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Längst war die Rodelbahn, die der Leichenkondukt des Hintersteiner Kindes für die glückliche Schuljugend getreten hatte, zu Wasser geworden. Der Krokus hatte auf dem Kindergrabe verblüht, der Jasmin über dem modernden Gebein seinen Duft verstreut und prangend in weißen Sträußen blähte sich die Herbstaster auf dem kleinen Hügel. Man hatte das Kind vernachlässigt und pflegte nun sein Grab. O über die Verlogenheit der Leichensteine!
Als man das Tote da eingescharrt hatte, da schien es fast, als ob des jungen Arztes noch knospenzartes Renommee mit ihm vermodern solle. Beim Leichenschmaus in den verschiedenen Wirtshäusern schlich der Knochenfranzel herum, flüsterte dem und jenem geheimnisvoll ins Ohr, hob geringschätzig die Achsel und ließ sie wieder fallen, sprach von überstudierten, die vor Bäumen den Wald nicht sähen und einen Hund von einem Kalbe nicht unterscheiden könnten. Sogar den weisen Jesu Sirach wußte er geschickt zu verwenden: »Das Volk, welches sündigt, fällt in die Hände der Ärzte!« zitierte er fromm.
Fraß am einen Ende des Dorfes der Kurpfuscher wie ein Maikäfer an den Ruhmesblättern des Arztes, so nagte am andern der Hintersteiner mit Hamsterzähnen an der Wurzel des Lorbeerbäumchens. Eine Affenschande sei es, daß man sein Teuerstes Buben anvertrauen müsse, die noch kaum hinter den Ohren trocken. Ein Zipfel Wurst so lang wie ein Finger sei ihm lieber wie die ganze Brühe, in der die Ärzte gekocht würden. Der praktische Blick sei die Hauptsache. Da sei der Knochenfranzel, der mit Schröpfköpfen, Blutegeln und Klistierspritzen gehörig umzugehen wisse, besser als ein bebrillter Affe, der die Kranken mit lateinischen Brocken wie mit Häcksel füttere. Sein Kind, im Widerrist breit gestellt und mit einem Magen ausgerüstet, der Schuhnägel verdaue, hätte – dessen sei er sicher – den Kirchturm überlebt, wenn ihm nicht der unselige Knall und Fall mit einem Eßlöffel voll Arzenei das Licht ausgeblasen hätte. Gift freilich sei Gift, und wenn einer einen Dudelsack statt des Magens im Leibe habe, so fresse sich Gift eben doch durch das Schafleder.
Am den Hintersteiner herum trieb sich der Hebenstreit und sein Anhang, und die warfen ab und zu das Stockholz einer unflätigen Bemerkung in die Scheiterhaufenglut. »Über meine Schwelle käme der nie.« »Dem gehört das Handwerk gelegt.« »Keinen Hund würde ich ihm anvertrauen, geschweige denn ein Kind.«
Viele der Hörer ließen sich gegen den jungen Arzt einnehmen. Andere aber dachten vernünftiger, fühlten aus dem Gerede die Übertreibungen heraus und merkten, daß der Hintersteiner die Folgen seiner Saumseligkeit einem anderen in die Schuhe schieben wollte. »Tote kann er auch keine lebendig machen. Selbst David kam zu spät zum Baume, an dem Absalom hing,« sagten sie und nahmen sich nun erst recht vor, aufmerksam zu sein und den Arzt zu rufen, bevor man mit dem gleichen Gang auch den Sargtischler bestellen konnte. Man war gewarnt und wollte gelernt haben. So öffnete der gleiche Wind, der den einen Laden zuwehte, den andern.
Innocenz wurde trotz aller Widersacher heimisch in dem goldenen Grund, und es kam sogar die Zeit, wo er daran denken mußte, die Leistung seiner Füße durch vier Pferdehufe zu erhöhen. Drei Meilen hinter Birkenried hielt man in halbjährigen Zwischenräumen einen Viehmarkt ab, auf dem sich den Vierfüßlern zuliebe viele Zweifüßler zusammenfanden.
