Adam Karrillon
O Domina mea
Adam Karrillon

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Zwanzigstes Kapitel

Tage legten sich schweigend nebeneinander und wurden Wochen. Wochen wurden Monate, und deren zwölf hatten eben ein Jahr gebildet, als der Oberarzt im Spital zu Kolombo zur Schwester Angelika sagte: »Nun können Sie den Kasten des Doktor Lorum drüben in der Sargkammer für einen andern verwenden. Manchmal besinnt sich einer, der schon mit einem Fuß in Charons Nachen steht und kehrt zurück. Ich sehe, sein Bett ist leer. Sitzt er etwa im Garten?«

Die Schwester warf einen Blick durchs Fenster und sagte: »Ja, da sitzt er unter dem Magnolienbaume und tut, was alle Rekonvaleszenten tun, gräbt mit seinem Stock eine kleine Grube in die Erde, wartet, bis eine Ameise hineinfällt und deckt sie lose zu mit Sand. Dann lauert er, bis sie sich durchgewühlt hat, freut sich, sie wiederzusehen, und sinnt und sinnt. Das ist für viele ein Gottesdienst im Freien, denn die kleine Ameise predigt jedem, der sie hören will: Wer an mich glaubt, der wird leben und wenn er schon begraben wäre.«

»Sie wissen viel schöne Worte zu machen, Schwester, und ich wünsche, daß Sie Ihren Zuhörern des Himmels Gunst gewinnen mögen. Aber überlegen Sie gefälligst, daß dem Manne mit einem Beutel voll Gold mehr gedient wäre als mit einem Revers auf Gottes Gnade und Erbarmen.«

»Er denkt darüber wohl anders als Ihr,« sagte die Oberin. »Für meine Auffassung spricht, daß er eine Medaille auf seiner Brust trägt, und daß auf seinem Nachttischchen ein viel benutztes Gebetbuch liegt. Und das nicht umsonst, denn er ist auch nach der Richtung hin, die Sie andeuten, erhört.«

»Was Sie nicht sagen, hat es Dukaten auf sein Bett geregnet?«

»Ihr habt nicht weit daneben geraten. Eine große Geldsendung ist für ihn eingetroffen. Werden Sie nun zugeben, daß es wunderbare Gebetserhörungen gibt?«

»Gemach, Schwester! Noch haben wir bis jetzt das Wunder nicht. Es soll erst beginnen, wenn wir den Kranken mit Hilfe des Geldes in Kaschmirs balsamische Lüfte versetzen können,« bemerkte der Arzt und ging in dem Garten auf die Bank zu, auf der Innocenz saß und mit matten Augensternen das Näherkommen des Spitaldirektors beobachtete.

»Schon bekommen Sie etwas Farbe ins Gesicht, Herr Kollege. Ihr Schlaf ist ruhig. Ihr Appetit genügend. Es geht Ihnen also besser?« »Ja, nur geht es im Schneckentempo voran, und widerwillig nur gehorchen die Glieder dem Willen.«

»Weiß schon, was Sie sagen wollen,« entgegnete der Direktor. »Hier ist die Luft zu erschlaffend. Der Gesunde selbst vermißt hier die Hälfte seiner Kraft. Sie sollten da oben hin, an die Abhänge des Himalaja, wo aus der Gletscherwelt eine belebende Kühle niederfällt. Acht Monate in Kaschmir verlebt, fördern Ihre Gesundheit mehr, als zwei Jahre unten in der heißen Nähe des Äquators.«

Als Innocenz das Wort Kaschmir hörte, erwachte in ihm eine süße, warme Paradieseswonne, und sein jetzt so mattes Auge funkelte, wie Sterne funkeln durch schwüle Sommernächte.

Dem Direktor entging diese frohe Wallung nicht, und er fuhr ermunternd fort: »Geld ist für Sie da. Vielleicht von Ihrer Dampfschiffahrtsgesellschaft, vielleicht von jemand anderem. Das ist übrigens einerlei. Die Summe ist mehr wie ausreichend, und Sie gehen!«

Und in der Tat, nach drei Tagen schon fuhr Innocenz von Kolombo nach Bombay und stand eine Stunde später vor einem Zuge der englisch-indischen Eisenbahn.

Bald stieß der Dampf die Kolben vor, das Gestänge griff in die Räder und der Reisende rollte durch eine reich gesegnete Niederung, aus der ihm ein belebender, kräftiger Schollengeruch entgegenströmte, nordwärts. Weithin streckte sich die schwarze, speckige Furche und verkroch sich in der Ferne im grünen Schwerterwald des Zuckerrohrs oder der Baumwollstaude. Nach dem ewigen Zählen der Blumen im Tapetenmuster des Krankenzimmers war dem Genesenden der Blick in den von der Pflugschar aufgerissenen Erdboden ein wahres Labsal.

