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Geschichtliche Ereignisse werden nur dann richtig begriffen und beurteilt, wenn man sie im Licht und Geist ihrer Zeit betrachtet. Will nun der Leser den Soldatenhandel deutscher Fürsten nach Amerika seinem historischen Verständnis näher rücken, so muß er sich vor allem die ihn ermöglichenden Zustände vergegenwärtigen. Es wird also zunächst erforderlich sein, einen kurzen Rückblick auf die mit dem ausklingenden Mittelalter beginnende Entwicklung der deutschen Heereseinrichtungen und der sie bedingenden politischen Zustände zu werfen.
Das Lehnswesen bildet die Grundlage aller staatlichen Verhältnisse des Mittelalters und beherrscht auch die militärischen Einrichtungen Deutschlands sowie aller germanischen Länder. Das Heer war vorzugsweise ein Lehnsheer und bestand aus Reitern und Rittern. Die Erfindung des Schießpulvers, die Reformation und die mit ihr zusammenfallenden Entdeckungen und Erfindungen zersetzten und zerbröckelten allmählich den alten Feudalstaat. Die Welt strebte aus dem losen Nebeneinander staatlicher Embryonen zur festen, zentralisierten Staatsgewalt, die moderne Monarchie übernahm die Erbschaft des verfallenden Lehnswesens und trat langsam, aber sicher und bewußt weiterschreitend, ihre Herrschaft über Europa an. Der Lehnsadel entzog sich, je länger die Einzelkriege dauerten, desto lieber dem ihm unbequem gewordenen Waffendienst und suchte sich in dem erworbenen Besitz zu behaupten. Infolge dieser allmählich eintretenden, aber tief eingreifenden Umwälzungen traten an die Stelle des alten Heerbannes und des späteren Lehnsaufgebotes, an die Stelle der bis dahin die Entscheidung gebenden Ritter und Reiter die zunächst bloß für einen Feldzug angeworbenen, aus Fußvolk bestehenden Söldnerheere.
Den Grund dazu legte, durch die Not gezwungen, Kaiser Maximilian I. Verlassen vom Adel seiner Erbstaaten, nicht unterstützt von den Untertanen seiner Gemahlin Maria von Burgund und zu arm, um die teuren, dazu vom Reich abgefallenen Schweizer anzuwerben, stellte er zuerst aus dem Stadt- und Landvolk von Vorderösterreich, Schwaben, Tirol und seinen übrigen Erbstaaten ein deutsches Kriegsvolk auf, das er, weil es weder von den Ständen noch von den Vasallen gestellt, sondern eben der freie Bürger und Bauer aus seinem Land war, »Landsknechte« nannte. Die Wehrhaftigkeit des deutschen Volkes, die seiner Jugend innewohnende Überfülle an Kraft, Abenteuersucht und Tatendrang kamen dem Kaiser dabei sehr zustatten, und es gelang ihm, in verhältnismäßig kurzer Zeit in diese Landsknechtshaufen Zucht und Ordnung zu bringen und sie vorteilhaft im Gefecht zu verwenden.
Diese Landsknechte, die das Ende des Rittertums in der Kriegsführung bezeichnen, sind das erste geordnete Fußvolk; sie betrieben den Krieg wie zünftige Handwerker. Die bemerkenswerten Einrichtungen ihres Gemeinwesens bilden die Grundlage aller späteren militärischen Organisationen. Sie waren tapfer, ungestüm und – solange sie ihren Sold erhielten – zuverlässig, aber auch wegen ihrer Roheit und Beutegier gefürchtet und durch ihre Zügellosigkeit – namentlich im Trinken und Spielen – übel berüchtigt. Sie wurden in der Folge sowohl von deutschen als von ausländischen Kriegsherren angeworben. Schon in den Zeiten der Reformation war derjenige der mächtigste Fürst, der das meiste Geld hatte und die meisten Mietstruppen aufbringen konnte. Als Ludwig XII. von Frankreich im Jahre 1499 in Neapel erschien, bestand sein Heer vorzugsweise aus deutschen Landsknechten und Schweizern. Das von Gonsalvo von Córdova, dem großen Capitain, am Ende des 15. Jahrhunderts gebildete und befehligte spanische Heer war ebenfalls aus ganz modernen Elementen – aus angeworbenem deutschen, italienischen und spanischen Fußvolk – zusammengesetzt.
Der durch seine Teilnahme für Luther bekannt gewordene tapfere Hauptmann Georg von Frundsberg ist ein würdiger Repräsentant dieses Landsknechtstums in seiner Blütezeit.
Wenn nun die Landsknechte in den ersten Zeiten ihres Auftretens noch mit ehrbaren Elementen – wie wohlhabenden Bürgersöhnen oder anständigen Handwerkern – versetzt und deshalb eines gewissen ehrenwerten Sinnes nicht ganz bar waren, so arteten sie nur zu bald im Laufe der Zeiten in ein wüstes und raubgieriges, verkäufliches und gesinnungsloses Gesindel aus, das heute für und morgen gegen ein und dieselbe Sache, aber immer für fremde Interessen seine Haut zu Markte trug und sich da stets sammelte, wo lose Disziplin, gute Bezahlung und reiche Beute lockten. So begegnen wir ihnen denn von den Reformationszeiten an bis zum Dreißigjährigen Krieg an der Seite der Schweizer in aller Herren Ländern und Diensten. Sie sind eine wahre Landplage, die, durch ständige Kriege genährt, sich heuschreckenmäßig über ganz Deutschland ausbreitet, aber ein notwendiges Übel, da die aufstrebenden Territorialherren, von der gewaltigen Wehrkraft der Bauern aus den Bauernkriegen her erschreckt, ihre Untertanen zu bewaffnen fürchteten und deshalb in immer größerer Ausdehnung zu den Landsknechten ihre Zuflucht nahmen, die gerade durch die treulose Behandlung der Fürsten täglich mehr verdorben wurden. Diese fanden nämlich bei ihrer ständigen Geldnot kein Bedenken darin, die armen Landsknechte durch Verschlechterung der Münze um die versprochene Löhnung zu kürzen, ja sie ließen zu ihrer Auszahlung besonders leichtes Geld schlagen und demoralisierten die armen Teufel, die sich nun wieder durch Plündern, Betrügen und Beraubung von Bauer und Bürger schadlos zu halten suchten: »Ein Landsknecht muß Essen und Trinken haben, bezahle es der Küster oder der Pfaff'.«
Im 17. Jahrhundert verlor sich der Name Landsknechte, weil fortan nicht mehr bloß der Knecht, der Angehörige des Landes, sondern Volk aller Nationen den Bestand der Söldnerheere ausmachte.
