoge einen Psalm, der nach dem Rituale nur für den Gottesdienst am Sabbath bestimmt war. Er besteht auch darauf, daß der Gottesname immer voll ausgesprochen werde. Daran klammert er sich mit besonderer Hartnäckigkeit. Dazu mag ihn die mystische Bedeutung veranlaßt haben, die in den Lehren der Kabbala der Aussprechung des Schem ha'mforasch beigelegt wird. Sie sagen: Gottes Schöpfung, als Vollkommenes gewollt, konnte sich nicht als Vollendetes darstellen, weil die Menschen der Sünde verfielen. Voneinander getrennt sind die höhere und die niedere Welt. Da die Weltordnung gestört ist, ist selbst die Vollkommenheit Gottes gestört. Er hat sich in unerreichbare Fernen zurückgezogen, und sein Name ist wie die Welten auseinander gerückt. Wenn aber der Messias kommt und die sittliche Ordnung der Welt wieder herstellt, wird auch die Einheit Gottes und die klare Einheitlichkeit seines Namens wieder hergestellt. Darum ist die Aussprechung des vollen Namens eines der lebendigsten Zeichen für den Beginn der Gnadenzeit. 175

Was die Menschen vor siebzehn Jahren zu einem angstvollen Schweigen gebracht hat, reißt sie jetzt noch tiefer in die Begeisterung hinein. Einer nach dem andern erhebt sich, tritt zum Almemor und huldigt dem Messias durch das Aussprechen eines Segens und durch die Stiftung einer bestimmten Summe Geldes zu Zwecken der Wohltätigkeit. Während sie sonst, einem alten jüdischen Gesetz der Diaspora getreu, in ihre Gebete immer einen Segensspruch aufgenommen haben für das Oberhaupt des Landes, in dem sie sich gerade befanden, vernachlässigen sie jetzt das Gebet für den großen und gefürchteten Sultan. Sie haben jetzt endlich ein eigenes Oberhaupt, für den sie Segenssprüche voll inniger und schlichter Gläubigkeit aufstellen. Tausende im ganzen Orient und in Ägypten und Italien beten für ihn diesen Mischeberach, diesen Segen: »Der die Hilfe gibt den Königen und Regierungen und den Fürsten, dessen Königreich das Königreich aller Welten ist: Gott, der große und gerechte und schreckliche, der heilige König, der gelobt sei, da es keinen gibt wie ihn, der da thront und auf die Throne setzt und den Bund schafft für David, seinen Knecht, damit er den Thron besteige in seinem Königtum, das bis in Ewigkeit dauern wird – er möge segnen und hüten und stärken und aufrichten und erheben, hinauf, hinauf, unseren Herrn, unseren König, den Weisen, den Heiligen, Frommen, Erhabenen, ihn, den Sultan Sabbatai Zewi, den göttlichen Messias, den Messias des Gottes Jaakobs, den himmlischen Löwen, den König unserer Gerechtigkeit, den König der Könige Sabbatai Zewi. O König aller Könige: bewahre ihn doch durch deine Barmherzigkeit, laß ihn am Leben und schütze ihn in allen seinen Ängsten und seinem Mißgeschick. Erhebe 176 die Sterne seines Königreiches und beuge die Herzen aller Fürsten und Herrscher, um ihm wohl zu tun, zugleich uns und ganz Israel. Amen!«

In diesem Segen schütten die Menschen ihr Herz aus. Dazu opfern sie von ihrem Besitz. Und empfangen, jeder einzeln, den Segen Sabbatais: »Der, der unsere Väter Abraham, Jizchak und Jaakob gesegnet hat, segne auch N. N., weil er freiwillig die Summe von . . . gegeben hat.« (Wobei die Aufzählung einer Geldsumme nicht zu verwundern braucht, wenn man die ständige Aktualität von Spenden und Almosen im jüdischen Leben in Betracht zieht.)

Von dem Gelde, das so eingeht, und von den vielen Beträgen, die die Menschen ihm als Geschenk in das Haus bringen, macht Sabbatai einen bemerkenswerten Gebrauch. Für sich nimmt er nichts, denn er hat wohlhabende Brüder. Was er nicht an die Armen austeilt, verwendet er dazu, Juden, die in den Galeeren, den damaligen Gefängnissen sitzen, freizukaufen. Es werden nicht gerade große Verbrecher gewesen sein, die er da befreit hat, denn es war derzeit wohl nicht besonders schwierig, auf die Galeere zu kommen. Jede unbewiesene Denunziation und jede unbeglichene Schuld führte schon dahin. Aber doch wird unter ihnen dieser und jener gewesen sein, dessen handfeste Unbedenklichkeit sich sogar für die Zwecke eines Messias verwenden läßt. Alle aber werden froh gewesen sein, aus dieser Sklavenhaft plötzlich in die Freiheit und in die unbesorgte Freude der sabbatianischen Festtage gehen zu können. Sie bilden späterhin zusammen mit andren ergebenen Anhängern des Messias eine Art von Stoßtrupp, der die noch Zögernden oder die besonders Hartnäckigen mit ungeistigen aber eindringlichen Argumenten zum 177 Schweigen bringt, oder sogar zu offiziellen, wenn auch vielleicht innerlich widerstrebenden Gefolgsleuten macht.

Denn noch hat Sabbatai nicht die ganze Stadt bedingungslos für sich. Manche Einzelne, viele Gelehrte und fast die gesamte Rabbinerschaft sind gegen ihn. Sie beschränken sich nicht darauf, der Bewegung nur ferne zu bleiben. Sie betrachten sie als eine Gefahr für die Bevölkerung und als ein nationales Unglück für die gesamte Judenheit. Darum müssen sie, was in ihren Kräften steht, dagegen tun. Heimlich wie Verschwörer, und damit die Volksmenge nicht von ihrer Zusammenkunft und ihren Beschlüssen erfährt, versammeln sie sich im Hause des unverdächtigen Juda Murtia. Die drei angesehensten Rabbiner, Aaron de la Papa, der das Amt des religiösen Oberhauptes der Stadt inne hat, Benveniste und Salomon Algazi, ein angesehener Talmudist, führen bei dieser Versammlung den Vorsitz. Die Ereignisse werden in jeder Einzelheit besprochen und abgewogen. Das geringste, was Sabbatai im Ergebnis vorzuwerfen ist, stellt sich als Betrug und als Gotteslästerung dar. Sie haben sich Abschriften aller kursierenden Briefe, insbesondere Nathans Offenbarung und seines ausführlichen Berichtes an Chelebi nach Kairo besorgt. Sie stellen nach vielen Disputen und mit zahlreichen Belegen fest, daß der Inhalt aller Offenbarungen und Berichte mit Inhalt und Sinn der heiligen Schriften in unlösbarem Widerspruch stehe. Also ist das Recht, sogar die Pflicht gegeben, gegen Sabbatai einzuschreiten.

Aber was ihm tun? Welche Machtmittel hat man jetzt noch in Händen, um ihm seine Tätigkeit zu verbieten? Kein Zweifel, daß er ihnen freiwillig nicht 178 gehorchen wird. Man kann nochmals einen Bann gegen ihn aussprechen, aber das würde eine leere Geste sein. Niemand würde sich darum kümmern, am wenigsten Sabbatai. Man würde noch den Nachteil eintauschen, den Zorn der ganzen Bevölkerung auf sich zu ziehen. Was man gegen ihn tun muß, muß so endgültig sein, daß er eben nicht weiter wirken kann. Aus dieser Erwägung zieht einer der Chachamim den Schluß und spricht erregt das Todesurteil gegen Sabbatai aus.

Vor dieser Lösung, auch wenn sie eine endgültige darstellt, schrecken die meisten zurück. Vielleicht bleibt doch noch dieses und jenes als Milderungsgrund anzuführen. Und einer wagt die Frage an den Chacham, warum er ein so strenges Urteil fälle. Gewiß, Sabbatai sei nicht der Messias. Aber habe sein Auftreten nicht immerhin bewirkt, daß sehr viele Juden ein Bekenntnis ihrer Sünden abgelegt und in Bußwerken ihre Reue bekundet hätten? Einen Menschen, der, wenn auch Betrüger, das bewirkt hat, darf man nicht töten.

Dieses Argument droht die Stimmung der Verschwörer zu beeinflussen. Da greift Benveniste in sein Gewand und bringt einen Brief zutage. Es ist ein Schreiben aus Konstantinopel an das Rabbinat in Ismir, eine leidenschaftliche und haßerfüllte Aufforderung, dem Treiben des Sabbatai durch das endgültigste Mittel, das es gibt, durch den Tod, ein Ende zu machen. Der alte Jomtof ben Jaser hat vor seine Unterschrift die Worte gesetzt: »der Mann, gegen dessen Neuerungen wir uns auflehnen, ist wie einer anzusehen, der nicht an Gott glaubt, und wer ihn tötet, soll so von Gott angenommen werden, als ob er viele Seelen gewonnen hätte. Ja, die Hand, die sich aufhebt, 179 um diesen Menschen umzubringen, soll von Gott und den Menschen gesegnet sein.«

Dieses Schreiben, Benvenistes Beredsamkeit und das Bewußtsein, mit andren Einsichtigen einer Überzeugung zu sein, geben den Ausschlag. Unter Zustimmung la Papas fassen sie den Beschluß, Sabbatai zu töten. Sie beschließen ferner, da sie beim Volke auf keinerlei Mitwirkung rechnen können, aus ihrer Mitte einen zu bestimmen, der das Urteil vollstreckt. In dieser Situation feiert der Messias, der nicht unter ihnen ist und nichts von der Verschwörung weiß, einen großen Sieg: es findet sich keiner, der bereit ist, das Urteil zu vollstrecken. Niemand will der erste sein, der Hand an ihn legt. Untergründig geht die Erwägung: viele halten ihn für den Messias; vielleicht ist er es wirklich.

