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Fünftes Kapitel.

Als Helmbach das Zimmer verlassen hatte, wandte sich Märker an Hosea. – Ich war bereits als kriminalistische Null ganz ausgeschaltet. Aber ich war nicht verletzt oder eifersüchtig.

»Ist es nicht ein seltsames Zusammentreffen, Herr Garblig, daß Wehrhut gestern früh – ausgerechnet gestern früh! – den Auktionator anweist, die Sachen abholen zu lassen?«

»Was hat der Kanzleirat gestern tagsüber bis zu dem »Ereignis« getrieben?«

»Oh – wir haben hierüber bereits ganz sichere Angaben. – Er ist vormittags um neun Uhr spazieren gegangen, kehrte um zehn zurück und blieb daheim. Um zwölf Uhr wurde ihm wie immer aus dem feurigen Roß das Mittagessen geschickt – in einer Menage, die ihm der Kellnerjunge der Kneipe regelmäßig brachte. Um zwei hat dieser Junge die Menage wieder abgeholt. – Dann wissen wir eben nur noch das, was die Zeugen Balting, Frau Hähnchen und Herr Malwa ausgesagt haben, – daß Wehrhut wie tot im Flur lag. Und dies war etwa gegen ein viertel vier Uhr nachmittags.«

Hosea stand auf. »Wir dürfen uns jetzt empfehlen, Herr Kommissar?«

»Bitte sehr. – Auf Wiedersehen, meine Herren. Ich werde mir erlauben, Sie gelegentlich zu besuchen, Herr Malwa.«

»Soll mich freuen, Herr Kommissar.«

»Werden Sie oft kommen?« fragte Hosea unfreundlich.

»Keine Sorge. Nicht zu oft!«

Nach wenigen Minuten standen wir in der Vorhalle des Polizeipräsidiums.

Mich quälte schon seit einer Weile ein bestimmter Gedanke.

»Hör' mal, Menümaler,« sagte ich leise, »wenn Du nun in Bäckershagen als mein heute erst aus Berlin eingetroffener Freund auftreten willst, werden Dich dann nicht vielleicht Leute wiedererkennen, denen Du dort gestern schon begegnet bist, – so zum Beispiel der mir gegenüberwohnende Krämer, von dessen Laden aus Du mich doch erspäht haben willst –?!«

»Bist Du ein Idiot?!« – Da kam gerade ein Briefträger vorüber, und Hosea schoß auf ihn zu.

»Wann wird hier in Palmburg abends die letzte Post bestellt?« hörte ich ihn fragen.

»Um sieben Uhr, Herr.«

»So, danke. – Und wenn in der Vorstadt Bäckershagen ein Brief zwischen neun und zehn vormittags in den Kasten geworfen wird, wann muß ihn dann ein in Palmburg wohnender Empfänger normalerweise erhalten?«

»Hm – zwischen neun und zehn –? – Na – ganz bestimmt mit dem letzten Bestellgang, also um sieben herum. Aber wahrscheinlich sogar schon um fünf nachmittags.«

»Danke sehr.« Und Hosea kam wieder zu mir zurück, lächelte ironisch und meinte: »Ob der Kellnerjunge aus dem feurigen Roß Dir wohl gegen eine in die Hand gedrückte Mark sagen würde, ob Wehrhut ihm gestern Mittag einen Brief mitgegeben hat?« Ohne dann eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort: »Hältst Du den dichtenden Kommißbock für so geizig, daß er mir nicht auch mit Geld ausgeholfen haben sollte, wo es galt, Dich zu schützen?« Dabei zog er den Hundertmarkschein hervor und gab ihn mir hohngrinsend wieder.

»Aber – man hat doch bei Dir kein Geld gefunden?!« wagte ich einzuwenden.

Er nahm das schmale Skizzenbuch aus der Brusttasche des eleganten B. v. B.-Mantels, schlug es auf, zeigte auf zwei der letzten Blätter, die an den Rändern zusammengeklebt waren, und meinte:

»Ob hier wohl glattgelegtes Papiergeld so leicht gefunden wird?«

Das Skizzenbuch verschwand wieder in der Tasche.

