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Und am folgenden Abend halb acht saßen die beiden Laukens im Eßzimmer beim Abendbrot.
Sieglinde hatte der Mama ihr nächtliches Funkerlebnis vollständig verschwiegen . . .
Exzellenz hatte zwar morgens ärgerlich gefragt, ob Sigi wirklich noch aufgeblieben . . .
»Du siehst ja ganz übernächtig aus, Kind . . .!!«
Sigi hatte – geschwindelt . . . –
Jetzt blätterte sie in der Zeitung . . . Frau von Lauken las einen Brief von ihrem Bruder, dem ostpreußischen Agrarier. Dem ging's jetzt auch miserabel. Während der Inflation hatte er sein Gut verkauft und spielte nun, völlig verarmt, Inspektor bei seinem Nachfolger – mit achtundfünfzig Jahren, einer verwöhnten Frau und zwei anspruchsvollen Töchtern.
Seine Briefe enthielten stets nur Klagen, Selbstvorwürfe und wütende Ausfälle gegen seine Damen. Seiner Schwester gegenüber schüttete er sein Herz aus – bis zum geheimsten Winkel. Und auch heute schrieb er wieder zum Schluß:
»Sei froh, meine alte Mathilde, daß Deine Sigi ein so vernünftiges fleißiges Mädel ist . . . Meine beiden Prinzessinnen stecken noch immer nicht den Finger in kalt Wasser . . . Man könnte mit dem Krückstock dreinschlagen . . .! Aber – von mir haben die Marjellen diesen Hang zum Faulenzen weiß Gott nicht!«
Und als Exzellenz diese Sätze überflogen hatte, stieg wieder ein inniges Gefühl von Zärtlichkeit für ihre Einzige in ihr auf . . .
Sie ließ den Brief sinken und blickte zu Sigi hinüber.
Rief entsetzt: »Um Gott, Sigi, was fehlt Dir?!«
Sieglinde war auf ihrem Stuhl kraftlos zusammengesunken . . . war erschreckend bleich . . .
Und nochmals rief Frau Mathilde von Lauken: »Sigi, was fehlt Dir?«
Das junge Mädchen raffte sich auf . . .
»Oh – nur . . . nur eine augenblickliche Schwäche, Mama . . . Das geht schon vorüber . . .«
»Ich werde Dir ein paar ätherische Tropfen holen.« Und schon eilte Exzellenz in die Küche.
Hier stand der eine ihrer Mieter, Herr Rentner Haberlein, am Gasherd und briet auf der eisernen Pfanne zwei Setzeier.
Sagte höflich: »Guten Abend, Exzellenz. Ich räume die Küche sofort wieder. Ich . . .«
»Oh – nicht doch . . . – Sigi ist plötzlich schlecht geworden . . . Wo sind denn nur die Baldriantropfen?!«
»Dort auf dem Regal, Exzellenz . . .«
Der alte Herr tat etwas Butter auf die Pfanne . . . Das Fett zischte, und Frau von Lauken meinte: »Bitte, Herr Haberlein, – helfen Sie mir doch . . . Mir zittern die Hände so . . . Fünfzehn Tropfen, bitte . . .«
Haberlein half . . . Die Tropfen fielen in den silbernen Teelöffel auf den Streuzucker.
»So – hier ist auch ein Glas Wasser, Exzellenz,« sagte er in seiner freundlichen Art. »Uebrigens täte ein Kognak bessere Dienste . . . Wenn ich damit aushelfen dürfte . . . Kognak wirkt schneller . . .«
Und er nahm die Pfanne vom Feuer und trippelte in sein Zimmer, erschien sofort wieder mit Flasche und Likörglas und trat bei Laukens ein. Exzellenz hatte die Tür halb offen gelassen.
»Guten Abend, gnädiges Fräulein . . .« begrüßte er die noch immer recht farblose Sigi . . . »Hier – trinken Sie nur . . . Es wird Ihnen gut tun . . . Oh – nicht nippen! Herunter mit einem Zug . . . – So, das war brav!«
Und so neben dem gedeckten Abendbrottisch stehend, überflog er durch die Gläser seiner goldenen Brille die links neben Sigis Platz liegende Zeitung . . .