So gehen die Verschwörer mit einem Urteil auseinander, das keine Folgen haben kann. Aber etwas von dieser geheimen Besprechung ist doch durchgesickert und mit orientalischer Beredsamkeit noch am gleichen Tage – wir halten am 8. Tewet, dem 16. Dezember – im Volke bekanntgeworden. Von ihm erfährt es Sabbatai. Es sind keine Einzelheiten, insbesondere erfährt er nichts von dem Todesurteil. Aber daß es überhaupt Menschen gewagt haben, sich als seine und seiner Idee Gegner zu bekunden, erfüllt ihn mit einem wilden, ganz unköniglichen Groll. Seine Autorität ist angetastet, als Mensch und als Messias. Er brennt darauf sie wieder herzustellen.

Jene haben behauptet, daß sein messianisches Tun im Gegensatz zu den heiligen Schriften stehe. Das ist ein schwerwiegender Angriff, der ihm verhängnisvoll werden kann. Er muß also jenen beweisen, daß es hier nicht um die Heiligkeit der alten Schriften 180 geht, sondern um die Zulässigkeit und die verpflichtende Wirkung seiner eigenen Handlungen. Er hat jetzt zu bestimmen, was Religion ist und was nicht, was heilig ist und was profan. Heilig und folglich wahr ist immer das, was die Menschen heute glauben. Es ist an der Zeit für ihn, jedem Vergleich zwischen den Schriften und seiner Messianität den Boden zu entziehen. Und so, voll Trotz, geheimer Furcht und Schöpferwahnsinn, läßt er einen besonderen Bettag ausrufen mit der Anweisung, daß die Juden an diesem ganzen Tage in der Synagoge bleiben sollen.

Es geschieht widerspruchslos, was er angeordnet hat. Die Menschen stehen den ganzen Tag betend in der Synagoge. Sabbatai trägt wieder seinen silbernen Fächer, läßt zwei Gelehrte neben sich gehen, läßt vorauf die Männer mit den Konfitüren und den Blumenvasen schreiten, nimmt wieder einen Stock und dröhnt damit gegen die heilige Lade. Das Volk nimmt alles hin, überzeugt, daß hier nach Gottes Befehlen geheime Dinge geschähen.

Mit diesem Beweis seiner Autorität ist Sabbatai aber noch nicht zufrieden. Er hat noch von Mensch zu Mensch mit seinen Gegnern eine Rechnung auszugleichen. Er wagt noch keinen unmittelbaren Angriff gegen sie, weil er nicht sicher ist, wie weit er sich auf seine Anhänger verlassen kann, und ob sie vor der Aufforderung, sich gegen ihre bisherigen geistigen Oberhäupter aufzulehnen, nicht doch versagen werden. Darum entschließt er sich zu einem ungefährlichen Verfahren, das in Art und Ausführung von bedenklicher Unwürdigkeit ist: zu einer Denunziation seiner Gegner beim türkischen Kadi der Stadt.

Wie er sich zu diesem Gang rüstet, läuft auch schon das Gerücht durch die Stadt, Sabbatai Zewi sei im 181 Begriff, den Kadi von seinem Posten zu verjagen. Sofort strömen die Menschen zusammen, begierig auf neue Wunder. Sabbatai tritt aus dem Hause und sieht die Menschenmenge. Sogleich beginnt er zu singen: »Die Rechte des Herrn ist erhöht; die Rechte des Herrn behält den Sieg.« Das Volk stimmt in das Lied ein. Die Fahne wird entfaltet. Der feierliche Umzug geht durch die Gassen bis vor das Haus des Kadi. Während sich vor der Türe die Menge Kopf an Kopf staut, geht Sabbatai, nur von einem seiner Brüder begleitet, hinein, um Audienz zu verlangen. Obgleich er ein ausgezeichnetes Arabisch spricht, verwendet er doch dem Kadi gegenüber nur die hebräische Sprache und bedient sich seines Bruders als Dolmetscher. Es verlautet, daß er, als der Kadi ihn empfing, doch von einiger Verlegenheit gewesen sein soll und zunächst nicht gewußt habe, was er ihm sagen sollte. Aber dann zählt er eine Reihe von Namen auf, Namen von Personen, die er unter seinen Gegnern vermutet, und klagt sie an, Schmähungen gegen den König ausgesprochen zu haben. Der Kadi nimmt die Anklage entgegen und spricht von Bestrafung der Schuldigen.

Es wurden in der Tat erhebliche Geldstrafen über die von Sabbatai beschuldigten Juden verhängt. Seine eigenen Freunde müssen aber wohl der Auffassung gewesen sein, daß solche Denunziation eine Infamie sei. Sie werfen ihm vor, daß er eine falsche Anzeige erstattet habe. Aber Sabbatai belehrt sie lächelnd: sie haben doch Schmähungen gegen den König ausgestoßen; nämlich gegen mich. Und dafür verdienen sie Strafe. – Aber selbst diejenigen, die diese hinterhältige Auslegung anerkennen, verargen es ihm sehr, daß er seinen persönlichen Zwist vor einer türkischen 182 Behörde zum Austrag gebracht hat. Es ist strenger Brauch bei ihnen, Angelegenheiten zwischen Juden vor den eigenen jüdischen Gerichten zu erledigen. Sabbatai hat einstweilen keinen Anlaß, sich um solche Meinungen zu bekümmern. Für ihn erwächst selbst aus dieser Haltung kleinlichster Rachsucht noch eine Mehrung an Macht und Ansehen im Volke. Wie er nach der Audienz beim Kadi das Haus verläßt, stehen draußen noch die Menschen, und wie sie ihn sehen, strahlend und selbstzufrieden, begrüßen sie ihn mit Jubel und Gesang. Und nach wenigen Stunden geht schon wieder eine Legende von Mund zu Mund. Wer mag sagen, wie sie entsteht? Ist in einer Gruppe von Menschen, die sehr stark an etwas Gemeinsames glauben, immer einer, der lügt? Oder preßt die Kraft des kollektiven Gefühls immer aus einem die gebundene Erzählung als Dichtung heraus? Oder tun sie nichts andres als ihr Vorbild, der Messias: Wünsche so stark austragen, daß man sie als Wahrheit berichten darf?

Dieses ist die neue Legende: als Sabbatai das Audienzzimmer des Kadi betrat, war niemand im Raume. Da nahm der Messias ohne weiteres den Platz des Kadi ein, erhob sich auch nicht, als der Kadi kam. Mehr noch: um ihm seine Verachtung und seine Überlegenheit zu beweisen, trat er seinen Rock mit Füßen. Der Kadi wagte keine Gegenwehr. Als Sabbatai dann sprach, ging eine Flamme von seinem Munde aus, versengte den Bart des Kadi und hätte beinahe das ganze Zimmer in Brand gesetzt. Auch erhob sich zwischen ihm und dem Türken eine feurige Säule. Da flüchtete der Kadi zu Sabbatais Bruder und flehte ihn an, diesen Mann da fortzubringen. Das sei kein Mensch, sondern ein Engel Gottes . . . . 183

Und die nicht ganz an die Wahrheit dieser Wundergeschichte zu glauben vermögen, glauben doch, daß ein Wunder schon darin liege, daß der Kadi Sabbatai empfangen, angehört und entlassen habe, ohne ihm wegen des Geredes von seiner Messianität etwas zuleide zu tun. Diese sind die gläubigen Realisten.

Heimgekehrt von diesem ersten Angriff auf seine Gegner, setzt er seine königliche Hofhaltung fort, und in der Art, wie er es tut, vermehrt er die Ungewöhnlichkeit seiner Handlungen um eine, die bei den Juden helle Verwunderung erregen muß: er läßt die Frauen zu sich kommen, sitzt mit ihnen an der Tafel und spricht mit ihnen wie ein gütiger und weiser Vater. Solches Beisammensein mit Frauen ist zwar nicht verboten, aber es widerspricht jedem Herkommen. Bis jetzt war die jüdische Frau durch Gewohnheit und Sitte isoliert. Sabbatai hebt diese Isolierung auf. Er stellt die Frau dem Manne gleich. Er setzt sogar durch, daß zu den Vorlesungen aus der Thora auch Frauen den Almemor betreten, und daß über sie der Segen gesprochen wird. Es ist der Beginn einer Emanzipation, die so lange dauert wie sein Wirken als Messias. Sarahs Einfluß ist dabei unverkennbar. Auch sie durchbricht für sich rücksichtslos die Schranken des Herkömmlichen. Auf sie ist es zurückzuführen, daß jetzt Männer und Frauen zusammenkommen, auf der Straße, bei den Umzügen und bei Festlichkeiten. Gerade die Festlichkeiten, diese seltsame Mischung von Tafelfreuden und geistig-religiöser Gehobenheit, bekommen durch die Anwesenheit der Frauen ein andres Gesicht. Die Freude an solchen Veranstaltungen wird menschlicher, wirklicher, durchbluteter. Sie vermittelt doppelt das Gefühl, mitten im Anbruch einer neuen Zeit zu stehen. Zum 184 ersten Male seit undenkbaren Zeiten sieht man Männer und Frauen mit einander tanzen. Ein neues Lebensgefühl wacht auf. Sarah lebt es ihnen in aller Unbedenklichkeit vor, indem sie jeden Mann in ihre Sinnlichkeit hineinzieht, den sie gerade begehrt. Was seine Gegner Sabbatai vorwerfen, daß er seine Frau zu solchem Verhalten aufgefordert oder ermutigt habe, muß keineswegs eine bösartige Erfindung sein. Das auffällige Schweigen der sonst so mitteilungsfreudigen Zeitberichte über Details gerade ihres Lebens kann nur aus einer Schamhaftigkeit erklärt werden, die vor dem Aussprechen der Wahrheit zurückscheut.

