Walther Kabel
Die Antenne im fünften Stock
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7. Kapitel.
Abenteuerliche Erlebnisse

Die Geschichte der Antenne im fünften Stock war uns in vielen Punkten doch noch ein dunkles Rätsel.

Gewiß: es war nicht ausgeschlossen, daß Harald mit seiner Vermutung recht hatte und daß die Unbekannte sich selbst erschossen haben mochte, daß dann erst Eriksen die Tote vom Dache weggeschafft hatte.

Weshalb aber dieser Selbstmord?!

Und um diese Frage rankten sich unzählige andere.

Weshalb hatte Frau Lizzia Douglas sich als Mann verkleidet?! Weshalb all dies Geheimnisvolle, mit dem diese Leute sich umgaben?!

Kurz – als wir gegen halb ein Uhr mittags im Auto gen Charlottenburg rollten, ging mir so mancherlei durch den Kopf . . .

Die Waitzstraße schlenderten wir zu Fuß hinab . . .

Und dann läuteten wir bei der Witwe Worge – Gartenhaus rechts, zwei Treppen links . . .

Schlurfende Schritte . . .

Die Tür öffnet sich handbreit . . . Die Sperrkette rasselt, spannt sich . . .

Ein abgrundtiefer Weiberbaß fragt:

»Na – Sie wünschen?«

»Wir möchten Fräulein Anna-Grete Meier sprechen,« erklärt Harald sehr höflich . . .

»Wie – sind Sie etwa auch Verwandte von ihr?« platzt die Dicke heraus, von der man nur einen Längsstreifen des Vollmondgesichts sieht . . .

Harst ist wie stets Herr der Situation . . . Er hört auch hier das Gras wachsen . . .

»Die Verwandten waren also schon hier?« meint er fabelhaft liebenswürdig.

»Sind noch hier, der Herr und die Dame . . .«

»So . . . so – Herr Thomas Eriksen, nicht wahr?«

»So ähnlich war's wohl . . .«

»Dann bitten Sie die Begleiterin Herrn Eriksens mal heraus . . . Sie kennt uns . . .«

Die Tür schlug zu, der Schlüssel wurde umgedreht . . .

»Sieglinde!« flüstert Harst.

Doch – das war ein Irrtum . . .

Frau Worge erscheint wieder – nur im Streifen . . .

»Die Dame, die Schwester von mein' Fräulein, will nischt mit Ihnen zu tun haben . . .«

»Frau Douglas?«

»Ja – Frau Douglas. – Wer sind Sie eigentlich?«

»Verzeihung, Frau Worge . . . Halten Sie eine Zeitung . . .«

»Was geht Sie das an?! – Nee, ich halte keine . . .«

»Und hier Ihre Hausgenossen haben Ihnen keine Neuigkeit aus der Zeitung erzählt?«

»Hausgenossen?! Noch schöner! Ich verkehre mit niemandem . . . – Wer sind Sie?«

»Ein Detektiv, Frau Worge . . . – Hier haben Sie fünf Mark . . . Nur ein paar Fragen . . . Fräulein Meier trug doch einen Zobelpelz und einen Hut mit Reiherstutz?«

»Gewiß . . .«

»Und sie ging gestern abend aus und ist noch nicht heimgekehrt?«

»Nee – bis jetzt nicht . . .«

»War sie beruflich tätig?«

»Schriftstellerin war sie . . . Aber sie hat mehr Zigaretten geraucht als geschrieben . . .«

»Heißt sie denn wirklich Meier?«

»Nee – Douglas heißt sie . . . Das andere war ein – ein . . .«

»Pseudonym . . .«

»Ja – Pseudonym . . . Mary Douglas ist der echte Name . . .«

»Vielen Dank . . . Nun gehen Sie nochmals und bestellen Sie Frau Lizzia Douglas, daß Harald Harst sie sprechen möchte . . .«

Frau Worge kreischte leise . . .

»Herr – Herr Harst?! Nicht möglich!! Ich gehe schon . . .«

Diesmal schlug sie die Tür nicht zu . . .

Wir hörten sie klopfen, sehr erregt etwas hervorkollern . . .

Dann schienen die da drinnen zu beraten . . .

Bis – Frau Douglas persönlich uns einließ . . .

Sie war recht verstört . . . Aber Thomas Eriksen desto ruhiger. In Marys möbliertem Zimmer standen wir uns gegenüber . . .

Eriksen stellte uns seine Schwägerin vor, sagte dann:

»Ich war heute bei Ihnen, Herr Harst . . .«

»Ich weiß . . . Nehmen wir Platz . . .«

Und nun hoffte ich auf eine endgültige Lösung des Rätsels . . . Thomas Eriksen begann ohne Scheu zu erzählen . . .

