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Durch die Wasser der terrassenförmigen Reisfelder schossen die Lichtstrahlen wie Goldfische.
Den alten Sarong über die Knie hochgezogen, das Palmenstrohkörbchen mit den zarten Reisschößlingen am linken Arm, schritt die schmächtige braune Gestalt durch den leicht quacksenden Schlamm und steckte Pflanze auf Pflanze in richtiger Reihe und vorgeschriebenem Abstand in das heiße, zeugungsmächtige Naß, doch die Gedanken, schmerzträge und kismetgedrückt, irrten ins Vergangene, schlugen sich wund an dem grauen, verriegelten Tor des Zukünftigen.
Der Wind spielte mit den jungen, unsicheren Halmen, verdoppelte ihr Bild im blauen Wasser, kräuselte die lichttrunkene Oberfläche, seufzte im Bambushain, trieb blaugrünschimmernde Käfer wie Elfenkanus vor sich her, bauschte das Alangalanggras zu Garben und verschwand raunend, lispelnd, pfeifend, surrend im Dschungel der sacht ansteigenden Hügel, ohne von der gebückten Pflanzerin bemerkt worden zu sein. Ihre Augen sahen nur eine elende Kamponghütte mit wetterzerfressenem Dach, durch das in guten Nächten der Mondschein und in schlechten der Regen auf die ungleichen Bodenlatten fielen, brüchige Wände, leere Töpfe, und viele hungrige Mäuler, von den Geschwistern herab bis zum Hund, der eines Tages durch den wackeligen Zaun gekrochen und trotz aller Fußtritte und Verwünschungen geblieben war.
Das Haus ihres Vaters!
Zu viele Kinder für die kleine Sawah, die nicht genug Reis gab; zu viele Kinder für die wetterzerzauste Hütte, die ein Paar Arme nicht instand halten konnten ...
Eines Tages – ihre Finger bohrten die Schößlinge hastig und ungleich in den weichen Schlammboden – war Awang Abdullah gekommen, hatte mit ihrem Vater Betel gekaut und blattgewickelten Tabak geraucht und hatte jedem Kinde einen neuen Sarong geschenkt. Es war ein Ereignis gewesen ...
Gegen Abend, als sie unter einer Brennholzlast wankend an der kurzen Hausleiter vorübergegangen, auf deren obersten Sprosse Gast und Hausherr saßen, hatten sie die Worte gestreift:
»Sie scheint tüchtig zu schaffen!«
»Wie ein Karabau«, hatte ihr Vater mit Stolz erwidert und bekräftigend Betelsaft ausgespien.
Am nächsten Morgen, als sie wie üblich aufs Feld wollte, hatte er sie zurückgerufen und gesagt:
»Wir sind arme Leute ...«
»Sehr arme, Vater ...«
»Awang Abdullah hat viel Geld im Pfefferland; er schenkte mir hundert Gulden.«
Wie Erdbeben an einem morschen Haus hatte Furcht an ihr gerüttelt.
»Ich habe versprochen, dich ihm zu geben«, hatte ihr Vater hinzugefügt, »du wirst seine zweite Gattin«, aber er hatte es vermieden, sie anzusehen, denn sie beide wußten, daß Abdullah in Wahrheit nur ein Lasttier suchte.
»Mit hundert Gulden kann man allerlei anfangen«, und so klar wie damals sah sie den hilflosen Blick, der die schiefe, einsturznahe Hütte, die übergroßen, verlangenden Kinderaugen, die ewig leeren Töpfe gestreift hatte und am winselnden Köter hängen geblieben war.
Da war aller Widerstand in ihr gestorben und sie war Awang Abdullah willenlos ins Pfefferland gefolgt ...
Ein tiefblauer Atlasfalter streifte Zulaikas Hand und flog weiter in die sonnige Einsamkeit.
Frei! Er war frei; durfte den Ort seiner Freude suchen!
Stumpf, unbewußt, gewohnheitsgekettet stopften die Finger immer wieder Schößlinge in den Schlamm, während die Gedanken träg wie Schlangen über die Hügel des Erinnerns krochen.
»Bini dabur – die Küchengattin!«
So nannten sie die wenigen, die sich überhaupt die Mühe nahmen, ihr einen Namen zu geben. Tagsüber allein auf der Sawah oder im Pfeffergarten, nachts auf der abgeschundenen Matte vor dem Herde, aus dem die langfühlrigen, dunkelbraunen Kakerlaken als nächtliche Räuber stiegen und die Haut um ihre Fingernägel und um die unbeschützten Zehen abknabberten; unter allen Leuten stehend, ohne Rechte oder Entlohnung; ohne Hoffnung, dieses Sklaventum je abzuschütteln.
Reihe an Reihe wuchs unter ihren Händen, während an der flimmernden Wölbung der »kupferfarbige Feind« höher und höher stieg und mit seinen Goldnadeln erbarmungslos in die nackte Haut stach.
Nie hatte sie gemurrt. Daheim war die Hütte wohl wasserdicht geworden und die Augen der Geschwister quollen nicht länger von ungestilltem Begehren über; ein Mund weniger, der Reis forderte ...
Nie – bis auf heute.
Der schneenasse Sarong – ein farbloses Ding, das ihr die Bini ratu, die rechtmäßige Frau, einmal zugeworfen – klebte am Rücken und riß an der wunden Haut. Vorsichtig, mit leisem Gewimmer, löste sie ihn, band ihn um die Mitte. Der freigewordene Rücken zeigte Furchen und Erhebungen wie frische Sawahgrenzen – Stockhiebe, die an diesem Morgen wie ein Tropenschauer auf sie niedergeprasselt waren. Die Sonne mit ihren tausend Glühnadeln untersuchte die Striche.
