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D. T.

Auf der scheckigen Kuh saß ein Minahvogel und suchte nach Zecken.

Gustav Fredling folgte dem rastlosen Hüpfen mit schlafschweren Augen; erschöpfte sich, einige Minuten lang, in altgebackenen Gedanken, die ihn früh am Morgen so unverdaulich schienen wie sein Schiffszwieback; stopfte die Pfeife mit Tabakresten aus allen Taschen, erhob sich plötzlich mit einem Ruck und einem Fluch und trat ins Freie.

»Bei der Unterhose Mahomets, nun geht der Tanz wieder an!«

Der Tau lag dicht wie Reiffrost auf dem ungleich langen Grase, schimmerte grauweiß, durchtränkte im Nu das feste Stiefelleder, hob sich als feiner Dunst unter dem Anprall der Tropensonne. Von den Palmenwedeln rieselte es; vom steifen Besenkraut und dem hohen falschen Indigo flogen bei der leisesten Berührung große Tropfen ab und die langen feingebogenen Halme des Vitigrases blitzten wie Kanakenpfeile.

Kein Vogelsang, kein Zirpen; dunstige Stille, hastendes Kochen der Erde, glühendes Zeugen, übermächtiges Gebären, fieberndes Leben und haltloses Hinsterben ...

Von Zeit zu Zeit fiel dumpf wie ein ferner Schuß eine Kokosnuß.

Unter den Kakaobäumen wurde es kühler, dunkel wie in einer Kirche. Fredlings Fuß versank in der feuchten, moderduftenden, tiefschwarzen Erde. Blutrot wie Mäntel der Heiligen in dämmrigen Glasfenstern hoben sich die großen Früchte von den dunklen Säulen der Stämme ab. Das tote Laub bildete auf der Erde ein Mosaik von Rot, Braun, Gelb.

Die Augen schätzten, die Finger lösten da und dort einen dicken gelben Wurm, zerdrückten ihn; die Lippen rangen nach Atem, schmerzlich, unbewußt inmitten der heißen Ausatmungen.

Langsam kletterte er den Hügel hinan. Eine Landkrabbe, halb in der Furche verborgen, schlug drohend die Scheren zusammen; kleine, gelbbraune Eidechsen verschwanden erschreckt unter faulenden Kokosschalen; im Dschungel, in der Ferne, brüllte die eigenartige Buschtaube täuschend ähnlich einem fernen Stier.

Der Kaffee stand in Reife. Dunkelbraun mit purpurnen Lichtern hingen die Beeren zwischen glänzendem, dunkelbraunem Laubwerk; hier reichte das Tropengras bis zur Brust; nur wo ein toter Schwarzholzbaum dahinmoderte, zeigte sich eine weite, pflanzenarme Lichtung.

Fredling stampfte durchs Unterholz, stieß sich gegen armdicke Lianen, die in phantastischen Ketten undurchdringliche Vorhänge bildeten, schob den Körper zwischen dichtbewachsenen Buraubäumen hindurch, deren herzförmige Blätter gleichsam kosend die schweißtriefenden Wangen streiften, pflückte einige reife Alligatorbirnen als Mittagsgemüse, aß schnell im Vorbeigehen von den grünschaligen, sonnewarmen Mandarinen und stieg neuerdings zu Tal. Sein Blick streifte, verloren, den felsigen Strand, den harten, grellgebleichten Korallenschutt, das endlose Meer, das seine Einsamkeit betonte. In den schmerzenden Gliedern brannte schon das Fieber; leichte Schauer, unheimlich bei dieser brütenden Hitze, liefen wie gierig leckende Wellen an der Wirbelsäule nieder.

Unten, im halbdunklen Laden, harrten die Eingeborenen. Bis hoch übers Ohr hinauf war jeder Kopf kahl geschoren, nur oben, den Scheitel deckend, lag ein runder Filzfleck krauser, rotgebleichter Haare. Um die Lenden wand sich ein roter Kattunstreifen, der vorne wie ein grotesker Schwanz bis zum Knöchel niederhing, die nackten braunen Beine waren immer voll offener Wunden oder ansteckender Krätzen.

»Mich wollen haben Ding sein rot,« und die ungewaschenen Finger wiesen nach dem Gewünschten. Ein betäubender Geruch von Schweiß, Kokosöl, Kanakenblumen, altem Blech, faulendem Tabak verbreitete sich; bleiern verstrichen die Stunden.