Für Sabbatai kommt nach seiner ganzen Einstellung zu Frauen nichts auf seine persönliche Befriedigung an, vielmehr alles auf seinen Willen zur Wirkung. Durch seine Behandlung der Frauen sucht er seinen Einfluß auf die Männer zu festigen, zugleich ein neues Element in seiner Anhängerschaft zu gewinnen. Versöhnlich wirkt dabei besonders, daß er auch wiederholt mit seinen beiden von ihm geschiedenen Frauen zusammenkommt, ohne Rücksicht darauf, daß nach rabbinischem Gesetz ein Mann mit seiner geschiedenen Frau weder sprechen noch überhaupt unter einem Dache weilen darf. Aber der höhere Zweck macht alles erlaubt, und dieser Zweck ist nach Sabbatais Erklärungen kein geringerer als die Erlösung der Frau überhaupt. Er stellt ihnen dar, wie sie heute noch mit der ersten Sünde ihrer Urmutter Eva belastet seien. Damals ist der Fluch über sie verhängt worden:

Zum Weibe sprach er:

Mehren und mehren will ich deine Mühsal, deine Schwangerschaft, in Mühen sollst du Kinder gebären. 185 Nach deinem Manne sei dein Verlangen, er aber walte dir ob.

Von diesem göttlichen Fluche will er, der Messias, die Frauen erlösen. Dafür ist er in die Welt gekommen. Indem er die Sünde Adams erlöst und aufhebt, wird er auch die Frauen befreien und sie glücklich machen wie die Männer. Die Frauen hören es, begreifen jetzt vielleicht zum ersten Male die bedrückende Unfreiheit ihrer Existenz, und bekennen sich weinend und hoffnungsvoll zu dem, der sie auch von der naturgegebenen Mühsal zu erlösen verspricht, wie er jetzt schon ihren Alltag aufgelockert und farbig gemacht hat.

Daß nunmehr Frauen aktiv in die Bewegung eingreifen, macht sich jetzt so bemerkbar, wie es zuweilen bei Revolutionen der Fall ist, wenn zu den Erwägungen und Beweggründen der Männer der Instinkt von Frauen sich als auslösendes und antreibendes Moment gesellt. Und es sind revolutionsähnliche Vorgänge, die sich jetzt in dem weiteren Feldzug gegen Sabbatais Widersacher abspielen. Da er fast die ganze Stadt beherrscht, kann es nicht ausbleiben, daß jedes Wort des Mißfallens oder der offenen Feindschaft ihm zugetragen wird. Solche Stimmen zum Schweigen zu bringen, ist ihm jedes Mittel recht. Nur braucht er jetzt nicht mehr zum Kadi zu laufen und den Denunzianten zu spielen. Er hat seine Garde fanatisierter Anhänger, die die Austragung der Feindschaft für ihn besorgt. Er hetzt sie wie ein rachsüchtiger Diktator auf jeden, der ihm verdächtig scheint, oder ihm als gegnerisch bezeichnet wird. Da ist der Kaufmann Nachman Gaza. Er hat sich mißwollend gegen den Messias ausgesprochen. Schon stürmt die Masse gegen sein Haus an. Er wird 186 rechtzeitig gewarnt und entflieht nach Alexandrien. Auch Salomon Algazi kann eben noch äußerster Gefahr durch die Flucht entgehen.

Da ist weiter der wichtige und gelehrte Gegner Aaron de la Papa. Der macht aus seiner wütenden Feindschaft, die nicht nur eine sachliche gewesen zu sein scheint, keinen Hehl. Öffentlich verkündet er, daß Sabbatai ein Übel im Judentum sei, und daß es das Beste wäre, ihm Gift zu geben. Er vergleicht ihn mit Rëubeni und nennt ihn einen Betrüger gleich jenem. Er ist von Herzen bereit, den Messias zu begrüßen, wenn er kommt; jeden, nur nicht diesen. Diesen Gegner zu beseitigen ist Sabbatais glühendster Wunsch. Es muß möglich sein, ihn mit der Gewalt einer entfesselten Volksmenge aus dem Wege zu räumen. Es könnte damit zugleich erprobt werden, ob er die Waffe der Kollektivleidenschaft schon so fest in der Hand hat, daß er es ohne Gefahr eines Rückschlages wagen darf, sie gegen das geistige Oberhaupt der Stadt zu richten. Was jetzt in der Aktion gegen den Kaufmann Chaim Pegna geschieht, mutet wie eine Generalprobe zu einem Drama der Rachsucht und Gehässigkeit an.

Chaim Pegna hat inmitten dieses gläubigen Tumultes rundheraus erklärt, Sabbatai sei nicht der Messias. Keines der Merkzeichen, wie sie in den Schriften aufgezeigt wären, treffe auf ihn zu. Für Dispute und Beweise ist er völlig unzugänglich. Sabbatai vernimmt das. Es braucht nur eine kurze Andeutung von ihm, und schon setzen sich die Vollstrecker seines Zornes in Bewegung, um Pegna mit Gewalt zu bekehren oder ihn zu verjagen. Aber Pegna ist hartnäckig. Weder diskutiert er, noch ergreift er die Flucht. Er verschanzt und verbarrikadiert sich in 187 seinem Hause, bereit, Widerstand zu leisten. Aber auch das Volk ist hartnäckig und beginnt, Pegnas Haus zu belagern und es mit Steinen zu bombardieren. Vielleicht hätten sie in ihrem aufgespeicherten Zorn das Haus erstürmt und Pegna umgebracht. Aber es ist ein Freitag in der winterlichen Jahreszeit. Es dunkelt früh, und der Sabbath bricht an, genügend Anlaß für die Menschen, die Belagerung abzubrechen und in die Synagoge zu gehen. Pegna kommt aus seiner Barrikade hervor und begibt sich ebenfalls zum Gottesdienst, und zwar in die portugiesische Synagoge. Auch am folgenden Tage geht er zum Gebet. Er glaubt damit rechnen zu können, daß an diesem heiligen Tage Burgfriede herrsche, wie ihn das Volk aus sich selbst heraus zu Beginn des Sabbath erklärt hat. Aber er täuscht sich. Er hat jetzt nicht mehr mit dem Volke zu tun, sondern mit einem Hysteriker, der einem Paroxysmus der Wut verfallen ist. Während Sabbatai den feierlichen Dienst zelebriert, wird ihm die Nachricht überbracht, Pegna sei in der Synagoge der Portugiesen und verharre dort bei seiner feindseligen Haltung. Sabbatai sendet sofort einen Boten an den Vorstand der portugiesischen Gemeinde und läßt ihm befehlen, den Chaim Pegna aus der Synagoge zu werfen. Der Vorstand hält kurze Beratung ab. Dann schickt er den Boten mit ablehnendem Bescheid an Sabbatai Zewi zurück: nein, sie haben nicht das Recht, einen Menschen von seinem Gottesdienst zu verjagen.

Wie Sabbatai diese Antwort vernimmt, ist es um seine Fassung geschehen. Daß man ihm mit einem Nein zu antworten wagt, macht ihn zu einem Berserker. Er tobt auf, reißt an die fünfhundert Menschen mit sich und stürmt auf die Straße. Der 188 Sabbath ist heilig, aber die Autorität des Messias ist heiliger. Sie rasen wie die Entfesselten hin zur portugiesischen Synagoge. Da hat man den Lärm schon von weitem gehört und hat das Tor verschlossen. Sabbatai hämmert mit den Fäusten dagegen, schreit besinnungslos: sie sollen ihm den Pegna herausgeben. Antwort von drinnen: Pegna ist nicht mehr da. Er ist über das Dach der Synagoge geflohen. Sabbatai beharrt: dann sollen sie ihm öffnen. Er will hinein. Antwort von drinnen: nein. Hier wird Gottesdienst abgehalten. Hier werden keine Feindschaften ausgetragen.

Sabbatai sieht sich nach seinem Gefolge um. Er ist blaß vor Wut. Da stehen die schlichten Menschen: Fischer, Arbeiter, Ruderknechte, Eierhändler, Geflügelverkäufer. Sie verstehen. Plötzlich sind Äxte und Beile zur Hand. Der Messias selbst ergreift eine Axt. Und dann donnern die Schläge gegen das Tor. Es zersplittert. Sie dringen in die Synagoge ein.

