Arthur Kahane
Die Thimigs
Arthur Kahane

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IV. Hugo Thimig bei Reinhardt

Am 1. April 1924 wurde Hugo Thimig von Max Reinhardt für sein Wiener Theater in der Josefstadt engagiert. Damit waren alle vier Thimigs unter einer Direktion vereinigt.

Schon vorher hatte er anläßlich eines Gastspielintermezzos an kleineren Wiener Bühnen, an der Neuen Wiener Bühne und in den Kammerspielen, zum erstenmal gemeinsam mit seinem Sohne Hermann in einem hübschen Lustspiel Sacha Guitrys (selber Schauspieler und selber Sohn eines berühmten Schauspielers, Lucien Guitrys), »Mein Vater hat recht gehabt«, die Doppelrolle des Vaters und des Vater gewordenen Sohnes gespielt.

Nun waren sie alle, Hugo, Hermann, Helene und Hans, beisammen, und es ereignete sich sogar einige Male, daß sie alle in einem und demselben Stücke auftraten, so in der Friedellschen Bearbeitung von Nestroys »Alles und Nichts oder Der Traum von Schale und Kern«.

Es mag wohl öfter vorgekommen sein, daß Kinder auf den Spuren ihrer Eltern gehen und stolz sind, dort anzufangen, wo jene aufgehört haben. Hier aber folgte ein Vater seinen Kindern in das Neue, ihm Unbekannte nach und gab sich gläubig in die Hand dessen, der seinen Kindern Meister geworden war.

Der alte, immer noch junge Herr paßte sich mit einer hoffnungsgeschwellten Elastizität, mit einer Frische, Arbeitsfreude und Umlernwilligkeit, die jeden Jüngeren beschämte, 64 der neuen Umgebung an. Es waren nicht weniger als etwa zwanzig neue, meistens recht umfangreiche Rollen, die in diesen fünfeinhalb Jahren seiner Spielfreude geboten wurden und die er lernte, probierte und, ohne je abzusagen, durchführte.

Und unter diesen zwanzig Rollen waren der Kent in »König Lear« und der alte Miller: zwei verwirklichte Wunschträume langer Jahre und die endliche Gelegenheit, sich einmal auf der Bühne auszuleben und sich ganz zu erfüllen.

Wie wenige wissen, was das für einen Schauspieler bedeutet: dieses Ausleben! Sich einmal auf der Bühne ganz geben zu können, sich in seiner vollen Breite und Tiefe ganz ausströmen zu lassen, ohne charakterisieren, ohne chargieren zu müssen, seinen nackten Menschen und sein bestes, selbst kaum gewußtes Geheimnis! Welche schauspielerische Wollust, welche lebensnotwendige Bestätigung der eigentlichen Persönlichkeit!

Max Reinhardt und Hugo Thimig verstanden einander vom ersten Augenblicke an. Reinhardt, der zeitlebens dem Burgtheater eine alte Anhänglichkeit und Dankbarkeit bewahrte, gestand, daß er in seiner Jugend von keinem Künstler des alten Burgtheaters eine so entscheidende Anregung empfangen, sich keinem in seiner tiefsten Anschauung des Schauspielerischen so verwandt gefühlt habe wie Hugo Thimig, ja, daß er diesem Vorbilde nicht bloß die Lust zu seinen ersten Rollen, sondern recht eigentlich die Lust zum Theater überhaupt danke. Thimig spürte, daß er zum ersten Male dem Regisseur begegnete, der ihm etwas geben konnte, und dem Verständnis, das er ein Leben lang schmerzlich entbehrt hatte.

Es war wie eine fröhliche Auferstehung, die Hugo Thimigs Kunst durch Max Reinhardt feierte. 65

 


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