Um elf Uhr schlug der Kanakenkoch »Bubu«; Mittagspause. Fredling warf sich ermüdet auf den einzigen Schaukelstuhl der Palmenstrohhütte, öffnete die Blechbüchse mit dem Taschenmesser, hieb unlustig ins kalte Fleisch. Auf dem Tisch neben ihm dampften Taro.

Nach einigen Bissen warf er die Büchse hinaus. Die Hunde stürzten sich auf den Inhalt, knurrten, fletschten die Zähne.

»Solch ein dreimal verd… Hundeleben!« Er griff nach der Whiskyflasche, schenkte ein. Allerlei Bilder stiegen auf. Man war nicht länger auf den Neu-Hebriden – bewahre – sondern irgendwo in Europa ... Berlin, Wien, Paris; man trat ins hellerleuchtete Lokal – Frauen tanzten – Gläser klirrten – – die Musik spielte; am Nebentisch saß eine Blondine und lächelte; die durchsichtige Seide ließ ahnen ...

»Kellner, Schaumwein!«

Immer wieder fuhr die Hand nach der Whiskyflasche; immer toller wurden die Träume; immer höher stieg das Fieber. Draußen, unter den Kokospalmen, schliefen die vollgegessenen Eingeborenen.

Die überfruchtbare Erde gebar fiebernd Leben auf Leben; darüber hinweg schritt hohnlachend, einheimsend der Tod ...

*

Tropentage ähneln Goldstücken; sie haben das gleiche einförmige Gepräge, sie entrollen spurlos wie diese. Wenn der Wind aus dem Norden weht, fallen schwere ununterbrochene Schauer, kocht das Blut in den Adern, liegt das Fieber in den Knochen, schlägt sich auf die Leber und man bricht Galle; im besten Fall krankt man am »Tropenjammer«, sieht alles schwarz, sucht sich sein Grab, verfaßt schauervolle Leichenreden, weint über das eigene Schicksal und das der Welt. Bläst der Wind dagegen aus dem Westen, so hängen die Wolken tief wie Grabtücher, so neigen sich die Blumen hinsterbend gegen die Erde und eine stille Wehmut reißt an den Strängen des Herzens. Kommt der Wind aus dem Osten, so ächzen die Palmenkronen, wimmern die vielwurzeligen Pandanus, klatscht das breite Laub der Vutu feindlich gegeneinander, springen die Wellen wie im Kriegstanz über die niederen Riffe und etwas Hoffnung fegt die schwarzen Nebel der Verzweiflung hinweg. Kokosnüsse fallen, man läßt Kopra schneiden, träumt von künftigen Reichtümern, Leber und Leben bessern sich ...

Der Passatwind hatte eingesetzt, pfiff scharf aus dem Osten, direkt von der Hirteninsel her; in der breiten Ringdovebucht lag der »Pacifique«; um den termitendurchhöhlten Tisch saßen die Gäste auf Kisten; die vorstehenden Nägel waren durch mehrere Schichten alter Koprasäcke unschädlich gemacht worden. Auf dem einzigen Stuhl, den drei verbogene Beine und ein Burauklotz aufrechterhielten, thronte Gustav Fredling; an seiner Seite, auf einem leeren Weinfaß, krümmte sich Erwin Redeweit wie ein kranker Kakaowurm; die Flaschen kreisten.

Die Offiziere des Handelsschiffes trugen die übliche leichte weiße Uniform; ihre Tropenhelme bildeten am Hütteneingang eine wahre Pyramide. Erwin Redeweit von Ambrym und Gustav Fredling waren ebenfalls in tadellosen schneeweißen Tropenanzügen, frischgestrichenen Sandschuhen und einer Hibiscusblüte im Knopfloch, nur trug jeder Kopf einen ungeheuren, schwarzen, übelgescheuerten Kochtopf als Hut. Von den Rändern, sich mit dem Schweiß der Stirne vermengend, lösten sich altes Fett und frischer Ruß und rannen in feinen Bächen über Wangen, Nase, Ohren nieder; zeichneten graue Zickzacklinien auf dem Weiß der Gewandung. Besonders aus Fredlings Braunauge blitzte die Freude des Vergessens, die volle Unzurechnungsfähigkeit eines Trunkenen.