»Was macht einen besseren Eindruck, – wenn Dein Berliner Freund sehr wohlhabend ist oder ein armer Schlucker?« fragte er dann. »Ist Reichtum nicht stets ganz gut, wenn man Dinge vorhat wie ich? Wirst Du es geschickt anfangen, den Hausbewohnern beizubringen, daß ich vermögend bin?«

Ehe ich noch antworten konnte, zog er vor mir den Hut wie vor einem Wildfremden und ging davon.

Die schwere Tür schlug langsam wieder zu, während ihre Luftbremse leise zischte.

Hosea war wirklich ein toller Kauz!

Auch ich verließ nun das große Gebäude und fuhr mit der Elektrischen nach Bäckershagen hinaus.

Von Hosea war nichts mehr auf der Straße zu sehen gewesen –

In meinem Wohnzimmer fand ich den Tisch schon gedeckt. Gleich darauf kam auch Frau Guste Hähnchen mit einem Riesentablett, auf dem Teller, verdeckte Schüsseln undsoweiter standen, und enthüllte dann vor mir die verlockendsten Reize eines üppigen Mittagessens.

Während ich die Erbsensuppe mit den gerösteten Brotwürfeln darin behaglich auslöffelte, erzählte die Meisterin mir haarklein die Geschichte von Levisohn und den Möbeln.

»Da der Kanzleirat nur bis zum 1. April gemietet und die Miete im Voraus gezahlt hat, schadet's ja nichts, daß der alte Möbelkram wegkam,« meinte sie. »Mein Mann rät Ihnen, die Wohnung zu annoncieren, Herr Malwa. Vielleicht werden Sie sie bald wieder los und schlagen so noch bis zum Quartal doppelte Miete heraus.«

»Hm – sehr geschäftstüchtig gedacht, liebe Frau Hähnchen, – nur – bedenken Sie, – der Kanzleirat kann ja womöglich wieder auftauchen!«

»Nein, Herr Malwa, das ist ausgeschlossen! – Oder – meint der Kriminalkommissar etwa, daß damit zu rechnen wäre? – Sie fuhren, doch heute mit ihm nach der Stadt.«

»Oh – Märker ist verschwiegen wie Moltke, Meisterin. Der äußert sich über nichts. – Ich bat ihn, mich nach Palmburg mitzunehmen, weil ich für meine Tante einen Marmorstein und ein Grabgitter bestellen wollte.«

Ich war mit der Erbssuppe fertig und ging zu geschmorten Hammelrippen über.

Ich erzählte Frau Hähnchen jetzt, nachdem ich die Suppe nach Gebühr gelobt hatte, daß ich gestern abend noch meinem Freunde Garblig, einem reichen Maler, eine Depesche geschickt und ihn gebeten hätte, mich zu besuchen.

»Garblig ist Kunstmaler, Meisterin, und wird hier vielleicht recht hübsche Wintermotive finden. Ich bin das Alleinsein nicht gewöhnt. In Berlin lebt man ja stets wie in einem Bienenhaus. – Lassen Sie also doch noch ein zweites Bett in den Salon stellen. Ich erwarte Hosea – ein etwas komischer Vorname, so heißt nämlich einer der kleinen Propheten in der Bibel! – bereits heute nachmittag. – Wollen Sie uns beide auch weiter beköstigen?«

»Gern, Herr Malwa. Wird alles besorgt werden. – Das Schlafzimmer Ihrer Tante wollen Sie also nicht benutzen?«

»Nein. Ich möchte erst Garblig fragen, ob er sich nicht scheut, dort zu nächtigen. Er ist etwas ängstlich, offen gestanden. Jedermanns Geschmack ist es ja auch nicht, in einem Raume zu schlafen, in dem – Na – Sie wissen schon, was ich meine.«

Sie seufzte, nickte eifrig und schaute nach dem Oelgemälde hin. –

Nach dem Essen schnappte ich im Gemüsegarten etwas frische Luft. Bald gesellte sich der Major zu mir, der ein Tesching mithatte, um Krähen zu schießen.

»Haben Sie etwas Neues über die traurige Geschichte von gestern erfahren?« fragte er.