Zu seiner höchsten Blüte gelangte dieses Söldnerwesen im Dreißigjährigen Krieg, wo das Gesindel von ganz Europa gegen guten Lohn und reiche Beute Deutschland verwüstete. Es ist allgemein bekannt, daß Wallenstein sich für unfähig erklärte, ein Heer von 20 000 Mann anzuwerben, daß er aber statt ihrer innerhalb dreier Monate 40 000 Mann auf die Beine brachte, weil, wie er bemerkte, sich diese durch Beute und Plündern selbst ernähren könnten. Dieses Heer schwoll bis auf 100 000 Köpfe an, und es mußte von den Landschaften, durch deren Gebiete es zog, unterhalten werden. Wenn die Schweden unter Gustav Adolf sich anfangs durch bessere Manneszucht, größere Sittlichkeit und eine höhere taktische Bildung auszeichneten, so verloren sie diese Vorzüge doch bald nach dem Tod des Königs, denn in der zweiten Hälfte des Krieges zählten sie ebensoviel verlaufenes und ruchloses Volk in ihren Armeen als die Kaiserlichen.
Vom Dreißigjährigen Krieg datiert für das ganze damalige Europa der Umschwung in seiner Heeresverfassung; aus ihm heraus bildeten sich die bisher nur für einen Feldzug angeworbenen Söldnerscharen zu den auf längere Zeit geworbenen – darum stehenden – Heeren um. Zwar waren diese schon damals vereinzelt vorgekommen – im Osten Europas traten die Janitscharen des gegen den Westen vordringenden Türkischen Reiches als die ersten stehenden Truppen auf; im Norden hatte unter den tonangebenden Mächten Gustav Adolf das erste stehende Heer, und sowohl Schweden als auch Türken zeigten sich durch diese Einrichtung denjenigen Staaten bedeutend überlegen, die mit ihren auf nur einen Feldzug angeworbenen Söldnern fochten –, aber erst infolge des Dreißigjährigen Krieges wurden die stehenden Heere zu einer ständigen Staatseinrichtung; die politischen Verhältnisse förderten ganz ungemein ihre allmähliche Verbreitung, und namentlich bediente sich ihrer das vom Ausland in seinen Anmaßungen gegen Kaiser und Reich unterstützte Territorialfürstentum zur Befestigung und Erweiterung seiner Macht.
Es ist jene traurige Periode, die, um die Mitte des 17. Jahrhunderts beginnend, mit dem Ende des 18. Jahrhunderts schließt und die Entwicklung und Blüte des »Landesvatertums« bezeichnet. Der Dreißigjährige Krieg hatte die nationale Kraft unseres Volkes gebrochen; sein mittelalterlicher Reichtum, seine persönliche und staatliche Selbstständigkeit und sein reiches glänzendes Leben waren in Greuel und Blut erstickt. Der Krieg hatte den deutschen Mittel- und Bürgerstand und damit die Energie der Nation wenn nicht vernichtet, so doch auf Jahrhunderte hinaus geknickt und lahmgelegt. Es trat zunächst eine allgemeine Zersetzung und erst allmählich ein Umbildungsprozeß unseres bürgerlichen und öffentlichen Lebens ein. Aus den Überresten der verarmten, heruntergekommenen Bevölkerung wurde der gehorsame, in sein Schicksal ergebene und duldende Untertan dressiert; der Staat war nichts als eine Domäne, der die Mittel für die Saturnalien und das Bon plaisir des Landesherren liefern mußte. Und wie klein, wie jämmerlich war dieses Landesvatertum mit seinem Egoismus! Es gab kein Band politischer Macht und Einheit, das, wie in Frankreich, Herrscher und Beherrschte verknüpft und dem Ausland geachtet und gefürchtet gegenübergestellt hätte. Das Land war in eine Unzahl kleiner Souveränitäten zersplittert, und das Volk kam nur als Gegenstand des Seelen- und Quadratmeilenschachers in Betracht. Die rohen, unwissenden und habsüchtigen Territorialherren hielten durch ihre unsinnige und engherzige Politik sowie durch ihre nationalökonomischen Verkehrtheiten das an sich so reiche Land in ständiger materieller Erschöpfung und schnitten ihm jede Gelegenheit zur Entwicklung seiner Hilfsquellen ab. Je ärmer und abhängiger das Volk, desto leichter ist es zu beherrschen, desto eher kann der Herr von Gottes Gnaden als ein Wesen höherer Art gelten – um so stolzer ragten also auch aus dem allgemeinen Schiffbruch die übriggebliebenen fürstlichen Spitzen hervor. Durch die Waffen und durch das Bündnis mit Fremden gegen Kaiser und Reich hatten sie ihre Stellung gewonnen; durch dieselben Mittel mußte diese erhalten und erweitert werden: das stehende Heer lieferte ihnen zunächst die Mittel zur Behauptung und Befestigung ihres Territorialbesitzes und zur Geltendmachung der ihnen vom Westfälischen Frieden garantierten Souveränität.
Die neue Praxis schlich sich um so leichter und unbemerkbarer ins Leben ein, als seit Jahrhunderten schon einzelne sich als Soldaten vermietet hatten und als die Fürsten jetzt nur zu befehlen brauchten, was früher bloß als freiwilliger Akt geleistet worden war. Dazu kam, daß, seit der Krieg zu einem regelmäßigen Handwerk ausgebildet worden war, diese Söldner eine nie aussterbende Klasse von Abenteurern, Landstreichern und gar Räubern ausmachten, die nach jedem Friedensschluß ihrer Heimat wieder zur Last fielen und ihren verderblichen Einfluß auf die heranwachsenden Geschlechter ausdehnten. Es war also zunächst eine Wohltat für das Land, wenn diese ruchlosen Banden durch die stehenden Heere möglichst unschädlich gemacht wurden.
