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Als wir, Hähnchen und ich, auf den Treppenflur hinaustraten, ging dort ein Kriminalbeamter langsam auf und ab. Und unten im Hausflur stand ein zweiter Wache.
»Vor Dieben sind wir jetzt sicher!« meinte ich. Aber Hähnchen blieb stumm.
In des Meisters Wohnstube war der Abendbrottisch bereits gedeckt. Die Gaslampe summte behaglich, und es roch sehr verlockend nach gebratenen Klopsen. Ich hatte die Einladung zum bescheidenen Mahl nicht gut ablehnen können.
Die drei Lehrlinge aßen diesmal in der Küche, wir waren also unter uns und konnten die Ereignisse durchsprechen. So erfuhr das Ehepaar denn jetzt auch, daß ich den Maler am Fenster in Wehrhuts Wohnung gesehen hätte.
Ich ahnte, daß die Mitteilung dieser den beiden Eheleuten bisher unbekannten Tatsache eine starke Wirkung auf sie ausüben würde, war aber doch überrascht, wie sich diese Wirkung dann äußerte.
Meister Gottlieb fielen Messer und Gabel aus der Hand, und seine Frau stieß das Teeglas um. Dann saßen sie wie versteinert da und schauten sich mit weiten Augen an. Den Leutchen war der Mord doch sehr an die Nerven gegangen.
Dann kam Meister Gottlieb von selbst auf das Schränkchen zu sprechen.
»Ganz im Vertrauen, Herr Malwa,« meinte er, »ich möchte beinahe annehmen, daß der Marville bei der Geschichte seine ohnehin nicht ganz reinliche Hand mit im Spiel gehabt hat. Das Schränkchen war gerade groß genug, um einen Menschen darin verbergen zu können. Der Kanzleirat, auch ein so netter, alter Herr, war ja recht klein und klapperdürr. Und – wäre das Schränkchen leer gewesen, hätte es der Chauffeur ganz allein aufschultern können. Jedenfalls kommt mir dieser angebliche Verkauf und dieses Fortschaffen des altertümlichen Möbelstückes sehr verdächtig vor.«
Ich hielt nun mit meiner Ansicht nicht länger hinterm Berge, daß auch ich sofort in dieser Beziehung Verdacht geschöpft hätte. »Die Polizei wird fraglos auch dies genau aufklären, lieber Meister,« fügte ich hinzu. »Märker scheint mir ein feiner Kopf zu sein. Gerade Leute, die so wenig reden wie er, haben es meistens innerlich!« Dann fragte ich: »Was liegt eigentlich gegen Marville vor? – Sie scheinen nicht gut auf ihn zu sprechen zu sein, Herr Hähnchen.«
»Das trifft nicht ganz zu, Herr Malwa. Mir ist der Herr ja soweit gleichgültig. Nur – doch nein, man soll über seinen Nächsten nichts Nachteiliges verbreiten!«
Ich bat jedoch so lange, bis er, freilich mit Widerstreben, erzählte, daß Marville wegen Diebstahls zwei Jahre im Gefängnis gesessen hätte. »Wenn er nun wenigstens bescheiden auftreten würde, wie dies doch jeder wirklich Reuige tun sollte,« fuhr er fort. »Aber – keine Spur davon! Im Gegenteil – na, Sie werden ihn ja auch noch kennenlernen.«
»Und die Tochter?«
Er hob die Schultern. »Ich rede nicht gern über meine Mitmenschen,« sagte er wieder ausweichend und schaute nach dem Bibelspruch über dem Sofa, einer Brandarbeit in allzu großen Abmessungen – »Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst!« – Da drang ich nicht weiter in ihn.
Die drei Lehrlinge kamen und baten, noch draußen in den Bergen rodeln zu dürfen. Der Mond schien so schön hell. – Der Meister erlaubte es. »Um neun Uhr seid Ihr mir aber wieder zu Hause!«
Sie eilten vergnügt hinaus. Einer gefiel mir besonders, ein schlanker Bursche mit feinem Gesicht. Der Meister erklärte, Fritz Weigand wäre besserer Leute Kind, hätte jedoch auf der Schule, dem Gymnasium, nur dumme Streiche gemacht. »Ist ein Bruder Leichtfuß und muß kurz gehalten werden. Sein Vater, ein Bankbeamter, hat mir gesagt, ich müßte recht streng sein. Ich denke, ich bringe ihn schon zur Raison.«
»Eigene Kinder haben Sie wohl nicht?« fragte ich jetzt, da ich diesen Punkt bisher nicht berührt hatte.