»Nichts: Die Polizei schweigt sich aus.«

»So – na ja!« Er hüstelte. Dann: »Meinen Sie, daß der Maler Merling wirklich mit der Sache etwas zu tun hat? – Mein Weibervolk ist jetzt rein des Teufels, sag' ich Ihnen! Im Vertrauen nämlich: Meine Irmgard und der Merling, – da spinnt sich was an! Und nun verlangen meine drei Mädels, die natürlich für des Malers reines Gewissen den Kopf auf den Block legen wollen, ich solle irgend etwas tun, um Merling von diesem Verdacht schleunigst zu reinigen. – Stellen Sie sich vor, Herr Malwa: Ich soll etwas unternehmen – ich, bei dieser Geschichte, einem Kapitalverbrechen, mit dem sich die Behörde beschäftigt – die Behörde! – Hm – und – na, ja – also meine Jüngste, die ist nun ganz besonders schlecht auf Sie zu sprechen – auf Sie! – Leider Gottes! Mir sind Sie nämlich recht sympathisch – Tatsache! – Sie sollen an allem schuld sein, obwohl Sie doch eben nur ihre Pflicht als guter Staatsbürger erfüllt haben – was meine Weiber oben natürlich nicht verstehen! – und ausgesagt haben, was Sie gesehen hatten: Merlings Gesicht am Fenster des Kanzleirats! – Hm – jetzt liegt ja eine Nacht dazwischen. Und nachts überlegt man sich so manches. Sind Sie überzeugt – noch immer überzeugt, daß es wirklich Merling war, den Sie erblickten?«

»Er war es bestimmt, Herr Major!«

»So – so! – Arme Irmgard! – Wenn ich ihr dies mitteile, dann – Aber – hallo! – da kommt sie selbst! Wird uns wohl vom Fenster aus bemerkt haben. – Nun gnade Ihnen Gott, Herr Malwa!«

Ich muß sagen, daß die jüngste Balting mir hier draußen in der klaren Beleuchtung des Wintertages weit weniger gefiel als gestern in dem halbdunklen Flur. Gewiß – hübsch und rassig war sie! Aber – an ihrer Kleidung, ihrer Frisur und auch an ihrem Gesicht machte ich jetzt Beobachtungen, die nicht sehr für sie sprachen. Sie war etwas nachlässig angezogen, das Haar recht genial geordnet, und die Wangen zeigten eine starke Puderschicht, während die Augen wieder künstlich unterschattet zu sein schienen. Der Blick dieser Augen war auch nicht offen und frei, sondern stand zuweilen mit dem Lächeln und den Worten der etwas sinnlichen Lippen für einen kritischen Beschauer stark im Widerspruch.

Irmgard von Balting begrüßte mich zunächst wie einen alten Bekannten durch Handschlag, sagte etwas burschikos: »Mahlzeit, Herr Malwa« und ging dann direkt auf ihr Ziel los, indem sie ziemlich dieselben Worte gebrauchte wie ihr Vater: ob ich wirklich davon ganz fest überzeugt sei, Merling am Fenster gesehen zu haben.

»So leid es mir tut, gnädiges Fräulein, – ich muß mit ja antworten.«

»Dann begreife ich Herrn Merling nicht,« meinte sie bedächtig. »Er hat mir heute vormittag versichert, daß er nicht in des Kanzleirats Wohnung gewesen wäre. – Nun, man kann den Leuten ja schwer ins Herz sehen. Er ist mein Lehrer, und die Dankbarkeit veranlaßte mich, ihn auch Papa gegenüber in Schutz zu nehmen. Sein Malunterricht hat mich sehr gefördert. Ob ich die Stunden unter diesen Umständen aber noch fortsetzen soll, erscheint mir etwas zweifelhaft, da sich Herr Merling vielleicht dazu nicht in der Stimmung befindet –«

»Wie, Kind, Du wolltest –,« meinte der Major ganz fassungslos. »Aber – aber wird Merling ein solches plötzliches Aufgeben der Stunden nicht vielleicht –«

»Papa, wenn er Feingefühl besitzt, wird er verstehen, daß es von meiner Seite nur Rücksichtnahme auf seine bedrückte Gemütsverfassung ist. Ich werde ihm das auch schreiben.«

»Schreiben –?!« echote der Major verdutzt.

Irmgard glitt über diesen Punkt schnell hinweg.