Der Arzt stellte eines Abends seinen Wecker auf eine frühe Morgenstunde und legte seine Kleider nach der Reihenfolge, wie er sie anzuziehen pflegte, die Hosen zu oberst auf dem Stuhle, vor sein Bett. So kam er ohne Spiegel, ja sogar ohne Licht mit der Toilette zurecht und wanderte durch das verschlafene Dorf, bevor es noch dem Hahn einfiel, die Kuhmagd zu wecken. Ein dichter Nebel füllte das Tal mit herbstlich kalten Schauern und hüllte Bäume und Sträucher in einen Domino von grauem Tüll. Der Waldweg war feucht und still, und nur ein gelegentliches Ächzen in den Zweigen, die nur ungern die feuchte Schwere des Rauhreifs trugen, verriet die Gegenwart weitgeästeter Fichtenstamme. Innocenz, der nicht einmal den Schall seiner Tritte hörte, hatte Muße, all sein Denken auf ein Idealpferd zu konzentrieren, das er für billig Geld zu finden hoffte. Er sah im stolz getragenen Berberkopf zwei feurige Augen, einen aalglatten Hals mit lustig wehender Mähne, einen weichen Rücken, sanft geschweift wie ein Zebrabug, und vier sehnige Beine, glatt wie die Ständer eines Rehes. Als er sich vorstellte, daß er auf diesem Wundertier säße, ergriff ihn die romantische Begeisterung eines Don Quixote. Große Taten sah er vor sich in den Lüften. Er fühlte den Wind um seine Ohren sausen und hörte, wie seine Schlüssel in der Tasche den Takt schlugen zum Galopp des edlen Renners. Ihm wurde es warm in seiner Haut, der Tatendrang verlangte Opfer, und ohne daß er es wollte, trat der begeisterte Innocenz mit seinen langen Beinen die Mauslöcher im Waldweg zu und köpfte mit seinem Ziegenhainer Disteln zu Tausenden. So brachte er ein gutes Stück des langen Weges hinter sich.
Mit einem Male stand er vor den Leitern eines Bernerwägelchcns, sah zwei Pferde davor und einen Mann, der auf dem Rücken eines der Gäule stehend einen Wegweiser umarmte.
»Warum so hoch hinaus, Landsmann?« rief Innocenz. »Wollt Ihr Euch aufhängen, so gibt es hier am Boden manchen Ast, der gefällig ist und Euch trägt.«
Der Fuhrmann hielt den Wegweiser auch jetzt noch mit Innigkeit umschlungen und drehte nur den Kopf nach dem Fußgänger um.
»Ach, gut's Herrle,« jammerte er mit kläglicher Stimme, »wenn Ihr mir sagen könntet, was mir der da vorenthält, so will ich gern von diesem Taugenichts zu Euch heruntersteigen und Euch zum Dank Platz machen auf meinem Ledersitz, falls Euer Weg der gleiche ist wie meiner.«
»Ihr habt den Schweif Eurer Gäule mit einem Strohseil hinaufgebunden,« bemerkte Innocenz. »Ich schließe daraus, daß Ihr nach Langenneudorf wollt zum Pferdemarkt. Ist dem so, dann rutscht an dem Wegweiser herunter und dreht die Nasen Eurer Pferde nach links. Wenn Ihr ehrlich seid und nicht zu dick, dann hoffe ich, daß wir friedlich auf dem Ledersitz nebeneinander auskommen.«
Das Bäuerlein glitt hernieder, stieg übers Reihbrett auf den Wagen und öffnete das Spannholz, um seinem Fahrgast den Aufstieg über die Weichsel so leicht wie möglich zu machen. Bald saßen die beiden nebeneinander und wärmten sich gegenseitig die Schenkel.