Übrigens würde die neue Einrichtung trotzdem nicht so bald festen Fuß gefaßt haben, wenn sie nicht gleich am Anfang auch andere wesentliche Vorteile gewährt hätte: Sie brachte Ordnung in die Finanzen und sicherte die Ruhe während des Friedens. Sie schien also den Interessen der Untertanen und Fürsten zu entsprechen; in der Tat aber hatten diese den wesentlichen Nutzen, jene aber nur neue Lasten davon. Der verarmte, ausschließlich mit seinen nächsten Sorgen beschäftigte Bürger ließ sich leicht einreden, daß ihm mit der Einrichtung der stehenden Heere, die ihn in seinem friedlichen Erwerb schützen würden, eine große Last von den Schultern genommen werde. W. Rüstow in »Welcker's Staatslexikon«, Band VII, S. 651 ff., dem ich in der obigen Darstellung vielfach gefolgt bin. Die Fürsten selbst erhielten durch die stehenden Heere eine kaum berechenbare Machtverstärkung. Ihre eigenen Mittel reichten selten aus, eine nur halbwegs respektable Streitmacht ins Feld zu stellen; zu einem ordentlichen Kriegszug mußten sie sich von den Ständen Geld bewilligen lassen. Erlangte nun der Territorialherr das Recht, ein stehendes Heer zu halten, so konnte und mußte er dafür auch feste Steuern einziehen, wodurch er eine unendlich gesteigerte Verfügung über die Steuerkraft des Landes gewann. Dann aber gehörte ihm das Heer unbedingt, und es ließ sich damit jeder Widerspruch der eigenen Untertanen zum Schweigen bringen.
Es dauerte nicht lange, so erklärte der Fürst das ganze Land für sein Eigentum, mit dem er nach Belieben schalten und walten könne; er verlangte unbedingten Gehorsam und hob zuletzt jeden jungen Mann, der ihm zusagte, für Lebenszeit zum Kriegsdienst aus. Dahin wurde die alte Heerbannpflicht verkehrt, die mit Recht jeden freien Bürger zur Führung der Waffen für das allgemeine Beste, für den Staat verpflichtete. Jetzt war die fürstliche Domäne das allgemeine Beste, der Staat geworden, und an die Stelle dieser politischen und sittlichen Pflicht trat die polizeilich brutale Pressung, die Aushebung der Landeskinder, mit der die freie Werbung der Fremden Hand in Hand ging. Das Landeskind war zwar billiger als der Fremde und, einmal gehörig dressiert, auch für die Zukunft brauchbarer; allein der Fremde konnte nicht leicht entbehrt werden, weil die bloß auf die Untertanen beschränkte Werbung das Land leicht entvölkert hätte. Zudem gab es gewisse Exemtionen für die Vermögenden oder sozial oder amtlich höher Gestellten. Die Last der Dienstpflicht ruhte ausschließlich auf den Ärmeren, den Bauern und den Ungebildeten. Übrigens dauerte es noch geraume Zeit, ehe die Regierenden es wagten, jeden Mann aus dem Volke zu langjähriger Dienstpflicht heranzuziehen. Montecuccoli, der zuerst den Habsburgern die Einführung stehender Heere klarzumachen trachtete, suchte mit höchster Sorgfalt nach Individuen, die man wohl zum Kriegsdienst verpflichten könne, ohne dadurch eigentlich individuelle Rechte zu verletzen und die Steuerkraft des Landes zu beeinträchtigen. Die Brutalität in der Rekrutierung stehender Heere wagte sich nur schrittweise heraus; Deutschland wurde erst allmählich in kaum scheinbaren Übergängen das Jagdrevier, auf dem die fürstlichen Jäger ihre Werbehunde auf das täglich wehrloser werdende Volk losließen.
Es ist vor allem für das richtige Verständnis der hier in Betracht kommenden Epochen unerläßlich, sich diesen verhältnismäßig neuen Ursprung der stehenden Heere und der damit verbundenen Mißbräuche zu vergegenwärtigen, um so mehr, da die Verteidiger des kleinstaatlichen Gottesgnadentums tun, als ob die Welt diese durchaus neue Einrichtung seit Jahrtausenden nicht anders gekannt habe und als ob nur die ungemütliche Gegenwart ihre hohen Segnungen nicht zu würdigen vermöge. Es sei also gleich hier darauf hingewiesen, daß kaum die Großväter und Urgroßväter derselben Fürsten, die den Soldatenhandel nach Amerika getrieben hatten, es zu stehenden Heeren gebracht hatten und daß das historische Recht, das im Mund ihrer Verteidiger die einzige Entschuldigung für jenen Unfug bildet, statt »keinen Datum nicht zu haben« so modernen Ursprungs ist, daß man Jahr und Tag seiner Entstehung genau nachrechnen kann. Der älteste hessische Subsidienvertrag wurde 1676 vom Landgrafen Karl mit König Christian V. von Dänemark – also gerade hundert Jahre vor der uns beschäftigenden Zeit – abgeschlossen.
Die Ausbildung der stehenden Heere begann mit dem Ende des 17. und vollendete sich im Laufe des 18. Jahrhunderts. Ludwig XIV., der für jeden kleinen deutschen Zaunkönig bald das leuchtende Vorbild staatsmännischer Hoheit wurde, bediente sich der kleineren Fürsten gern gegen Kaiser und Reich und ließ es sich große Summen kosten, um bei seinen gegen Deutschland gerichteten Plänen ihrer Mithilfe sicher zu sein. Diese fremde Bundesgenossenschaft wurde auch für die anfänglich nicht bei ihr Beteiligten bald sehr einträglich, denn sie hatte zugleich den Vorteil, daß sie gute Angebote aus der Heimat verschaffte. Die Subsidien der fremden und einheimischen Mächte schmeckten vortrefflich. Um also ihre Einkünfte zu vergrößern und ihr Ansehen unter ihresgleichen zu erhöhen, vermieteten die Landesväter ihre Soldaten gern gegen reichliche entsprechende Bezahlung an den Meistbietenden. Was kümmerte es sie, wenn ihr ruchloses Tun Deutschland zu einem Menschenmarkt erniedrigte, wo gegen Geld und gute Worte immer Soldaten zu haben waren? Über solche, höchstens der Kanaille verzeihliche Vorurteile wie Vaterlandsliebe und das Gefühl politischer Würde war die Mehrzahl der Lenker deutschen Geschickes oder vielmehr Mißgeschickes vom Dreißigjährigen Krieg an bis zur Französischen Revolution erhaben.