Drinnen schweigen ihm die Angst und das Entsetzen vor solcher Entweihung von Tag und Ort entgegen. Aber Sabbatai hat dafür kein Empfinden. Er begreift nur, daß unter diesen Menschen, die ihm den Pegna nicht haben herausgeben wollen, doch noch heimliche Gegner sein müssen. Er geht auf die Kanzel und beginnt zu reden und zu wettern. Was ist das für ein Gottesdienst? Was für Gebete werden hier gesagt? Es sind keine gültigen Gebete mehr. Seine Gebete soll man von jetzt an hier sagen. Heiligkeit der Überlieferung? Er zieht einen Band des Pentateuch aus der Tasche und hält ihn hoch. Das da ist heiliger als die ganze Thora. Er legt die Hände wie einen Trichter an den Mund, als ob er die Posaune blase, und wendet sich so nach den vier Himmelsrichtungen. Und 189 dann überfällt ihn eine Ahnung von seiner Situation, sinnlos schief gesehen und grotesk mit einer großen historischen Situation verkoppelt: er denkt plötzlich an Jesus. Ist es eine Erinnerung an das Auftreten des Jeschu hanozri im Tempel zu Jerusalem unter den Wechslern? Findet er eine Parallele in den Gestalten und ihrem Schicksal? Begreift hier plötzlich ein Außenseiter den anderen? Hier, im Zenith seiner tatsächlichen Macht, überkommt ihn der Gedanke an Verfolgung und Martyrium. Sicher will er Jesus nicht verteidigen, denn gerade der ist es ja, der von der andersgläubigen Umgebung der jüdisch-messianischen Erwartung entgegen gehalten wird zum Beweise dafür, daß der wahre Messias schon erschienen sei. Aber dennoch steht hier ein Außenseiter zum anderen, weiß der eine Verfolgte sich in seinem Schmerz, seiner Unruhe, in dem Pathos des Verfolgtwerdens eins mit dem anderen. Er hebt die Augen anklagend zum Himmel. Dann schreit er die Juden an: »Was hat Jesus von Nazareth euch getan, daß Ihr ihn so mißhandelt habt? Trotz allem werde ich ihn in die Zahl der Propheten einreihen!«

Dann packt ihn wieder die Wut. Er muß sich Luft machen. Er nennt Gegner bei ihrem Namen, insbesondere die Rabbiner, und beschimpft sie als Schweine, Kamele, Hasen, Dachse, mit den Namen der Tiere, die im Pentateuch, im Buche »Er rief« als unrein aufgeführt werden, und von deren Fleisch zu essen als Sünde verboten ist. Man soll den Kerlen, wettert er, nichts als vom Fleisch dieser unreinen Tiere zu essen geben. Dann geht er zur heiligen Lade und nimmt die Thorarolle heraus. Er trägt sie in der Synagoge umher und singt dabei das Lied von der spanischen Königstochter Melisselde. Und wie ihn 190 einige verständnislos anschauen, erklärt er ihnen, dieses Lied stehe im Zusammenhang mit den Psalmen und dem Hohen Liede. Nur ihm ist der geheime Sinn bekannt, ihm, dem Messias.

Da wagt Benveniste als einziger endlich einen Vorstoß. Er tritt vor Sabbatai hin und fragt ihn, welche schlüssigen Zeichen er dafür zu geben habe, daß er der Messias sei? Darauf gibt Sabbatai keine sachliche Antwort. Er entgeht der Gefahr, sich mit dem klügsten Kopf von ganz Ismir öffentlich in einen Disput einzulassen. Wozu auch, wenn einer durch Macht antworten kann? Pathetisch reckt er sich auf und antwortet dem Benveniste mit den gleichen erdrückenden Worten, mit denen er selbst hier vor Jahren verflucht wurde: mit der Aussprechung des großen Bannes. Dann läßt er Benveniste durch seine Anhänger aus der Synagoge werfen. Er verkündet hinter ihm drein, morgen müsse der Rabbi ihn um Verzeihung bitten, sonst werde er ihn Kamelfleisch essen lassen. Mit diesem Vorgang ist seine Kraft zu Exzessen einstweilen erschöpft. Er ruft noch einzelne Menschen auf und verlangt von ihnen, daß sie den vollen Gottesnamen aussprechen. Dann verläßt er die Synagoge. Seine Gefolgschaft begleitet ihn, tief durchdrungen von der Gewalt des Messias und der geheimen Tragweite aller seiner Handlungen. Sie sind keine Gelehrten. Für sie sind Beweise und Zitate kein Lebenselixier. Dagegen begreifen sie sinnfällige, konkrete Vorgänge um so williger und besser. Dieser Vorgang in der portugiesischen Synagoge hat seine Anhängerschaft ungewöhnlich vermehrt, weil jetzt auch diejenigen einlenken, denen seine Herrschaft über die Masse Angst macht.

Wohin die Dinge jetzt laufen, hat Aaron de la Papa 191 als erster begriffen. Er ist über Nacht aus Ismir geflohen, um aus der Entfernung weiter gegen Sabbatai kämpfen zu können. Damit ist der letzte offene Gegner in der Stadt – so weit eine jüdische Gegnerschaft in Frage kommt – verschwunden. Wer nicht zu ihm hält, wagt es jedenfalls nicht zu bekunden. Es kommen jetzt Menschen zu ihm mit Geschenken und Ergebenheitserklärungen, die ausschließlich dem Zwecke dienen, sich bei ihm als Machthaber in gutes Ansehen zu bringen.

Dennoch bleibt, von seinen Freunden zögernd ausgesprochen, der Vorwurf an ihm haften, daß er durch seine Aktion gegen die portugiesische Synagoge den Sabbath entweiht habe. Es trifft von la Papa, der sich in irgend einem benachbarten Orte aufhält, ein Brief an seine verlassene Gemeinde ein, in dem er darauf hinweist, daß gerade ein Messias das Gesetz halten und erfüllen müsse, und daß er es niemals übertreten dürfe. Dieser Mann in Ismir könne schon aus dem Grunde kein Messias sein. Sabbatai zuckt darüber die Achseln. Er erklärt kategorisch, daß er völlig außerhalb des Gesetzes stehe. In allen seinen Taten wohne ein Sinn, den die kleinen Gehirne nicht begreifen könnten.

Zu diesen kleinen Gehirnen rechnet er auch la Papa. Er erklärt ihn seines hohen Amtes für unwürdig. Er erläßt noch am gleichen Tage, dem 9. Tewet, dem 17. Dezember 1665, ein Dekret, nach welchem Aaron de la Papa von seinem Amte entsetzt wird. Zu seinem Nachfolger ernennt er . . . Benveniste, der auf das Todesurteil gegen Sabbatai gedrungen hat, den er als Schwein und Kamel beschimpft und gegen den er den großen Cherem ausgesprochen hat. Ein Irrtum? Eine große Gebärde? Nein, nur ein seltsames 192 Kapitel aus der sabbatianischen Politik. Wenn Sabbatai auch mit dem äußeren Erfolg seiner Erstürmung der Synagoge zufrieden sein kann, so hat ihn hernach doch wohl das Gefühl dafür beschlichen, daß zum mindesten die vulgäre Beschimpfung seiner Gegner mit der Würde eines Messias nicht zu vereinbaren sei. Er möchte da ein wenig ausgleichen, und findet Gelegenheit dazu, wie seine Freunde ihn fragen, warum er einen so angesehenen und gelehrten Mann als ein Kamel, als ein Gamal beschimpft habe. Mit einer Behendigkeit, die nur eine Zeit begreift und gutheißt, der aus Mangel an lebendigen Eindrücken das Jonglieren und geistige Spielen mit Worten zu einem Inhalt werden mußte, erklärt Sabbatai: seine Freunde legten seine Worte wieder einmal falsch aus. Nicht Gamal habe er gemeint, sondern Ge'mul, das Verdienst, die Vergeltung. Es ist eine Anspielung auf den dem Juden geläufigen Begriff Ge'miluth chassadim für einen, der Gutes tut, Gutes vergilt.

Es versteht sich, daß seine Freunde diese gewaltsame Auslegung willig und vielleicht sogar etwas beschämt wegen ihrer engen Auffassungsgabe entgegennehmen. Erstaunlicher ist schon, daß auch Benveniste sich entschließt, den ihm angetanen Schimpf zu vergessen und sich bei dieser Interpretation zu beruhigen. Zwischen ihm und Sabbatai haben Verhandlungen stattgefunden. Man kennt den Inhalt nicht. Aber im Ergebnis bezeugen sie erneut die erstaunliche Fähigkeit Sabbatais, Menschen zu behandeln und für sich zu gewinnen. Anderen Tages steht Benveniste auf der Gasse, und wie der tägliche pomphafte Aufzug mit Sabbatai an der Spitze daher kommt, ruft er aus: »Brüder, dieses ist der wahre Messias!« Und der Messias erntet den vielfachen Lohn seiner 193 Diplomatie: ein großer Gegner ist als Freund gewonnen, das Volk jubelt vor Freude darüber, daß dieser geistige Führer jetzt zu ihnen gehört und der Friede in der Gemeinde hergestellt ist. Die Stadt ist völlig in seiner Hand. Wer jetzt noch Gegner ist, wagt sich nicht zu rühren. Er setzt Benveniste öffentlich und feierlich in sein Amt ein, eine sinnfällige Bekundung seiner unbeschränkten Autorität.