»Whisky her, ich bin's zufrieden
Bester Suff der Neu-Hebriden ...«

brüllte er; die anderen fielen ein. Man stieß an, wünschte sich Glück, wußte selber nicht wozu. Der Missionar von Burumba ging gerade vorbei, vernahm den Satanslärm, steckte den Kopf zur Türe herein ...

»Was für ein Beispiel für die Schwarzen, meine Herren!«

Missionare sind unbeliebt um den sechzehnten Grad südlicher Breite; man zieht, Weiß oder Schwarz, die Heiden den Christen vor; sie fügen sich besser in den rauhen Rahmen.

Fredling entriß Redeweit die Whiskyflasche, hielt sie dem Neukömmling entgegen, brüllte trunken:

»Wa–as s–sagt Sankt Paul, B–bekehrer d–der S–Schwarzen? Er verbietet das Wassertrinken. Im d–dritten Vers des achzehnten Ka–Kapitels s–steht geschrieben:

»An die Ephäser tut er schreiben,
Läßt hübsch das Wassertrinken bleiben,
Weil das Wasser heilig ist,
Denn es tauft damit der Christ ...«

Lauter Beifall und begeistertes Stampfen folgte.

»Wenn Sie mehr Wasser trinken wollten ...« begann der Missionar, doch Fredling unterbrach ihn mit trunkenem Glucksen –

»– – so hätte ich scho–schon lange d–das Schw–Schwarzwasserfieber,« und er leerte den Rest der Flasche.

Der Missionar erinnerte sich, daß er der Schwarzen und nicht der ohnehin schon verlorenen Weißen halber nach den Neu-Hebriden gekommen war; er zuckte die Achseln, lüftete, der Schiffsoffiziere wegen, leicht den Hut und entfernte sich.

Man lachte, trank; die Augen schimmerten feucht, wurden unsehend. Jedermann sprach, meist zu und für sich selbst allein. Irgendeine politische Frage erhob sich, halbtote Gedanken, mühsam vorgezogen, fielen wie Keulen gegeneinander.

»Ha, wenn ich diesen Minister hier hätte!« schrie Fredling plötzlich, »ahnt ihr, was ich da täte?«

Und mit der Wildheit eines Besessenen riß er sich die Kleider vom Leibe, knirschte mit den Zähnen. »So!!« Es blieben nur Fetzen. Der schwere fettige Topf fiel vom Haupte, rollte über den Zementboden dahin.

Die Stimmung schlug um.

»Redeweit, Redeweit!« heulte er und warf sich dem Freund um den Hals, »das ist eine verd ... Welt! Ich sterbe!«

Redeweit hob ihn auf wie ein krankes Kind, legte ihn auf das mattenbedeckte Bambusbett, warf eine leichte Wolldecke über ihn. Sofort sank er in den ohnmachtähnelnden Tiefschlaf völliger Trunkenheit.

Die Gäste entfernten sich.

*

Gustav Fredling schlief zwei Tage und drei Nächte ohne Unterlaß, ohne bewußtes Erwachen; dann, eines Morgens, erwachte er mit bleiernen Gliedern und einem Gaumen voll Feuer.

Mit zitternden Händen schenkte er sich ein Halbglas Whisky ein, stürzte es hinunter.

Warum sich der Kopf links so kalt anfühlte? Er strich mit der Hand darüber hin, erblaßte. Nicht ein Haar war geblieben; der Kopf war glattrasiert. »Was zum ... war geschehen!?«

Er drückte ein Stück Glas gegen einen Pappendeckel. Das war immer sein Spiegel.

»Bei Venus, Jupiter und ...« die Sprache versagte ihm. Nur dort, wo er gelegen, blieben einige Büschlein langer Haare. Der Rest des Kopfes wies kaum sichtbare Haarreste, ungleich benagt, auf. Die Ratten hatten ihn kahl gefressen!

Und er hatte nichts gemerkt ...

Er machte wütend die Runde der Hütte, ein-, zwei-, dreimal. Wo blieben die Haare? In einer alten Zigarrenkiste entdeckte er ein Rattennest; vier kleine rosa Ratten lagen auf seinen Haaren. Er faßte sie am Schwänze und warf sie zur Türe hinaus. Ein Tierchen blieb tot, drei krochen fröstelnd über den groben Korallenkies.

Fredling schnitt sich vor dem Glasstück ernsthaft den Rest der Haare ab; legte sie, nach einigem Zögern, in die Zigarrenkiste, suchte die überlebenden Ratten zusammen und bettete sie darauf zurück. Was geschehen war, war eben geschehen ...