»Ein unheimlicher Wald!« sagte nach einigem Schweigen das Bäuerlein. »Schon mehr wie ein Dutzendmal bin ich durch ihn gefahren, und doch narren mich zuweilen noch die Kreuzwege oder die Irrwische, die auf ihnen hausen. Ihr seht so aus, als ob Ihr an so was nicht glauben möchtet, und doch versichere ich Euch, vor einer Stunde erst ist Pferdegetrappel in der Luft an mir vorüber. Wenn das nicht der wilde Jäger war, dann kann es nur Löb Moschele gewesen sein mit einem Trupp Dänenhengsten aus Fränkisch-Krummbach. Was der auf den Markt bringt, das geht Euch ohne Flügel einen Meter überm Boden wie die Schwalben vorm Gewitter. Wenn ich ein rasches Reitpferd brauchte oder eins vor einen leichten Wagen, mir soll der Schweinestall einstürzen, wenn ich bei einem andern kaufen würde als bei ihm. Freilich Gäule mit dicken Knieen vor den Mistwagen oder in die Furche, die führt er nicht.«
Innocenz wurde aufmerksam. Das Schicksal war höflich gegen ihn und wollte ihm einen Wink geben. Den durfte er nicht übersehen.
»Könnt Ihr mir sagen, wo Löb Moschele einstellt?« fragte er interessiert. »Nicht, daß ich etwa kaufen wollte, aber ich sehe Pferde für mein Leben gern, und wenn der Stall neben einer guten Küche steht, so habe ich kommod beisammen, was ich brauche.«
»Na, und ob!« lachte das Bäuerlein vergnügt, »der ›Blaue Stern‹ ist dafür bekannt, daß man dort das Maß der Würste am Vorderarm nimmt und nicht am Daumen, und wo der Oberförster von Untersensbach seinen Schoppen trinkt, dort muß die schwarze Katz' über den Spunden gelaufen sein. Ihr könnt von Glück sagen, daß Ihr gerade mich getroffen habt und keinen andern. Die Wirte sind das ganze Jahr am Einnehmen wie ein Spinnrad, an Markttagen werden sie gefräßig wie die Apfelmühlen, und wehe dem, der zwischen die Zähne ihrer Walzen kommt. Nur wer sich auskennt, schlägt sich billig durch.«
Unter derlei Gesprächen hatte das Tagesgestirn den schwarzen Nebel mit einem lichten Grau durchschossen und Personen und Dinge um den Wagen herum wurden deutlicher und erkennbar. Da trieb ein krummer Knecht zwei magere Kühe vor sich her, während eine alte Frau eine widerspenstige Ziege an einem langen Stricke hinter sich herzerrte. Metzger gingen mit großen Schritten des Weges, und Hunde, denen die Zunge aus dem Maule hing, folgten ihnen schwerfällig mit schwappernden Bäuchen.
Je näher man dem Marktflecken kam, um so größer wurde das Durcheinander von Menschen und Tieren, und schon hörte man ab und zu aus dem Haufen heraus Scheltworte und keifendes Geschrei solcher, die für ihre Füße oder Hüften keinen rechten Platz mehr fanden. Langsamer und langsamer wurde die Fahrt, und erst auf der Dorfstraße angelangt, gab es nicht selten Aufenthalt, bis ein paar Gerüststangen weggetragen oder ein stelzfüßiger Orgeldreher auf die Seite geschoben war.
Im Hof zum »Blauen Stern« standen schon einige Wagen, die mit großen Zelttüchern überspannt waren, und Frauen mit Körben waren dabei, aus dem Innern irdene Teller herauszuschaffen, oder Holzwaren, wie man sie am Küchenherd gebraucht. In den Ständen des geräumigen Stalles waren Pferde vor den Raufen, fraßen und kümmerten sich wenig darum, wem sie gestern waren und wem sie morgen sein würden. Daß sie feil waren, das wußte ihr Hinterviertel besser als der Kopf, denn einzig nur ein kleines Strohseil in die Haare des Schweifes geflochten, verkündete der Welt diese betrübende Tatsache. Innocenz bückte sich an den einzelnen Ständen und musterte die Beine der vorhandenen Renner oberflächlich, kam aber trotzdem zur Überzeugung, daß der von ihm gesuchte Bucephalus aus thessalischer Zucht – wenn überhaupt geboren – in diesem Stalle nicht vorhanden sei. Doch es war noch zeitig am Tage. Bis man gefrühstückt hatte, konnte noch manches steigende und manches fällige Schlachtroß zur Stelle sein.
