Walther Kabel
Die Antenne im fünften Stock
Walther Kabel

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6. Kapitel.
»Lautstärke tadellos . . .«

Der lange Benno trat aus dem Dunkel der Kiefernschonung hervor . . .

»'n Abend, die Herren!« flüsterte er uns zu. »Sie haben fein herjefunden – allerhand Achtung . . . Ick dachte schonst, Sie würden sich bei die Dusterheit verirren . . . Diese Jejend is der reene Irrjarten – 'n bißken Wald, een Haus, wieder Wald, wieder een Haus. Hier in diese Eijenheimkolonie mecht' ick nich bejraben sein – nischt als Kiefern und Sand!«

»Und – sonst was Neues, Benno?« fragte Harald gedämpft . . .

»Nischt . . . Der Olle is wohl in die Klappe jekrochen . . . Kommen Sie man . . . Nur fufzig Schritt sind's . . .«

Wir durchquerten den schmalen Streifen Schonung.

Da lag denn nun dicht vor uns ein einstöckiges Häuschen, umgeben von einem schlichten Lattenzaun. Der Garten war klein. Einzelne Bäume hatte man stehen lassen . . .

»Ob ein Hund auf dem Grundstück ist?« meinte Harald.

»Nein . . . Aber – 'ne Antenne is da . . . Kieken Sie man jenau hin, Herr Harst . . . Da oben in die beeden Kiefern sieht man die Verlängerungsmasten . . . Und die Drähte flimmern ooch so wie dünne Striche!«

»Ich sehe, Benno. – Wir werden den Mann nun besuchen . . .«

»Von mir aus – man zu, Herr Harst! – Was hat der Olle denn ausjefressen?«

»Vielleicht gar nichts . . . Wir werden ja hören, was er zu erklären hat.«

Die Zaunpforte war unverschlossen.

Das Häuschen hatte ein sehr hohes Fundament von Feldsteinen. Zum Eingang führte eine Zementtreppe mit Eisengeländer empor. Eine Glocke fehlte.

»Ihr beide könnt die Hintertür bewachen,« flüsterte Harald. »Für den Fall, daß der Herr flüchten will . . .«

Dann – donnerte er mit der Faust gegen die Tür.

Der lange Benno und ich umschritten das Haus.

Hinten stand noch ein kleiner Stall. Und über diesen Stall hinweg lief hoch oben in der Luft die Antenne. Es war eine T-Antenne. Die Ableitung führte in eins der beiden Hinterfenster hinein.

Wir hörten Harald zum zweiten Male gegen die Tür hämmern . . .

Der lange Benno flüsterte: »Herr Schraut, det Häuschen sieht janz freindlich aus . . . Ob der Olle hier alleen wohnt?!«

»Haben Sie Absichten?!« versuchte ich zu scherzen.

Da wurde er beinahe böse . . .

»Nee – hier klauen wir nischt, Herr Schraut . . . Hier –«

Ein Geräusch ließ ihn verstummen . . .

Auch hier führten zur Hintertür fünf Stufen empor.

Die Tür hatte sich geöffnet . . .

»Was wünschen Sie?« fragte eine tiefe Stimme.

Da stand der Graubart, in einen Schlafrock gehüllt. Trat noch weiter vor . . .

»Gehören Sie zu dem Herrn, der vorn Einlaß begehrt?« fragte er wieder . . .

»Und ob!« rief der lange Benno. »Lassen Sie uns man rinn . . .«

Ich suchte den schlechten Eindruck dieser Worte etwas zu verwischen und sagte sehr höflich:

»Verzeihung, wir möchten nur einiges von Ihnen erfahren . . . Eine kurze Unterredung . . . Wir werden Sie in keiner Weise belästigen . . .«

»Ich fürchte mich nicht . . . Bitte, treten Sie ein. Ich werde sofort Licht machen.«

Er verschwand im dunklen Flur . . .

»Vorsicht!« raunte der lange Benno mir zu . . .

Im Flur wurde es hell . . . Ich sah durch die weit offene Tür den Graubart neben einem Tischchen. Er hatte eine Petroleumlampe angezündet.

Ich glaubte an keine Hinterlist des Alten, wollte ihn auch nicht unnötig verletzen . . . Winkte Benno und stieg die Stufen empor . . .

Benno folgte zögernd . . .

Der Graubart hielt die Lampe jetzt mit der Linken hoch und meinte:

»Ich werde Ihren Freund einlassen . . . Bitte – dort hinein . . .«

Und er wies auf eine der Türen . . .

Wenn ich damals auch nur ein ganz klein wenig achtsam gewesen wäre, hätte ich unbedingt mißtrauisch werden müssen.

Es war doch sehr auffallend, daß der Alte uns beide zuerst einließ – scheinbar! – und daß Harald sich gar nicht mehr meldete . . .