Er saß im Schaukelstuhl und schlürfte langsam den zweiten Whisky. Seine Gedanken nahmen bestimmtere Formen an. Er wußte, daß man ihn im Laden erwartete, er erriet die Ursache der rasenden Kopfschmerzen, er wußte auch, daß die roten Fische, die er vor sich schwimmen sah, unwirklich waren, unwirklich wie der grüne Elefant, der zuzeiten den Rüssel zur Tür hereinstreckte. Ebenso sicher verstand er, daß er trotz der Kleider, die er angelegt, unvollständig war. Etwas fehlte.

Er sah nachdenklich in seinen Notspiegel. Bis auf die gefressenen Haare – – – diese S…ratten! – – – schien er vollständig. Was in aller Welt??

Die Zähne!!

Natürlich. Er erinnerte sich ganz genau, sie im Halbschlaf aus dem Mund und neben sich gelegt zu haben. Sie waren ihm unbequem gewesen. Fieberhaft suchte er in allen Ecken, unter den Kisten, im Stroh und Vitigras der Wände.

Er trommelte die Eingeborenen zusammen, erklärte im Kauderwelsch der Südsee: –

»Rotes Ding Mund gehören mir, Beiß-Beiß nicht haben. Du suchen, du gut suchen, du lang suchen! Ratten ihm tragen Wand oder Ratten ihm tragen Dach. Du finden, du Lawalawa bekommen!«

Und nun begann eine wilde Jagd nach den Zähnen. Acht oder neun schwarze splitternackte Männer kletterten aufs Dach, hoben das Stroh, wühlten rund um den First; Kinder bohrten die Finger ins trockene Gras der Wände, zwischen das leichte Bambusgeflecht; der bejahrte Koch suchte alle Küchenwinkel ab.

»Ratten, viel Ratten ihm fressen Ding!« tröstete ein Kanake vom Dach herab.

»Suchen, du gut suchen, Kokosnuß! Du suchen, dort suchen Beiß-beiß!« wetterte Fredling verzweifelt. Wie sollte er das zähe Büchsenfleisch ohne Zähne kauen?

»Meister, Kopfgras weg, Beiß-beiß ihm auch weg!« scherzte ein anderer; Fredling, in schönster Katzenjammerstimmung, hob die Reitgerte. Der Schwarze zog betroffen die Beine bis zum Mund.

Ein kleiner Achtjähriger mit einem Reisbauch wie ein stumpfwinkeliges Dreieck stürzte freudeheulend vor. In seinen schmutzklebenden Fingern glänzte das verlorene Beiß-beiß. Fredling zog ihn beim Haarschopf, schob ihn in den Laden, schnitt ein Stück roten Kattuns als Lawalawa ab, warf es ihm zu, schickte den glücklichen Finder mit einem Fußtritt hinaus die Schweine hüten. Hierauf schloß er den Laden, schob die abgespülten Zähne in den Mund, schenkte sich das dritte Glas ein und legte sich zurück aufs Bett.

Für den Tag genügten die gehabten Erlebnisse.

Er schlief bis zum folgenden Morgen und erwachte »normal«. Der grüne Elefant und die roten Fische waren weg. Das Beiß-beiß, etwas rattenbenagt, saß im Munde. Das Haar würde wachsen – das war noch das Beste an Haaren!

*

Im allmählichen Verfall Gustav Fredlings hatte sich ein Ding unverändert erhalten – seine Freundschaft für Erwin Redeweit. Jeder versorgte seinen Laden, sah auf seiner Pflanzung nach dem Rechten, Fredling auf Epi, Redeweit auf Ambrym, aber so oft man zusammentraf, träumte man von all dem, was man einst in Europa tun würde, baute Luftschlösser, die bis an den Himmel stießen, und dabei wurde immer wieder etwas lebendig, was die Tropen sonst schon erstickt hatten.

Der Nordwind blies heiß zu Fieber und Tropenkoller. Unter den reifenden Pandanus hielten die Einsiedlerkrabben ihr Fest. Noch fern vom Strande begegnete man ihnen.

Jemand stieß wehmütig in ein Tritonshorn; gleichzeitig schlug Redeweits Dampfbarkasse gegen den Felsen der Bucht vor Fredlings Heim.