»Doch – doch,« meinte er. »Eine Tochter. Sie befindet sich jetzt in einem Dresdener Pensionat. Wir haben ihr eine gute Erziehung geben lassen. Sie soll einmal über unseren Stand hinaus heiraten. Für sie sparen wir. – Ein hübsches Mädel, unsere Lore, – wirklich!« Er strahlte jetzt förmlich, holte ein Photographiealbum hervor und zeigte mir Lore in allen Altersstufen. Sie war jetzt siebzehn, und das neueste Bild aus Dresden zeigte mir ein junges Mädchen, sehr elegant gekleidet, in einer richtigen Theaterpose, aufgestützt auf eine Säule, auf der eine ausgestopfte Eule hockte. Das Gesicht hatte einen recht herausfordernden Ausdruck, und um den Mund glaubte ich einen Zug von spöttischer Ueberhebung zu entdecken, im ganzen aber war's keine üble Erscheinung. Nur in eine Schlosserfamilie paßte sie nicht hinein.
Meister Gottlieb war offenbar ganz vernarrt in sein Töchterlein, und auch Frau Guste sagte mit Stolz:
»Ja, ja – unsere Lore, die ist feiner wie die drei Majorstöchter!«
Ich äußerte jetzt den Wunsch, mir endlich auch mein neues Heim anzusehen.
Hähnchen nahm die Schlüssel der Wohnung, und dann stiegen wir in die zweite Etage hinauf. Die Geheimpolizisten waren nicht mehr da.
Ich war überrascht, wie geschmackvoll meine Tante eingerichtet war. Vom Wohnungsflur führte die erste Tür linker Hand in eine sogenannte gute Stube, auch »kalte Pracht« benamst. Nun – dies hier war mehr ein Salon. Sogar ein ziemlich neues Piano stand hier. Die Garnitur aus rotem Mahagoni mit Seidendamastbezügen konnte nicht billig gewesen sein. – Das zweite Vorderzimmer, mit dem Salon durch eine Flügeltür verbunden, war als Speise- und Wohnzimmer ausgestattet, ebenfalls recht elegant. Schräg an dem einen Fenster stand ein Schreibtisch mit niedrigem Aufsatz. – Und hier bekam ich nun auch das erste Bild der Tante Hermine zu Gesicht. Es war ein Oelporträt, das in breitem Goldrahmen auf einer Staffelei stand, um die ein farbiger Seidenschal drapiert war.
Unter einem grauen Scheitel mit hochaufgestecktem, zweifellos falschem Zopf (die Frisur erinnerte an die Krinolinenzeit!) und einer etwas niedrigen Stirn sprang eine lange spitze Nase hervor. Diese war so auffallend groß, daß man die kleinen Augen, den verkniffenen Mund und das ebenfalls spitze Kinn ganz übersah. Jedenfalls hatte der Maler nicht versucht, ein geschmeicheltes Porträt zu schaffen. Wenn man von den etwas harten Linien um den Mund und der streitlustig erscheinenden Nase absah, wirkte Tante Hermine eigentlich mehr gutmütig als finster und haßerfüllt.
Auch Meister Gottlieb nahm jetzt die Gelegenheit wahr, nochmals die Tote als eine gütige, nur etwas eigentümliche alte Dame zu preisen.
Dann gingen wir über den Flur in das nach dem Gemüsegarten zu gelegene Schlafzimmer, und hier erzählte mir Hähnchen nun ganz genau, wie man die Tante damals in dem gasgefüllten Raum aufgefunden hätte. – Morgens war die Aufwartefrau wie immer um halb acht gekommen, hatte geschellt, wieder geschellt und war dann zu Hähnchens hinuntergelaufen, trüber Ahnungen voll. Der Meister hatte die Flurtür, die verschlossen und noch durch die vorgelegte Sicherheitskette geschützt war, aufbrechen müssen, und dann hatte man das Unglück entdeckt. Vollständig angekleidet, war die Tante, auf dem kleinen Diwan gegenüber ihrem Bett liegend, tot in dem von innen verschlossenen Zimmer aufgefunden worden, und die geöffneten Hähne der dreiarmigen Gaskrone hatten nur zu klar bewiesen, daß sie freiwillig aus dem Leben geschieden war.
Dies schilderte mir Meister Gottlieb mit peinigender Ausführlichkeit, indem er genau zeigte, wo und wie die Leiche gelegen und wie sie ausgesehen hätte.
Ich bat ihn jetzt, das Bett aus dem Schlafzimmer in den Salon zu schaffen, es frisch zu beziehen und alles für mich zur Nacht herzurichten. Ich würde nur noch eine halbe Stunde spazieren gehen, um meine Kopfschmerzen loszuwerden.