So ging denn der junge Käufer in die Gaststube. Tassen standen bereit auf den Tischen und Stühle um die Tische. Noch aber saß niemand. Leute in blauen Kitteln, unter denen ein guter Rock handbreit herausguckte, hingen bessere Sonntagspeitschen an die Nägel, rieben sich die verklammten Finger und streckten mit der Flachhand ihre Hosen, die sich beim Fahren über den Knieen in Falten geworfen hatten. Zwischen diese steifleinerne Bauernbehäbigkeit herein schoß zuweilen die bewegliche Gestalt eines Juden, warf die spähenden Augen in alle Winkel und verschwand wieder, ohne daß man hätte sagen können wohin. Es war wie vor einer Schlacht. Noch donnern die Kanonen nicht, aber Ordonnanzen und Rekognoszierungsoffiziere fliegen über das offene Terrain hin.
Bald kamen Makler, flüsterten diesem und jenem etwas ins Ohr, stürzten am Schenktisch einen Schnaps hinunter und waren fort.
Nach und nach kam das schwere Geschütz der reichen Domänenpächter. Sie schnallten die Geldkatzen vom Leibe und reichten sie ohne einen Revers zu verlangen über die Einschenke hinüber der dicken Wirtin zum Aufbewahren. Groß war zu der Väter Zeiten das Vertrauen, das der Gasthalter genoß.
Innocenz blieb vorläufig unbeachtet. Es mußten erst die großen Entscheidungen gefallen sein, bevor man an ihn kam. Er konnte seinen Kaffee trinken und er tat dies gemächlich im Sitzen, während andere im Stehen die Tasse zum Munde führten. Plötzlich schlug die erste Bombe ein. Löb Moschele war ins Vorzimmer getreten. Am ihn herum ein wildes Gedränge, ein Fragen und Antworten, ein Flüstern und Kreischen, dazu der Signaldienst der Peitschenstiele, das Reden der Hände und die Funkensprache wild blitzender Augen. Zuweilen ein Stürmen der Wogen über den Hof nach dem Stall, dann eine Rückkehr des Stromes in ebbenden Wellen. Hochrot werden die Gesichter um Löb Moschele, nur das seine bleibt blaß und kühl. Vorm Hause die Musik eines Dudelsackes, von der Schießbude herüber das Knallen der Windbüchsen.
Zur Türe herein drängen fliegende Kaufleute. Der wirft eine unzerbrechliche Waschschüssel knallend auf die Erde, jener ruft Hosenträger aus, das Dutzend zu einer Mark. Wer reich werden will, verkauft sie wieder mit 300 Prozent Gewinn, wer sie behält, hat Hosenträger bis der Kuhschwanz aufhört zu baumeln. Derbe Hände schlagen ineinander, daß es knallt, als ob man einen Ast bricht. Ein Handel ist perfekt geworden. Hans Klimmer von Hasselhupf hat einen Viererzug gekauft. Die Geldkatze wandert aus dem Wandschrank. Blanke Taler rollen über den Tisch. Löb Moschele streicht ein und notiert.
Knechte ziehen Pferde aus dem Stall und über den Hof. Man hört das Schlagen der Hufeisen auf dem Pflaster. Der und jener Bauer oder Pächter wird ruhiger und lauscht auf das Singen der Würste von der Küche her. Rotwein rollt dick und glucksend aus gebauchten Flaschen in die Gläser.