Er beneidete nach der langen Gefangenschaft das Fohlen, das da über die Weide sprang, ebenso wie den Bauer, dessen Pflug von einem Kamele schwerfälligen Ganges über die Stoppel gezogen wurde. ›Zu Hause tut's der Ochse,‹ dachte er, und die Felder der fränkischen Erde erschienen zum ersten Male wieder vor seinem Geiste und auch die Menschen, die mit ihrer Existenz an sie gebunden sind. Pankraz stieg aus der Versenkung mit einem Heuwagen, und hinter diesem wandelte Käthchen Sommertag wie dazumal über die taufrische Wiese. Innocenz schloß die Augen und wollte sich in das liebe Bild versenken. Da brüllte draußen eine Büffelherde, die in den Feldern längs des Bahnkörpers ihr Futter suchte. Er sah auf, und entschwunden war ihm Käthchen Sommertag, wie dem Erwachenden ein Traum entschwindet. Die Fremde machte sich bemerklich in Papageienschwärmen, die auf den Telegraphendrähten saßen, in den Nebelsilhouetten der Dromedare und in Pfauenherden, die mit wüstem Geschrei in die Maisfelder niederfielen. Das Frankenland sank nieder, eine verbrauchte Kulisse.

So ging es viele Stunden nordwärts, ohne daß der Reisende müde geworden wäre. Die Nacht brachte einen erquickenden Schlaf im kühlen Luftzug der raschen Fortbewegung und der Tag tausend neue, wechselvolle Bilder, bis mit einem Male ganz in der Nähe von Raval-Pindi rechts von der Fahrtrichtung der Himalaja aus seinem Nebelschleier trat. War's möglich, daß so viel Glanz und Schönheit von Erdendingen ausging, oder sah der Reisende dem ins Antlitz, vor dem einst Moses sich in den Staub warf? Hatte der Allmächtige da oben seinen Thron aufgeschlagen und blendete mit seinem Strahlenglanz das blöde Auge des Erdgeborenen? Innocenz schloß die Lider und beschattete sie noch mit seinem Taschentuch. In seinem Innern aber erwachte ein wildes Sehnen, das ihn mit unwiderstehlicher Kraft in den Zauber dieser Berge lockte. Nun flog kein Rad mehr schnell genug um die Achse, und als er endlich von den Schienen los war, gab es kein Pferd, dessen Beine Schritt hielten mit seinem vorwärtsdrängenden Verlangen. Er sparte den Sporn nicht bei seinem Suchen nach der Paradiesespforte. Mit einem Sprung wollte er mitten hinein in all die silberne Herrlichkeit. Doch unter ihm versagte das Rößlein. Es bließ durch die Nase und stolperte zuweilen auf den steil ansteigenden Felsenpfaden. Da kam der Reiter zur Besinnung und fing an, die Schönheit mit mäßigen Zügen zu trinken. So kam er in einem Rausche des Entzückens über unterschiedliche Felsenjoche hinüber und stieg nach manchem Wandertag und nach mancher im Dak Bungalow verbrachten Nacht eines Morgens in das Tal des Ihelan hernieder. In Sirinaga fand er am Rande des Stromes ein bescheidenes Häuschen für die Nacht und vor diesem inmitten von Lotosblumen ein Boot, das über tags seine Wohnung wurde. Wenige Ruderschläge genügten, um den leichten Kiel in den warmen Frieden niederhängenden Geästes jahrhundertealter Zedern zu treiben. Da lag der Genesende im Schiffchen auf reinlichen Matten, und seine Blicke irrten zwischen dem blaugrünen Geflecht der Zweige hindurch zur schneeigen Weiße der Bergesgipfel und verloren sich darüber hinaus in der azurnen Bläue des Himmels, durch die zuweilen eines oder das andere von den versprengten Wolkenschäfchen irrte. Stundenlang lag Innocenz so da und genoß die erste Paradieseswonne, um die uns leider die Naschsucht unserer Stammmutter gebracht hat. All sein Wünschen war gestorben, und in dieser begierdelosen Gleichgewichtslage der Seele stand die Zeit still. Es gab weder ein Gestern noch ein Morgen; alles war heute, und soviel Tage auch die Nacht gebar, einer glich dem andern so vollständig, daß sie wie Zwillingsbrüder nicht voneinander zu unterscheiden waren.