Ich will seine Angaben hier in gedrängtester Kürze wiedergeben – ohne Harsts Zwischenfragen. –

Eriksen hatte als Student einem politischen Geheimklub in Neuyork angehört, war dann aber ausgetreten, als die Ziele des Geheimbundes immer anarchistischer wurden. Zehn Jahre lang hörte er nichts von diesen Leuten. Dann erhielt er plötzlich im November des Vorjahres genau so wie sein Bruder Gustav einen Drohbrief, der das Geheimzeichen des Klubs trug und ihn mit dem Tode bedrohte, falls er Amerika nicht schleunigst verlassen würde. Die beiden Briefe waren inhaltlich fast gleich. Gustav Eriksen hatte den Klub jedoch nur einmal besucht gehabt, ohne Mitglied zu werden. Die Brüder beachteten die Drohung nicht. Sie glaubten an irgendeinen schlechten Scherz, zumal die Forderung, Amerika zu verlassen, doch recht merkwürdig war. – Aber drei Tage darauf wurde Gustav Eriksen in einem Vorort aus dem Hinterhalt angeschossen und schwer verwundet in ein Krankenhaus gebracht. Seine Gattin Lizzia, die ihn über alles liebte, drang nach seiner Genesung darauf, daß man sofort nach Europa reise, denn inzwischen waren wieder zwei Drohbriefe eingetroffen. Thomas Eriksen weigerte sich, da er gerade an einer Erfindung, einem neuen Telephoniesender, arbeitete. Doch am ersten Tage, als sein Bruder sich als Genesener ins Freie wagte, wurde er im Garten einer bekannten Familie durch ein Geschoß aus einem Luftgewehr wieder verwundet, zum Glück nur ganz leicht. – Jetzt wünschte auch der Vater der Brüder Eriksen, der mit Thomas zusammenwohnte, daß man das Schicksal nicht herausfordern solle. Jedenfalls: man reiste ab, und zwar getrennt und unter allerlei Vorsichtsmaßregeln, um die von dem Geheimbund gedungenen Mörder loszuwerden. Thomas und sein Vater sowie Mary Douglas, die im Hause ihrer Schwester als Waise ein Heim gefunden, benutzten einen Dampfer von Halifax aus, während das Ehepaar Douglas von New Orleans abfuhr. Doch – kurz bevor die Dampfer in See gingen, erhielten die Brüder den dritten Drohbrief: ein jeder sollte sich in Europa anderswo niederlassen, und nie mehr sollten sie persönlich zusammenkommen . . . –

Jetzt wurde Thomas Eriksen ebenfalls nervös. Man hatte den Mordbuben entgehen wollen, und nun hatte man in diesen Briefen den Beweis, daß diese unheimlichen Gegner abermals in der Nähe waren.

Nach der Landung in Europa wandten die beiden Reisegesellschaften, die sich durch Telegramme untereinander verständigt hatten, noch weitgehendere Maßregeln an, jede Spur hinter sich zu verwischen. In Berlin wollte man dann wieder zusammentreffen.

Ende Dezember mietete Thomas in Berlin die aufgestockte, beschlagnahmefreie Wohnung, während sein Vater das Häuschen in der neuen Eigenheimkolonie pachtete, um den Sohn bei seinen Sendeversuchen zu unterstützen. Gustav Eriksen aber, Lizzias Gatte, nahm auf deren Bitten unter anderem Namen in Hamburg eine Stellung an, da seine Frau derart ängstlich geworden war, daß sie ihn in Berlin nicht sicher genug glaubte. Sie tat noch ein übriges und benutzte ihre Geschicklichkeit als frühere Schauspielerin dazu, in Berlin gelegentlich ihren Gatten zu spielen.

Zunächst ereignete sich dann für die Flüchtlinge nichts Besonderes. Mary hatte bei Frau Worge Unterkunft gefunden und traf fast täglich mit den Verwandten in einem Restaurant abends zusammen, wo sie dann für Frau Lizzia gehalten wurde – – von mir, Max Schraut! Wie sollte ich auch die Wahrheit ahnen?! – Der alte Herr Eriksen wieder kam nur sehr selten von dem Vorort nach Berlin, weil er sich dort in der Einsamkeit sehr wohl fühlte.

Die Verfolger schienen die Spur der Flüchtlinge nun endgültig verloren zu haben . . .