Es war die Beilage der Berliner Abendpost . . . Und in der rechten Spalte waren da am Rande zwei feine blaue Striche zu erkennen . . .
Einen Moment nur zogen sich Rentner Haberleins Augen zusammen . . .
Im übrigen blieb sein von einem grauen Bart umrahmtes hageres Gesicht unverändert . . . –
Sieglinde bekam Farbe . . . Ihre Mutter bedankte sich wortreich bei dem Mieter und reichte ihm auch die Hand – zum ersten Male. Haberlein wohnte kaum erst eine Woche bei Laukens, war am 15. Februar zugezogen und hatte bisher kaum Gelegenheit gehabt, den Damen näherzutreten.
Er verabschiedete sich nun wieder.
Auch Sigi gab ihm die Hand . . .
»Ich danke Ihnen, Herr Haberlein . . . Der Kognak hat wirklich geholfen . . .« Und dann ein wenig zögernd: »Verzeihung, waren Sie nicht früher Polizeibeamter? Auf Ihrer Anmeldung stand doch außer Rentner noch ein Titel . . .?«
Haberlein nickte. »Ich war Detektivinspektor auf Java in niederländischen Kolonialdiensten, gnädiges Fräulein . . . Ich beziehe auch eine kleine Pension . . .«
Und wieder verbeugte er sich und kehrte in die Küche zurück, stellte die Pfanne auf die Gasflamme und begoß sinnend mit einem Löffel die beiden Setzeier mit Fett . . .
Dann ging er in sein Zimmer hinüber, das nur einfenstrig war und das neben Laukens sogenanntem Salon lag. Die Verbindungstür war hier durch einen Schrank verstellt.
Haberlein nahm gemächlich sein Abendbrot ein . . . Links neben ihm lag – ebenfalls die Abendpost . . .
Aber hier waren in der Beilage nicht jene beiden Artikel angestrichen, obwohl Haberlein dafür reges Interesse zeigte und immer wieder hinschaute, als wollte er sich den Inhalt genau einprägen.
Da stand unter der Ueberschrift: »Ein Radioamateurscherz?!« folgendes:
»Ein Radioamateur teilt uns mit, daß er in der verflossenen Nacht von 11 Uhr 35 Minuten einen Sender auf Welle 900 gehört habe, der offenbar Chiffredepeschen in Buchstaben, nicht in Morsezeichen, verbreitete. Dieser Sender, wahrscheinlich ein Experimentiergerät eines Amateurs, müsse mit mindestens 100 Watt gearbeitet haben. Die Welle sei sehr konstant gewesen, und die Sprache überaus klar. Um 12 Uhr 16 Minuten sei dann ganz plötzlich offenbar dicht vor dem Mikrophon dieses Senders lauter Wortwechsel einer männlichen und einer weiblichen Stimme erklungen und daher durch den Sender wiedergegeben worden. Zum Schluß habe die Frauenstimme gellend geschrien: »Wenn Du das tust, hast Du die längste Zeit gelebt!« Dann sei der Sender abgestellt worden. – Unser Gewährsmann meint, daß dieser angebliche Streit wohl nur Komödie gewesen sei, eben ein Scherz jenes Amateurs, der seinen Amateurkollegen eine kleine Sensation bereiten wollte. – Ob der Sender hier in Berlin oder in einem Vorort arbeitete, konnte der Herr, dem wir diese Angaben verdanken, nicht feststellen. Immerhin sagte ihm seine Rahmenantenne, die für Richtungsempfang sehr empfindlich sein soll, daß er nur in westlicher Richtung zu suchen sein kann. – Auffallend bei alledem ist uns die Wellenlänge 900, da die RTD. für Privatsendungen nur die Wellen bis 200 bekanntlich freigegeben hat. Es wäre von Interesse, zu erfahren, ob dieser Sender schon häufiger gehört worden ist.« – –
Das war der eine Artikel. Und zehn Zeilen tiefer der andere:
»Mord oder Selbstmord? Eine unheimliche Ueberraschung erlebte heute vormittag halb neun Uhr das Ehepaar Professor S., als es die leere Tauschwohnung Winterfeldtstraße 43 betrat, die es heute beziehen wollte. Im Hinterzimmer neben der Küche lag auf den Dielen eine elegant gekleidete jüngere Dame, neben ihr ein kleiner Revolver, dessen Trommel, wie später festgestellt wurde, zwei abgefeuerte und drei geladene Patronen enthielt. – Professor S., der von Heidelberg hierher versetzt worden ist, hatte noch gestern abend die Wohnung mit einem Dekorateur zusammen besichtigt und dabei auch dieses Hinterzimmer betreten. Er wußte also, daß die Tote erst während der Nacht in die Wohnung unbefugterweise eingedrungen sein konnte. – Die sofort herbeigerufene Kriminalpolizei fand bei der Toten, die einen überaus kostbaren Pelzmantel, Zobel mit sehr breitem modernen Kragen, und einen ebenso modernen kleinen Hut mit Reiherstutz trug, weder Schmucksachen, Geld noch sonst etwas vor, das über ihre Person hätte Auskunft geben können.
