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Standpunkt der Beurteilung und Quellen

 

The whole is a mere mercenary bargain, for the hire of troops on one side and the sale of human blood on the other; and the devoted wretches thus purchased for slaughter, are mere mercenaries in the worst sense of the word.

Lord Camden im House of Lords,
Sitzung vom 5. März 1776

 

Was ich in den folgenden Blättern erzählen will, ist ein trauriges Stück deutscher Geschichte, ein beschämendes und empörendes Bild unserer öffentlichen Zustände gegen Ende des vorigen Jahrhunderts. Allein so demütigend es für unser Nationalgefühl auch sein mag, die umständliche Beschreibung der nackten und bar bezahlten Schande zu lesen, die vom Namen deutscher Fürsten auf den des deutschen Vaterlandes zurückfällt, so muß dieses Kapitel dennoch geschrieben werden, denn es ist keine bloße Vergangenheit, die wir glücklich überwunden hätten, sondern handgreifliche Gegenwart, deren Leiden und Schmerzen heute noch ungeheilt sind. Das Verbrechen, dessen Erzählung ich mir vorgenommen habe, ist noch nicht gesühnt; ja es wird noch täglich – wenn auch in zivilisierteren, weniger verletzenden Formen überall da begangen, wo das Volk, ohne um seinen Willen gefragt zu werden, für fremde, nicht selten antinationale Zwecke geopfert wird. Die Ursachen, die es erzeugt haben, sind noch heute in derselben zersetzenden Kraft vorhanden; sie wurzeln in unserer nationalen Zersplitterung, in der deutschen Kleinstaaterei. Obwohl wir gegenwärtig kaum noch drei Dutzend Souveräne haben, ist sie, wenn nicht noch unerträglicher, doch ebenso unerträglich und hinderlich für unser nationales Gedeihen als vor nunmehr fast hundert Jahren, wo wir der Landesväter mehr als dreißig Dutzend zählten. Die Fortschritte auf allen übrigen Gebieten des Lebens, die Verwendung des Dampfes und der Elektrizität, die kolossale Verringerung von Raum und Zeit, die revolutionierenden Entdeckungen und Erfindungen in Kunst und Wissenschaft – sie alle haben das Übel nur noch akuter gemacht, schroffer zum Bewußtsein gebracht und in grelleren Widerspruch zu unserer übrigen Existenz gesetzt. Was im vorigen Jahrhundert noch ein respektabler Mittelstaat war, der unter Umständen sogar nationale Bildungszwecke fördern konnte, ist heutzutage eine Anomalie, ein Gemeinschaden.

Die Großväter feilschten zur Aufrechterhaltung ihrer Scheinexistenz sogar noch um die zerschossenen Knochen ihrer Landeskinder und ließen sich ihre Leichen – 51 Taler 15 Silbergroschen per Stück! – von England bar bezahlen. Die Söhne, die legitimen Herren von Gottes Gnaden, eilten, um sich nur noch eine Spanne süßen Daseins zu erkaufen, unter die schützenden Fittiche des korsischen Advokatensohnes, des bürgerlichen Emporkömmlings, und stifteten unter seiner hohen Protektion den Rheinbund, wofür sie ihm ebenfalls ihre Landeskinder zu Hunderttausenden auf die von Spanien bis Rußland reichende Schlachtbank liefern mußten. Das Geschäft war ganz dasselbe, nur lautete der Kaufpreis anders, und er wurde diesmal von Frankreich in deutschen Länderfetzen und Titeln statt von England in barem Geld bezahlt. Der Kleinhandel des Jahres 1776 wurde eine Generation später Großhandel – das ist der ganze Unterschied.

Und die Enkel? Sie sitzen noch auf den Thronen von Napoleons Gnaden. Wenn sich nur ein Gewitter am politischen Himmel zeigt, so suchen sie natürlich Schutz beim Zaren, bei Louis Napoleon, beim Kaiser von Österreich oder beim Meistbietenden, wie es gerade das Interesse ihrer Person oder Dynastie erheischt. Die deutschen Fürsten also sind und müssen wegen ihrer Ausnahmestellung sein, was sie waren; sie können nicht anders, selbst wenn sie wollten. Was vor hundert Jahren von ihnen galt, gilt daher noch heute von ihnen.

Das deutsche Volk dagegen strebt mit unwiderstehlicher Macht aus den feudalen Zuständen heraus. Seit der Reformation seinem Wesen und Beruf als Großmacht entfremdet, seit dem Westfälischen Frieden durch die von diesem anerkannte Souveränität der früheren Reichsvasallen in sich uneins und schwach, darum zum Schleppenträger fremder ausländischer Interessen herabgesunken, in der Französischen Revolution bei der ersten Berührung mit einem starken Feind haltlos in sich zusammenbrechend, beginnt Deutschland erst in neuester Zeit, sich aus seiner Zersplitterung und seinem trostlosen politischen Verfall allmählich wieder zu Wohlstand und nationaler Selbständigkeit emporzuarbeiten; es fängt an, einzusehen, daß es in sich einig und frei sein muß, wenn es in der europäischen Völkerfamilie die seiner Größe und Bildung würdige Stellung wieder einnehmen will.

Ein großes, freies und einiges Volk, wie es Deutschland dereinst werden muß und sein wird, ist sich Selbstzweck. Es kennt keine anderen als seine eigenen Interessen; aber diese seine Interessen, die durch die freie Betätigung seiner Bürger geschaffen und gefördert werden, sind eben dadurch, daß eine mächtige Volksindividualität sie aus sich herausarbeitet, im großen ganzen die Interessen der zivilisierten Menschheit.