»Gut, gut – wie Sie wollen, Herr Malwa, – wie Sie wollen,« meinte er, und wir traten auf den Treppenflur hinaus, wo ebenfalls das Gas brannte.
Gewaltsam verscheuchte ich dieses gräßliche Bild.
Da sagte Meister Gottlieb zu mir, indem er sich auf der Treppe umdrehte und auf die Flurtür meines neuen Heims deutete:
»Dort, drei Schritt vor der Fußmatte, hat die Frauengestalt gestanden, die der Lehrer Bruchstück sah, als er vorgestern nacht, gerade um zwölf Uhr, nach Hause kam und mit einer Wachskerze sich die Treppen raufleuchtete. Er schwört, es wäre Ihre Tante gewesen – Und einen solchen Schreck hat er bekommen, daß er die Kerze fallen ließ und wie ein Gehetzter wieder zum Hause hinausstürzte. Zufällig kam der Herr Major gerade aus Palmburg mit der Straßenbahn vom Stammtischabend zurück und nahm den Verängstigten mit nach oben. Allein wäre der Bruchstück wohl kaum während der Dunkelheit nochmals an dieser Tür vorbeigegangen. Er war noch den nächsten Tag halb krank.«
»Wahrscheinlich Kater, und das Gespenst wird wohl aus Alkoholdünsten geboren sein,« sagte ich ironisch. Aber mir war wirklich ganz anders zu Mut! Dieses Haus war tatsächlich eine verdammte Bude –!
Eingehüllt in meinen Sommerpelerinenmantel eilte ich dann ins Freie. Ich fragte einen vorübergehenden nach dem Postamt. – Keine zwei Minuten sollte es entfernt sein. Ich setzte mich in Trab, schickte dann an den Menümaler telegraphisch fünfzig Mark mit der Bitte, umgehend mich hier zu besuchen und bis auf weiteres mein Gast zu sein. (Meister Gottlieb hatte mir beim Vorlegen der Kontobücher noch 280,53 Mark als Rest der 800 Mark ausgehändigt, die in Tante Hermines Schreibtisch in besonderem Umschlag als »Begräbniskosten« bereitgelegen hatten). – Ich wußte genau, daß Hosea Garblig diese Einladung annehmen würde. Gerade ihn konnte ich hier brauchen! Gewiß – er war nur der Menümaler, das Pumpgenie mit den »drei Mark bis morgen«, aber nebenbei hatte er doch noch trotz all seiner Schrullen Eigenschaften, die keineswegs alltäglich waren. Von den Mitgliedern des Künstlervereins Blauer Dunst stand er allein mir näher, vielleicht auch noch der dichtende Kommißbock. Die übrigen hatte ich bald als eingebildete Neidhammel erkannt, die einer den anderen runtermachten und sich gegenseitig nicht den geringsten Erfolg gönnten.
In gehobener Stimmung kehrte ich nun heim. Es war halb zehn, als ich das Haus wieder betrat. Ich läutete bei Hähnchens an, wünschte ihnen gute Nacht und ging nach oben – mit jeder Stufe langsamer, obwohl doch im Treppenhaus noch überall das Gas brannte.
Da ich noch nicht die geringste Müdigkeit verspürte, begann ich die Schränke und sonstigen Behälter (sie waren sämtlich vom Nachlaßgericht versiegelt worden) zu durchwühlen, nur um mir Beschäftigung zu machen. Zuerst die beiden Kleiderschränke im Flur. Ich war überrascht, daß Tante Hermine über eine solche Auswahl von Garderobe verfügt hatte. So fand ich zwei lange Wintermäntel und einen Pelz, außerdem noch andere Stücke, deren Stoff sich meiner Ansicht nach leicht für mich umarbeiten lassen mußte. Ich wollte dann auch gleich am nächsten Vormittag mich nach einem Schneider umtun. Mein einziger blauer Anzug, seinerzeit fertig gekauft, war schon recht schäbig, und in dem dünnen Pelerinenmantel wirkte ich hier bei der Kälte fraglos wie ein richtiger hungernder Poet.
Alles übrige gedachte ich zu verkaufen, auch die Leibwäsche, die ebenso reichlich vorhanden war. Es mußte dabei ein ganz nettes Sümmchen abfallen!
Nun wollte ich dem Schreibtisch zu Leibe gehen. Ich glaube, jedem bietet es eine anregende Zerstreuung, in fremden Behältnissen zu kramen. Es ist, als ob man auf Entdeckungsreisen auszieht oder unterirdische, unbekannte Gänge durchwandert, wo man jeden Augenblick auf Ueberraschungen stoßen kann.
