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8. Kapitel

Annis Gewissen meldet sich.

Wir regten uns nicht. Nur Annis hastige Atemzüge und die gewohnten Geräusche der Außenwelt waren vernehmbar.

»Ich bins«, erklang draußen eine gedämpfte Stimme.

Harst lachte ärgerlich.

»Schirmer, Sie?! – Den Scherz mit dem Zirpen hätten Sie sich sparen können.«

Der Inhaber der Detektei huschte in die Hütte und meinte achselzuckend: »Es zirpen noch andere Grillen hier, Herr Harst ... Da kommt es auf eine mehr oder weniger nicht an.«

»Irrtum, – es zirpt nur eine, und deren Gesang ist fast harmlos. – Was bringen Sie?«

»Die Antwort aus Harzburg ...«

Er hatte sich vor Anni nur leicht verneigt und zog uns in die andere Ecke an den Tisch.

»Saduzzi wohnte in Harzburg im besten Hotel, machte aber stets tagelange Ausflüge. Jetzt ist er abgereist.«

»Das konnte ich mir denken«, meinte Harst gleichgültig. »Und die Miß Gracie Holderston?«

»Der Bericht enthält auch nichts Besonderes. Die Holderston läßt sich wenig im Modesalon sehen und ist fanatische Autofahrerin. Ihre Privatwohnung liegt im Seitenflügel hinter den Geschäftsräumen. Sie hält sich nur eine Aufwärterin, die lediglich ...

»Danke, – unwichtig, lieber Schirmer. Und der dritte Punkt? – Flüstern Sie noch leiser.«

»Der Maler Peter van Amsteln wohnte in Potsdam sehr elegant, hatte einen Diener, einen Schofför und einen Bootsmann für seine Jacht mitgebracht und ist heute früh abgereist.«

»Auf der Havel – in die Havel!«, murmelte Harst zweideutig. »Und seine Jacht?«

»Soll zu Wasser nach Hamburg, erfuhr ich, dann über See nach Holland zurück.«

»Also ein größeres Schiff?«

»Vierzehn Meter-Jacht, Schonertakelung, starker Hilfsmotor ...« – Schirmer besaß die erfreuliche Eigenschaft, kein Wort zuviel zu sprechen.

»Name?«

»Wilhelminje.«

Harald überlegte. »Geben Sie acht, Schirmer ... Sie unternehmen persönlich nichts, gar nichts. Im übrigen halten Sie Ihre Leute in der Nähe, wie vereinbart. Ich danke Ihnen. Warten Sie, ich begleite Sie noch bis zum Liegeplatz Ihres Bootes, es gibt da noch einen vierten Punkt, der ..., – davon draußen. Schraut mag unserem Schützling Gesellschaft leisten ...«

Schirmer verneigte sich wieder stumm vor Anneliese, die ihn eigentümlich prüfend und fast durchdringend musterte, als ob sie Schirmers etwas massige Gestalt und derb-energische Züge für alle Zeit sich einprägen wollte.

»Wer war das, Herr Schraut?«, fragte sie, als die Tür sich hinter den Davonschreitenden geschlossen hatte.

Ich war vorsichtig. »Ein Bekannter, der uns zuweilen hilft.«

»Er muß doch aber wichtige Nachrichten gebracht haben und in alles eingeweiht sein«, beharrte sie auf einer erschöpfenden Auskunft.

»Harst weiht niemanden ein, und die Auskünfte waren leider nichtssagend«, wich ich ihr gleichgültig aus.

Anneliese hatte wohl gemerkt, daß ich mich nicht aushorchen ließe. Sie war aufgestanden, hatte sich an den Tisch gesetzt und schaute zu, wie ich auf dem Herde ein Feuer anzündete, um die abendliche Kälte zu verscheuchen. Die trockenen Reiser und harzigen Kiefernäste knisterten laut, und der Rauch wirbelte in die Kaminöffnung hinein, die hier in der Hütte durch ein trichterförmiges verrostetes Stück Blech tief nach unten erweitert war, und weil draußen übergenug Erlen und Buchen ihre Aeste über die Hütte hinwegreckten, bestand keine Gefahr, daß der Rauch auffallen könnte.

Anneliese Gerty hing schweigend ihren Gedanken nach, und ihr Gesichtsausdruck bewies, wie ernster Natur diese waren. Hatte Professor Gerty seinem Kinde etwa gestanden, worin seine Schuld läge, die ihn zu einem Verbrecher stempelte? Ich selbst hegte hierüber gewisse Vermutungen, aber etwas Bestimmtes konnte auch ich mir nicht zusammenreimen, dazu waren die Ereignisse zu widerspruchsvoll.

Das Mädchen schaute unverwandt in die flackernde Glut, die nun auch die dickeren Scheite erfaßt hatte. Ihr zartes Antlitz erschien rosig angehaucht, und ihre Schönheit in dieser abenteuerlichen Umgebung war rührend und weckte neues Mitleid trotz der Geheimnisse, die sie vor uns hatte.

Harst kehrte zurück, und nach einem Blick auf seine ganz hoch geschnallte Armbanduhr erklärte er, wir beide müßten nun noch ein paar Stunden ruhen. Anni solle uns um zehn wecken.