Wie alles ihm zufällt – nicht, weil er Anspruch darauf hat, sondern weil Zeit und Menschen mit Bereitschaften überladen sind – so fällt ihm auch noch der Triumph zu, seinen erbitterten Feind Chaim Pegna auf seiner Seite zu sehen. Was Drohungen und Angriffe und Verfolgungen bei diesem hartnäckigen Manne nicht haben bewirken können, bringt ein erschütterndes Erlebnis zustande. Wie er auf der Flucht aus der Synagoge in sein Haus zurückkommt, findet er dort seine beiden Töchter auf der Erde liegen, zitternd, sich windend, Schaum vor dem Munde. Und während er noch an Krankheit, gar an Vergiftung glaubt, muß er wahrnehmen, daß eine religiöse Ekstase sie befallen hat, und daß sie weissagen wie die Menschen einer aufgeschlosseneren Zeit. Deutlich ist die Verkündung der einen: »Ich sehe den weisen Sabbatai Zewi auf einem Thron hoch oben im Himmel sitzen, mit einer Krone auf seinem Haupte!«

Vor solchem Ausbruch des Unbewußten streckt Pegna die Waffen. Was so tief aus Gemüt und Wesen eines Menschen kommt, kann nicht anderem dienen als der Ausrufung der Wahrheit. Er geht am anderen Tage in das Haus Sabbatais, und vor ihm stehend, ruft er aus: »Sabbatai Zewi ist der wahre Messias!« Sie schließen Frieden miteinander. Durch das Volk 194 geht eine tiefe Welle der Erregung, daß gerade die Töchter des Leugners es gewesen sind, die ihn zur Umkehr brachten. Späterhin und auf dem Wege der schmückenden Berichterstattung wird dieser Vorgang zu einer Wundergeschichte, die das Gewicht zu Unrecht auf Sabbatai verlegt: ein jüdischer Kaufmann aus Livorno, Joseph Pynas, habe ein Gespräch von Türken belauscht, in dem sie verabredeten, sich die Stimmung der Juden zunutze zu machen und sie auszuplündern. Pynas sei darauf zu seinen Schuldnern gegangen und habe auf Zahlung gedrängt, damit er zu seinem Gelde komme, ehe die Türken alles nähmen. Sabbatai habe es verdrossen, daß dieser Mann so wenig Zutrauen zum Messias habe. Er befiehlt seinen Leuten, den Mann kräftig zu verprügeln und ihn zu überzeugen, daß der Messias vor den Türken keine Furcht habe. Wie nun Pynas die Menschenmenge sieht, die gegen sein Haus anstürmt, übermannen ihn Furcht und Erregung, und er fällt wie ein Toter zu Boden. Die Menschen halten ihn für tot und berichten es Sabbatai. Dem ist inzwischen sein Auftrag leid geworden, und er begibt sich in Pynas Wohnung. Mit einer Berührung seines silbernen Fächers bringt er ihn wieder zum Bewußtsein, oder – wie das Volk weiß – zum Leben. Auch wenn dieser Vorgang sich nicht auf Pegna beziehen soll, bestätigt er doch die Art, in der Gegner erledigt und Anhänger gewonnen wurden.

Die religiöse Ekstase, in die Pegnas Töchter verfallen sind, bleibt kein vereinzelter Fall. Es geschieht, was geschehen muß, wenn Menschen unter ungewöhnlich schweren Lebensbedingungen ihre materielle und ihre religiöse Existenz als eine unvollendete Einheit zu leben gezwungen sind, wenn der unablässig fühlbare 195 Druck eines Jahrtausends sich aus dem umhegten und umworbenen Bezirk ihres Glaubens her zu lösen verspricht, und wenn eine besondere innere Begabung für das Erfassen und Erleben religiöser Tatbestände durch den blendenden Schein einer Wirklichkeit und Erfüllung auf das äußerste erregt wird. Männer, Frauen und selbst Kinder verfallen dem Zustand der Verzückung. Man spricht von vierhundert Einzelnen, die zu dieser Zeit in Ismir prophezeit und geweissagt haben. Mag sein, daß darunter viele waren, bei denen ein hysterischer Wille zum sensationellen Verhalten ausschlaggebender für ihre Demonstration war als ein wirkliches, von innen wirkendes Überranntwerden. Für den Rest bleibt es noch bei einem seelischen Phänomen, das sie selbst und ihre Zeitgenossen ungewöhnlich erregte und erschreckte. Darum sind die Berichte darüber sehr zahlreich. Es scheint zweckmäßig, einige zu zitieren.

Es berichtet Ricaut, der derzeit englischer Konsul in Ismir war: »Es waren mehr als vierhundert Männer und Frauen, die das herannahende Reich des Sabbatai verkündeten. Selbst die noch kaum lallenden Kinder sprachen mit aller Deutlichkeit den Namen des Sabbatai, des Messias und des Gottessohnes aus. Die im fortgeschritteneren Alter stehenden sanken ohnmächtig hin, worauf sie mit überschäumendem Munde die Befreiung und das kommende Heil der Israeliten kündeten und von den Visionen sprachen, in denen sich ihnen Zion und der Triumph des Sabbatai offenbart hätte.«

Sodann, in auffallender Ähnlichkeit, nur mit Werturteilen durchsetzt, eine anonyme zeitgenössische deutsche Quelle: »Ja die Kinder selbsten, die kaum noch ein Wort lallen kunten, haben den Namen des 196 Sabbatai, des Messiae und Sohnes Gottes, gantz deutlich ausgesprochen. Wie denn auch der Höchste verhängt und dem Teufel so große Gewalt gegeben, dieses Volk zu betriegen, daß ihre Kinder eine zeitlang besessen worden und man in ihren Leibern unterschiedene Stimmen gehört: diejenige aber, die schon etwas erwachsen gewesen, seynd Anfangs ohnmächtig zu Boden gefallen, nachgehends einen Schaum vor dem Munde ausgeworffen, und von der Erlösung und künftiger Glückseligkeit der Israeliten geredet, wie auch, daß sie Gesichter von dem Löwen Juda und des Sabbatai Zewi Triumph gesehen hätten, vermeldet; und ob zwar dieses sich alles wirklich und in der Tat also zugetragen, so kann es doch nur allein des Teufels Betriegereyen, wie die Juden hernach es selbst gestanden, zugeschrieben werden . . .«

Auch Coenen, der interessierte Augenzeuge aller Vorgänge in Ismir, kann nur feststellen, daß hier sich begibt, was er, der evangelische Theologe, als eine Erfüllung der Verheißung aus dem Propheten Joel betrachtet: »Und darnach soll es geschehen, daß ich meinen Geist ausgießen werde über alles Fleisch, und ihre Söhne und Töchter sollen prophezeien.« So weit ihm die Ekstasen echt scheinen, sagt er von ihnen: »Inder daet es is dit werck niet anders geweest dan of een konst des Duyvels.« Wo er seine Bedenken hat, meint er: »men koster genoegsaem een gemaecktheyt in mercken, gelijk in de Quakers van England.«

Es ist von Baruch de Arezzo eine solche Prophezeiung überliefert worden, die er einem Manne namens Jeschurun zuschreibt, eine stammelnde, zuckende Folge von Worten, immer wie aus neuem inneren Krampf wiederholt, durchsetzt mit Zitaten aus den täglichen Gebeten: »Gott, ich hörte deinen 197 Ruf: König, König der Könige wird herrschen in Ewigkeit. Höre Israel, Gott unser Herr, Gott ist einzig. Der König ist gekrönt worden mit der Krone. Unser König Sabbatai Zewi. Gott schütze Israel. Unsere Bitten sind erhört. Von den Tiefen habe ich geschrien. Eine große Freude. Es sei gelobt, der schon lebt. Bringt die Krone unseres Königs. Wehe dem, der nicht glaubt, daß er erwählt sei. Gnade dem, der die Gnade hat, in dieser Zeit zu leben. Göttliches Lied der Gnade jedem Gottesgläubigen. Höre uns Gott und erlöse uns. Schon gab man ihm die Krone. Sein Königreich ist ein Königreich der Ewigkeit. Danket Gott, denn gut ist er. Gott der Wahrheit. Messias der Wahrheit. Sabbatai Zewi der Wahrheit. Große Freude sei über euch. Öffne deine Hände. Gott ist ein Herr. Da Gott zurückkehrt aus der Gefangenschaft Zions, sei große Freude den Juden. Danket dem Herrn des Himmels, denn einen König gab er uns. Wehe dem, der nicht an ihn glaubt! Der göttliche Stern unseres Königreiches ist aufgegangen. Gott, ich und mein Leben stehen vor dir. Als ein Engel habe ich zu dir gerufen. Gelobt sei, der in seinem Namen kommt. Gott wird es dir vergelten am Tage der Sorge. Wahrheit, Wahrheit, Wahrheit! Hilf uns, o Gott, wie deine Barmherzigkeit ist. Es gibt keinen bösen Trieb. Gott erhörte meine Bitte . . .« Und so fort bis in die Erschöpfung hinein, alles vier, fünf Mal wiederholt, in den prägnanten, zusammengerissenen Wendungen der hebräischen Sprache.

