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7. Kapitel

Herr van Amsteln steigt aus der Havel auf.

»Nichts inzwischen passiert, Anneliese?, erkundigte sich Harst etwas vorwurfsvoll. »Sie sollten doch die Tür versperrt halten, Kind ... Frauen bleiben nun einmal nachlässig.«

Das junge Mädchen hat sich aufrecht gesetzt, und dabei gleiten die Falten der Decke auseinander, die sie über sich gebreitet hat. In den Falten liegt die Liliputpistole. »Nein, es ist gar nichts geschehen«, erwidert sie und spielt mit der Waffe.

Täuschte ich mich? Liegt nicht etwas wie Verlegenheit über ihrem ganzen Benehmen? Ist nicht der Begrüßungshändedruck recht matt, weichen ihre Augen nicht zur Seite?

Harst tut so, als merke er nichts, zieht einen der morschen Holzschemel herbei und betrachtet prüfend den verfallenen Herd aus Feldsteinen, auf dem unser Spirituskocher steht.

»Anneliese, haben Sie denn gar nichts Warmes genossen?!«

»Nein ...«

»Leichtsinnig!« – Und er setzt den Kocher in Brand, nimmt einen der Aluminiumbecher, die wir bestimmt nach dem ersten Frühstück ausgespült haben, und zeigt mir einen Bodensatz von Kaffee. Nein, – es ist Kakao. – Das Mädchen liest weiter oder wendet doch zumindest die Seiten um. – Hier stimmt irgend etwas nicht.

Harst öffnet eine Konservenbüchse, der Oeffner zerschneidet knirschend das Blech, und Anneliese zuckt nervös zusammen. »Ich habe gar keinen Hunger. Herr Harst ...«

Etwas Fremdes schiebt sich zwischen uns und unseren so veränderten Schützling, etwas Erkältendes, etwas, das jedes gegenseitige Vertrauen erstickt.

Keine Unterhaltung kommt in Gang – nichts ... Anneliese fragt nicht, was wir in Berlin ausgerichtet hatten, sie weiß zwar wenig von den wirklichen Geschehnissen der Vergangenheit, aber ihr Verhalten ist unnatürlich und steht in so schroffem Gegensatz zu dem herzlichen Abschied heute morgen, daß der Bodensatz Kakao eine erhöhte Bedeutung gewinnt.

Anneliese wird uns immer unbegreiflicher. Als das Essen fertig ist, lehnt sie nochmals dankend ab. und Harald und ich sitzen allein an dem wackeligen Tisch in der andern Ecke und schweigen uns gleichfalls aus. Draußen im Röhricht schnattern Wildenten, die sich zur Nachtruhe ein trockenes Plätzchen suchen. Das Seeufer ist keine zehn Meter entfernt, und wir hören das Rauschen des Schilfes und der Büsche und das sanfte Plätschern des Wassers durch die nur mit Moos und Lehm ausgestopften Fugen der Blockhütte. Die Ranken des Hopfens reiben sich an den Außenwänden, und es klingt, als ob andauernd seine Fingernägelchen an der Borke kratzten.

Harst hat mir ein paar sehr lange, vielsagende Blicke zugeworfen, und als wir nachher hinausgingen und am Wasser das Geschirr säubern und die Dunkelheit uns umgibt und dazu seine Nebelfetzen sich durch das Röhricht drängen, meint er ganz leise:

»Nun haben wir eine Spionin im Hause, mein Alter. Nicht angenehm ...!«

»Anneliese?!« – Ich verstehe ihn nicht ganz.

»Ja, Anneliese ...«

»Glaubst du, daß ihr Vater hier war?!«

»Möglich ... Wenn er eine Thermosflasche mit Kakao bei sich hatte, dann war er's ... In unseren Vorräten befindet sich kein Kakao. Es kann jedoch auch jemand anders gewesen sein, ein ganz Schlauer, der Anneliese jetzt ebenso nahesteht wie ihr Vater.«

Ein stärkerer Luftzug fährt über den See und bringt von drüben von den nassen Wiesen dickere Nebelschwaden herbei.