Es war alles eingetroffen, wie Allah es vorherbestimmt hatte; war sie frei? War es ihre Schuld?
Vor vierzehn Tagen ungefähr hatte sie mitten in der Nacht eine Hand auf der ihren gefühlt und Awang Abdullahs Stimme, sonderbar ölig und anders als sonst, hatte leise ihren Namen gerufen. Erschreckt war sie emporgefahren ...
»Ich bin dein Gatte, Zulaika«, hatte er ihr zugeraunt und sie in seine Arme gezogen. Sie war sehr verlassen, sehr unglücklich und hier war jemand, im Dunkeln, der sie begehrte, der sie jung und anziehend fand und der ihr Kuchen an den Mattenrand legte, wie sie solche bisher nur von ferne und hoffnungslos ersehnt hatte. All ihre durchhungerte Kindheit tobte in unerfüllbaren Wünschen nach leckerer Speise aus.
Sie hatte sich nicht gewehrt; er war in allem ihr Herr ...
Nacht auf Nacht war er gekommen und ihre Lider waren schwer geworden von entbehrtem Schlaf; draußen, auf der Sawah, durfte nichts vernachlässigt werden, denn an heimlichen Spähern und offenen Prüfern fehlte es nicht.
Hatten ihre matten, verträumten Augen zuerst den Verdacht erweckt? Oder war Awang Abdullahs Geraune durch die dünnen Lattenwände zur Bini ratu gedrungen?
Ehe es tagte, war sie in die kleine dumpfe Küche getreten und hatte den schweren Stock auf den Rücken der Liegenden herabsausen lassen, wieder und wieder, bis Wut und Arme erschöpft waren.
Awang Abdullah hatte sich schweigend entfernt.
Das waren Frauensachen, in die er sich nicht zu mischen wünschte. Die Bini ratu war in ihrem Recht ...
*
»Hei ... Hallo!«
Der Ruf erscholl vom Sawahrand her, wo das letzte Dschungelunterholz mittagverkürzte Schatten warf.
Zwei Männer – ein schuhloser Patrolsoldat und ein Weißer – winkten gebieterisch; scheu, unsicher, vom Gedanken beherrscht, unbedingt gehorchen zu müssen, stapfte sie durch den heißen zähen Schlamm bis zu den Fremden. Ihr »Salaam« war wie das angstvolle Gurren einer eben gefangenen Perkutut Perkutut = Taube.
Nichts folgte und ihre Blicke schossen bestürzt empor. Alles Neue, Unerwartete im Leben wurde stets eine Pforte zu neuem Leid.
Der Soldat betrachtete sie gleichgültig wie man einen Wasserbüffel oder eine Ziege in Augenschein nimmt, doch die Augen des Weißen loderten ungeduldig. Sie glaubte ihn über ihr Tun irgendwie erzürnt, bis sie sich erinnerte, oft gehört zu haben, daß Weiße immer aussähen als ob ihnen ein böser Geist den Rücken wundschlüge – so finster und verdrossen.
»Für wen arbeitest du?«
Der Ton war beruhigend, entsprach nicht den finstergerunzelten Brauen.
Leise antwortete sie. Wort für Wort, wie der Wind welke Blätter von den Zweigen treibt, wirbelte die Geschichte ihrer Erfahrungen im Pfefferland von ihren Lippen. Ganz sachte – so sachte wie sie noch niemand angegriffen – drehte sie der weiße Tuan herum, besah ihren striemenbesäten, verschwollenen Rücken.
»Hat er dich der Adat gemäß geheiratet? Waren seine Freunde und Verwandten Zeugen? Hat der Imam in Gegenwart aller seinen Segen aus dem Koran über euch gesprochen?«
»Nein – Tuan!«
»Dann bist du frei! Die Regierung erlaubt keine Sklaven ...« Und als er ihre Angst in den weitoffenen weltunkundigen Augen las, fügte er mit einem Lächeln hinzu, das ihr wie Mondlicht auf Melatiblüten schien: »Er wird es nie wagen, dich mit Gewalt zurückzuholen. Willst du heim?«
Die Frage erweckte ein jähes Sehnen, das im Nebel der Sorgen verrann.
»Sie sind alle ... so arm ... daheim.«
Der fremde Tuan nickte verstehend.
»Wenn du willst, werden wir dich nach Benkulen schicken, wo du dich als Babu verdingen kannst. Da hast du gute Kost, ein reinliches Schlafgemach und«, er lächelte wieder, »ersparst dir gewiß noch etwas von deinem Lohn, um den Deinen zu helfen.«
Das Stillen der hungrigen, verlangenden Kinderaugen ...
»Tuan!«
Es dauerte lange, ehe sie ganz begriffen, ehe sie den schmutzigen, nassen, alten Sarong neuerdings unter den Armhöhlen geknüpft hatte und – das Körbchen mit den welkenden Schößlingen am Dschungelrand lassend – ihren beiden Rettern folgte.
Ein blauer Atlasfalter schwang sich lebensfroh von Zweig zu Zweig, wippte freudeberauscht mit den großen seidigschimmernden Flügeln, aber Zulaika beneidete ihn nicht länger.
Sie war frei – frei wie er.
Freier, denn in ihren Händen lag nun das Wohl, die Zukunft derer, die sie liebte ...
Und ihre schwarzen Augen glänzten wie mondgeküßte Sawahs.