Wer nicht genug Truppen hatte, um einen einträglichen Handel damit zu treiben, hielt sich wenigstens ein »stehendes Heer«, das oft freilich nur aus einer Handvoll Leute bestand. Während es im 18. Jahrhundert kein oder im besten Fall ein erbärmliches Reichsheer gab, weil seine Aufstellung lediglich vom guten Willen der einzelnen Reichsfürsten abhing, hatte jeder kleine Reichsgraf oder Reichsfürst, das vom »grand Louis« gegebene Beispiel ängstlich nachahmend, seine Trabanten, Hatschiere, Schweizergarden, Musketiere, Gardes du Corps und Gendarmen, und wenn auch nicht alle diese Waffengattungen in Wirklichkeit existierten, so erzeugten doch die für dieselben Soldaten vorhandenen verschiedenen Uniformen den Schein der Wirklichkeit.
So hielt – um hier aus den tausend Lächerlichkeiten nur ein paar herauszugreifen – der Landgraf von Hessen ein Dutzend Heiducken, mehrere lange Kammerhusaren und Leibjäger. Diese Leute steckten während des Exerzierens in der Montur des ersten Bataillons Garde und formierten das erste Glied der Leibkompanie während des Vormittags, des Nachmittags aber erschienen sie wieder in der Hoflivree, warteten an der Tafel auf oder standen auf der Kutsche. Ein anderer kleiner Fürst – kaum wird man die Sache glauben, und doch ist es wahr – hielt 50 Mann Leibgrenadiere, die, um größer zu erscheinen, alle hohe Absätze tragen mußten und eine Zeitlang nur zwei Grenadier-Bärenmützen hatten, die die beiden Schildwachen am Portal des Schlosses immer den sie Ablösenden überlieferten und gegen die Zuckerhüte (Blechkappen) austauschen mußten. Noch einer gab seiner Garde drei verschiedene Monturen; als Grenadiere, Kürassiere und Jäger, in denen sie abwechselnd erscheinen mußten. Ein Dritter hielt einige Regimenter unberittener Dragoner, die dann und wann die Kavallerie-Evolutionen zu Fuß machen mußten, »wobei ihnen während dem Chock erlaubt war, gleich den Pferden zu wiehern« Aus »Pallas«. Eine Zeitschrift für Staats- und Kriegskunst. Herausgegeben von R. v. L. (Rühle von Lilienstern), I. Jahrgang 1810, S. 90..
Die größeren Fürsten brachten es aber bald dahin, daß es von Rußland bis Spanien, von den Niederlanden bis zur Türkei kaum einen Feldzug und eine Schlacht mehr gab, in der sich nicht deutsche Hilfstruppen und Soldaten durch ihre Roheit und Beutegier, ihr Ungestüm und ihre Unverwüstlichkeit hervortaten. Durch Gewalt oder Vorteil an den Regierenden gekettet, waren sie in der Heimat nur die Schergen der landesherrlichen Gewalt, deren Befehle sie blindlings vollzogen, wodurch sie sich zugleich Straflosigkeit für jeden Unfug gegen Bürger und Bauer sicherten. In der Regel bildeten darum auch die stehenden Heere des 18. Jahrhunderts die Sammelpunkte des verworfensten Gesindels, das man sich nur denken kann. Es fehlte ihnen jedes nationale Element, jeder moralische Halt, und es galt als das größte Unglück für einen nur halbwegs anständigen Menschen, dem »Kalbfell folgen« zu müssen. Die Behandlung des Soldaten war roh, die Bestrafung barbarisch, jedes Ehrgefühl wurde methodisch in ihm erstickt. Der Gemeine wurde vom Offizier – wie heute noch in England und den Vereinigten Staaten – verachtet, mißhandelt und durch eine unübersteigbare Kluft getrennt. Die Offiziersstellen wurden fast ausschließlich vom Adel bekleidet, wenn man die heruntergekommenen, verarmten und dadurch von den herrschenden Dynasten abhängig gewordenen Junker überhaupt Adel nennen darf. Er fand im Heer Ansehen, Ehre und Geld und konnte die verlorengegangenen Herrenrechte an den armen Soldaten im höchsten Maß ausüben.
Natürlich war bei einem solchen Stoff an individuelle Betätigung des einzelnen Soldaten nicht zu denken. Dieses dünkelhafte System, das nur durch Ehre und Ruhm für die Befehlenden, aber durch Zwang und Furcht für die Befohlenen zusammengehalten wurde, fand auch äußerlich in der Lineartaktik seinen Ausdruck und galt namentlich, seit es sich in der schöpferischen Hand eines Genies wie Friedrichs des Großen bewährt hatte, als das höchste Ideal eines Heerwesens, bis es zuerst in der amerikanischen Revolution den unordentlichen Massen schlecht ausgerüsteter und noch schlechter eingeübter Bürger und Bauern unterlag und schließlich bei Jena einen schmählichen Bankrott erlitt.
Das letzte Drittel des vorigen Jahrhunderts – oder vielmehr die Zeit vom Hubertusburger Frieden bis zur eben genannten Schlacht bei Jena – entwickelte dieses grausame und geistlose Gamaschentum – denn etwas anderes war die damalige Heeresorganisation nicht – zu seiner höchsten Blüte, und gerade die Werbungen für die nach Amerika bestimmten Truppen offenbarten schroffer als je zuvor oder später die Nichtswürdigkeit des Systems mit allen seinen Auswüchsen und Härten. Es würde heutzutage kaum noch möglich sein, sich einen nur annähernden Begriff von der Erhaltung und Vervollständigung der damaligen stehenden Heere zu machen, wenn es nicht eine bändereiche Literatur über die Rekrutenwerbung und die damit zusammenhängenden Dienstzweige gäbe.
Es ist zum Verständnis der uns beschäftigenden Epoche unerläßlich, wenigstens einen flüchtigen Blick in diesen nichtswürdigen gedruckten Schund zu werfen, der trotz seiner reichen Beiträge zur Erkenntnis der damaligen Zeit dem Kulturhistoriker, wie es scheint, kaum dem Namen nach bekannt geworden ist. Das Schinderhannestum, auf seiten der herrschenden Mächte in System und Ordnung gebracht, starrt uns aus diesen vergilbten Scharteken entgegen, die namentlich seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts zu jeder Ostermesse dutzendweise in Deutschland erschienen und vorzugsweise junge, auf Beförderung hoffende Leutnants zu Verfassern hatten.