»Ist es wahr, Herr Malwa, daß Sie Besuch erwarten? – Frau Huhn,« – sie belachte den Scherz wie ein Backfisch – »hat unserer Minna, der Köchin, soeben erzählt, ein mehrfacher Mil–li–o–när träfe noch heute ein, – ein Mil–li–o–när, – oh, Minna kriegte das Wort gar nicht über die Lippen! – Sagen Sie, rodeln Sie gern, Herr Malwa? – Wir haben da drüben in den Bergen – eigentlich sind's ja mehr Hügel! – eine feine Bahn uns ausgesucht mit drei famosen Kurven. Sie müssen mitmachen, Herr Malwa, – Sie müssen!«

»Gern, gnädiges Fräulein.«

Der Major verabschiedete sich jetzt. Er war offenbar etwas verlegen, als er mir die Hand gab und seiner Krähenhütte dann eilig zustapfte. Er dachte sicherlich daran, daß ich ihm jetzt wohl nicht mehr recht glauben würde, was er vorhin über sein Weibervolk gesagt hatte – »Kopf auf den Block legen« – und so!

Auch ich erklärte Fräulein Irmgard sehr bald, ich müßte jetzt nach Palmburg fahren, sonst käme ich nicht mehr zur Zeit zum Bahnhof. –

Der Menümaler saß im Wartesaal zweiter Klasse bei einer Tasse Kaffee. Neben seinem Tisch standen eine neue Handtasche und ein mittelgroßer, ebenso nagelneuer Koffer.

Er selbst hatte sich inzwischen in einen reinen Gecken verwandelt, so daß ich am liebsten die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen hätte. Sogar ein randloses Monokel hatte er eingeklemmt, und der blütenweiße Stehkragen war von beängstigender Höhe – wie ein Geradehalter für den Schädel.

Hosea grinste mich überlegen an, rief den Kellner und zahlte. Dabei konnte ich an seiner Linken zwei prachtvolle Brillantringe und einen dritten Ring mit vier köstlichen Smaragden, a jour-gefaßt, bewundern. – Natürlich Simili, – aber – die Aufmachung wirkte!

Eine halbe Stunde darauf rollte unser Auto vor dem Hause vor.

Hosea trug zu Lackschuhen hellgraue Gamaschen, wie mir jetzt erst auffiel, als wir durch den Vorgarten schritten und ich feststellte, daß oben bei Majors hinter den Vorhängen mehrere Köpfe unseren Einzug beobachteten.

Im Hausflur kam uns Meister Hähnchen entgegengestürzt, um Hosea die Handtasche und die Reisedecke abzunehmen.

Der Menümaler ließ sich Gottlieb Hähnchen in aller Form vorstellen, faßte an den Hutrand, deutete auf die Treppe und sagte herablassend: »Gehen Sie nur voraus, mein Lieber!«

Oben fanden wir den Kaffeetisch gedeckt, und bald tauchte Frau Guste mit einem Riesenteller frischgebackener Apfelkuchen auf, die geradezu lieblich dufteten.

Während er dann gleich drei Apfelkuchen mit Zucker bestreute und aufeinanderlegte, um den einzelnen Bissen umfangreicher zu machen, mußte ich berichten, was der Kellnerjunge im feurigen Roß gesagt hatte, wo ich noch schnell angesprungen war, bevor ich nach Palmburg fuhr. – Wehrhut hatte jenem keinen Brief mitgegeben.

»Was meinst Du, Phantasiemörder, ob der Levisohn den Brief noch haben mag?« meinte Hosea kauend.

»Nein, – Meister Gottlieb hat ihn, wie mir Frau Guste erzählte. Levisohn ließ ihn dort liegen, nachdem Hähnchen und Frau Sauerbier erst die Echtheit der Handschrift des Kanzleirats bestätigt hatten.«

»Was für eine Sorte Papier mag Wehrhut benutzt haben?« fragte Hosea, abermals drei Apfelkuchen präparierend.

»Das heißt also, ich soll den Brief holen,« meinte ich lachend und eilte zu Hähnchens hinab.

Als ich das Wohnzimmer wieder betrat, hatte Hosea bereits in der ganzen Wohnung die Gaslampen angezündet. Er selbst war jedoch nicht da. Die Kuchen hatte er in die heiße Ofenröhre gestellt.

Ich rief, – und er meldete sich schließlich aus dem Schlafzimmer, wo er, eine Zigarette im Mundwinkel, auf dem Diwan saß.

»Was treibst Du hier?« – Ich betonte das hier.

»Weshalb schlafen wir nicht in diesem Zimmer?« war seine Antwort.

»Wenn Du es wünschst –«

»Eiche, nicht wahr?« Und er klopfte mit der Fußspitze auf die Dielen.

