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Vierzehntes Kapitel.

Wir brauchten auf Hosea nicht mehr lange zu warten. Kaum war er im Zimmer, als er schon sagte:

»Lore Hähnchen war hier. Ich rieche ihr Parfüm.« – Dann mußte ich ihm erzählen, wie wir Lore abgefaßt hatten.

Plötzlich schlug die Flurglocke an. Es war Meister Gottlieb, vollständig verstört. – »Meine Tochter ist verschwunden!« Mehr war aus ihm nicht herauszubekommen.

Hosea führte ganz allein die Unterhaltung mit dem verängstigten Manne, tröstete ihn und meinte, Fräulein Lore sei vielleicht bei Bekannten. – Als Hähnchen wieder gegangen war, sagte Hosea ernst: »Lore wird nie wieder zurückkehren!« – Ueber die Gründe für diese Annahme schwieg er sich aus, nahm jetzt vielmehr die Schläuche und die Flasche mit violetter Tinte, die Borwin ihm hatte besorgen müssen, und verschwand im Korridor. Nach einer Viertelstunde erschien er wieder und befahl uns, die Stelle im Flur vor der Kleidergarderobe nicht mehr zu betreten. Darauf gingen wir zur Ruhe. Während Hosea sich gerade den Kragen abknöpfte, machte er mir ein Zeichen und deutete auf die Tür nach dem Korridor hin. Mit einem Mal nahm er seinen Revolver aus der Nachttischschublade und stürmte hinaus, indem er die Tür hinter sich zuwarf.

Zwei Minuten später trat – der Chemiker Schellborn – das Ekel, das Scheusal! – ein, bewacht von dem vergnügt grinsenden Hosea.

Borwin kam jetzt auch in etwas spärlicher Toilette herbei.

Hosea erklärte nun mit übertriebener Förmlichkeit:

»Die Herren gestatten, daß ich Sie miteinander bekannt mache: Meine Freunde Malwa und Freiherr von Bock-Palluck – Herr Doktor Schellhorn – oder auch Herr Herbst – oder Herr Kanzleirat Wehrhut, – ganz nach Belieben, nur jedes Mal etwas anders aussehend.«

Borwins und mein Gesicht müssen in diesem Augenblick ungeheuer geistreich im Ausdruck gewesen sein –!

Jedenfalls war Hosea selten eine Ueberraschung so geglückt wie diese.

Jetzt sagte er: »Bitte, meine Herren, – wir wollen es uns gemütlich machen und Platz nehmen. – Borwin, Du holst wohl für Herrn Doktor Schellhorn-Herbst-Wehrhut einen nassen Schwamm, damit er sich die violette Tinte vom Halse abwischen kann.«

Der Mann mit den drei Namen lachte und meinte:

»Eine niederträchtige Erfindung von Ihnen, Herr G –«

Hosea fiel ihm schnell ins Wort, sah ihn dabei sehr scharf an:

»Garblig heiße ich, wie Sie ja schon wissen, – Garblig!«

»Gut – gut, – also eine ganz verteufelte Erfindung, diese Tintenspritze, ich trat natürlich ahnungslos auf die Bälle, die gefüllt unter dem Läufer lagen, – und hatte schon die Bekanntschaft mit drei Strahlen Flüssigkeit gemacht!«

Auch Hosea lachte.

»Ja, es war ein ganz guter Gedanke! – Ihr Anzug hat leider auch etwas abbekommen. Ich werde ihn Ihnen ersetzen.«

Dann mußte ich noch ein paar Flaschen Rotwein entkorken, Zigarren bereitstellen und die Gläser füllen.

