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15. Kapitel – Drei Kreuze in der Bucht

… Ich habe allein, ganz allein oben auf dem Berge gestanden, als die Freunde davonfuhren.

Ganz allein …

Sie haben mich mitnehmen wollen nach Atauo – Eversham wollte bei mir bleiben … Ich habe alles abgelehnt.

Dann sind sie im Süden am Horizont verschwunden, der Schoner und die langen breiten Kanus mit den geschnitzten Schnäbeln und den dunklen Segeln. Ich habe das Band zwischen mir und der Welt zerschnitten … Ich muß erst mich selbst wiederfinden, um die Gegenwart von Menschen ertragen zu können – wer so viel verloren hat wie ich, der muß sich selbst erst wieder suchen …

Ich bin ganz allein …

… Am Westrand der Bucht gibt es nun drei Gräber. Wir haben Jane neben ihrer Mutter bestattet, wir haben ihr Fennek-Freund mit ins Grab gegeben, denn auch sie hat ihn geliebt.

Drei Kreuze, drei Inschriften an der Steilwand.

Jane …

Vielleicht wäre ich durch dich wieder zu dem geworden, was ich schon einmal war: ein Mensch, der unter seinesgleichen lebt, der innerhalb der menschlichen Gesellschaft seinen Platz einnimmt und seiner Arbeit nachgeht …

Vielleicht!

Vielleicht hätte ich mich auch irgendwo einem irdischen Richter freiwillig gestellt und den Makel, der seit Jahren auf mir lastet, von Rechts wegen löschen lassen!

Was hätte es mir ausgemacht, wenn man mich, den Außenseiter der Gesellschaft, für ein paar Jährchen eingesperrt hätte? Diese wären so schnell vergangen wie ein Tag, denn draußen hättest ja du auf mich gewartet. Und aller Schmerz und der ganze Gram über die Tage der Gefangenschaft wären in deinen Armen zerschmolzen …

Du hättest auf mich gewartet, – Ich weiß es.

Aber – es hat nicht sein sollen!

Kurz waren die Tage unseres gemeinsamen Glücks. Sie zählen nicht in der Ewigkeit in der wir zu leben gezwungen sind.

Jawohl – unser Leben währet eine Ewigkeit, überhaupt dann, wenn man es, so wie ich abseits vom Alltagswege verbringen muß!

Es ist noch gar nicht so lange her, daß ich selbst an mir diese Erfahrung gemacht habe. – Gar nicht so lange!

Doch was hat es für einen Sinn, Olaf, wenn du heute hier auf deiner Insel sitzt und über solche Dinge nachgrübelst?

Es hat keinen Sinn. – Wie oft im Leben hast du schon festgestellt, daß alles Schicksal ist.

Kismet, sagen die Mohammedaner.

Ein einfaches kurzes Wort. Und doch ist es so gewaltig.

Wie beneide ich in diesem Moment meine braunen Freunde, die in der Lage sind, alle Schicksalsschläge mit verschränkten Armen und dem leise gemurmelten Wort »Kismet« abzutun …

Ich habe lange unter ihnen gelebt und vieles von ihnen angenommen. Meine weißen Freunde, ich meine die Europäer, und andere, die ich auf meinen wechselvollen Pfaden kennenlernte, bewunderten mich, weil mich so leicht nichts aus der Ruhe bringen konnte. – Die Armen – was wissen sie von dem, was in mir ist, wenn ich so wie jetzt wieder zurückbleiben muß, um allem, was auch mir einst und jetzt noch lieb und wert ist, zu entsagen?

Ja – glaubt ihr denn, ich hätte nicht oft Sehnsucht nach den großen Städten, nach allem, was wir heute so Kultur nennen? – Was nützt es mir, wenn ich mich innerlich nach diesen Dingen vor Sehnsucht verzehre! – Der Weg zurück ist mir versperrt. – Für alle Zeiten.

Ich habe damals in Schweden einen Menschen erschlagen. – Gewiß, es war kein Raubmord, es war auch kein Mord aus niederen Beweggründen, es war eine Tat, die ein zur Verzweiflung getriebener Mann verübte. – Aber – vor den Schranken des Gerichts bleibt es ein Mord und nichts anderes.

Daß es eine Frau war, die mich zu dieser Tat trieb, habe ich ihr lange verziehen. – Nicht sie hat es wieder gutgemacht, im Gegenteil, aber viele ihrer Geschlechtsgenossinnen haben die Wunde, die sie mir riß, geflickt. – Heute ist sie vernarbt. – Besser ist es, wenn ich nicht daran denke.