Die Juden leben in diesen Tumulttagen von Ismir so völlig auf sich gestellt, so ganz verloren in der Betrachtung dessen, was ihnen wichtig war, daß sie ihren gewohnten Alltag darüber mit großzügiger 198 Gleichgültigkeit vernachlässigen. In aller Begeisterung vergessen sie nicht, daß der Anbruch der messianischen Zeit an die seelische Vorbereitung der Menschen besondere und erhebliche Anforderungen stellt. Da es ihnen mit ihrem Glauben Ernst ist, widmen sie sich auch mit einem erschütternden Eifer der Erfüllung der religiösen Gebote. Sie begreifen: Sünde von Mensch gegen Gott, von Mensch gegen Mensch, von Mensch gegen die Gesamtheit, Sünde als Inbegriff alles dessen, was einer in kleinlicher Selbstbefangenheit an Würde und Wohlwollen und Liebe zum anderen, zum Du, zum Außen verfehlt, ist Quell und Ursache alles Unfriedens, alles Unglücks, aller Erduldungen. Damit muß ein Ende gemacht werden. Das muß abgegolten und abgebüßt werden. Was in dem heiligen Feste ihres Jahres verankert liegt: Versöhnung, was – wenn auch nur als Idee – begriffen zu haben, diesem Volke in der Geschichte des Seelenlebens einen besonderen Platz zuweist, wird jetzt in die Wirklichkeit übersetzt. Sie tun es mit den Mitteln, die sie aus ihrer Tradition kennen: durch Buße in jeder Form. Männer, Frauen und Kinder beten; sie fasten, zuweilen in einem Übermaß, daß der Körper darunter zusammenbricht und der Büßer stirbt; sie legen sich alle Arten von Kasteiungen und Entbehrungen auf; sie nehmen das symbolische Tauchbad jeden Tag, selbst mitten im Winter, in den kalten Wassern des Meeres. Um auch den Rest der Seelen, die noch nicht geboren sind, in die Körperhaftigkeit eingehen zu lassen, werden in großer Anzahl schon die Kinder mit einander verheiratet und damit das letzte Hindernis für den Beginn der Erlösungszeit beseitigt. Sie geben von ihrem Geringen oder von ihrem Überfluß dem, der weniger hat 199 als sie, oder sie geben es dem Messias, oder schicken es nach Jerusalem. Sie vernachlässigen ihren Beruf und ihre Geschäfte. Sie wollen kein Geld mehr verdienen, denn in der zukünftigen Zeit hat alles Materielle keinen Sinn und Wert mehr. Sie beginnen, ihre Häuser und die Einrichtungen zu verkaufen, da sie sie doch auf dem Zuge nach Jerusalem nicht mit sich schleppen können.

Sie ringen mit allen Mitteln um ihre innere Erlösung, und von Zeit zu Zeit fühlen diese und jene, daß sie freigeworden sind und daß man ihnen verziehen hat. Ihre Freude ist übergroß. Sie sind jetzt in einen neuen Zustand eingegangen und stehen an der Schwelle jener Welt, in der die bisherigen Begriffe von Gut und Böse keine Geltung mehr haben. Was sie jetzt tun, ist ohne Beziehung zur Sünde, ihr Gesang so gut wie ihr Tanz, ihre üppigen Gastereien so gut wie die Unbedenklichkeit ihrer erotischen Betätigung, die bis dahin von der Klammer des Gesetzes zu einem Akt von religiöser Prägung zusammengehalten wurde. Sie sind ohne Gesetz und folglich zügellos. Die Erlösung führt sie zu der gleichen Haltung, wie späterhin, beim Zusammenbruch der Bewegung, es das Extrem, die Verzweiflung tat. Auch da wurden sie zügellos und ausschweifend, weil sie überlegten, daß nur aus dem tiefsten Abgrund der Sünde die Befreiung kommen könne.

Die Einwohner von Ismir und die europäischen Kaufleute sind interessierte, aber im allgemeinen unbeteiligte Zuschauer dieser Vorgänge. Ihr religiöses Mitverstehen legt ihnen Reserve auf. Sie sind anfangs auch noch nicht davon überzeugt, daß diese Bewegung ernsthaftere Formen annehmen und sich auf längere Dauer auswirken werde. Aber es kommt 200 ein Augenblick, in dem ihr eigenes Interesse recht empfindlich berührt wird. Ihre Geschäfte leiden unter der Bewegung. Die Makler, die Dolmetscher, die Arbeiter, Händler, Ruderknechte, Fischer und Handwerker arbeiten nicht mehr. Sie legen Handel und Wandel einfach lahm. Und da man sie nicht mit Gewalt zur Arbeit zwingen kann, muß ein Weg gefunden werden, ihnen die Ursache ihres Faulenzens zu nehmen. Die Türken insbesondere befürchten, daß es zu größeren Unruhen kommen werde, zumal das Gerede von der bevorstehenden Entthronung des Sultans schon Gassengespräch geworden ist.

Eine Abordnung der angesehensten Einwohner begibt sich endlich zum Kadi der Stadt und fordert ihn auf, irgend etwas zu unternehmen, damit der Handel seinen Gang gehe und die Unruhen vermieden würden. Dem Kadi sind die Vorgänge in der Stadt wohl bekannt; er mißbilligt sie zwar, aber er duldet sie dennoch, da er nicht weiß, was er gegen sie unternehmen soll. Ihm ist die Situation recht unbehaglich. Er kann doch nicht die ganze jüdische Bevölkerung in Haft setzen lassen, und wenn er ihren Messias in Haft setzt, werden die Juden ihm das Gefängnis stürmen. Immerhin verspricht er, sich die Rabbiner der Gemeinde am anderen Tage kommen zu lassen. Sie erscheinen, Benveniste an der Spitze, ein wenig erregt und beunruhigt, aber doch in dem sicheren Gefühl, es bei dem Stand der Dinge auf eine Kraftprobe ankommen lassen zu können. Das entgeht dem Kadi nicht und trägt nicht dazu bei, ihm die Unbehaglichkeit seiner Rolle zu erleichtern. Er hält den Rabbinern eine große Ansprache, in der er alle seine Bedenken über die Volksbewegung zum Ausdruck 201 bringt. Vielleicht ist es eine begründete Bewegung, vielleicht auch nicht. Er selbst ist jedenfalls auch noch nicht davon überzeugt, daß Sabbatai Zewi der Messias sei. Er will aber auch nicht ohne weiteres an ihm zweifeln. Schließlich sind die Türken doch auch ein gläubiges Volk, und sie haben mit den Juden gemeinsame Erzväter und Propheten. Er sagt: »Wir sind nicht unfolgsam gegen Gottes Gebote. Wir wissen, daß am Ende der Welt ein Messias kommen muß, dem wir uns beugen werden. Beweist uns, daß es der ist, den Ihr erwählt habt. Dann werden wir bereit sein, ihn anzuerkennen. Bringt ihn hierher. Ich will ihn prüfen. Ich will ihn selbst auf den Thron setzen. Aber wenn ihr mich nicht überzeugt . . .« Und nun folgen einige flügellahme Drohungen, mit denen es ihm nicht sehr ernst ist.

Er rechnet auch kaum damit, daß Sabbatai vor ihm erscheinen wird, so wenig, wie es Sabbatai in den Sinn kommt, sich dieser Aufforderung des Kadi zu fügen. Die Rabbiner sind etwas betreten über den Auftrag, den sie ihrem Messias auszurichten haben. Dagegen ist das Volk in heller Begeisterung, weil es hier eine Gelegenheit wittert, Zeugen unerhörter Wundertaten zu sein. Mit ihm freuen sich die heimlichen Gegner, wenn auch aus anderer Begründung. Helle Haufen sammeln sich vor Sabbatais Hause. Es sind wieder die Unentwegten darunter, die ihm mit dem Herzen nicht weniger dienen als mit ihrer Arbeitsfaust. Sabbatai hätte in dieser Situation bestimmen können, was er wollte. Aber er löst die Situation auf eine schlichte und im Ergebnis sehr nachhaltige Weise. Statt dem Kadi zu gehorchen und vor ihm Wunder zu wiederholen, die er ja gemäß der Legende längst vollbracht hat, hält er an das Volk eine 202 Ansprache und sagt, es gäbe da irgendwo einen hungrigen Satan, der ihn verfolge. Man müsse diesen Satan satt machen, damit er Ruhe gebe.

Eine solche Äußerung ist ein deutlicher Wink für die Reichen unter seinen Anhängern, den sie wohl verstehen, und dem sie eiligst nachkommen. Statt des Messias bringen sie dem Kadi Geld. Und er nimmt es an.