Darum erzeugt der Staat – der Begriff Staat setzt Macht, Größe und Selbständigkeit voraus; fürstliche Domänen haben keinen Anspruch auf den Ehrennamen Staat –, darum erzeugt der Staat öffentliche Charaktere, Hingabe an selbständige politische Ziele und tiefgehende politische Kämpfe. Jeder Bürger wird durch das Bewußtsein gehoben, daß die zwischen seinen ökonomischen, politischen und sittlichen Rechten und Pflichten herrschende Harmonie, deren bloßes Erstreben in jenen armseligen Afterstaaten ganz folgerichtig als Hochverrat gilt, ihm den weitesten Spielraum für die Verwertung seiner persönlichen Kraft bietet. Ein großes und freies Volk kann sich deshalb auch gar nicht von anderen und für andere mißbrauchen lassen.

Es ist ein Augenblick der Sammlung und Selbstprüfung, an dem diese Schrift sich mitbeteiligen will. Sie setzt sich die zeitgemäße Aufgabe, schonungslos die Schmach aufzudecken, die die Kleinstaaterei auf unser Volk gehäuft hat an den Auswüchsen des Systems, dessen Verderblichkeit für Deutschland nachzuweisen und die Nation dadurch anzuspornen, daß sie sich um jeden Preis aus diesem Labyrinth fort und fort wuchernder Erniedrigung befreie.

Es ist einer der wenigen Vorteile, die mir der Aufenthalt im Ausland bietet, eine quellenmäßige Geschichte dieses Soldatenhandels liefern zu können. Und Quellenmäßigkeit nehme ich – es ist unerläßlich, das bei einem solchen Gegenstand zu betonen – durchaus für diese Arbeit in Anspruch.

In erster Linie nenne ich die den englischen Staatsarchiven entlehnten Dokumente. Herr George Bancroft hat sie, soweit sie sich auf die Geschichte der amerikanischen Revolution beziehen, sämtlich abschreiben lassen und mir mit der freundschaftlichsten Zuvorkommenheit nicht weniger als sieben die deutschen Truppenwerbungen behandelnde Foliobände zur Benützung überlassen. Vom Briefwechsel zwischen den englischen Ministern und ihren Agenten in Deutschland ist darin jedes Blatt aufbewahrt; leider reicht er aber nur bis zum Jahre 1778. Ich habe diese Quellen stets unter der Überschrift »S. P. O.« (State Paper Office) mit der Angabe des betreffenden Bandes angeführt. Natürlich wäre es mir ohne diese Liberalität des berühmten amerikanischen Geschichtsschreibers unmöglich gewesen, dieses Buch überhaupt nur zu schreiben. Wenn es also, wie ich glaube, eine Bereicherung unserer historischen Literatur ist, so gebührt das Verdienst in erster Linie Herrn Bancroft.

Außerdem benützte ich über fünfzig handschriftliche Tagebücher deutscher Offiziere und Soldaten aus jener Periode, welche Schätze Herr Bancroft mit gleichfalls zur Verfügung gestellt hatte; ferner die offiziellen braunschweigischen Papiere, die im großen Generalstab zu Berlin aufbewahrt werden und mir ebenfalls in Abschrift vorlagen. Wenn ich aus diesen letztgenannten handschriftlichen Quellen auch wenig für meine unmittelbaren Zwecke fand, so machten sie mich doch mit dem Geist der geschilderten Zeit vertrauter und gaben mittelbar meiner Darstellung und meinem Urteil eine festere, kräftigere Unterlage. Herr Bancroft hat keine Mühe und kein Opfer gescheut, um aus allen Ecken Deutschlands das Material für jene Zeit herbeizuschaffen – es gibt kaum ein nennenswertes Schriftstück, das er nicht besitzt –, ich habe deshalb gewiß umfassendere und reichere Quellen benützt, als sie selbst einem deutschen Forscher in Deutschland zu Gebote stehen.

Ein Versuch, den ich im Sommer 1862 machte, um Zutritt zu den hessischen Archiven zu erlangen, schlug fehl. Man teilte mir bei meinem Besuch in Kassel mit, daß der Kurfürst aus leicht begreiflichen Gründen die betreffenden Papiere in Wilhelmshöhe unter seiner persönlichen Obhut habe und daß sie deshalb für jedermann unzugänglich seien. Ich bedauere diesen Mangel an Erfolg nur aus dem Grunde, weil mir dadurch gewiß manche interessante Einzelheiten entgangen sind; im großen ganzen aber stellen meine englischen Quellen den eigentlichen Hergang und Charakter der Verhandlungen endgültig fest.

Eine andere wertvolle Hilfe gewährte mir das handschriftliche Tagebuch des Obersten Rainsford, das mein Freund Herr George H. Moore, Bibliothekar der hiesigen geschichtlichen Gesellschaft, besitzt und mir zur Benützung überließ. Es enthält namentlich einzelne pikante Züge, die nicht in den ernsten Rahmen der offiziellen Berichte passen und einige nicht gerade beneidenswerte, aber charakteristische Streiflichter auf einzelne der betreffenden Fürsten werfen.

An gedruckten Quellen führe ich hier besonders die englischen Parlamentsverhandlungen an, die vollständig als ›Journals of the House of Commons‹ 1803 in London neu aufgelegt wurden und außerdem noch im Auszug unter dem Titel ›The Parliamentary Register or History of the Proceedings and Debates of the House of Commons. London, Printed for J. Almond, 1776‹ etc. in vierundzwanzig Bänden erschienen sind. Die Benützung dieser seltenen Werke wurde mir durch die zuvorkommende Höflichkeit der Bibliothekare der hiesigen Astor Library sehr erleichtert.

Der Anhang enthält aus dem reichen Material nur solche Belegstellen, die weniger bekannt und besonders charakteristisch sind.

New York, 6 Mansfield Place,
24. Februar 1864

Friedrich Kapp


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