Als Todesursache wurde ein Schuß in die linke Schläfe festgestellt. Dieser Schuß ist aus nächster Nähe abgegeben worden. Trotzdem deuten verschiedene Umstände darauf hin, daß die bisher Unbekannte den Schuß kaum selbst abgefeuert haben dürfte.
Türschlösser und Fensterverschlüsse der im vierten Stock des Vorderhauses gelegenen Wohnung waren in Ordnung. Wie die Tote in die Wohnung gelangt ist, blieb bisher ein Rätsel. Sowohl den Hausbewohnern, als auch denen der Nachbarschaft ist die etwa dreißigjährige hübsche Frau völlig fremd. Als besondere Kennzeichen der Unbekannten sei noch angeführt, daß sie hellblondes, künstlich gebleichtes Haar und sehr kleine Hände und Füße hat. Ihre Lackschuhe, fast ganz neue, sind amerikanisches Fabrikat. Der Revolver gleichfalls.
Wer über die Tote irgendwelche Angaben machen kann, möge sich im Polizeipräsidium, Alexanderplatz, Zimmer Nr. 32a, bei Kriminalkommissar Köstlin melden, Hausanruf 563.« – –
Rentner Haberlein schob die Teller zurück und schenkte sich eine frische Tasse Tee ein. Dann faßte er in die Tasche seiner Hausjacke und holte ein goldenes Zigarettenetui hervor, auf dessen Vorderseite in kleinen Brillanten sein Monogramm schimmerte, zwei verschlungene H – also Herbert Haberlein.
Der Rentner und Detektivinspektor a. D. rauchte bedächtig und mit offenbarem Genuß. Die Zigarette hatte einen süßlichen, aromatischen Duft und ein Korkmundstück.
Immer noch interessierte er sich für die beiden Artikel, besonders der zweite schien seine Phantasie stark anzuregen, denn des öfteren murmelte er ein paar Worte vor sich hin oder machte eine Handbewegung, als ob er soeben in ihm aufgetauchte Vermutungen wieder verwürfe.
Dann stand er auf, ging an die Tür und lauschte . . .
Als er in der Küche das Klappern von Geschirr hörte, stellte er die von ihm benutzten Teller auf das Teebrett und verließ sein Zimmer.
In der Küche war Sigi gerade mit dem Säubern des Abendbrotgeschirrs beschäftigt. Die große dunkle Wirtschaftsschürze kleidete sie vortrefflich und nahm ihr in nichts jenes unbestimmbare Etwas, das nun einmal jede Dame der ersten Gesellschaft kennzeichnet.
Haberlein nickte ihr zu.
»Nun, wieder auf dem Posten, gnädiges Fräulein?«
»Ja – danke . . .« Und doch klang's kleinlaut, bedrückt.
Der alte Herr stellte das Teebrett auf den Küchentisch und sagte so nebenher:
»Weshalb fragten Sie mich vorhin nach meinem früheren Beruf, gnädiges Fräulein . . .?«
Er wandte sich um, sah, daß Sigi errötete, und fügte leiser hinzu:
»Falls Sie irgendein Anliegen an mich haben, – sprechen Sie ohne Scheu!«
Das junge Mädchen schaute ihn fast entsetzt an . . .