So gedieh Innocenz in Monaten der Ruhe zusehends und gewann allmählich die Nervenenergie wieder, die ihm die Krankheit geraubt hatte. Das war gut, doch auch wieder nicht gut. Denn nun vertrug er das Liegen auf dem Grunde des Nachens nicht mehr so wie im Anfang. Ein innerer Drang nötigte ihn, sich aufzusetzen. Er griff nach den Lotosblumen und flocht sie zu Kränzen oder warf sie ins Wasser, sah, wie die Strömung sie südwärts trug, und seine Gedanken begleiteten nun den reisenden Blumenkelch vom Ihelan in den Indus, von diesem ins Arabische Meer und weiter, immer weiter um Asien herum ans europäische Gestade.

Da tauchte dann aus nebelgehüllten Flußtälern das Filigran gotischer Dome heraus, und über goldiggrünem Rebgelände nickten verschlafen die altersgrauen, sagenumsponnenen Burgruinen. Und dort überm Felsen der Marienburg, da schwebte mit milde verzeihendem Blick eine lichte Frauengestalt mit dem Antlitz der Gottesmutter in der Nikolauskapelle. Oder war es dieses nicht? War es vielleicht Käthchen Sommertags Gesicht, das so gespenstisch herumspukte und so fromm durch die Maske der Gottesgebärerin zu schielen verstand? Nimm dich in acht, Innocenz Lorum, der Böse wandelt im Federkleid des Engels und macht Geschäfte für ein Heiratsbureau.

So war es Herbst geworden in den Bergen. Der Rauhreif kam und knickte die Lotosblüten, daß sie ihre Köpfchen senkten und traurig ins Wasser blickten. Innocenz fror in seinem Boote und sah voller Sehnsucht hinauf nach den späten Sonnenstrahlen, die ihr warmes Gold auf den vereisten Bergesgipfeln verstreuten, das Tal aber kühl und im Schatten ließen. Feuchte Nebel fluteten träge über die Forste hin, fielen schwer in die Flußtäler, drangen den Menschen durch die Kleider und lagen kalt und klebrig auf der Haut. Innocenz floh ins Haus und setzte die Kohlenpfanne unter seinen Stuhl. Damit war wenig gebessert. Während die Beine brieten, prickelte der Frost in den steifen Fingergelenken, und zwischen den blauroten Ohren arbeitete in den Gehirnwindungen die Phantasie und malte das Bild eines deutschen Kachelofens so mollig und verlockend an die Wand, daß Innocenz aufsprang und sagte: »Wozu noch länger weilen? Die Arme sind stark geworden und die Beine straff. Nun heim und unter ein deutsches Dach in eine deutsche Stube, mit ihrem breiten Federbett und ihrer Ofenbank vor den wohl durchwärmten Kacheln.« Die Fremde hatte ihren Reiz verloren.

Wenige Tage später nur, und der Geheilte saß im Eisenbahnzug und sah, von Delhi südwärtsfahrend, zum letzten Male dankbaren Herzens nach der ausgezackten Säge des Himalaja zurück. Sein Fieber hatte er in den Bergen gelassen und Mut zu neuem Leben nahm er mit.

Lange Wolkenwimpel mit lichtdurchwirkten Rändern zogen, einen dunklen Schatten hinter sich herschleppend, vor den leuchtenden Gipfeln hin, immer westwärts, dem Abendlande entgegen. ›Da liegt auch mein Ziel,‹ dachte Innocenz, ›und wer weiß, wenn sie ihren Segen niederschütten, dann netzen sie vielleicht einem schönen Kinde die Stirne, das den Flüchtling noch nicht vergessen hat.‹ Käthchen Sommertag winkte aus weiter Ferne über die Meere herüber.

Im Hotel zu Bombay, wo Innocenz einige Tage auf den Abgang des Dampfers warten mußte, hatte er einen etwas vorlauten Zimmernachbar. Wie andere Menschen dachte er mit dem Gehirn, aber er redete mit dem Revolver. Für den Oberkellner schoß er dreimal in die Luft, zweimal für den Hausknecht und einmal für das Zimmermädchen. Brauchte er alle drei zugleich, so gab es eine Schießerei, als wenn im kaiserlichen Palast an der Newa ein Prinz geboren wird. Für diesen Herrn mit den geräuschvollen Sitten interessierte sich der junge Arzt und er befragte das Fremdenbuch nach Namen, Stand und Herkommen.

»Master Samson Esquire aus Hongkong,« sagte dieses trocken.