»Hallo, Erwin, willkommen! Ich habe gerade eine Sendung Rheinwein erhalten – echten Hochheimer! – und eine Kiste Whisky. Heb' deine Scheren, alte Krabbe, und steig' ans Land!«

Redeweit lächelte schwach und rührte sich nicht. Die beiden Eingeborenen sprangen aus dem Boot.

»Ihm zu stark tot!« meinte einer.

In der Tat, Redeweit war sterbend. Auf das unaufhörliche Gallenbrechen des Schwarzwasserfiebers war eine Schwäche gefolgt, die ans Koma grenzte. Die Hand, die sich naßkalt in Fredlings legte, begann schon zu erstarren. Dieser begriff nicht, wollte nicht begreifen.

»Erwin – echten Hochheimer!« stammelte er und zwang sich, den grünen Elefanten zu entfernen, der immer den Rüssel zwischen Redeweits Gesicht und sein eigenes schob.

Redeweit nickte schwach; sein Lächeln fror fest; die Hand lag kalt und schwer in der Fredlings.

»Zum Pacifique!« befahl dieser in aufflackernder Hoffnung, als er das sich nähernde Schiff erkannte.

Der Kapitän warf einen Blick auf Redeweit, sah den Uebergang zur Leiche, weigerte sich, ihn an Bord zu nehmen. Fredling fluchte, tobte, bestach, flehte ...

»Er ist ja tot!« sagte der Kapitän zuletzt und fuhr aus der Bucht, um dem Flehen des Trunkenen zu entgehen.

Fredling sank neben Redeweit nieder, erzählte dem Toten von allen Ereignissen auf Epi, trug ihn ans Land und legte ihn aufs eigene Bett, öffnete die erste Flasche Hochheimer und goß ihm gewaltsam Wein in den Mund; gurgelnd tropfte der gelbe Saft aus den bläulichen Mundwinkeln ...

»Dann, Redeweit, bau' ich mir ein Haus, dicht an das deine; abends, wenn unsere Frauen zusammen singen, rauchen wir beide unsere Pfeifen und ...«

Das blauweiße Gesicht mit den gläsernen Augen schreckte ihn; auch schoben sich fortwährend rote Fische zwischen ihn und das Bett; manchmal streckte der Elefant den Rüssel vor und schnüffelte Redeweit sorgsam ab.

»Ich will das nicht!« schrie Fredling und warf dem Elefanten eine Flasche Hochheimer an den Kopf; Wein und Scherben fielen auf den Körper des Freundes. Die Eingeborenen liefen grauengeschüttelt in den Busch. Nun fuhr gewiß der weiße »Debbil-debbil« bald aus dem Leibe ...

Am dritten Tage kam der Missionar.

»Er kann so nicht bleiben! Sie tun ihm Unrecht!« sagte er ganz leise wie zu einem schwachsinnigen, störrischen Kind und wies auf die Leiche, von der das Wasser durch das Bambusbett niedertropfte. Ameisen liefen über die Hände, ließen sich nicht abhalten; Fliegen saßen in dunklen Flecken um die Nasenlöcher, die Mundwinkel. Aus dem Palmenstroh und dem Vitigras der Wände funkelten unzählige, gierige Rattenaugen.

Fredling blickte lange, dumpf brütend, auf das blauaufgedunsene entstellte Gesicht; er rief die Kanaken zusammen und vereint gruben sie ein Grab unter einem Tamanu.

»Nun kann man die Leiche holen!« meinte der Missionar, der ans Sterben um ihn her gewöhnt war.

Ein wütender Blick traf ihn.

»Soll mein Freund in ein unbewohntes Haus gehen, du ...?« Und ein häßlicher Tropenschimpf folgte.

Der Missionar reichte ihm schweigend ein volles Glas Whisky. Für Fredling bedeutete ja der Rausch Denkklarheit.

Er stürzte es hinunter und ließ sich ins frische Grab gleiten, legte sich darin zurecht, wärmte gleichsam die Erde, wie man im kalten Norden das Bett eines lieben Freundes wärmt; die Eingeborenen mußten ihn bis zum Hals mit Erde decken, ehe er sich zufrieden gab. Noch einmal träumte er von all dem, was sie zusammen zu tun beabsichtigt – – daheim, wo es kühl war und im Vorgarten die Rosen blühten ...

Nach einer Weile schüttelte er sorgsam die Erde von sich, ging selbst ins Haus und wickelte Redeweit in die letzte Wolldecke, die ihm geblieben. Wie ein Kind trug er ihn auf den Armen, senkte ihn hinab auf das Erdbett, sachter, zärtlicher als er je den Trunkenen aufs Lager getragen. Mit seinen unsicheren Trinkerhänden scharrte er Erde darauf.