Harst beobachtet das Nahen der Nebelwolke, dämpft seine Stimme noch mehr und erteilt mir einen Befehl, dessen Begründung ich vollkommen einsehe. Wir sind belauscht worden, Anneliese weiß dies, und der Horcher kann noch immer irgendwo an der Hüttenwand im Gestrüpp liegen. – Sobald der zähe, graue Nebelstreifen uns einhüllt, trennen wir uns, und Minuten später erscheine ich von meiner Seite gerade zur rechten Zeit ...

Harst liegt auf einem Menschen, der sich so wild und ungestüm wehrt, daß ich diesem lautlosen, aber desto erbitterteren Ringen durch einen gewissen Schlagadergriff schnell ein Ende bereite.

Als wir den Strolch, der recht unangenehm duftet, außer Hörweite der seinen Ohren unserer allzu verschwiegenen Anneliese geschleppt haben und ihm nun in das schmierige Gesicht mit den traurigen Resten eines angeklebten Bartes leuchten, als der Mann zu sich kommt und uns erkennt und mit kühlem Spott sagt: »Ihr seid mir ja nette Anglerfreunde!!«, bin ich zunächst so ziemlich sprachlos ...

Der Mann ist Peter van Amsteln und müßte anstandshalber. um Harst nicht als sehr mäßigen Beobachter zu blamieren, auf dem Grunde der Havel liegen. Trotzdem ist der lebende Amsteln mir lieber, zumal er sofort mit genau so galligem Humor hinzufügt: »Ich lebe noch hundertprozentig, wie Sie sehen ... Wenn Sie aber glauben, ich würde Ihnen ...«

»Stopp!!«, sagt Harst bitter ernst. »Ist Gerty Ihnen wieder entflohen, Herr von Amsteln? – Wahrscheinlich ist es so, und das gefällt mir gar nicht, denn Gerty besitzt eine Pistole und will Grillen schießen, was immerhin genau so strafbar ist wie das Fälschen von Banknoten ...«

Amsteln nickt und massiert seinen Hals. »Seine Rachepläne werden hintertrieben werden«, meint er gelassen. »Banknoten hat er nie gefälscht, das wäre auch zu alltäglich, finde ich. Wenn jemand an gänzlichem Fantasiemangel leidet, denkt er ans Banknotenfälschen, immer noch ein dankbarer Romanstoff.«

»Danke, Herr von Amsteln!«, sagt Harald trocken. »Und wenn einer nicht belästigt sein will, läßt er sich in die Havel werfen, zirpt vorher und schießt mit einem Kindergewehr, und wenn er schon gar keine Fähigkeit zum Detektiv besitzt, läßt er Kakao für seine Angebetete in einem Becher zurück. – Nun sind wir quitt, Sie junger Frechdachs, und nun werden Sie ...«

Das. was Amsteln tun sollte, brauchte Harst ihm nicht erst vorzubeten. Amsteln handelte von sich aus, und sein Benehmen entsprach keineswegs den üblichen Salonformen.

Wenn schon Gerty damals blitzschnell zugeschlagen hatte, Amsteln verstand es noch besser, auszukneifen, und als unsere Taschenlampen in elegantem Bogen davonflogen, flog auch der Holländer mit jugendlichen Panthersätzen zum Ufer, watete in den See hinein, der Nebel verschluckte ihn, und wir hatten das Nachsehen.

Harald nahm den Zwischenfall nicht weiter tragisch – bis auf einen Punkt. – »Keine Banknotenfälscher, – das ist merkwürdig! In der Tat, ich hatte mit Fälschungen gerechnet und rechne vielleicht noch damit. Kehren wir in die Hütte zurück. Anneliese soll nicht mißtrauisch werden.«

Aber Annelies« hatte offenbar keinerlei Verdacht geschöpft. Sie las wieder, und als vor der Tür plötzlich ein scharfes Zirpen ertönte, drehte sie die Laterne sehr geistesgegenwärtig aus und griff mit der andern Hand nach ihrer Pistole.


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