›Sollte am Ende gar –‹ dachte Innocenz, legte das Buch zur Seite und sah vom Frühstückstisch in den Garten hinaus. Draußen in den wohlgepflegten Wegen wandelte eine große, breitschultrige Gestalt in weiten Hosen und braunsammetnem Gehrock majestätisch wie ein Maharadscha auf und nieder. ›So von hinten gesehen, wäre dieser mit dem Kassenschrank einer Zettelbank zu verwechseln‹ redete Doktor Lorum zu sich selber und wartete in Geduld, bis es dem Fremden gefallen würde, die Vorderseite der Medaille zu zeigen. Da wendete dieser mit einem exakten Zirkelschlag vor einer Taxushecke und kam den Pfad herunter gegen die offene Veranda zu. Innocenz sah den gewaltigen Brustpanzer einer weißen Weste, in die sich eine knallrote Krawatte verkroch, sah eine goldene Uhrkette von der Dicke eines Salamanders. Auch sah er Manschetten mit talergroßen Bernsteinknöpfen. Hände sah er keine, und auch das Gesicht, hinter der Brustwehr eines Vatermörders versteckt, war kaum für einen Scharfschützen erkennbar. Der Mann kam wie Goliath mit wuchtigen Schritten näher, und schon wackelte der leichte Holzbau der Veranda, als Innocenz plötzlich aufsprang und dem Ungetüm lachend beide Hände entgegenstreckte. Dieses stutzte ein wenig, wie ein Nilpferd vor einem Grammophon, dann aber griff es zu, als ob es den Doktor erdrücken wolle.

» Goddam, my boy, was schaffen Sie noch über der Erde, oder hat der Hund von Obermaat mich so angeschmiert? Ich will ihm für sein Lügen ein Loch in den Bauch schießen, daß er ausschaut wie ein Starenkasten. Was braucht die Kanaille auszusprengen, daß Sie die Würmer gefressen hätten, während Sie hier mit gesunden Knochen herumlaufen und aussehen, als ob Sie ein Stachelschwein verdauen könnten. Übrigens: All right, my boy Sie haben noch nicht geluncht! Ich will für uns beide einen Hammel bestellen und einen Korb Champagner.«

Nach diesen Worten fing er zu schießen an, und es gab ein Wettlaufen im Hotel, als ob die Zeit der olympischen Spiele wiedergekommen wäre.

»Bringen Sie von allem, was Sie auf der Speisekarte haben, zwei Portionen!« herrschte Samson den Oberkellner an.

Als dieser sich verneigte und gehen wollte, machte Innocenz eine Gebärde der Abwehr.

»Keine Ziererei!« fuhr der Riese dazwischen. »Ich könnte mir einen deutschen Herzog als Kammerdiener engagieren und sollte meinem Herzensjungen gegenüber mit einem Frühstück knausern? Wem außer Euch verdanke ich denn meine heilen Knochen?«

»Ich verstehe!« sagte der Arzt. »So ist der Arm wieder ganz in die Reih' gekommen?«

Samson warf dem Oberkellner eine Pfundnote vor die Füße und schlug mit der Faust die Tischecke herunter.

»Brav so!« sagte der Arzt. »Bei solchen Leistungen kann es Ihnen an Zuschauern nicht gefehlt haben.«

»Ich sage Ihnen, die Leute drückten sich aneinander wie die Blattläuse, und das Geld rollte wie die Holzäpfel in den Keltertrog. Da war ein Kerl, der bot mir tausend Dollar für eine Vorstellung in einem Blumenschiff. Apropos! Blumenschiff, mein Verehrter! Wissen Sie, was ein Blumenschiff ist? Na, tun wir ihm die Ehre an und nennen es ein Mädchenpensionat, obwohl an all der Weiblichkeit, die drinnen lebt, keine Spur von einem Mädchen zu finden ist. Wenn Gott seine Sonne über Gerechte und Ungerechte scheinen läßt, so dachte ich mir, dann kannst du auch vor Reinen und Unreinen Ketten zerreißen, und ich ging hin. Doktor, da hab' ich viel gesehen, was nicht einmal im Konversationslexikon vorkommt, und manchen Ehrenmann hab' ich kennen gelernt, den ein rechtschaffen Weib nicht einmal mit der Kohlenzange anrühren sollte. Und doch, sie leben mit ihnen ohne Skandal, aber ich will einen Igel fressen, wenn sie glücklich sind. Sie sehen so niedergeschlagen, so zerknittert aus. Da ist eine Frau van der Klingen, die hat so einen Edelgauner zum Manne, 's ist eine Affenschande. Man sollte den Windhund durch eine Dreschmaschine treiben, damit ihm alle Rippen gebrochen würden. Sie hat übrigens jetzt ein Kind, das dem Alten so ähnlich sieht, wie eine Knoblauchzehe einer Haselnuß. Dies Kind scheint das Glück ihrer Gegenwart und die Hoffnung ihrer Zukunft zu sein. Der Himmel gebe, daß es einen Vater habe, dem es in Ehren nacharten kann.«