»Ja, und sehr gut erhalten.«

Dann saßen wir wieder am Kaffeetisch.

Hosea überflog den an Levisohn gerichteten Brief und steckte ihn samt dem Umschlag in die Tasche.

»Hast Du ihn gelesen?« meinte er. – Ich nickte. »Was ist Dir aufgefallen?« – »Nichts.«

Er murmelte etwas, das sehr nach Idiot klang und fuhr fort: »Steht nicht unter dem Datum des gestrigen Tages noch etwas?«

»Ja –: morgens!«

»Und das fällt Dir nicht auf? – Welcher Mensch wird in einem solchen Falle noch »morgens« hinzufügen –?!«

Er nahm den Brief wieder aus der Tasche und reichte ihn mir.

»Poststempel sind manchmal vielsagend, nicht wahr?«

Ah – die Briefmarke war ja in Palmburg abgestempelt, und zwar gestern zwischen sieben und acht Uhr abends.

Ich schaute Hosea verdutzt an.

»Morgens in Bäckershagen geschrieben, abends erst in Palmburg in den Kasten – komisch, nicht?!« lächelte er ironisch.

»Ob Herr Moses Levisohn ahnt, daß er einen Brief von einem Manne erhalten hat, der schon erschossen war, als er ihn schrieb?!« höhnte der Menümaler mit vollem Munde, so daß seine Worte etwas undeutlich klangen.

Ich war sprachlos. »Was – was willst Du damit sagen, Hosea?« stotterte ich.

»Wirst Du morgen oder übermorgen an den Herrn die Wohnung Wehrhuts vermieten?« entgegnete er und steckte den Brief in die Tasche.

»An welchen Herrn?«

»Weißt Du schon, wie er aussieht?«

»Wer, – wer –?! – Hosea, Du kannst einen rein um den Verstand bringen mit Deiner verdammten Art!«

Er lachte in sich hinein. Dann: »Der Herbst ist gekommen, der Herbst ist gegangen, – findest Du das nicht merkwürdig?«

»Nein, ich finde es nur folgerichtig!« sagte ich in meiner Verzweiflung, nur um ihn durch Widerspruch zu reizen.

Die Oberlippe zuckte nach oben wie eine Fahne grimmen Hohnes.

»Folgerichtig – folgerichtig! Kind, das war ja ein Schuß ins Schwarze, ins Zentrum, – aber durch Zufall! – Weißt Du denn, wer Herbst ist?! Gewiß, der Käufer des Schränkchens und der drei schweren Kunstgegenstände, nicht wahr? Aber sonst – sonst noch? Hättest Du diesen Mann, der seit Wochen in einem Fremdenheim in Palmburg wohnt, verreisen lassen, wie dies Märker tat, den ich heute nachmittag halb drei Uhr nochmals aufsuchte?! Ja, hättest Du es getan? Und nur deswegen, weil der Chauffeur das mit den drei Gegenständen belastete Schränkchen für ungefähr so schwer hielt wie gestern, als er es zusammen mit Marville in das Auto trug, und weil Herbst sich durch Papiere als harmloser Aufkäufer einer Münchener Kunsthandlung ausweisen konnte?! – Hast Du schon mal gefälschte Papiere gesehen?! – Der Herbst stellt sich nach jedem Sommer wieder ein! Dieser Herbst wird ausbleiben, oder meinst Du etwa nicht?!«

»Du hältst also daran fest, daß Wehrhut mit Hilfe des Schränkchens aus meinem Hause weggeschafft wurde?« fragte ich gespannt.

»Gibt es eine andere Erklärung?! Und – gibt es überhaupt ein Verbrechen, das so merkwürdig ist, wie dieses?! Werden wir der Wahrheit je auf den Grund kommen? – Erwin Malwa, ist es nicht eine Lust, hier zu leben? Gibt es etwas Schöneres als dieses Knäuel von Geheimnissen, dieses alte Haus mit seinen Bewohnern, die alle mitspielen in unserem großen Drama?!«

Er war aufgesprungen und ging im Zimmer auf und ab. Seine großen, dunklen Augen leuchteten. Ich sah jetzt wieder, wie schön, wie ausdrucksvoll sie waren.

Dann blieb er vor dem Bilde der Tante stehen.