Da aber kam jener gestrige Abend, an dem die Geschichte der Antenne im fünften Stock für den Leser beginnt. Und da besuchte Mary abends neun Uhr ihre Schwester. Hierbei entdeckte Frau Lizzia, als sie Mary einließ, daß draußen im Briefkasten noch ein Brief lag.

Es war – – ein neuer Drohbrief!

Er enthielt nochmals den Befehl, daß Frau Lizzia sofort nach Hamburg zu ihrem Gatten reisen solle und daß die Brüder Eriksen jeden Verkehr miteinander einstellen sollten.

Thomas, der durch die Attentate auf seinen Bruder und durch all diese dunklen unerklärlichen Machenschaften jeden Frohsinn bereits eingebüßt hatte, schlug nun seiner Schwägerin vor, man solle endlich die Scheu vor der Zuziehung eines Detektivs aufgeben und sich nicht länger durch diese Meuchelmörder schrecken lassen, die allerdings jede Anzeige an die Polizei oder sonst jemand mit sofortigem Tode ahnden wollten. –

Zum Schluß will ich nun Thomas Eriksen mit eigenen Worten sprechen lassen . . .

»Merkwürdigerweise widersprach Mary diesem Vorschlag am allerlebhaftesten, Herr Harst. Ich hatte Ihren Namen genannt. Ich wollte mich mit Ihnen in Verbindung setzen, um diesen Dingen so oder so ein Ende zu bereiten. Mary, stets etwas übernervös, konnte sich gar nicht darüber beruhigen, daß ich derart mit meinem Leben und dem meines Bruders spielen wollte. Als ich dann spät nachts die Sendeversuche mit meinem Vater wieder aufgenommen hatte, kam es derselben Sache wegen zwischen Lizzia und Mary zum Streit. Ich mischte mich ein. Ich dachte zunächst gar nicht daran, daß der Sender eingeschaltet war und daß jedes Wort in den Aether übertragen werden mußte. Plötzlich stürzte Mary in mein Zimmer und begann auch mit mir in leidenschaftlichster Weise zu zanken. Dabei rief sie denn auch jene Sätze, die so leicht mißdeutet werden konnten: »Wenn Du das tust, hast Du die längste Zeit gelebt!« – Ich schaltete den Sender aus und erklärte Mary sehr aufgebracht, sie scheine wohl für ihr eigenes Leben zu fürchten und sie sollte sich doch gefälligst beherrschen, da sie so direkt abstoßend wirke in ihrer furienhaften Erregung. – Kaum hatte ich dies, tatsächlich von Widerwillen erfüllt, hervorgestoßen, als Mary hastig in den Flur stürmte und die Wohnung verließ. Nach ein paar Minuten fiel mir ein, daß sie keinen Hausschlüssel hätte und daß ich sie hinauslassen müßte. Ich folgte ihr, sah nun aber, daß die kleine Tür, die von der aufgestockten Etage auf das Dach führt, weit offen stand. Ich ahnte, daß Mary diesen Weg gewählt, trat auf das Dach hinaus und hörte plötzlich aus der Richtung der Parallelstraße, der Winterfeldtstraße, einen Schuß, erkannte auch dort drüben auf einem der Dächer eine zusammensinkende Gestalt, lief hin und – fand Mary bereits tot. In meiner ungeheuren Verwirrung malte ich mir die Folgen dieses Selbstmordes für mich selbst in schwärzesten Farben aus. Ich dachte an meinen geheimen Sender, meine Erfindung, auch an die Verfolgung durch die Meuchelmörder, sah uns schon als Mittelpunkt einer Untersuchung und – – wollte deshalb Mary vom Dache wegschaffen, damit niemand ahnte, daß sie von unserer Wohnung gekommen. So trug ich sie denn in die leere Wohnung jenes Hauses hinab. Ich kannte diese Wohnung, denn ich hatte sie gegen die meine tauschen wollen. Ich nahm Mary auch alles ab, was zu ihrer Feststellung hätte dienen können. Wie gesagt, ich handelte in einer unglaublichen Verwirrung. – Als ich dann Lizzia das Geschehene mitteilte, fiel sie in Ohnmacht. Erst nach Stunden war sie wieder so weit Herrin ihrer Sinne, daß sie das Geschehene voll begriff. Sie drängte jetzt zur Flucht. Ich gab nach, nur um sie zu beruhigen. Wir lösten Fahrkarten bis Amsterdam, stiegen aber schon in Potsdam aus, da Lizzia zu schwach war, kehrten nach Berlin zurück und mieteten uns in einer Pension ein.«

Was Thomas noch weiter berichtete, ist bereits bekannt.

 


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