Die Stunde rückt vor. Der Morgen macht dem Mittag Platz. Innocenz sah, wie's gemacht wurde, und mußte nun selber suchen, daß er fand, was er brauchte. Er ging auf die Straße, widerstand der Zudringlichkeit eines Photographen und den Lockungen einer angemalten Dirne, die ihm »die Geheimnisse von Paris, wie es wacht und schläft«, in einer Leinwandbude für einen Groschen offenbaren wollte und kam auf einen freien Platz, der von einem starken Holzgeländer umfriedet war. Der feuchte Lehmboden trug den Stempel unzähliger Hufeisen und glich dem zehnfach überschriebenen Laufzettel, der hinter einem verlorenen Wertbrief herläuft. Eine Gruppe von Pferden stand mitten im freien Gelände. Zuweilen wurde eines der Tiere an einem Strick aus der Menge herausgezerrt und sollte seine Gangart zeigen. Da war keines, das nicht das Haupt getragen hätte, wie der Streithengst des großen Alexanders, so krumm auch seine Beine waren, denn die Reitknechte ließen es an verstohlenen Faustschlägen unters Kinn nicht fehlen. Wenn aber die Tiere Ruhe hatten und ihre Peiniger nicht zu fürchten brauchten, dann standen sie da, als ob der Ritter von der traurigen Gestalt soeben von ihrem Rücken gefallen wäre. Die Leute, die um sie feilschten und handelten, schienen Milchhändler, Reitschulenbesitzer zu sein, oder Hausierer von Töpferwaren. Ein paar Männer, die in Stulpstiefeln dastanden und Reitpeitschen in der Hand trugen, lachten, machten kehrt und gingen scherzend nach dem Gittertore der Umzäunung. Innocenz folgte ihnen und wollte den Stall irgendeines Pferdehändlers aufsuchen. Er kam zwischen die Krämerbuden und lief da zufällig wider das Männlein, mit dem er am Morgen gefahren war.
»Ihr seid noch immer am Suchen,« sagte der Kleine, »auch ich habe die Augen für Euch aufgemacht. 's ist wenig da, was Ihr brauchen könntet, und doch steht seit einer Stunde etwa ein Pferd im ›Blauen Stern‹, apart für Euch geschaffen. Wenn das zu verkaufen wäre – was ich bezweifle – Ihr wäret versorgt wie ein Säugling mit einer Amme aus dem Odenwald. Ein Tier, so fromm, daß es Milch gibt, wenn man's von ihm verlangt, und auf den Läufen gestellt wie ein Edelhirsch. Wer ein bißchen kurzatmig ist, wie ich, kann nicht mit solchem Pferde fahren, er erstickt, weil die Luft schon an ihm vorüber ist, bevor er sie noch einschnaufen kann. Wenn Ihr auch schwerlich zum Kaufen kommt, Ihr müßt mir zu dem Tier, mein lieber Herr, Ihr wäret sonst in Rom gewesen und hättet den heiligen Vater nicht gesehen,« und er nahm Innocenz am Ärmel und zog ihn eiligen Schrittes durch die Menge hinter sich her dem »Blauen Stern« entgegen.
In der Stallgasse fuhren einige Stricke herum und die leeren Tüten von A. B. Reuters stinkendem Fuhrmannskanaster. Die meisten Stände waren leer. Hinten aber, im Halbdunkel einer Ecke, hörte man eine Stute lachen und eifrig mit den Vorderfüßen scharren.