Da liegen vor mir die »Briefe des Herrn v. S., worin derselbe seinem in C. zurückgelassenen Freunde verschiedene Werbehistörchen nebst einigen seiner eigenen Begebenheiten bis zu seiner Vermählung vor Augen legt« (Leipzig 1765, bei Johann Gottlob Rothen, Buchhändler in Kopenhagen). Herr v. S. ist einer jener zahlreichen und gewissenlosen Werbeoffiziere, die von Soldaten benötigenden Deutschen und selbst auswärtigen Staaten, z. B. England, in jeder günstig gelegenen größeren Stadt unterhalten wurden und die Aufgabe hatten, mit List und Gewalt, Versprechungen und Geld, Wein und schönen Kleidern arme Teufel und leichtsinnige oder arglose junge Menschen als Soldaten anzulocken. Der Hauptheld dieser Werbehistörchen ist der Bursche des Herrn v. S., ein gewisser Schwarz, den sein Herr nicht müde wird als ein Muster von Schlauheit, Verschmitztheit und Frechheit zu preisen. Der tugendhafte Schwarz betört mit den gewöhnlichen Mitteln seine Opfer in den Wirtshäusern, entführt »wohlqualifizierte Subjekte« mit Gewalt oder verkleidet sich selbst in einen Handwerksburschen und läßt sich von einem nichts Böses ahnenden, neben ihm sitzenden Schustergesellen an einen Werbeunteroffizier, der im Bündnis ist, verkaufen, worauf dann Schwarz das Heft umkehrt und seine Beute desto sicherer packt. Natürlich jubelt Herr v. S. über den reichen Fang und schafft ihn, von seinem Vorgesetzten ob seines Diensteifers gelobt, rasch zur Garnison.
Ein andermal beraubt Schwarz gemeinsam mit zwei Unteroffizieren einen Handlungsdiener, dem von ihnen die Wahl zwischen Soldatwerden und Auslieferung seines Beutels gelassen wurde, um hundert Dukaten und andere Kostbarkeiten. Der Kaufmann beschwert sich bei Herrn v. S. Aber was tut dieser? Er gerät in solche Wut, daß er seinen an der Wand hängenden Degen ergreift und den herbeigerufenen, ihres Verbrechens geständigen Unteroffizieren einige zwanzig Hiebe aufzählt. »Weil man aber«, erzählt Herr v. S. mit Selbstgefühl, »überdies in's Geheim von einer gewaltsamen Entführung des Tanzmeisters zu zischeln anfing, Lucinde [die Mätresse] mir auch beständig in Ohren lag, und durch die Begebenheit mit dem Kaufmannsdiener meine eigene Gefahr zu blühen anfing, so entschloß ich mich, ohne Abschied zu nehmen, aus der Stadt zu gehen, und fuhr den dritten Tag mit Lucinden, meinem Kutscher und Schwarz, der mir ein ander Mal klüger zu werden und bessere Vorsicht zu gebrauchen angelobet, nach M. zu dem Regimente.«
Soweit Herr v. S. Ein gewöhnlicher Mensch, der nicht adliger Werbeoffizier gewesen wäre, würde, wenn er sich wie Schwarz und Herr v. S. bei ähnlichen zur Nacheiferung empfohlenen Heldentaten hätte ertappen lassen, sein Leben lang in die Eisen gekommen sein; aber Herr v. S. ist »Kavalier« und wirkt als solcher für den allerhöchsten Dienst. Folgen wir nun dem in Schwarzischer oder Herrn v. S.scher Weise gestohlenen Rekruten an seinen Bestimmungsort, und lassen wir uns über seinen Transport dahin amtlich unterweisen.
Wir finden diese Belehrung in dem Werk »Unterricht für die Königlich Preußische Infanterie im Dienste der Garnison, auf Werbungen und im Felde« (Berlin, in der Himburgischen Buchhandlung, 1805). Dieses Buch, das also – wohlgemerkt – gerade ein Jahr vor der Schlacht von Jena erschien, ist ein merkwürdiges Zeichen von der erstaunlich raffinierten Schärfe, zu der sich der preußische Dienst damals ausgebildet hatte, aber auch von der ganzen herzlosen Grausamkeit, deren ein gemeiner, auf schnelle Beförderung im allerhöchsten Dienst sinnender Norddeutscher fähig ist. Da heißt es im vierzehnten Kapitel vom Transport der Rekruten wörtlich:
»Der Unteroffizier muß außer einem guten Seitengewehr auf dem Transporte stets ein Terzerol bei sich führen; er muß den Rekruten nie hinter, sondern immer vor sich gehen, ihn nie nahe auf den Leib lassen und ihm bedeuten, daß der erste falsche Tritt, den er thut, ihm das Leben koste. Er muß beim Transport das Gebiet des Landes vermeiden, wo der Rekrute gedient hat, oder auch manchmahl, und unter gewissen Umständen sogar, aus dem er gebürtig ist.
Er muß das Transportiren durch große Städte und lebhafte Ortschaften, wo möglich, vermeiden. Des Nachts muß er solche Wirtshäuser zum Quartier wählen, wo er und andere Werber seiner Macht immer einkehren, und wo der Wirth auf seiner Seite ist. In dem Nachtquartier selbst muß er die möglichste Vorsicht zur Erhaltung des Rekruten anwenden, demselben sich ganz auszuziehen und niederzulegen befehlen, dessen, so wie seine eigene Kleider dem Wirth in Verwahrung geben, und sich neben ihn, vorne nach der Thüre zu, hinlegen. Beim Transport muß er nicht erlauben, daß der Rekrute sich sehr umsehe, stehen bleibe, noch weniger sich mit Reisenden und besonders gar nicht in einer fremden Sprache unterhalte. Er muß den Rekruten auf dem Transport so lenken, wie man mit dem Zügel ein Gespann lenkt; die Worte: Halt, Marsch, Langsam, Geschwinde, Rechts, Links, Geradeaus müssen von dem Rekruten auf dem Fleck befolgt werden, sonst ist dies schon ein übles Omen, und des Unteroffiziers Autorität ist verletzt.
Nie muß der Unteroffizier da einkehren, wo es dem Rekruten etwa zu frühstücken beliebt, sondern wo er zu diesem Behuf einmahl für allemahl einkehrt.