Ich begann mit der großen Schublade des Tisches. Ich hatte sie gerade aufgezogen, als ich merkte, daß das Licht dunkler und dunkler wurde. Ich wußte, daß ein Gasautomat vorhanden war, holte schnell meine Börse vor und suchte nach einem Zehnpfennigstück – fand nicht eins! Natürlich nicht! Gerade in solchen Fällen fehlt der notwendige Groschen stets!
Schleunigst zündete ich die Zierkerzen des Pianos an, suchte weiter nach Lichten, entdeckte zum Glück im Küchenschrank ein Paket mit sechs Stück und illuminierte mein Heim nun auf diese Weise.
Zu weiteren Entdeckungsreisen im Schreibtisch hatte ich keine Lust mehr. Nur das Buffet öffnete ich noch, fand auch, was ich suchte: eine Flasche Kognak neben zahlreichen anderen Likör- und Portweinflaschen!
Zwei halb volle Weingläser des freilich nicht erstklassigen Kognaks stellten mein durch das Versagen der Gasbeleuchtung etwas erschüttertes Gleichgewicht wieder her. –
Meine Hoffnung, daß ich einschlafen würde, erfüllte sich nicht. Mir wurde heißer und heißer unter dem Zudeck. Ich wurde immer munterer; ich verscheuchte die lächerlichen Gedanken an unheimliche Töne und Gestalten, – sie kehrten wieder zurück, als hingen sie an Gummibändern an meinem Hirn.
Dann schlug unter mir, also in Marvilles Wohnung eine Uhr mit lautem Gongton – Ich zählte die Schläge mit – elf, zwölf – Mitternacht, Geisterstunde!
Kaum gedacht, fuhr ich zusammen – Ein Eisesschauer lief mir über den Leib –
Aus dem Wohnzimmer war an mein Ohr ein qualvolles Stöhnen gedrungen, dem ein deutliches Röcheln folgte, so, als ob ein Mensch dicht am Ersticken ist –
Wo war jetzt meine Aufgeklärtheit, was nützten mir alle Vernunftgründe, daß es keine übernatürlichen Geschehnisse gäbe, daß alles eine höchst irdische Ursache haben müßte –!
Der Schweiß rann mir über das Gesicht. Ich saß aufrecht im Bett und stierte auf die Tür, lauschte mit angespannten Sinnen –
Eine Weile war es still. Nur im Klavier knackte es zweimal so laut, daß ich förmlich hochschnellte.
Dann abermals das Stöhnen und Röcheln – Ich fühlte, wie sich mir die Haare sträubten, wie mein Herzschlag auszusetzen drohte –, denn jetzt hörte ich auch im Wohnzimmer schlurfende Schritte, – ohne Frage, Schritte, – so, als ob jemand auf Pantoffeln langsam auf und ab wanderte –
Ich sagte mir: »Dort ist ein Mensch, springe auf, nimm den Ofenhaken, reiße die Tür auf –! Du bist doch ein kräftiger, junger Kerl –! Laß Dich nicht so ins Bockshorn jagen!«
Unten schlug die Uhr einen Schlag – ein viertel eins!
Ich hörte noch das leise Nachschwingen des tiefen Tones, dann – im Nebenzimmer ein gräßlicher, schriller Schrei –
Meine Sinne verwirrten sich, ich kroch unter das Zudeck, krampfte die Finger darin fest, als umklammerte ich einen Schild – Der Schweiß drang mir aus allen Poren hervor, feurige Funken stoben vor meinen Augen auf, mein Herz raste – und ich verlor ganz plötzlich das Bewußtsein –
Als ich wieder zu mir kam, zitterte ich vor Frost. Das Zudeck war herabgeglitten. Die beiden Kerzen hatten nur noch die halbe Länge. Meine Nickeluhr auf dem Nachttischchen zeigte halb drei –
Nur ganz allmählich vermochte ich mich auf das Vorgefallene zu besinnen. Als ich an den zuletzt gehörten Schrei dachte, lief mir schon wieder – jetzt ein heißer! – Schauer über den Körper.
Aber ich beruhigte mich schnell wieder. Drüben im Wohnzimmer war alles still – kein Stöhnen, Röcheln, kein Tappen und Schlurfen – nichts – nichts –
Vor Uebermüdung schlief ich ein, erwachte dann, als draußen gerade das fahle Licht des Morgens die Fenstervorhänge in große Transparente verwandelte.