»Liesel!« rief das Männlein, und die Stute wieherte kräftiger auf. Innocenz sah ein isabellfarbenes Pferd vor sich, das im silberbeschlagenen Chaisengeschirr stand und keinerlei Abzeichen trug, daß es verkäuflich sei. Das Männlein war in den Stand getreten, fuhr dem Tier über den Rücken und sagte kosend: »Schade, daß man ihm von Zeit zu Zeit die Wolle nehmen muß. Ungeschoren schimmert er wie ein geblümtes Wachstuch. Im Spiegel seines Hinterviertels kann sich einer rasieren, dessen Bart schon über drei Wochen steht. Leicht warm wird er, das ist aber auch das einzige, was einer an ihm aussetzen möchte.«
»Was hab' ich von all den Vorzügen,« unterbrach Innocenz den Lobredner, »wenn das Tier nicht feil ist?«
»Wer weiß!« lächelte das Männlein. »Löb Moschele hat oft sonderbare Mucken. Er kann's nicht leiden, daß das Tier musikalisch ist, die Kette ins Maul nimmt und sie an der Krippe klingen läßt. Und dann ist er eben ein Jude, dem schließlich alles feil ist. Man dürfe ihm eben nur nicht zu knapp bieten.«
Innocenz ließ das Roß von der Reife lösen und im Freien auf- und abführen. Über Pferde und die Halbinsel Yukatan konnte man dem guten Doktor vieles erzählen, ohne daß er merkte, wie man ihn betrog, und das ehrliche Gerede hatte ihn gefangen. So saß er denn bald mit dem Männlein zusammen in der Wirtsstube neben dem Juden, der eine Tasse Kaffee kalt werden ließ, derweilen er in eine Zeitung guckte. Sein Tagewerk war beendet und er sah strahlend aus wie ein Hofbauer, der sein Heu kurz vor dem Regen in die Scheune gebracht hat.
»Alles verkauft, Moschele?« redete das Männlein den Handelsmann an.
Dieser fuhr wie aus einem Traume empor und sagte: »Bis auf das letzte Pferdeohr!«
»Ihr übertreibt,« entgegnete der Kleine, »draußen stehen noch vier Beine, die Euer sind.«
»Oder meiner Frau! Wie sollte ich ohne diese Ständer nach Hause kommen und wie meine Augen hüten, wenn ich ohne sie käme? Hat es seit den Tagen der Makkabäer in Israel ein Pferd gegeben, das diesem gleich ist? Verkauft man ein Juwel, einen Talisman, der Glück bringt über ganze Geschlechter?« »Wenn man dafür kriegt, was er wert ist,« wendete das Männlein ein und klopfte zutraulich auf die Hosentasche des Doktors, »dann schon. Euer Beruf ist der eines Händlers. Was Euch durch die Vordertür aus dem Hof geführt wird, geht durch die Hintertür wieder herein. Euer Stall ist kein Pfründnerhaus, in dem man stirbt. Des Kaufmanns Gut ist dem, der es bezahlen kann!«
»Bezahlen kann!« wiederholte Löb Moschele und musterte den Arzt durch runde Brillengläser, bevor er fortfuhr: »Wäre ich zwanzig Jahre jünger, dies Pferd wäre mir nur als Leiche aus dem Stall gekommen. Aber nun! Löb Moschele sieht die Tage Noahs nicht, und wie lange noch und er ruht im Schoße Abrahams. Kann er da auf einem Gaul herumreiten und dem Erzvater mit Hufeisen die Kniee verschinden? Herr Doktor, trotz der Gefahr, daß mich meine Frau vor die Türe wirft, der Gaul ist Ihnen um den Spottpreis von tausend Mark, vor allem, weil ich's Ihnen ansehe, er kommt in einen guten, in einen sehr guten Stall. Ihr seid ein Pferdefreund. Euere Augen verraten Euch. Nehmt ihn hin und nehmt noch den Sattel draußen mit, es ist der gleiche, auf dem Mac Mahon gesessen hat in der Schlacht von Magenta. Bis noch zwanzig Jahre ins Land gegangen sind, ist er für jedes Museum zwanzigtausend Mark wert, und dann werdet Ihr, während die Knochen von Löb Moschele faulen, den heutigen Tag segnen!«