Innocenz war ganz Ohr geworden. Das Blut war ihm ins Gesicht gestiegen und er fragte mit lauernden Blicken: »Ihr habt sie demnach gesehen?«

»Ja, und zwar des öfteren mit ihrem Kinde im Viktoriapark, und gesprochen. Einmal fragte sie, ob ich nichts von Euch gehört hätte, und wie es Euch ginge. Ich sagte, daß Ihr nach meiner Schätzung nichts zu klagen hättet, weil ich annahm, daß die Termiten Euren Leib bis auf die Knochen aufgezehrt haben möchten. Sie wurde bleich wie ein Magnolienblatt, denn sie hatte den Sinn meiner Rede erraten, und es liefen ihr die Tränen wie dicke Erbsen die Backe herunter. Ich verdünnte meinen Wermuttrank und sagte, daß ich Euch das Honorar für Behandlung meines Armbruches nach Kolombo gesandt hätte und daß ich stündlich auf eine Antwort wartete. Aber sie war untröstlich, drückte das Taschentuch vor die Augen und verschwand. Doktor, ich bin nicht so klug, daß ich die Flöhe husten höre, aber sagt einmal offen, habt Ihr vor drei Jahren während der langen Seefahrt nicht gemerkt, daß das Weib in Euch verschossen war?«

So weit war Master Samson in seiner Plauderei gekommen, als er bemerkte, daß sich dem Arzt eine tiefe Traurigkeit über die Stirn legte. Da wurde der Riese verlegen und unbeholfen und fing an zu stammeln. Um sich aus der verfahrenen Situation zu retten, schoß er den Oberkellner herbei, zahlte und erhob sich. »Junge, ich werde die Tickets besorgen für den Steamer nach Hamburg,« sagte er. »Macht, daß Ihr nach Deutschland kommt. Man muß den Teufel mit dem Teufel austreiben. Aber eine unglückliche Liebe hilft man sich am besten durch eine glückliche hinweg. Wer über den Hund ist, kommt über den Schwanz, und rings um den Ozean herum wohnt mehr wie eine Mutter mit einem schönen Kinde.«

Als der gutmütige Übermensch weg war, erhob sich auch Innocenz von der reich besetzten Tafel. Er ging ans Meer hinaus und sah den Wogen zu, wie sie in weißen Spitzenkrausen dem Ufer zuliefen und zerschellten. Wohl weilten seine Augen bei dem sinnlos monotonen Spiel, seine Gedanken aber waren weit weg, sie waren da hinten an der Wiege eines Kindes, das sein war und dem er doch nicht Vater sein durfte. Wie würde das kleine Menschenkind ohne seine Führung den Weg durchs Leben finden? Ach, daß er um dies Wesen sein dürfte, wäre es auch nur zu dem einzigen Zweck, um seiner Mutter die Schamröte zu ersparen, die ihr ins Gesicht steigen mußte, sobald die Kinderzunge gelernt hatte, den Namen Vater zu lallen. Innocenz hatte Mitleid mit dem unglücklichen Weibe, die, einer Hagar gleich, unverstanden in der Fremde herumirrte. Aber warum entschloß sie sich nicht, mit allem zu brechen und mutvoll an seine Seite zu treten? Für ihn war und blieb sie ja doch das einzige Weib, das ihm Gattin werden konnte – denn Käthchen Sommertag – ja Käthchen Sommertag, die war nun unwiederfindlich verloren für einen, der mit einem Kinde an der Hand kam, um zu freien. Warum entschloß sich Irma nicht zu einem Gewaltschritt? Ja, warum, warum? Warum tun wir denn alle nicht, was wir sollten? 's ist zu feige! Weil ein verknöchertes Gestell, das wir Sitte nennen, sein Basiliskenauge auf uns gerichtet hält.

Innocenz saß lange und sann und sann, aber er fand für sich keinen Ausweg aus dem Labyrinth des Lebens. Da sprang er auf, eilte ins Hotel und ließ seine Sachen nach dem Dampfer bringen.

Genau fünf Wochen später bog das Schiff bei Cuxhaven um das Leuchtfeuer »Alte Liebe« herum und fuhr in die Elbemündung hinein. In Neapel war Master Samson an Land gegangen. Er wollte sich den Leuten von Santa Lucia noch einmal, diesmal in besserer Beleuchtung zeigen.

Allein und ohne Anhang, so, wie er gegangen war, kehrte Innocenz ans europäische Gestade zurück.


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