»Zum Wohle, meine Herren,« sagte Hosea. »Trinken wir auf den Erfolg!«

Ich horchte auf. Aber Hosea fügte nichts weiter hinzu –

Dann begann er: »Es ist an der Zeit, einen teilweisen Rückblick über die Ereignisse zu halten, die sich in diesem Hause abgespielt haben, – einen teilweisen! – Fangen wir mit der Verurteilung Marvilles an. Dieser untadelige Ehrenmann litt schwer unter dem Makel, der seinem Namen anhaftete. Er hatte nur einen Wunsch: den Beweis seiner Schuldlosigkeit zu erbringen. In aller Stille stellte er nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis Ermittlungen an, um denen auf die Spur zu kommen, die ihn als Dieb der Verachtung seiner Mitmenschen preisgegeben hatten. Aus ganz bestimmten Gründen zog er dann in das Spukhaus ein. Er hoffte, hier weitere Erfolge zu haben. Aber er hatte sich den geheimen Feldzug gegen die dunklen Mächte, deren Opfer er geworden war, doch zu leicht vorgestellt. Jahre gingen hin, ohne daß er einen Schritt vorwärtskam. Gewiß: er beobachtete hier allerlei Merkwürdiges, ahnte, was und wer dahinter als treibende Kraft steckte, konnte aber für seinen Verdacht keinerlei ernsthafte Beweise beibringen. Im Laufe der Zeit war er nun der Hausbesitzerin, dem alten Fräulein Löckner, nähergetreten. Diese hatte wieder ein Interesse daran, den Spukgeistern dieses Hauses hinter ihre Schliche zu kommen, da sie durch den Haubengeist und die unheimlichen Töne pekuniär schwer geschädigt wurde. Sie mußte die Wohnungen sehr billig ablassen, nur, um die Mieter zum Bleiben zu bewegen. So kam es, daß Fräulein Löckner und Percy Marville sich zusammentaten und – einen Berliner Detektiv damit beauftragten, hier in der Maske eines harmlosen Kanzleirats Nachforschungen anzustellen. Dieser Detektiv, Herr Karl Marx, sitzt jetzt dort in der Sofaecke. – Er hielt es für gut, hier in einer Doppelrolle aufzutreten, was seinen Absichten nur förderlich sein konnte. Daher zog am 1. Januar in das Teublersche Fremdenheim in Palmburg ein Herr Herbst ein, während die hier gerade leerstehende Wohnung der Kanzleirat gemietet hatte. – Herr Wehrhut, alias Marx, merkte nun bald, mit wie gefährlichen Gegnern er es zu tun hatte, fürchtete, daß ein Revolver eines seiner Feinde vielleicht mal losgehen könnte, und verstand es, die Patronen dieser Waffe gegen ganz harmlose auszutauschen. Die Identität zwischen Wehrhut und Doktor Schellhorn verriet mir später der Brief an Levisohn und Schellhorns Handschrift, auch des Chemikers Frisur, die er trug, um die Stirnwunde zu verbergen.«

Hosea schwieg, gähnte und fuhr dann fort: »Gehen wir jetzt zu Bett. Morgen – besser – heute vormittag kommt die große Abrechnung, und zwar hier in diesem Zimmer. Ich habe dazu noch allerlei Vorbereitungen zu treffen.«

Marx verabschiedete sich mit einem: »Auf Wiedersehen bei der – Abrechnung!« –

Um sieben Uhr morgens weckte mich Hosea und reichte mir die neueste Palmburger Zeitung. – »Lies den Artikel: ›Einbruch in die Bureaus der landwirtschaftlichen Darlehnskasse.‹« – Dieser Artikel lautete:

 

»In der verflossenen Nacht oder besser am vorigen Abend, wahrscheinlich zwischen neun und elf Uhr, haben Einbrecher den Tresor der landwirtschaftlichen Darlehnskasse gesprengt und gegen 18 000 Mark in Banknoten erbeutet. Es handelt sich schon wieder um die Tat mit allen modernen Hilfsmitteln ausgestatteter Geldschrankknacker. Angesichts der in letzter Zeit sich stark häufenden Einbrüche dieser Art muß man sich fragen, ob unsere Kriminalpolizei wirklich auf der Höhe ist. Wir können im Interesse der Allgemeinheit nur betonen, daß die Bürgerschaft Anspruch darauf hat, diesen Zustand der Unsicherheit schleunigst beendet zu sehen. Reicht unser Polizeiapparat dazu nicht aus, so wende man sich an die Berliner Kriminalpolizei, die gern einen Beamten entsenden wird, dem größere Erfahrungen zur Seite stehen.« –

 

Hosea hatte dann bis zur Stunde der Abrechnung bis zehn Uhr noch sehr viel zu tun. So war er noch bei Doris, telephonierte mit Märker und erledigte anderes, wovon er Borwin und mir nichts sagte. Ich gebe zu, daß wir beide über die wahren Zusammenhänge all der merkwürdigen Geschehnisse noch ganz im Unklaren waren und der großen Stunde daher mit nervöser Spannung entgegensahen. –

Um zehn Uhr fanden sich dann nacheinander alle Personen ein, die im Hause wohnten, außerdem aber noch eine ältere, einfache Frau, Witwe Kaulke, die frühere Aufwärterin der Tante Hermine. Hosea und Märker kamen recht spät – als letzte; jedenfalls lange, nachdem Hähnchens bereits auf den bereitgestellten Stühlen Platz genommen hatten.