Wieviele Worte derart noch gefallen sind, ist schwer zu bestimmen. Tatsache ist, daß Innocenz Lorum nach einer Stunde etwa durch das Marktgewühl kam, ohne daß ihm jemand auf die Hühneraugen getreten hätte. Sein linkes Hosenbein allerdings trug den Anstrich der Gewerbebank mit sich und sein rechtes das Blut von einer Hammelkeule, die vor einem Metzgerladen baumelte. Ein Dudelsack, der zwischen den zwei respektablen Gebäuden schluchzte, hatte den Renner zum Scheuen gebracht, und es fehlte nur wenig, und der Nachfolger Mac Mahons wäre gleichfalls aus dem Sattel gerutscht. Vorm Marktflecken wurde die Gangart des edlen Tieres eine würdigere, und auf dem moosigen Waldwege gar war es für Innocenz ein königliches Hochgefühl, sich auf dem weichen Wiegen einer solchen vierbeinigen, wellengetragenen Gondel schaukeln zu können. Als sie aber die Stelle erreichten, wo in der Morgenfrühe die Begegnung mit dem Fuhrmann stattgefunden hatte, da hatte Innocenz außer den Sporen schon bereits die zwingende Beredsamkeit der Reitpeitsche nötig, um den Bock in einer erträglichen Gangart zu erhalten. Von Viertelstunde zu Viertelstunde wurden nun die Hinterbeine schleppender, die Vorderbeine stolpernder. Mehr wie ein halbes Dutzendmal hing der Reiter auf dem Halse des Tieres und beäugte durch dessen Ohren hindurch die Beschaffenheit des Chausseegrabens, der ihn voraussichtlich aufnehmen würde. Oft hatte der Held unserer Geschichte den Gedanken, abzusteigen und das Rößlein am Zügel hinter sich nachzuziehen. Doch er kam zu keinem Entschluß, schob die Unbeweglichkeit der Schindmähre auf Heimweh oder Trennungsschmerz und blieb sitzen. So kam er zum Walde hinaus und sah vor sich im Abendrot leise erglühend den Holderhof des Balduin Hebenstreit.
Nun stellte sich Innocenz in den Bügeln auf und riß dem Pferde den Kopf in die Höhe, damit es nicht den Boden küssen möge, der seinem Herrn so verhaßt war. Stolz wollte der Reiter aussehen und ungebeugt, wenn er an den Fenstern vorüberritt, hinter deren Vorhängen sicherlich neidische Augen auf sein Erscheinen warteten. Man mußte ja um sein Vorhaben wissen. Denn wer kann in einem Dorfe etwas ersinnen oder träumen, das nicht alsbald Gemeingut aller wäre?
Merkwürdigerweise schien sogar das Pferd in diesem Augenblicke die Gedanken seines Herrn erraten zu haben. Es hielt sich strammer, schlug mit dem Schweif die Lenden, blies die Nüstern auf und wieherte verlangend in die Abendluft hinaus. Da wurde Innocenz seines Kaufes, der ihm zu verleiden anfing, noch einmal froh.
Doch was war denn das? Hatte denn dies Individuum die schlechten Eigenschaften der ganzen Spezies geerbt und nicht eine gute? Wurde es jetzt nicht auch noch köppisch? Doch, und wie sein Herr auch reißen und an den Zügeln zerren mochte, es lief mit Innocenz auf dem Rücken schnurgerade in den Hof des Balduin Hebenstreit hinein.
Niemand war zu sehen, und doch schlug ein lautes Lachen hinter dem Rücken der beiden Eindringlinge auf. Innocenz war schier vernichtet davon. Der Gaul aber blieb von allem Spott unberührt. Eilig, wenn auch steif, lief er der Scheuertür zu, die halb offen stand. Innocenz kam vor die Tenne, und ob er wollte oder nicht, er mußte sehen, wer da stand. Das Bäuerlein war's, das heute morgen am Wegweiser gehangen und das so gefällig die Kaufgelegenheit vermittelt hatte. Etwas hatte sich der Knirps freilich verändert in Zeit von wenigen Stunden. Sein Sonntagsanzug war fort und er stak in einem verflickten Arbeitskittel. Aus seinem Gesicht war alle demütige Unterwürfigkeit geschwunden und ein grober Zug von Frechheit lag breit und patzig darin. Während er mit einem frommen Brotmesser eifrig an einem Rechenstiel polierte, höhnte er dem Arzt unverschämt ins Gesicht.