In solchen Wirtshäusern, wo der Transport zu Nacht bleibt, muß eine eigene, für die Werber und Rekruten bestimmte Gaststube sein, die, womöglich in einem Oberstock ist und deren Fenster mit eisern Gittern versehen sind. Nachts muß kein Rekrute aus der Stube zu gehen genöthigt sein, sondern ein Nachtgeschirr zu beiderlei Bedürfnissen sich im Zimmer befinden.
Die ganze Nacht muß eine Lampe im Zimmer brennen und neben selbiger ein unangezündetes Licht stehen. Der Unteroffizier muß seine Waffen dem Wirth Abends übergeben, damit nicht der Rekrute gegen ihn, in der Nacht davon Gebrauch macht. Morgens muß er sie sich wiedergeben lassen, sie nachsehen, frisch laden, oder wenigstens frisch Pulver aufschütten, sich anziehen, reisefertig machen, und dann erst den Rekruten aufstehen heißen, und ihm seine Kleider zum Anziehen wiedergeben. Beim Hineingehen in ein Wirthshaus und Stube muß der Rekrute der erste, beim Herausgehen der letzte sein; im Wirthshause selbst muß der Werber vor, der Rekrute hinter dem Tische sitzen. Hat der Rekrute eine Frau mit, so muß der Werber seine Aufmerksamkeit verdoppeln, die Frau muß auf dem Marsche vor dem Manne, niemahls aber hinter demselben, oder gar hinter dem Werber gehen.
Sie muß eben so denen Commando-Wörtern auf dem Marsche gehorchen als der Mann, ebenso in den Nachtquartieren beobachtet werden, sich eben so unterwegens, wenn der Unteroffizier zu frühstücken wo einkehrt, wie der Mann hinter den Tisch setzen, eben so des Nachts nicht das Zimmer verlassen. Daß ein transportirter Rekrute während seines Transports keine Feder anrühren, keine Briefe schreiben, keine Schreibtafel sich halten, selbst keine Bleifeder nicht bekommen darf, ist natürlich, so wie daß man dem Rekruten und seiner Frau vor dem Antritt des Transports, alle gefährliche Waffen, Terzerols, große Messer u. s. w. abnehmen muß und während dem Transport nicht erlauben darf, daß der Rekrute so wenig wie seine Frau, einen Stock, Knüppel oder Stab tragen darf.
Auch muß es dem Rekruten nicht erlaubt sein, seine Frau vom Transport oder Nachtquartier ab, wohin zu schicken, mit selbiger eine fremde Sprache zu reden, oder ein sachtes Gespräch zu führen. Alles dies muß nicht statt finden und überhaupt der Unteroffizier auf alle Vorsichtsmaßregeln beim Transport denken, auf alle Handlungen und Worte des Rekruten Acht geben und darüber seine Überlegungen anstellen. Ist der Rekrut nur irgend zweideutig, so muß er sich auf Befehl des Unteroffiziers, die Hosenriemen entzwei-, die Hosenknöpfe abschneiden und die Hosen in der Hand tragen.
Hat er aber vollends einen Versuch gemacht, zu echappiren, so muß er ohne Gnade geschlossen, oder ihm die Daumschrauben angelegt werden. Es ist schon übel, wenn es der Unteroffizier dahin kommen läßt, von seinem Gewehr Gebrauch zu machen, und den Rekruten blessiren oder tödten zu müssen.
Bei sehr schönen, scheinbar resoluten, den Unteroffizier an Kräften überwiegenden Rekruten wird der Offizier gewiß so vorsichtig und billig sein und zu dessen Transport zwei Unteroffiziere geben; überhaupt ist es, wenn es nur irgend angeht, immer besser, wenn einige Rekruten zusammen transportiert werden, damit mit Recht bald ein paar Unteroffiziere mit auf den Transport können gegeben werden. Es ist wegen Krankheitsfällen, Nachtwachen, wechselseitiger körperlicher Unterstützung, Überlegung und Berathschlagung, wo Seelenkräfte wirken müssen, wegen Aufmerksamkeit und Vorsichtsmaßregeln, kurz, wegen aller möglichen auf dem Transport zu beobachtenden und vorkommenden Ereignisse besser, wenn, selbst unproportionirten Verhältnissen der Rekruten zu den Transportirenden, einige Unteroffiziers beisammen sind. So schwer, wie es bei gehörigem Diensteifer, wenn sich der Unteroffizier nicht auf's Glück verlassen will, es demselben wird, einen einzigen Rekruten allein zu transportiren, so können zwei Unteroffiziere doch schon drei bis vier Rekruten, mit wenigerer Gefahr, drei Unteroffiziere mit noch weniger Risquo sieben bis höchstens neun Rekruten transportiren.
Allein, daß ein Unteroffizier zwei Rekruten transportirt, muß nie der Fall sein. Macht die größte Noth diesen Fall unvermeidlich, so ist dies schon traurig und für den Offizier sowohl wie den armen Corporal ohne Grenzen risquant. Wenn es platterdings unmöglich ist, daß der Offizier die Rekruten, bis der Transport stärker wird, bei sich behalten kann und deren Absendung durchaus nothwendig ist, so muß der Offizier in diesem Falle Jemand dingen, der dem Unteroffizier transportiren hilft. Es ist besser auf Vorsichtsmaßregeln einige Ausgaben zu verwenden, als die Rekruten einzubüßen, und das Leben des Unteroffiziers unvermeidlicher Gefahr auszusetzen. So wie dem Offizier, um so mehr noch dem Unteroffizier ist ein tüchtiger Hund äußerst nützlich. Nur muß derselbe gehörig abgerichtet sein, keinen Stock in der Hand eines Rekruten leiden, so wie sich derselbe in der Nacht rührt, oder aufsteht, anschlagen und seinen Herren wecken, auf dem Marsche den Rekruten, wenn er aus dem Wege herausgeht, wieder in den Weg treiben, fängt der Rekrute an zu springen, denselben packen und nur auf seines Herren Wort wieder loslassen, nicht leidend, daß der Rekrute etwas von der Erde aufnehme und lauter Künste können, die auf das bessere Transportiren des Rekruten abzwecken und dem Unteroffizier den Dienst erleichtern.