Dann übertrug Hosea das Wort an den Detektiv Marx, der sich an die Türfüllung nach dem Salon hin lehnte und sofort begann:

»Ich trete hier als Ankläger auf. – Jahre sind es her, da wurde ein Bürger unserer Stadt wegen Diebstahls verurteilt. Marville gelang es, festzustellen, daß die beiden Hauptbelastungszeugen, zwei Schlossergesellen, zu einem Manne in engen Beziehungen standen, der am Tage des Museumsdiebstahls an einer altertümlichen Truhe im Hause Marvilles den kunstvollen Verschluß hatte in Ordnung bringen sollen, und nur dieser Mann konnte es gewesen sein, der die bei Marville vorgefundenen Goldsachen in der Absicht eingeschmuggelt hatte, den Verdacht gegen den Kunsthändler noch zu verstärken, damit die wahren Diebe frei ausgingen. – Und dieser Mann sind Sie, Gottlieb Hähnchen!«

Alle Köpfe flogen herum.

Aber Hähnchen lächelte nur: »Sie belieben zu scherzen, Herr Doktor Schellhorn.«

»Ich bewundere Ihre Unverfrorenheit« sagte Marx mit kalter Verachtung. »Sie werden bald einen anderen Ton anschlagen –! Auf jenen Mann, auf den Schlossermeister Hähnchen, fiel damals nicht der geringste Verdacht. Nach außen hin ein harmloser Handwerker, angesehen, ja beliebt, und sehr geschickt in seinem Fach, hat Hähnchen aber nicht nur diese eine Schuld auf seine Seele geladen. – Jetzt ist er entlarvt. Und das kam so. Um seine Schuldlosigkeit zu beweisen, bezog Marville dieses Haus. Er wollte den Menschen ständig im Auge behalten, der an seinem Unglück die Hauptschuld trug, den er für den geistigen Urheber des verruchten Planes hielt, dessen Opfer er geworden. Er merkte jedoch sehr bald, daß er es mit einem außerordentlich verschlagenen Menschen zu tun hatte, der wahrscheinlich auch ahnte, weshalb Marville in das Spukhaus gekommen war. Jedenfalls war Hähnchen und nicht minder seine Frau in allem so vorsichtig, daß man ihnen nicht beikommen konnte. Marville hatte wohl auch zu wenig Erfahrung in solchen Dingen, um bei seinen Nachforschungen auch nur einigermaßen Erfolg zu haben, die lediglich den Zweck hatten, Beweismaterial dafür zu sammeln, daß es mit des Schlossermeisters Ehrenhaftigkeit nicht weit her sei und daß er noch immer mit jenen beiden meineidigen Belastungszeugen in Verkehr stehe. – Die Eigentümlichkeiten dieses Hauses kennt nun ein jeder von Ihnen, meine Herrschaften, – den Spuk, das Gespenst im Garten und die unheimlichen Töne. Die Vorbesitzerin, Fräulein Löckner, hatte ein sehr großes Interesse daran, diese Dinge aufzuklären, und kam mit Marville überein, gemeinsam einen Detektiv zu beauftragen, für sie beide in Tätigkeit zu treten. Dieser Detektiv bin ich.«

Marx führte nun weiter aus, wie er eines Abends, als Hähnchens nicht daheim waren, mit Nachschlüsseln in deren Wohnung eingedrungen war und die Patronen des Revolvers vertauscht hatte, nachdem der Meister an den Tagen vorher verschiedentlich in den Bergen von ihm bei Schießübungen belauscht worden war, bei denen Hähnchen sich einer Scheibe in Form des Oberkörpers eines Mannes bedient hätte, wodurch in dem Detektiv der Verdacht an ein gegen ihn geplantes Attentat noch reger geworden wäre.