Wie das ruchbar wird, sind die Türken sehr erbost. Sie begeben sich erneut zum Kadi und stellen ihm ein Ultimatum zum Einschreiten gegen die Juden. Er verteidigt sich damit, daß die Annahme des Geldes an sich ja kein Grund sei, nicht doch etwas gegen die Juden zu unternehmen. Aber er lehnt es ab, gegen sie Gewalt anzuwenden. Er will die Verantwortung dafür nicht übernehmen. Da die Juden in der Stadt die Majorität haben, fürchtet er, einen Aufstand hervorzurufen, von dem er weiß, daß er ihm nicht gewachsen ist. Er beruhigt sich bei dem Gedanken, daß er die Juden einstweilen ein wenig eingeschüchtert habe. Dagegen verspricht er den Türken, sogleich Bericht nach Konstantinopel zu geben und Anweisungen einzuholen, was er endgültig unternehmen solle. Um noch ein übriges zu tun und zugleich jede Verantwortung von sich abzuwälzen, läßt er Sabbatai den Befehl zustellen, sich binnen drei Tagen nach Konstantinopel zu begeben, um sich dort vor dem Großvezier zu verantworten.

Sabbatai kümmert sich um diesen Befehl nicht im mindesten. Seine Stellung gegenüber dem Kadi ist inzwischen endgültig und eindeutig bestimmt durch neue Wunderberichte, die durch die Stadt gehen. Darnach sind in diesen Tagen, da der Kadi gegen den Messias etwas unternehmen wollte, in der Nacht der 203 Erzvater Abraham, der Prophet Elijahu und Mardochai, der Pflegevater der Königin Esther, beim Kadi erschienen. Der Prophet Elijahu schwebte auf einer feurigen Säule. Der Kadi erhob sich sofort von seinem Lager und bat die Drei, sich zu setzen. Sie taten es, und die feurige Säule stellte sich zwischen den Kadi und seine Besucher. Die Säule strahlte eine solche Glut aus, daß sie den Kadi zu verbrennen drohte. Er bat flehentlich, der Prophet möge diese Glut mildern. Elijahu tat es sogleich, aber er warnte den Kadi ernsthaft, irgend etwas gegen die Juden zu unternehmen, oder Beleidigungen anderer gegen sie zu dulden. Der Kadi versprach es. Und er hielt sein Versprechen. –

So erfüllt ist die Gegenwart des Volkes vom Geschehen des Wunderbaren, daß sie überall Mirakel sehen. Es geschieht ihnen immer irgend ein Gesicht oder eine Begegnung. Da sieht einer mitten am Tage auf einem Felde eine feurige Säule. Ein anderer hat sie in der Nacht gesehen. Ein dritter sah den Mond aus den Wolken kommen, und er war ganz feurig. Andere haben gesehen, daß der Himmel sich öffnete und ein feuriges Tor zeigte. Darin stand ein Mensch mit einer Krone auf dem Haupte, und seine Züge waren die des Sabbatai Zewi. Einem anderen, der am Strande entlang ging, begegnete es, daß er einen Stern vom Himmel in das Meer fallen sah, und vom Meere stieg der Stern wieder zum Himmel hinauf. Und es ist ihnen alles, was da geschieht, ganz vertraut. Es sind ihnen nur Illustrationen zu den Voraussagungen des Joel: »Und ich werde Wunderzeichen am Himmel und auf der Erde geben, Blut und Feuer und Rauchsäulen. Die Sonne soll sich in Dunkelheit verwandeln und der Mond in Blut, 204 ehe der große und schreckliche Tag des Herrn kommt.«

Bei dieser Aufgeschlossenheit für das Wunder und bei dieser Süchtigkeit nach dem Erleben des Wunderbaren kann es endlich auch nicht ausbleiben, daß ihnen eine Gestalt erscheint, die so liebevoll wie selten eine von der Tradition bedacht und von der zärtlichen Phantasie des Volkes umhegt worden ist: eben die des berühmten Propheten Elijahu aus der Zeit des Königs Ahab. Dieser Prophet ist ihnen nicht gestorben. Er ist nur von der Erde weggenommen worden. Auf einem feurigen Wagen ist er zum Himmel hinaufgefahren. Von dort aus entfaltet er nun seit Jahrhunderten seine unsichtbare Allgegenwärtigkeit. Es ist noch heute dem jüdischen Kinde ein märchenhaftes Gleichnis, daß an den beiden ersten Abenden des Passahfestes an der Tafel ein Platz frei gelassen ist. Ein Glas Wein steht da. Und während die Liturgien gesungen werden, öffnet man an einer bestimmten Stelle der Vorlesung die Türe, damit Elijahu eintreten kann. Er kommt, trinkt unmerkbar von dem Wein und segnet den Sinn des Festes durch seine Gegenwart, so wie er auch immer gegenwärtig ist, wenn ein jüdischer Knabe durch das Rituale der Beschneidung in den Bund aufgenommen wird. Das Passah dient dem Andenken an die Befreiung aus Ägypten, zugleich der Hoffnung auf eine neue Heimkehr, zusammengedrängt in den Schlußruf der Vorlesung: Le'schanah habah bi'jeruschalaim, im kommenden Jahre in Jerusalem! Und so ist für diese erneute Befreiung, die große messianische, Elijahu nach der Tradition der Vorbote. Wenn er sich zeigt, ist die entscheidende Zeit gekommen.

Folglich zeigt er sich jetzt. Immer wieder melden 205 sich Menschen, die ihm begegnet sind. Eine Frau sieht ihn im Traume. Eine andere trifft am Freitag einen unbekannten alten Mann, der sie um ein Almosen angeht. Es ist Elijahu. Er tritt in jederlei Gestalt auf, oft noch unsichtbar und sich nur durch sein Verhalten andeutend. Aber da man weiß: er ist da, läßt man an jeder Tafel einen Platz für ihn frei und stellt ihm Speisen hin, von denen er nimmt, ohne daß sie sich vermindern. Da war ein Mann, den diese unmerkbare Gegenwart betrübte, und er ordnete an, daß der Tisch über Nacht gedeckt bleibe. Am anderen Morgen ist seiner Erwartung Genüge geschehen: der Wein ist ausgetrunken. Elijahu hat den Becher zum Dank mit Olivenöl gefüllt. Weit umher berichtet wird der Vorgang, der sich im Hause des Salomo Carmona abspielte. Carmona hat Freunde zum Mittagessen geladen, und wie einer während des Mahles die Wand hinaufblickt, an der die schönen blanken Zinnteller zur Zierde befestigt sind, beginnt er selig zu lächeln, erhebt sich und verneigt sich tief zur Wand hin. Denn dort, in dem metallenen Schein, steht Elijahu. Die anderen erheben sich ebenfalls und verneigen sich mit ihm.

Die Nachwirkung solcher Vorgänge in den Gemütern der Gläubigen ist ungewöhnlich groß und wird vermehrt durch ein gleich wunderbares Ereignis, das aus Konstantinopel ihnen berichtet wird und das greifbare und praktische Folgen hat: da geht ein Jude durch die Straßen und trifft einen Mann, den er dem Ansehen nach für einen Türken hält. Der Mann spricht ihn an, und da erkennt der Jude, daß es Elijahu ist. Der Prophet ermahnt ihn, die Gesetze der Thora schärfer zu beachten. Er weist ihn auf das Gesetz hin, das in dem Buche ›Er rief‹ verzeichnet 206 steht: »Abrunde nicht die Ecke eures Haupthaares, verdirb nicht die Ecke deines Bartes.« Das ist eines der Gesetze, durch das der Jude an der Nachahmung der Sitten seiner Umgebung gehindert werden soll. Er ruft ihm weiter ins Gedächtnis zurück, was in dem Buche ›In der Wüste‹ Gott dem Mosche als Anweisung an das Volk gibt: »Sie sollen sich ein Fransengeblätter machen an die Zipfel ihrer Kleider für ihre Geschlechter, und sie sollen an das Zipfelgeblätter einen hyazinthnen Faden geben; so seis euch zu einem Blattmal . . .« Die Zipfel, die vier Ecken des Kleides, die Arba kanfoth, haben diesem Gewandstück, dessen Anblick sie ständig an Gott und seinen Bund erinnern soll, den Namen gegeben. Nun geht der Jude heim und berichtet sogleich in einem Briefe nach Ismir von dieser Begegnung. Der Brief geht in Abschriften weiter durch das Land. Er bekommt durch die Person seines geistigen Urhebers ohne weiteres verpflichtende Gesetzeskraft. Die Folgen beschreibt eine zeitgenössische Quelle sehr verständlich: ». . . denn weil sie ihre Häupter auf türkische Weise ganz geschoren hatten, so schien es sowohl beschwerlich als auch der Gesundheit schädlich zu sein, wenn sie das Haar wollten wachsen lassen. So ließen sie zu beiden Seiten des Hauptes eine lange Haarlocke wachsen, die ihnen unter der Hauben hervorgehangen und wodurch nachgehends die Gläubigen von den Kophrim (das heißt: ungläubigen Gegnern) erkannt wurden.«

Jetzt verfolgt Elijahu das Volk bis in jede Einzelheit ihres Alltags. Am Ausgang des Sabbath wird Wein im Hause ausgegossen, weil der Prophet Freude daran hat und imstande ist, den Wohlstand des Hauses zu mehren. Es soll hier und da Menschen gegeben 207 haben, die sich heimlich einige Tropfen dieses Weines in den Geldbeutel schütteten. Die Rabbiner befehlen der Gemeinde, als Vorbereitung auf das Eintreffen des Propheten schon jetzt die Häuser zu reinigen und die hebräischen Bücher geöffnet hinzulegen. Es war da einer, der einen sehr schönen Hund hatte, an dem er sehr hing. Er verjagte ihn, weil er bei der Ankunft des Elijahu kein unreines Tier im Hause haben wollte. Als Sabbatai, wie es derzeit der Brauch war, zu einer Beschneidung als Gast gebeten wurde, bat er beim Eintritt in das Haus, noch mit dem Beginn der Zeremonie zu warten, bis er ihnen Anweisung gebe. Man wartete folgsam eine halbe Stunde. Da gab Sabbatai das Zeichen zum Anfang. Als man ihn späterhin nach dem Grunde fragte, erklärte er, bei seinem Eintritt in das Haus sei Elijahu noch nicht zugegen gewesen. Erst nach einer halben Stunde sei er erschienen.