Da, an der Steilwand unter dem primitiven Kreuz, welches ich aus einer Deckplanke zurechtzimmerte, liegt Jane, meine Frau. – Nicht vor dem Gesetz, aber vor Gott war sie es. – Und das zählt mehr …

Die Einsamkeit an sich wäre leicht zu ertragen – die Gedanken aber, die sind es, die mir das Leben schwer machen.

Immer wieder drängen sie sich aus den engen Windungen meines Gehirns nach oben und rauben mir die Ruhe, die ich so nötig brauche.

Wenn ich des Abends bei Sonnenuntergang droben auf der Klippe sitze und mein Eiland überblicke, dann kommen sie und rauben mir die Freude an der Einsamkeit und meiner Trauer.

Jawohl – ich freue mich darüber, daß ich traurig sein kann – traurig darüber, daß meine Jane mich wieder verlassen hat. – Was nützt mir der schönste Sonnenuntergang, wenn ich dabei nicht in Wehmut an Jane denken kann?

Immer wieder befällt mich die Schwermut, wenn die feurigen Strahlen der Sonne vor dem Eintauchen in den Ozean mir ihre feurigen Abschiedgrüße in lohendem Farbenspiel zusenden. – Ist es die Einsamkeit die mich drückt, oder ist es doch der heimliche Wunsch nach menschlicher Gesellschaft?

Wünsche ich mir doch wieder einen Kameraden von der Art und Eigenschaft, wie mir das Geschick so viele schenkte und wieder nahm?

Vielleicht!

Seit vorgestern tobt ein Sturm, ein Orkan, der mir selbst nachts keine Ruhe läßt. – Meine nicht sehr komfortabel eingerichtete Behausung ist erfüllt von dem Dröhnen und Brausen der Brandung und dem Heulen und Jaulen er Sturmstöße. – Die Klippe scheint unter dem Anprall der Wellenberge, die wir hüpfende Rosse über die Riffe springen, zu zittern und zu wanken. – Von Südost kommt der Orkan – mit ungebrochener Kraft, Gewitter toben, nichts ist mehr zu erkennen. – Alles hier ist nur Gischt, kämpfende Wassermassen und Wogenkämme.

Trotzdem bin ich gegen Morgen eingeschlafen.

Ich erwache … Und die Stille ringsum wirkt fast beängstigend.

Als ich heraustrete, leuchtet die Sonne. – Ich erklimme die Plattform und spähe ringsum. – Leer der Horizont – ein wolkenloser Himmel, eine sanfte Brise …

Nach einem kräftigen Essen liege ich in der warmen Mittagssonne und lasse mich von ihren Strahlen bescheinen. – Die Wärme tut mir gut. Ich genieße sie.

Ich genieße den Frieden um mich herum, der nur unterbrochen wird vom eintönigen Rauschen der Wellen, die leicht gluckernd und klatschend an den Riffen zerschellen.

Es ist eine göttliche Ruhe um mich.

Ganz allein bin ich auf Malmotta …

In der Lagune ankert die Jacht, die ich hasse. Der Star of London. Leer – ohne jede Besatzung.

Ich habe sie nicht wieder betreten, obwohl ich mich danach sehne, mir die Räume anzuschauen, die Jane einst bewohnt hat …

Aber sind nicht auch viele grausame Bilder mit diesen Räumen verknüpft?

Die Räume sind noch erfüllt von dem Duft der holden Weiblichkeit Janes … und von dem Geruch der Gauner, die sich der Jacht bemächtigt hatten.

Wieder sind einige Tage vergangen …

Heute früh bin ich nun doch auf der Jacht gewesen.

Die Sehnsucht trieb mich.

Und als ich zum Heck schritt, stutzte ich …

Irgendwoher kam ein schrilles qualvolles Wimmern – wie von einem kranken Kinde …

Ich fand kein Kind.

Ich fand Men Huleb, einen jungen Mantelpavian.

Und nun bis ich nicht mehr allein auf meiner Insel.

Ich habe jetzt wieder ein Lebewesen um mich herum. – Wenn es auch kein Mensch ist – es ist eine arme Kreatur …

Ich bin froh darüber.

Wenigstens bin ich nun nicht mehr so ganz allein hier, auf meinem von einer Wasserwüste umgebenen Eiland …

Das Leben auf Malmotta geht weiter …

Aber das ist eine ganz andere Geschichte.

Es ist die Geschichte Malmottas, die noch lange nicht beendet ist.


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