Mancher Rekrute«, heißt es am Schluß nach Aufzählung verschiedener Arten von Befreiungsversuchen, »sucht dadurch seine Befreiung zu erlangen, daß er an einem Orte, wo viele Menschen versammlet sind, oder beim Durchgange durch eine Stadt, über Gewalt oder ungerechte Anwerbung schrie. Hier muß der Unteroffizier den Schutz der Obrigkeit erheischen, und wird selbigen auch nach Vorzeigung seines Werbepasses und der von Zeugen unterschriebenen Capitulation des Soldaten gewiß erhalten. Der Unteroffizier mit einem Wort muß sich nicht irre machen lassen, sich nicht das Herz abkaufen lassen, niemahls die Gegenwart des Geistes verlieren oder wohl gar unentschlossen handeln, welches noch schlimmer ist, als wenn er unrecht handelt. Versucht der Rekrute, unternimmt er nur das mindeste, so muß er geschlossen werden. Alle Kosten, die der Rekrute durch Desertions-Anschläge nöthig macht, muß er selbst tragen, und kann ihm der Unteroffizier bis zu seiner Ablieferung das Handgeld abnehmen. Von jedem, in einem Orte vorgefallenen Excesso, von jeder Maßregel, die der Unteroffizier zu nehmen gezwungen ward, muß er sich, um sich bei seinem Offizier auszuweisen, von der Ortsbehörde ein Attest geben lassen.
Besonders muß dies geschehen, wenn der Unteroffizier in die traurige Nothwendigkeit gesetzt ward, den Rekruten zu schießen, mag er ihn nun entweder blessirt, oder getödtet haben. Der Fall, daß ein Rekrute dem Unteroffizier entkomme oder entwischt, wird gar nicht als denkbar, also auch nicht zu attestiren angenommen.«
Endlich ist der Rekrut glücklich eingebracht und wird zum Soldaten gestoßen, mißhandelt und geprügelt: eine gebrochene Existenz, wenn er noch einen Funken Selbstgefühl in sich bewahrt hat, oder eine willenlose Maschine, wenn er sich in seine neue Lage findet und pünktlich »Ordre parirt«. Denn der Dienst wurde mit barbarischer Strenge und pedantischer Gewissenhaftigkeit ? namentlich in den auf preußischem Fuß eingerichteten Heeren ? ausgeführt. »Es ist eine trostlose Sache, sich die Gefühle zu vergegenwärtigen, welche in Tausenden der gepreßten Opfer gearbeitet haben, vernichtete Hoffnungen, ohnmächtige Wut gegen die Gewalttätigen, herzzerreißender Schmerz über ein zerstörtes Leben. Es waren nicht immer die schlechtesten Männer, welche wegen wiederholter Desertion zwischen Spießruten zu Tode gejagt oder wegen trotzigem Ungehorsam gefuchtelt wurden, bis sie bewußtlos am Boden lagen. Wer den Kampf in seinem Innern überstand und die rohen Formen des neuen Lebens gewohnt wurde, der war ein ausgearbeiteter Soldat, das heißt ein Mensch, der seinen Dienst pünktlich versah, bei der Attacke ausdauernden Mut zeigte, nach Vorschrift verehrte und haßte und vielleicht sogar eine Anhänglichkeit an seine Fahne erhielt und wahrscheinlich eine größere Anhänglichkeit an den Freund, der ihn seine Lage auf Stunden vergessen machte: den Branntwein.« »Neue Bilder aus dem Leben des deutschen Volkes« von Gustav Freytag, S. 320.
Natürlich waren die Desertionen häufig und je näher der Grenze, desto zahlreicher, obwohl die aus aller Herren Ländern zusammengetriebenen Soldaten sorgsam gehütet wurden. In Grenzfestungen – wie z. B. Wesel am Rhein – waren sie zu diesem Zweck in drei Klassen geteilt: Ganzvertraute, die Pässe erhielten und vor die Tore gehen konnten, Halbvertraute und schließlich Unsichere, die gar nicht oder nur mit seltenen Ausnahmen in Begleitung eines Unteroffiziers oder eines Ganzvertrauten aus der Stadt durften. Wurde ein Soldat vermißt, so wurden drei Alarmschüsse vom Wall der Festung abgefeuert. Auf dieses Zeichen hin mußten die Grenzbauern die Grenze besetzen und von Posten zu Posten patrouillieren. Dazu im voraus kommandierte Offiziere mußten sich auf die in Bereitschaft gehaltenen Pferde setzen und an der Grenze die Bauernposten revidieren. Für jeden eingebrachten Deserteur wurde ein Fanggeld von zehn Talern bezahlt. Wurde der Deserteur nicht gefangen und gelangte er glücklich »auf die Freiheit«, d. h. über die Grenze, wo sich Wirtshäuser zur Aufnahme befanden, so ritt der nachsetzende Offizier dahin, um ihn unter Zusicherung völliger Straflosigkeit zur Rückkehr zu bewegen. Hatte der Ausreißer überhaupt die Absicht, zurückzukehren, so stellte er seine Bedingungen – z. B. Erteilung eines Trauscheines, d. h. die Erlaubnis, seine Liebste zu heiraten, oder Erteilung eines Torpasses etc. –, was Verhandlungen zwischen ihm und der Kompanie herbeiführte, die meist mit Zugeständnissen von Seiten der letzteren endigten. Memoiren des königlich preußischen Generals der Infanterie Ludwig von Reiche, herausgegeben von seinem Neffen, Louis von Weltzien. 2 Teile, 1775-1855. Leipzig 1857.
Der Rückblick auf diese Einzelheiten des damaligen Werbegeschäfts war deshalb notwendig, weil mehr als die Hälfte der nach Amerika verhandelten Truppen in solcher Weise zusammengebracht wurde und weil ohne die Detailkenntnis des mit der Rekrutierung verbundenen Unfugs ein Teil der späteren Erzählung unverständlich bleiben würde.
Während die größeren deutschen Staaten, wie z. B. Preußen und Sachsen, sich hauptsächlich durch ihre Armeen zu europäischer Macht und Bedeutung emporschwangen, bedienten sich die kleineren Fürsten – wie Hessen, Braunschweig, Gotha und andere – ihrer Truppen, um ihre Einkünfte zu vergrößern und ihren Luxus zu befriedigen. Unter den Ländern, die trotz ihres verhältnismäßig kleinen territorialen Umfangs durch ihre politische Machtstellung ein entscheidendes Wort in der Politik jener Zeit zu sprechen hatten, standen Holland und später England obenan, und sie gerade waren wegen des eben bezeichneten Mangels zur Führung ihrer Kriege auf die Benützung fremder Soldaten angewiesen. Für unseren Zweck kommt hier ausschließlich England in Betracht.