Haberlein lächelte gütig . . .
»Ein alter Mann wie ich ist ein guter Beichtvater, gnädiges Fräulein . . . Und gerade ich habe so viel in meinem Dasein erlebt, daß nichts mir mehr fremd ist . . . nichts!«
Sigi schlug vor diesen grauen prüfenden Augen den Blick zu Boden . . .
Der Rentner trat näher auf sie zu . . .
Flüsterte jetzt:
»Sie wissen, auch ich bin Radiohörer, gnädiges Fräulein . . .«
Sigis Kopf schnellte hoch . . .
Ihr Gesicht war blaß . . .
»Wie – wie – soll ich das verstehen, Herr Haberlein?«
»Nun – so, wie Sie es auffassen müssen, Fräulein Sieglinde . . . gerade Sie!«
»Mein Gott – – haben . . . haben Sie's auch gehört, Herr Haberlein?« entfuhr es ihr halb gegen ihren Willen . . .
»Nein . . . Ich war gestern nacht um ein Viertel eins nicht daheim . . .«
»Richtig, Sie kamen erst gegen zwei Uhr nach Hause. Ich war noch wach . . .«
»Vor Aufregung . . . Kann's mir vorstellen . . . Es muß auch ein böser Schreck gewesen sein, als Sie so plötzlich den lauten Streit der beiden vernahmen . . .«
»Ja – ich erschrak furchtbar . . . Und das, was da in der Zeitung steht von einem Amateurscherz, – das ist . . . Unsinn. Der Zank war – echt, die Frau war halb wahnsinnig. Ihre Stimme klang – abschreckend!«
Und dann – jäh in Sigis Hirn ein Gedanke . . .
»Herr Haberlein, haben Sie etwa im Abendblatt die beiden Artikel blau angestrichen?«
»Ja . . . Ich halte ja auch die Abendpost. Und da ich die durch den Briefspalt in den Flur geworfenen Zeitungen als erster fand, auch als erster las, erlaubte ich mir die blauen Striche . . .«
Sigi starrte ihn fassungslos an . . .
»Wußten Sie denn, daß ich in der vergangenen Nacht meinen Empfänger eingeschaltet hatte?«
»Gewiß. – Und ich weiß noch mehr, Fräulein Sieglinde. Ich war ja vor acht Tagen ebenfalls im Blüthner-Saal, als Bötel sang . . .«
Wieder wechselte Sigi die Farbe . . .
Haberlein wurde ihr plötzlich unheimlich . . .
Ließ sich jedoch durch ihr verstörtes Antlitz nicht beirren und fuhr fort:
»Sie haben dort mit Herrn Ingenieur Thomas Eriksen sich längere Zeit unterhalten . . . Er saß links neben Ihnen. Sie kamen zufällig ins Gespräch . . . Seitdem interessierte Sie der fünfte Stock uns gegenüber . . .«
Sigi konnte kein Wort hervorbringen . . .
Haberlein lächelte wieder unendlich gütig . . .
»Nicht wahr, nun haben Sie – Angst vor mir . . . Das brauchen Sie nicht. In meiner Brust ruhen andere Geheimnisse, Fräulein Sieglinde – ganz andere als diese Ihre Teilnahme für den Amerikaner . . .«
Er nahm ihre Hand – ganz zart . . .
»Wir beide, Fräulein Sieglinde, sind da durch einen Zufall Mitwisser von Vorgängen geworden, um die sich jetzt die Polizei bemüht . . . Die Dame von drüben ist – die Tote . . . Und der, dem sie drohte, war das Thomas Eriksen? Sie müssen seine Stimme doch erkannt haben . . .«
Sigi nickte nur matt . . .
»Haben Sie Eriksen nochmals gesprochen?« fragte Haberlein dann . . .
»Nein . . .«
»Und er ahnt nicht, daß Sie ihm hier gegenüber wohnen?«
Sie schüttelte energisch den Kopf . . .