»Gottes Wunder, daß Ihr schon da seid! Da kann doch einer sehen, was eine Flasche Champagner, der ältesten Schindmähre aufs Zungenleder gegossen, für eine Wirkung macht! Seht, so wahr ich lebe, ich dachte das Schandvieh in Birkenried nicht eher wiederzusehen, bis ihm Moos auf dem Buckel gewachsen wäre, und nun habt Ihr es zurückgebracht in wenig mehr Zeit als einer braucht, der von Langenneudorf hierher auf dem Bauche rutscht. Seid guter Laune, der landwirtschaftliche Bezirksverein wird Euch eine Prämie auswerfen! Ihr seid ein gemachter Mann und könnt auch den Hutmacher reich machen. Das Viehch hat Euch Wolle wie ein Fettschwanzhammel. Nach einem halben Jahre steigt Euer Roß den Leuten als Zylinderhut auf die Köpfe. Wie gesagt, man muß Euch gratulieren!«
Jetzt riß dem guten Doktor der Faden der Geduld und er ließ die Reitpeitsche über dem Kopfe des Lästermaules pfeifen. Da sprang der Knirps auf die Seite und schrie: »Oho, so seid Ihr Herren! Mit dem armen Manne glaubt Ihr machen zu können, was Ihr wollt. Paßt auf! Eine Hummel, die weiß, wohin sie stechen soll, kann einem Ochsen gefährlich werden.« Und er langte nach einer Heugabel, die auf der Tenne in einem Haufen Futter stak.
Indessen hatte Innocenz den Klepper gewendet, und seine Rippen mit den Schenkeln pressend, wie die Waschklammer das Seil, hatte er ihn zum Tore hinausgesteuert. Hinter sich hörte er das gleiche schadenfrohe Lachen, das ihn beim Einreiten in den Hof empfangen hatte, und war davon nicht eben sonderlich gekränkt, denn die Empörung über das freche Knechtlein ließ kein anderes Gefühl in seinem Herzen aufkommen. Wie war er, das Stadtkind, doch so übel beraten, als er die Harmlosigkeit auf dem Lande suchte. Da hatte er nun einen kennen gelernt von jenen Einfältigen im Geiste, denen die Schrift die Seligkeit verheißt, und es war ihm bekommen, als ob er sich auf eine Schlange gesetzt hätte. Nein, lieber wollte er künftig einem Löwen in den offenen Rachen laufen, als eine Wanze unter seiner Weste beherbergen.
Unter solchen Gedanken war er an einen Pfad gekommen, der über die Wiese ins Herz des Dorfes führte. Weidenbüsche säumten ihn ein und schützten, was auf ihm wanderte, vor neugierigen Blicken. So war er der Kanal, durch den manches ins Dorf floß, was das Auge der Öffentlichkeit scheuen mußte, gestohlene Kartoffeln und gewilderte Rehböcke. Innocenz hatte seinen Klepper ehrlich erstanden und doch schmuggelte er ihn in die Gemeinde auf dem Wege der Diebe. Wer von uns allen würde nicht einen weiten Umweg machen, um dem Fluch der Lächerlichkeit auszuweichen, der unsere Eitelkeit mit Skorpionen peitscht?
Und doch, dem jungen Arzte half seine Vorsicht nicht viel. Es war geschehen. Der Bauer hatte den Doktor hinters Licht geführt. Am gleichen Abend noch wieherten es die Menschen, bellten es die Hähne und krähten es die Hunde. Eine ungeheuere Heiterkeit brach los. Ein Sieg von genereller Bedeutung war errungen worden. Bauernschlauheit hatte den zünftigen Gelehrtenwitz geschlagen. Hatten da nicht alle Grund, sich zu freuen und zu lachen? Und sie taten's. Einzig Käthchen Sommertag zerdrückte beim Schlafengehen eine gallige Träne bitteren Ärgers.