»Keine Sorge, ich wecke Sie! Also um zehn ...«, meinte sie etwas zu eifrig. Sie holte ihr Buch, setzte sich an den Tisch, rückte die Laterne zurecht und wandte uns den Rücken zu. – Obwohl ich nun nach den Strapazen der verflossenen Nacht zum Umsinken müde hätte sein müssen, blieb ich doch wach, und nur Harsts tiefes regelmäßiges Atmen dicht neben mir trug dazu bei, jenen Zustand halben Wachseins mit gelegentlichem Hinübergleiten in das Reich der Träume zu erzeugen, in dem die Sinne stets angespannt bleiben und schon das geringste Geräusch genügt, mißtrauisch emporzufahren. Ich wußte, daß etwas geschehen würde ... Anni rechnete mit dem erneuten Auftauchen des Mannes, der heute bereits einmal bei ihr geweilt hatte ...

Das Mädchen saß ganz still. Zuerst hatte sie noch die Seiten des Buches umgeblättert, jetzt horchte sie nur auf unsere Atemzüge ... Sie hatte den Kopf etwas gedreht, und ihre Miene verriet, wie angestrengt sie lauschte und sich davon überzeugen wollte, ob wir wirklich ganz fest schliefen.

Ich schlummerte für Sekunden ein, – für Sekunden verloren sich meine Gedanken in das Labyrinth der unkontrollierbaren Träume. Dann schreckte ich wieder leicht zusammen und blinzelte zu Anneliese hinüber. Sie hatte sich erhoben und betrachtete uns. Der Flammenschein umspielte uns, Harst warf sich wie im Schlaf hin und her, und sie wartete unsicher, ob sie das wagen dürfte, was niemals ihrem eigenen Willen entsprang.

Ihr Mund war zusammengepreßt, ihr junges Gesichtchen trug einen völlig unausgeglichenen Ausdruck. Ihr Gewissen, ihre Dankbarkeit mochten sich dagegen sträuben, uns zu hintergehen, aber eine stärkere Macht siegte, und sie huschte zur Tür, schob den Riegel zurück und die schwere Balkentür glitt auf.

Nochmals schaute sie uns an, und wieder zauderte sie ...

Das Röhricht rauschte, eisige Luft drang herein, – ein ganz sanftes Zirpen erscholl irgendwo, und die Tür wurde zugedrückt, und der äußere Holzriegel, ein Klappverschluß nach Bauernart, bewegte die nach innen reichende Lederstrippe.

Harst schnarchte noch lauter, – dann traf mein Ohr ein Zischeln: »Schirmer ist noch draußen ... Wir haben Zeit ...«

Wieder atmete er tief und gurgelnd, und erst nach einigen Minuten stand er hastig auf und griff nach Mütze und Mantel und nach dem alten, zerlöcherten wollenen Schal, der mit zu seinem Kostüm gehörte.

Ich erschrak, als der Außenriegel leise knarrte, – die Tür öffnete sich kaum fingerbreit, und Schirmer rief leise: »Ostseite der Insel, – – eine Jacht!«

Wir löschten das Herdfeuer, die Hütte versank in Finsternis, und nur ein schmaler Lichtstreifen der Laterne irrte über den Boden. Als wir draußen standen, schloß Harst die Blende vollends, und unsere Augen gewöhnten sich schnell an die neblige Dunkelheit. Wir hatten das Inselchen morgens kreuz und quer durchstreift und uns die gangbarsten Stellen gemerkt.

Unter weit überhängenden Erlenzweigen des Ostufers erspähten wir ein kleines Beiboot, in dem nur zwei Personen saßen und das leise durch das Schilf geschoben wurde. Dann blinkte ein Licht auf, huschte über das Boot hin, ich erkannte Anni und einen alten Mann, der nicht Professor Gerty sein konnte, und ein Stück der Bordwand einer Jacht. Ein scharfer leiser Zuruf, – die so unvorsichtig bloßgestellte Schiffslaterne verschwand, und ein über den See ziehender dickerer Nebelstreifen verhüllte das spukhafte, ungewisse Bild ...

Harst horchte noch eine Weile, wir vernahmen Plätschern und Knarren und ferne Geisterstimmen, – – und jedes nicht zu dieser Umgebung passende Geräusch erstarb.

Harst faßte meinen Arm. »Folge mir ...! Schnell – zu unserem Paddelboot!«

Wir fanden das Versteck, wir schossen davon, das Wasser schäumte, immer nach Osten ging's in die schmale Verlängerung des Stern-Sees hinein, die den Abschluß des Parkes Professor Saduzzis bildete. Daß wir die Jacht im Nebel verfehlt hatten, schien Harald nichts auszumachen. Wir landeten, verbargen das leichte Boot und stießen unweit des Ufers auf eine alte dicke Birke, deren weiße Rinde selbst bei dieser Dunkelheit wie ein heller breiter Streifen schimmerte. Harst zirpte ganz leise, – – eine Gestalt löste sich von der Birke, und einer der Leute Schirmers meldete recht stolz: »Die drei Hunde schlafen ... Das frische Fleisch war ein guter Köder.«

»Und in der Villa?«

»Vorstandssitzung, Herr Harst, – – die Strickleiter hängt genau wie befohlen.«

»Danke ...!«


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