»Es war ja nur eine Konzertsaalbekanntschaft, Herr Haberlein . . . Ich wußte bis heute nicht einmal seinen Namen . . . Erst durch Sie erfuhr ich ihn jetzt . . . – Was mich für den Herrn einnahm, war sowohl seine bescheidene Liebenswürdigkeit, als auch sein großes Musikverständnis, besonders aber seine Schwermut und sein Weltschmerz . . . Noch nie habe ich einen Mann mit so melancholischen Augen gesehen – noch nie . . .«
»Brav, daß Sie Vertrauen zu mir haben, Fräulein Sieglinde . . .«
Er drückte ihre Hand . . .
»Was wir hier besprochen, bleibt unter uns . . .« – Er war mit einem Male sehr ernst geworden. »Ich werde Ihnen morgen schon etwas mehr über diese drei Leute dort drüben sagen können . . . Wenn Sie mir nun noch den Gefallen tun und heute spät abends wieder aufpassen wollten, ob die Antenne wieder in Tätigkeit tritt, so wäre ich Ihnen sehr dankbar . . .«
Sigi schaute ihn ängstlich an. »Das will ich gern tun. Nur – nur – müssen wir nicht der Polizei melden, daß die – die – tote Frau . . .«
Er schüttelte den Kopf. »Das besorge ich schon, Fräulein Sieglinde. – Gute Nacht nun! Ich gehe noch aus.«
So schieden sie . . . –
Und Sigi von Lauken arbeitete jetzt doppelt eifrig in der Küche. Eine schwere Last war von ihr genommen. Sie hatte zu dem alten Herrn Haberlein ein so unbegrenztes Vertrauen . . . Und kannte ihn doch kaum. Erst so kurze Zeit wohnte er hier bei ihnen – acht Tage.
Wie das nur gekommen sein mochte, daß sie Herrn Haberlein so ohne Scheu ihr Herz ausgeschüttet hatte?! Ueberhaupt – manches war ja rätselhaft an dem alten schlanken Herrn . . .
Mitten in diese Gedanken hinein schrillte die Stimme der Exzellenz . . .
»Kind, noch nicht fertig?!«
Frau von Lauken stand in der Küchentür. Sieglinde hatte die Mutter gar nicht kommen gehört.
»Denk Dir, Sigi,« fügte Ihre Exzellenz eifrig hinzu, »denk Dir, soeben hat der Ansager vom Voxhaus eine ganz schaurige Geschichte mitgeteilt . . . Das Publikum soll mithelfen, eine unbekannte Tote festzustellen . . . Im Hause Winterfeldtstraße . . .«
»Aber das steht ja alles in der Zeitung, Mama . . .« Sieglinde trocknete den letzten Teller ab und stellte ihn in den Schrank . . .
»Alles steht doch nicht in der Zeitung, Kind . . . – weshalb hast Du übrigens die beiden Artikel blau angestrichen?«
»Ach, so etwas interessiert doch wohl jeden Radiohörer, Mama . . . – was hat der Ansager denn Neues mitgeteilt?«
»Die Frau ist ermordet worden . . .«
Sigi ließ die Arme schlaff herabfallen.
»Unmöglich!« murmelte sie geistesabwesend. »Es – muß Selbstmord gewesen sein . . .«
»Muß?! – Aber Kind, – wie kannst Du so etwas behaupten?! Die Polizei hat bereits ermittelt, daß die Frau nicht mehr lebte, als man sie heimlich in die leere Wohnung schaffte . . . Sie ist oben auf dem Dache erschossen worden und dort zusammengebrochen, wie die Blutflecke beweisen . . .«
Sigi war immer blasser geworden . . .
»Mir – mir – wird wieder – schlecht. Mama . . . Ich – ich will Herrn – Herrn Haberlein – um einen – Kognak bitten!«
Und hastig lief sie in den Flur, pochte an des Rentners Tür . . .
»Wer dort?« rief er.
»Sieglinde . . .«
Da schob er rasch den Riegel zurück, ließ sie ein . . . Drückte ebenso rasch die Tür zu und flüsterte:
»Keine Angst . . .!! Ich bin Haberlein – – tatsächlich . . .!«
Diese merkwürdigen Worte hatten einen guten Grund.
Vor Sieglinde stand ein bartloser Herr mit kühnem, geistreichem Gesicht, etwas starker Nase und grauen, scharfen Augen . . .