Jedenfalls: Benno war nun dicht hinter mir, und ich steuerte auf die Tür zu, die der Graubart mir bezeichnet hatte . . .

Ich sollte sie nie erreichen . . .

Dieses harmlose Eigenheim hatte seine Tücken . . . Der alte Herr war auf unliebsame Besuche gut vorbereitet . . .

Jählings klappten die Dielen des Flurs an der Stelle, wo wir uns gerade befanden, nach unten . . .

Zu spät streckte ich die Hand aus, um noch den Rand der Falltür zu erwischen . . .

Wir fielen ins Dunkle . . .

Nicht allzu tief – auf raschelndes Laub . . .

Halb übereinander . . .

Lagen eine Weile still, wunderten uns, wie weich wir gelandet waren . . .

Und da – eine Stimme aus der Finsternis, Haralds Stimme:

»Auch schon da?! Auch auf denselben Trick hineingepurzelt?!«

Der lange Benno fluchte . . .

»Det is doch Herr Harst . . .!! Na – da is 's Ende von wej . . .! Die gelehrtesten Leite jeben sich hier een Randewuz . . .

»Leider!« meinte Harald.

Und dann flammte seine Taschenlampe auf . . . Dann sahen wir, daß wir uns in einem gemauerten Kellerraum ohne Türen befanden . . .

Hörten auch etwas: Schritte oben, die eiligst hin und her gingen . . .

Hörten, wie Möbel hin und her geschoben wurden – wieder Schritte . . .

»Der türmt jetzt!« sagte der lange Benno und erhob sich von dem Laubhaufen. »Der kneift aus . . .! Daruff nehm' ick Jift . . .«

Harst beleuchtete die beiden Löcher in der Decke . . .

Zwei Falltüren gab es, jede etwa anderthalb Meter im Quadrat . . .

Die untere Bretterlage der Decke war entfernt worden. Man sah die Leisten, auf die die Dielenstücke genagelt waren, sah auch die drei Eisengelenke . . . – Der Graubart hatte auch »unsere« Falltür sofort wieder hochgeklappt und irgendwie festgeriegelt.

Harald trat auf Benno zu . . .

»Sie sind der Längste . . . Ich werde Ihnen auf die Schultern klettern . . . Dann reiche ich bis nach oben.«

»Bitte – nur zu, Herr Harst . . .«

Harald versuchte die eine Falltür zu öffnen . . .

Es gelang nicht . . .

Versuchte es bei der anderen . . .

Auch ohne Erfolg . . .

Inzwischen waren die Geräusche oben im Hause verstummt . . .

»Dann mit Gewalt!« – und Harst ließ sich von mir einen Ziegelstein reichen, der in einer Ecke lag . . .

Doch auch dieses Mittel half nichts. Der Ziegelstein ging in Stücke, und eine der Klamotten fiel Benno auf den Schädel . . .

»Mahlzeit!« sagte er nur . . .

Und Harald von oben:

»Ich weiß jetzt wenigstens, wo die Riegel sich befinden. – Achtung – ich schieße . . .

Und viermal knallte seine Clement . . .

Dann ein Knirschen und Knarren . . .

Die Falltür klappte hinab, Harst bückte sich, richtete sich wieder auf und schwang sich nach oben, kam auf die Füße und rief:

»Ich hole einen Strick!« – Verschwand . . .

Der lange Benno grinste . . .

»Herr Schraut, die Erinnerung von heite laß ick mir in Jold einrahmen . . . Unsereener kennt doch ooch so allerlei . . . Aber so wat . . ., – hätt ick nich für meeglich jehalten: Falltüren – janz wie in 'n neuen Roman: ›Herz und Dolch‹ oder ›Minna, die Massenmörderin‹ . . . Uebrijens een sehr scheenet Buch . . . Pro Band fufzehn Goldpfennnije . . . Und weichet Papier dazu – zum . . . Stulleneenwickeln . . .«

Harst erschien oben . . .

Warf ein Ende einer Wäscheleine hinab . . .

»Der Herr ist weg . . . Die Vordertür steht offen!«

Wir turnten nach oben . . .

Besichtigten die drei kleinen Zimmer . . . Billige Fichtenholzmöbel, ganz neu . . . Ein Tisch mit Glanzleinwandbezug als Schreibtisch hergerichtet . . .

Wir suchten . . . Wir fanden nichts, was uns über den Bewohner Aufschluß gegeben hätte . . .

Mittlerweile wurde es Tag . . .

Wir standen in dem Arbeitszimmer des Fremden, das nach dem Hofe hinaus lag – vor dem offenen Fichtenschrank mit den Radioapparaten . . .

Harald nahm den Dreiröhrenempfänger heraus . . .

»Dasselbe Modell wie Luitpoldstraße neun . . .« meinte er.