Kurz vorher war nun Fräulein Löckner – so berichtete Marx weiter – durch Selbstmord aus dem Leben geschieden. Marville hatte sofort geargwöhnt, daß es hierbei nicht mit rechten Dingen zugegangen sei, und auch er, der angebliche Kanzleirat Wehrhut, hatte ihm hierin beigepflichtet. Um für diese unsichere Vermutung festere Unterlagen zu schaffen, waren beide, Marx und Marville, verschiedentlich mit Hilfe des Blitzableiters in die leere Wohnung eingestiegen, zu der Hähnchen die Schlüssel in Verwahrung hatte, und hatten dort immer wieder nach Beweisen für ihren Verdacht gesucht, ohne sich jedoch darüber klar werden zu können, wie Hähnchen, falls wirklich hier ein Mord vorlag, diesen bewerkstelligt hatte. Tatsache war ja, daß alles auf einen Selbstmord hindeutete: die Tante war in dem von innen verschlossenen und völlig gaserfüllten Schlafzimmer auf dem Diwan liegend aufgefunden worden. – So standen die Dinge, als der Lehrer Bruchstück nachts im Treppenhause vor der Hauswirtin Tür deren »Geist« erblickte. Dieses Begebnis sprach sich schnell im Hause herum, und besonders Hähnchens waren es, die immer wieder die Spötter warnten und meinten, mit solchen Dingen sei nicht zu scherzen.

Marx erzählte nun genau die Vorgänge an jenem Nachmittag, als es bei ihm geläutet hatte, während gerade der Maler Merling sich bei ihm befand – »Ich öffnete die Flurtür, – prallte sofort zurück – vor mir stand – Hermine Löckner, besser, – ihr Geist! Und dieser streckte mich durch einen Schuß zu Boden, – freilich durch einen harmlosen Schuß, der mir nur die Stirnhaut zerfetzte –«

Der Detektiv ging jetzt zu der Geschichte von dem Schränkchen über, wie er auf diese Weise glücklich aus dem Hause geschafft werden konnte, und wie später durch den Brief an Levisohn, den Möbelverleiher und Auktionator, die Wohnung des verschwundenen Wehrhut schnell geräumt werden konnte, damit dort der Chemiker Schellhorn einziehen konnte.

»Dieser Mordversuch,« fuhr Marx fort, »den der »Geist« mit Hähnchens Revolver und den präparierten Patronen verübt hatte, war die Schlinge, in der der ehrenwerte Meister Gottlieb sich selbst gefangen hatte. Nun hatten wir ihn fest, nun konnte der Beweis erbracht werden, was in Wahrheit hinter diesem großen Heuchler steckte. Gewiß, ich hätte auch so die Hand auf ihn legen können, hätte nicht mehr als Chemiker Schellhorn hier aufzutreten brauchen! Aber wir wollten Hähnchen eben gleich ganz vernichtend treffen, wollten ihm nun auch noch, wenn möglich, den Mord an Fräulein Löckner nachweisen, gegen den die äußeren Umstände zwar sprachen, für den es aber anderseits auch eine ganze Menge von Anhaltspunkten gab, so besonders die Tatsachen, daß das alte Fräulein auch nicht den geringsten Grund gehabt hatte, sich selbst zu entleiben, und daß in dem Nachlaß der verstorbenen nur sehr geringe Barmittel aufgefunden worden waren, während sie ihrer ganzen Lebensführung nach außer dem Hause noch andere Einnahmen gehabt haben mußte. – Die Verhaftung Marvilles und Merlings, die unausbleiblich schien, lernten wir Eingeweihten bald von einem uns lediglich günstigen Standpunkt aus betrachten. Hähnchen mußte gerade dadurch, daß der Verdacht des Attentats sich auf diese beiden Herren gelenkt hatte, sich sicherer fühlen und konnte vielleicht nunmehr irgendeine Dummheit begehen, die ihn auch zu dem angeblichen Selbstmord in Verbindung brachte. Deshalb beschloß ich, das Spukhaus abermals in einer neuen Verkleidung zu beziehen. – Inzwischen war hier nun aber als Gast des neuen Hausbesitzers ein Herr erschienen, der mir von Berlin her von Ansehen gut bekannt war und von dem ich wußte, daß er, obwohl von Beruf Kunstmaler, mit Leidenschaft gerade außergewöhnlichen Geschehnissen nachzuspüren pflegte. Und diesen Herrn bitte ich jetzt, an meiner Stelle das Wort zur weiteren Enthüllung der Geheimnisse dieses Hauses zu ergreifen.«

Marx verbeugte sich leicht und nahm auf dem Stuhl Hosea Garbligs Platz, während Hosea sich nunmehr an den Türrahmen lehnte.


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