Diese Macht tritt erst nach der Revolution von 1688 tonangebend in die große europäische Kontinentalpolitik ein, an der sie sich früher nur in vereinzelten Fällen beteiligt hatte. Als Wilhelm von Oranien von den Whigs eingeladen wurde, nach England zu kommen und Jakob II. vom Thron zu stoßen, gewährte Wilhelms Onkel, der Große Kurfürst von Brandenburg, die Mittel zur Unterstützung des Unternehmens, um England aus seiner schimpflichen Stellung als Vasallenstaat Frankreichs zu reißen. Er stellte 9000 Brandenburger zur Deckung von Holland; ein brandenburgischer Feldmarschall befehligte das Heer, mit dem Wilhelm in der Bucht von Torbay landete; das Regiment Brandenburg geleitete ihn zum Palast von St. James und nach Irland. Brandenburgische Truppen fochten unter dem Kommando Wilhelms bei Steinkirchen und Neerwinden, und ihnen dankte der König die Wiedereroberung von Huy und Namur. Der erste kontinentale Krieg, den England führte, war der Spanische Erbfolgekrieg, in dem Marlboroughs siegreiche Heere fast ausschließlich aus deutschen Hilfs- und Mietstruppen bestanden, wie denn überhaupt damals deutsche Truppen auf beiden Seiten kämpften: Hessen und Braunschweiger unter deutscher, englischer und holländischer Fahne, Bayern und Kölner unter den Franzosen. Der Handel, den die deutschen Fürsten zu Anfang des 18. Jahrhunderts mit dem Leben ihrer Untertanen trieben, war schon zu jener Zeit so schamlos, daß alle öffentlichen Blätter in England sie bitter tadelten und verspotteten und daß die holländische Regierung ihren deutschen Bundesgenossen derb und verächtlich vorwarf, daß sie das Geld mehr liebten als ihre Ehre.
Seit das Haus Braunschweig-Hannover den englischen Thron einnahm, wurden die englischen Beziehungen zur Kabinettspolitik des vorigen Jahrhunderts nur noch inniger, und die regierende Dynastie, die überall ihr spezifisch hannoversches Interesse in den Vordergrund drängte, konnte um so eher an allen Kriegen und Kämpfen teilnehmen, als sie die Truppen ihres Stammlandes zur Disposition hatte und diese zugleich mit im englischen Interesse verwandte. So sehen wir denn im Laufe des vorigen Jahrhunderts deutsch-englische Regimenter auf fast allen Schlachtfeldern Europas, in Gibraltar und Minorca, ja in Madras und den übrigen englischen Kolonien kämpfen. Außerdem schlossen die Könige Georg I. und Georg II. zur Erreichung ihrer politischen Zwecke in Deutschland Verträge mit ihren dortigen Nachbarn ab und zahlten bedeutende Summen, um ihrer Hilfe in jedem Augenblick versichert zu sein, wie z. B. im Jahre 1717 mit dem Landgrafen von Hessen, als Georg I. ein Bündnis mit Frankreich einging und verschiedene schwedische Besitzungen in Deutschland an sich zu reißen gedachte. 1739, nach der Kriegserklärung Englands an Spanien, zahlte Georg II., weil er persönliche Streitigkeiten mit Preußen hatte und deshalb für Hannover fürchtete, an Hessen und Dänemark 250 000 £Stg, damit sie 6000 Mann, wie es hieß, für England bereithielten. Im April 1742 bewilligte das Parlament im Österreichischen Erbfolgekrieg aufs neue Gelder für dänische, hessische und hannoversche Truppen, um daraus ein Heer in Flandern gegen die Franzosen zu bilden. Wie bedeutend diese Summen waren, kann man aus dem einzigen Beispiel ersehen, daß der Landgraf Friedrich I. von Hessen – obgleich er in jenem Krieg seine Truppen an beide kriegführenden Teile vermietete – von 1730 bis 1750 1 249 699 £Stg von England bezogen hatte. Der Sieg des Herzogs von Cumberland bei Culloden, der 1746 den schottischen Aufstand dämpfte, war vorzugsweise dem tüchtigen Fußvolk zu verdanken, das aus 6000 Hessen bestand, die vom holländisch-englischen Heer aus den Niederlanden nach England eingeschifft worden waren.
Im September 1755, gleichzeitig mit dem Ausbruch der englisch-französischen Kolonialkriege und kurz vor Anfang des Siebenjährigen Krieges in Europa, schloß England einen Defensivvertrag mit Rußland, damit dieses zur Verteidigung Hannovers gegen bare Bezahlung 55 000 Mann bereithielte. Dieser Vertrag wurde zwar nicht erfüllt, da Rußland sich in der Folge mit Frankreich und Osterreich verband, während England mit Friedrich II. in eine Allianz trat; zu gleicher Zeit jedoch erhielten die kleinen deutschen Fürsten, wie Hessen, Gotha und Braunschweig, bedeutende Summen, damit sie mit ihren Soldaten für England ins Feld rückten; Bayern, seiner alten reichsverräterischen Rolle treu, nahm damals ebenfalls 10 000 £Stg von England an, obgleich es von dessen Feinden schon gewonnen war und mit französischem Geld 6000 Mann zu den Österreichern stoßen ließ. Im zweiten Jahr des Siebenjährigen Krieges zählte das englische Heer in Westfalen 48 000 Mann, darunter u. a. 20 000 Hessen, 6000 Braunschweiger und keinen einzigen geborenen Engländer. Aber Pitt brauchte keinen seiner Landsleute zu opfern, denn er fand gegen gute Bezahlung genug Ausländer, die, wie er ganz richtig berechnet hatte, in Deutschland für Englands Besitzungen in Amerika und Ostindien kämpften. Das Bündnis mit Friedrich dem Großen allein kostete England jährlich vier Millionen Taler.
Es waren kaum zwölf Jahre nach Beendigung des Siebenjährigen Krieges vergangen, als die Revolution in Amerika ausbrach, zu deren Bekämpfung England natürlich wieder bedeutende Truppenmassen nötig hatte.