Die Helle nahm zu. Ich konnte nun schon im Salon jeden Gegenstand unterscheiden. Die Kerzen waren in ihren Porzellanleuchtern längst heruntergebrannt und verlöscht.
Jetzt hatte ich Mut. Das Tageslicht übte eine Wirkung auf mich aus, als wäre ich nun plötzlich ein ganz anderer geworden. Ich schämte mich vor mir selbst; ich begriff mich einfach nicht; ich war nie feige gewesen; und nun diese Nacht –?!
Schnell zog ich mich notdürftig an, schloß die Tür nach dem Wohnzimmer auf und wollte – wollte über die Schwelle treten – Meine Augen hatten blitzschnell den Raum überflogen, blieben auf etwas haften, stierten – stierten –
Am Schreibtisch saß mit dem Gesicht nach mir hin eine Gestalt – eine Frau – meine Tante – die merkwürdige Frisur, die spitze Nase – ja, sie war es, genau wie das Oelporträt sie darstellte, selbst das Kleid war dasselbe mit dem hellen Schulterkragen aus Stickerei –
Ich wußte nicht, was ich tat – Rein mechanisch schlug ich die Tür wieder zu, drehte den Schlüssel um, sank auf den nächsten Stuhl, gepackt von einem Schwindelgefühl, als wäre ich ein lebender Kreisel.
Aber – jetzt war es Tag – jetzt huschte der erste Sonnenstrahl durch einen Spalt der Vorhänge, zeichnete eine leuchtende Linie auf den dicken Smyrnateppich –
Ich raffte mich auf – die Sonne – und Gespenster –?! – Urplötzlich kam der Stimmungsumschlag. Eine rasende Wut packte mich. Ich sprang auf, ergriff den in dem Ofenvorsatz stehenden Schürhaken, die reine Brechstange, riß die Tür auf und war mit einem Satz mit schlagbereit erhobenem Eisen dicht am Schreibtisch –
Der Stuhl davor war leer – das Zimmer war leer, die ganze Wohnung – Vor der Flurtür lag noch die Sicherheitskette; der Schlüssel steckte von innen. – Ich suchte nochmals. Jeden Schrank riß ich auf, sogar jede Schublade, schaute unter Sofas, unter das Bett im Salon. – Im Schlafzimmer meiner Tante stand ein uralter, riesiger Schrank aus Eichenholz, der halb in die Mauer eingelassen war. Ich warf den ganzen Inhalt heraus, – Kleider, Wäsche, altmodische Mäntel, – bis er ganz leer war. Dann beklopfte ich die Rückwand. So alte Schränke wie dieser haben zuweilen ihre besonderen Geheimnisse! Ich holte mir ein Licht, leuchtete jede Fuge ab, drückte, klopfte und schob an den Brettern herum, nahm schließlich sogar ein Küchenbeil und zwängte die Schneide in die Ritzen, brach große Splitter von der Rückwand ab – Dann hatte ich endlich ein Brett losgewuchtet, konnte die Mauer dahinter befühlen, beklopfen. – Ich sah ein: der Schrank war wie jeder gewöhnliche, hatte keine Geheimnisse, kein Versteck – Nun packte mich die Manie, anderswo ein solches Versteck zu finden. Ich suchte. Beklopfte die Wände, rückte Schränke ab, hob Teppiche hoch, tat viel Unsinniges, Zweckloses –
Dann schrillte plötzlich die Flurglocke.
Ah – vielleicht Meister Gottlieb – Ich würde ihn nicht einlassen. Erst mußte ich die Wohnung wieder in Ordnung bringen. Niemand sollte erfahren, was ich in der Nacht und heute früh erlebt, – nur der Menümaler, – obwohl der sicherlich so recht höhnisch grinsen würde.
Ich ging an die Flurtür, fragte: »Wer ist draußen?«
Zu meiner Ueberraschung kam die Antwort:
»Marville,« – eine tiefe, kräftige Stimme.
»Ich bin noch nicht angezogen – entschuldigen Sie – vielleicht bemühen Sie sich nach einer halben Stunde wieder her.«
»Herr Malwa – nicht wahr?«
»Allerdings.«
»Ich war nur etwas in Sorge Ihretwegen. In der Nacht hörte ich einen gellenden Schrei, dann jetzt fortdauernd Geräusch hier oben.«
»Danke – mir geht es sehr gut.«
Darauf entfernte er sich mit einem kurzen »Auf Wiedersehen!«
Marville – der Mann mit dem Schränkchen! – Ich stand noch hinter der Tür und lauschte auf seine im Treppenflur verhallenden Schritte –