Die andersgläubigen Berichterstatter von damals und von später haben Kübel voll Hohn über diese Menschen und ihren Glauben an Elijahu ausgegossen. Sie hätten es besser nicht tun sollen. Diese Menschen haben so in tieferer Wirklichkeit ihren Propheten gesehen, wie anderthalb Jahrtausende vorher die Menschen auf der Hochzeit zu Kana Wein getrunken haben. Nur Hochmut oder belangloser Intellekt werten oder erklären Wunder. Am inneren Geschehen können sie nichts verbiegen.

Was bisher hier in Ismir geschehen ist, drängt sich auf den Zeitraum einer einzigen Woche zusammen und dient, wenn von bewußtem Zwecke noch gesprochen werden kann, der offiziellen Errichtung des messianischen Königtums. Es kommt der 10. Tewet heran, der alte, traditionelle Fasttag zum Andenken an 208 die Belagerung Jerusalems durch die Babylonier. Da setzt Sabbatai mit einer großen und dem Volk verständlichen Idee ein: in der Stunde der Wiedergeburt des jüdischen Volkes ist kein Raum mehr für die Trauer über die Zerstörung Jerusalems. Das Volk wird es wieder aufbauen. Darum wird der Fasttag des 10. Tewet hiermit für alle Zeiten abgeschafft.

Zu dieser königlichen Verfügung treten als Ergänzung die Dekrete und Edikte, die Primo, Sabbatais ›Sekretär‹, in die Welt hinaus sendet. An alle Gemeinden in Asien, Afrika und Europa gibt er Nachricht von dem Beginn der Erlösungszeit. Er weist sie an, was sie zu tun haben, um sich für die Zeit vorzubereiten. Er organisiert die Devotion, wie Ercole von Ferrara sie zu Savonarolas Zeiten für seine Stadt organisiert hat. Nur daß Primos Edikte Neuerungen treffen, die das Gewohnte berühren: er ändert die herkömmliche Gebetsordnung. Er leitet damit ihr tägliches Verhalten schon in den neuen Zustand über. Ein 10. Tewet ist nur einmal im Jahre. Aber Gebete sagen sie dreimal am Tage. Zum Pathos des Messias fügt er das, was wichtiger ist und dauernder: die Realität des kleinen Alltags.

Die Krönung Sabbatai Zewis

Aber auch diese Änderung wird, insbesondere in Ismir selbst, so willig und schnell hingenommen, daß das Volk beinahe anderen Tages schon wieder bereit ist für neue Ereignisse. Sie ertragen keinen Stillstand. Sie kennen keine Wartezeit. Was jetzt so glühend begonnen hat, muß sich feurig ausbreiten und vollenden. Unter ihnen lebt der König der Könige. Er muß das Königlichste tun, das Wunderbarste, das Unerhörteste. Jedes Mirakel in seinen bekannten und schon vertrauten Ausmaßen ist zu schwach. Es muß, 209 um ihnen zu genügen, geschehen, was in ihrer Geschichte einzigartig ist. Und es geschieht. Zwischen dem 11. und dem 22. Tewet, dem 19. und dem 30. Dezember 1665 teilt Sabbatai Zewi die Welt auf! Er vergibt Kronen und Königreiche an seine Brüder und seine engsten Freunde. Isaak Silveira, den, der heimlich Antwort gab bei der ersten Anrufung des heiligen Namens, ernennt er zum König David. Abraham Jachini, seinen großen Förderer, dem er die Auffindung der schriftlichen Verheißung verdankt, setzt er für diese königliche Weisheit in das Amt des Salomo ein. Sein früher Freund und großer Wohltäter Joseph Raphael Chelebi wird zum König Joas ernannt. Salomo Carmona, bei dessen Gastmahl sich der Prophet Elijahu zeigte, wird zum König Achab ernannt. Sein Sendbote Matathia Aschkenasi wird König Assa, sein Gegner von einst, Chaim Pegna, wird gewürdigt König Jerobeam zu heißen. Seinen Bruder Elias erhebt er zum König des Königs der Könige, das bedeutet: zum König der Türken. Seinen Bruder Joseph heißt er König der Könige in Juda, und sein Beiname ist: Kaiser der Römer.

Die Zuweisung der einzelnen Kronen ist von Sabbatai nicht als eine willkürliche gedacht. Jedem erklärt er vielmehr, welche Seele im Verlauf ihrer Wanderungen in ihn eingegangen sei und welche Person er mithin verkörpere. Sechsundzwanzig Könige und Fürsten ernennt er insgesamt, und da ist keiner, der an der Ernsthaftigkeit des Beginnens und an der baldigen Wirksamkeit der Amtserhebung auch nur den geringsten Zweifel hat. Die die Verwirklichung nicht erwarten können, fügen ihrem Namen schon jetzt den verliehenen Ehrentitel bei. Sie lassen sich über ihre Ernennung Dokumente ausstellen und Siegel 210 anfertigen, die sie unter ihre Briefe setzen. Da ist ein armer Schlucker, Abraham Rubio, ein Mann, der von Almosen lebt, und den Sabbatai für seine treue Anhängerschaft zum König Josia ernannt hat. Freunde und Bekannte des Rubio erwägen, daß solchem Mann doch mit Geld besser gedient sei als mit einer zukünftigen Krone. Sie drängen ihn und bieten ihm große Summen an, daß er ihnen sein Königtum verkaufe. Aber Rubio lehnt dieses Angebot lächelnd ab. Wer wird denn auch eine gewisse und nahe und glorreiche Zukunft um einiger Goldstücke wegen verspielen wollen?

Aber auch diese Aufteilung der Welt, ein Vorgang sondergleichen, wird vom Volke nicht als ein abschließender Akt begriffen, sondern nur als eine vorbereitende Handlung. Die Verteilung von Kronen ist die Hergabe ebensovieler Versprechen. Sie müssen eingelöst werden, wenn nicht alles sich als Trug und Märchen und leere Gebärde erweisen soll. Noch stehen die anderen, von der jetzt beendeten Zeit auf ihre Throne erhobenen Könige mitten in ihrer Gewalt. Sie muß ihnen genommen werden, damit Raum geschaffen werde für ihre Könige von morgen. So wie der Prophet Nathan Ghazati es verheißen hat, muß es geschehen. Darum muß als erster Sabbatai Zewi nach Konstantinopel gehen und den Sultan entthronen. Anders ist der Lauf ihrer Geschichte nicht denkbar.

Dieses ist der Augenblick schicksalschwerster Entscheidung im Leben des Messias. Es gibt keine Möglichkeit für ihn, weder eine innere noch eine äußere, sich diesem Anfordern des Volkes und der Logik im Ablauf der Dinge zu entziehen. Er hat Nathan und seine Prophezeiung aufgenommen, er hat das Volk 211 und seinen leidenschaftlichen Willen zu Wunder und Erlösung nicht von sich gewiesen, sondern sich zu ihrem Mittelpunkt gemacht. Da sind Geister, die er gerufen hat, und denen er jetzt gehorchen muß. Sein Schicksal ist eigenlebig geworden, zwangsläufig. Es verlangt Handlung von ihm, nicht Entschließung. Die Entschließung ist ihm vorgeschrieben. Die Handlung bleibt als die Quelle tiefster Gefahren seine eigentliche Verpflichtung. In Ismir lebt er getragen von einer Masse Menschen. Konstantinopel ist Ferne, Fremde, feindlicher Bezirk. Hier wird er gedrängt, dort muß er bedrängen. Hier wird ihm Macht angeboten und zugewiesen. Dort muß er sie aus Eigenem erringen.

Aber Gefahr oder nicht: die Wahl liegt nicht mehr bei ihm. Er verkündet also, was er verkünden muß: er wird sich mit dem Ablauf des Monats nach Konstantinopel begeben. Es ist der letzte mögliche Augenblick. Das Jahr 1665 ist zu Ende. Das von ihm selbst angenommene messianische Jahr 1666 bricht an. Die Zeit, die er selber angerufen hat, steht vor ihm und verlangt seine entscheidende Aktion.

Das Volk vernimmt diese Botschaft mit tiefster Zufriedenheit und Gläubigkeit. Aber sie jubeln nicht mehr. Sie halten im Übermaß der Erwartung den Atem an, wie Sabbatai Zewi am 22. Tewet, dem 30. Dezember 1665, eine Saycke, ein kleines Segelschiff besteigt, um nach Konstantinopel zu fahren.

 


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