»Echten Hochheimer – aus der rheinischen Heimat«, flüsterte er und hob die Erde, wie man ein volles Glas hebt.

So verging langsam der Morgen.

Der Missionar stand unbeweglich am Rande. Er hatte den traurigen Resten von Menschenfresserfesten beigewohnt und hatte Hunderte sterben gesehen; Schwarze und Weiße; immerhin nicht so. Er betete still für den Toten und dann, gefühlstiefer, für den Lebenden.

Gegen Sonnenuntergang setzte sich Fredling in den Schaukelstuhl und trank den Hochheimer zu Ende.

»Prost, Redeweit – geliebte alte Krabbe!« murmelte er.

*

Es war Morgen; im Grunde war es immer Morgen mit stinkenden Eingeborenen, Büchsenfleisch und schwerem Tau. Der grüne Elefant hatte den Rüssel um den Missionar geschlungen und schaukelte ihn vor Fredlings Nase; dieser rieb sich die Augen, fühlte eine unendliche Leere in sich, ein Weh, das vom Ende der Welt bis zu ihm zu reichen schien, und doch keinen Namen hatte, richtete sich auf, griff nach der Flasche. Nur so würde der Elefant verschwinden. Er wußte ganz genau, daß es in Wahrheit keinen grünen Elefanten gab und daß der Missionar, selbst wenn seine Würde es erlauben könnte, nicht im Elefantenrüssel, sondern neuerdings in Burumba war; trotzdem verfolgte ihn der Rüssel auf allen Wegen.

Er trank und trank, doch der Elefant blieb, nur schaukelte er nicht länger den hageren ältlichen Missionar von Burumba, sondern hatte den Rüssel fest wie ein Tau um ein blauweißes Gesicht gewunden, ein Gesicht mit gläsernen Augen: Redeweits Gesicht ...

Dazwischen kreisten eher als schwammen große hellrote Fische mit ungeheuren glotzenden Augen.

Er mußte die Fische loswerden; er würde sie fangen und braten. Ha! ha! ha! Aber sie waren nicht echt; er sah sie nur. Noch ein Glas! Nun würden sie bald weichen.

Der Koch brachte frischen Yam und er kostete nicht einmal davon. Es roch und schmeckte alles nach schmutzigen Kanakenleibern, nach Kokosöl und Schweiß. Draußen sog die glühende Tropensonne den Nachttau von allen Gräsern. Der Dunst bildete einen trüben Vorhang vor der offenen Türe.

Mit der blinden Ausdauer eines Trunkenen öffnete er noch eine Flasche. Der Hals brach klirrend. Er schüttete den halben Inhalt auf den Boden; gewiß waren keine Glassplitter im Rest.

»Wie fängt man Fische, Fische, kleine rote Fische?« summte er vor sich hin. Im Netz? Auf den Korallenriffen rissen die Netze. Mit Körben? Nein, nein, das taten ungewaschene Kanakenweiber und überdies – diese Fische gingen nicht in Körbe, das fühlte er dumpf. Womit tötete man Fische, viele Fische?

»Mit Dynamit.«

Haha, das war richtig! Man fischte mit Dynamit trotz aller Vorschriften. Er schwankte ins Magazin und holte ein Stück ...

»Wo sind die Fische?« fragte er sich, unfähig zu denken.

»Im Kopf!« erwiderte etwas tief in ihm.

Er schob das angezündete Stück in den Mund.

*

Drei erschreckte Eingeborene wiesen nach der zerstörten Hütte, sprachen vom weißen Debbil-debbil, der mit furchtbarem Krach hinein- und wieder herausgefahren war. Der Missionar, unbekümmert um alle Debbil-debbil schob die Trümmer zur Seite und drang ein.

Auf dem Boden, zerfleischt, lag der Körper Fredlings. Der Kopf lag in einer Ecke mit abgerissenem Munde.

Ein Kanake zeigte einem anderen etwas oben im Stroh der zerfetzten Decke.

»Beiß-beiß!« flüsterte er und grinste.

Unter dem Tamanu sprach der Missionar zum zweitenmal in einer Woche die Totengebete über einen Weißen ...

Im Laubwerk sangen die Minahvögel ihr gewohntes Abendlied.


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