Und dann – schoß er wie ein Geier wieder auf den Schrank zu. Da hing an der Innenseite der Tür ein Heft an einem Bindfaden . . .

Harst blätterte darin, schüttelte den Kopf . . .

»Merkwürdig! – Hier steht als erste Eintragung:

2. Februar. Lautstärke mäßig. Schlechte Aussteuerung. Die Röhren tönen.

Dann:

3. Februar. Lautstärke tadellos. Sprache klar. Röhren tönen wenig.

Und so geht's weiter – für jeden Tag eine Notiz . . . Nur die von dieser Nacht fehlt . . . Merkwürdig . . .! Im übrigen ist alles englisch geschrieben . . .«

Nochmals blätterte er in dem Heft . . .

»Ah – hier doch noch etwas . . . Und zwar:

Für meinen Sohn Tom! Sollte mir etwas zustoßen, so bitte ich dieses Heft als eingeschriebenen Brief Herrn Ingenieur Thomas Eriksen zuzusenden, da es für ihn wertvoll ist. – Die Pacht für das Grundstück habe ich bis zum 1. April vorausbezahlt.

Gunnar Eriksen.

So, nun kennen wir ihn,« fügte Harst zufrieden hinzu. »Also Herr Gunnar Eriksen . . .! Und sein Sohn ist fraglos Radioingenieur, Erfinder, hat nur eine Erfindung ausprobiert, freilich unter besonderen Umständen . . .«

Freund Benno stand mit ziemlich geistlosem Gesicht dabei . . .

»Det sind also jar keene Verbrecher,« meinte er arg enttäuscht.

»Anscheinend nicht . . . – So, nun wollen auch wir – türmen . . . Das Heft nehme ich mit . . .«

Da der Schlüssel in der Haustür steckte, schlossen wir ab und legten den Schlüssel unter die Treppe.

Auf dem Wege zum Bahnhof Zehlendorf zeigte sich Freund Benno äußerst neugierig. Es wollte ihm gar nicht recht in den Sinn, daß der Mord an der Unbekannten, die da in der leeren Wohnung gefunden worden war, mit den Eriksens nichts zu tun haben sollte. Er fragte Harald immer wieder aus, und Harst antwortete auch stets, und zwar ohne Verdrehung der Tatsachen.

So kam denn eigentlich durch Benno jetzt heraus, daß Harald nunmehr der Ueberzeugung war, die Unbekannte habe sich selbst auf dem Dache erschossen und sei dann erst durch »Leute« in die leere Wohnung geschafft worden, damit niemand ahnen sollte, wo sie den Tod gesucht hatte.

Daß ich bei dieser neuen Lesart der Geschehnisse meinerseits manches zweifelnde »Hm, hm!« hören ließ, lag doch sehr nahe.

Auch der lange Benno schien von dieser Lösung wenig befriedigt.

Auf dem Bahnhof trennten wir uns, nachdem Benno nochmals fünfzig Mark erhalten hatte. Er versprach, abends mal in der Blücherstraße nachzufragen, ob es noch Arbeit für ihn gäbe.

Der erste Vorortzug brachte uns nach Berlin zurück. Um sieben Uhr waren wir daheim – hundemüde . . .

Mathilde, die Köchin, war schon auf. Harald instruierte sie: bis zwölf Uhr würden wir schlafen und seien für niemand zu sprechen.

Ich schlief denn auch ungewiegt . . .

Erwachte, weil mich jemand stark rüttelte . . .

Harald stand an meinem Bett . . .

»Aufstehen!! – Du wirst gleich munter werden, mein Alter: Sieglinde von Lauken ist vor einer halben Stunde mit einem Herrn hier bei uns gewesen . . . Der Herr war . . . – rate mal!«

»Der lange Benno . . .

Harald lachte . . .

»Nein, Freund Schraut: Thomas Eriksen!«

»Alle Wetter . . .! – Und da hat Deine Mutter Dich nicht geweckt?«

»Nein . . . Sie wußte nicht, ob es mir recht sei . . . Sie tat so, als wüßte sie nicht, wo wir stecken . . .«

»Und Eriksen?«

»Wollte mich – konsultieren . . . Jedenfalls scheint Fräulein Sigi sein Herz gleichfalls im Sturm erobert zu haben, denn Mama meinte, die beiden seien verlobungsreif . . . Und meine Mutter hat einen Blick dafür . . .«

Ich fuhr in die Kleider . . .

Rasierte mich . . .

Harst plauderte, rauchte, saß am Fenster . . .

»Wir könnten jetzt zu Laukens und Sigi vornehmen,« meinte er . . . Das hat jedoch noch Zeit . . . Zuerst werden wir Waitzstraße 27 besuchen – Du weißt: der Briefumschlag:

Anna-Grete Meier

bei Witwe Worge . . .«

 


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