»Hermine Löckner,« sagte er, »wo ist das Kleid, das Du auf diesem Gemälde trägst? Du hast alle Deine Kleider, Mäntel, Umhänge seit Jahren sorgsam aufbewahrt? Wo ist dieses eine Kleid?«

Ich verstand ihn. – »Wir wollen die Schränke durchsehen, Hosea! – Hier, die Zigarren sind gut.«

»Wo ist der Zettel mit der Geheimschrift?«

Ich gab ihn ihm und ging allein das Kleid suchen.

Nach einer Viertelstunde kam ich in das Wohnzimmer zurück. Ich hatte das Kleid nicht gefunden. Hosea war, was die griechischen Buchstaben anbetraf, glücklicher gewesen. Er las mir den Mißerfolg vom Gesicht ab und fragte:

»Würdest Du mir nochmals mit allen Einzelheiten schildern wollen, was Dir hier seit Eintritt in dieses Haus begegnet ist? Ob wohl Kleinigkeiten belanglos sind in einem Falle wie diesem?«

Ich setzte mich, steckte mir auch eine Zigarre an und blickte neugierig auf den Zettel mit den griechischen Buchstaben, auf den Hosea jetzt mit Bleistift eine Reihe deutscher Worte geschrieben hatte.

Schließlich tat ich einen schnellen Griff nach dem Papier und überflog die neue Niederschrift:

 

»Wehrhut und Marvilles haben heimlich sehr oft miteinander verkehrt und sich besucht. Beider Wohnungen sind oder waren durch eine besondere Telephonleitung verbunden.«

 

Die Hand, die das Papier hielt, sank mir schwer herab.

Ich blickte nach Hosea hin, der an den weißen Kachelofen gelehnt dastand.

»Willst Du nun bitte alle, aber auch alle Einzelheiten erzählen?« sagte er fast befehlend. – Ich bemühte mich, recht ausführlich zu sein.

Als ich nun berichtete (und dies hatte ich Märker gegenüber zu erwähnen vergessen!), daß, während ich noch mit Frau Guste im Treppenflur des ersten Stocks gestanden hatte, eine Etage höher anscheinend eine Tür leise geöffnet worden war, dann eine Diele zweimal geknarrt und darauf eine elektrische Glocke kurz angeschlagen hatte, gebot Hosea mir plötzlich durch eine Handbewegung Schweigen.

»Knarrten die Dielen auch, nachdem der Schuß gefallen war?« fragte er, das »nachdem« betonend.

»Ja. Ich glaube nicht, daß ich mich getäuscht habe?«

»Hast Du den Flurschlüssel zu Wehrhuts Wohnung?«

»Er hängt im Flur an dem großen Brett.«

»Ob ich Dir die Szene nochmals vorspiele?«

»Welche Szene?«

»Willst Du hinuntergehen und Dich in der ersten Etage aufstellen, und zwar dort, wo Du mit der Meisterin gestanden hast?«

Ich gehorchte. Auch im Treppenhause brannte schon überall das Gas. Es war hier bitterkalt, hoffentlich brauchte ich nicht zu lange frieren.

Ah – im zweiten Stock wurde eine Tür vorsichtig geöffnet, dann knarrte eine Diele zweimal, dann – schrillte eine Glocke, und dann – ich fuhr entsetzt zusammen – ein dumpfer Knall, gleich darauf abermals das Knarren der Dielen, – und nun Hoseas Stimme von oben: »Schnell – schnell – komm' herauf!«

Mit ein paar Sätzen erreichte ich meine Wohnung. Und doch hatte, gleich nachdem Hosea mich rief, ein leises Geräusch hinter mir mich bewogen, den Kopf nach Marvilles Tür zu drehen –

Ich hatte Doris Marville in das blasse Gesicht geschaut, das durch die Türspalte lugte. In des Mädchens Augen lagen Schreck und Angst –

Oben drückte Hosea die Flurtür hinter mir lautlos ins Schloß, fragte dann mit einem triumphierenden Lächeln:

»War die Szene genau so? Habe ich sie gut gespielt?«

»Vorzüglich. Nur hat leider Doris Marville mich gesehen. Und ihre Mienen deuteten auf Schreck und Furcht.«

»Doris Marville? – Ob wir ihr die Sache nicht jeden Tag vormachen? – Vielleicht – vielleicht –?!« Und er ging wieder in das Wohnzimmer zurück.


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