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22. Quitt!

Ferdinand Harter flog auf den Flügeln des Eilzuges heim nach Pest. Dort waren die unter Prozeß stehenden Staatspapiere, welche Elemers mütterliches Erbteil bildeten, deponirt.

Auf den Anerkennungsschein seines Sohnes wurden ihm dieselben sofort ausgeliefert; die Umwechselung nahm nur zwei Tage in Anspruch, so daß er schon mit dem Abendzuge des dritten Tages die Rückreise nach Wien antreten konnte.

Den Nachmittag brachte er im Kasino zu. Anwesend waren mehrere Klubmitglieder.

Harter zeigte sich an diesem Tage sehr gesprächig.

»Denkt Euch, welche bonne fortune ich heute hatte. Als ich nach Hause komme, bringt man mir von der Post eine Kiste, an mich adressiert; und da ich sie öffne, finde ich in ihr eine süperbe Venusstatue aus karrarischem Marmor.«

Die Klubmitglieder beteuerten mit ernster Miene, es sei dies in der That ein schönes Geschenk.

»Sicher hat mir das eine hübsche Dame geschenkt.«

Jedermann fand diese Annahme höchst wahrscheinlich.

In diesem Glauben wurde Harter noch bestärkt durch einen von gestern datierten Brief Malwine's, worin die schöne Dame ihm mitteilte, sie werde noch in dieser Woche die nötigen Schritte behufs ihres Übertrittes thun, und dann sogleich Lemmings Haus und Wien verlassen und nach Pest übersiedeln.

Ferdinand Harter plauderte hierauf noch weiter: »Stellt Euch vor, mein Sohn Elemer ist verrückt geworden: er nimmt eine englische Reiterin zur Frau, und um sie heiraten zu können, ändert er seinen Namen und engagiert sich als commis-voyageur! Den könnt ihr als korrespondierendes Mitglied aufnehmen in Euren Klub der ›Narren der Liebe‹!« Ein schallendes Gelächter begleitete diese Worte. Auch er stimmte ein.

Der Arme! er glaubte das Gelächter gelte seinem Sohne.

*

Mit dem Nachttrain eilte Harter nach Wien. Dringender als alle Rechnungslegungen über die verwalteten öffentlichen Gelder erschien ihm das »Geschäft«, das er mit Lemming abzuwickeln hatte.

Am Morgen in Wien angelangt, kleidete er sich schnell um und ging Lemming auf der Stelle aufzusuchen. Der Bankier empfing den großen Herrn mit trockener Höflichkeit; er war weder kalt noch warm. »Mein Herr,« sagte Harter, »Sie wissen weshalb ich komme. Das Geld, welches Sie mir geliehen, hier bringe ich es zurück.« Damit zog er ein Etui hervor, dessen Inneres zehn Rollen barg, jede mit 500 Stück Dukaten. Das Gesicht des Bankiers verzog sich nicht einmal zu einem Lächeln; er sagte bloß: »es ist gut.« – »Bitte zu zählen.« – »Das wäre überflüssig. Zahlungen auf Ehrenwort pflegt man nicht nachzuzählen.« – »Schriftliches war zwischen uns nicht vorhanden; wir haben also eine Quittung weder zu geben noch zu nehmen.« – »So ist's.« – »Zinsen habe ich nicht berechnet, aus gewissen Gründen.« – »Nach den Gründen frage ich nicht; es sind gewiß triftige Gründe.«

Ferdinand Harter empfand in jedem seiner Nerven ein so unangenehmes Prickeln, als dieser kleine, klapperdürre Mensch ihm apathisch ins Gesicht sah. Dieser Blick galvanisierte ihn. Er suchte sich aus seiner Nähe zu befreien. »Und jetzt mein Herr wären wir quitt.« Der Bankier sah ihn mit dem galvanisierenden Blick stumm an, und antwortete nichts. Harter aber erwartete aus seinem Munde, was auf jenes Wort zu folgen hatte.

Als der Bankier beharrlich zu schweigen fortfuhr, war Harter endlich genötigt, das Wort, auf das er gewartet, selber auszusprechen.

»Und jetzt, mein Herr, wo ist Malwine!«

Der Bankier antwortete ihm hierauf im dumpfen, affectlosen Tone: »Auf dem Hernalser Friedhof.«

»Was macht sie dort?« Der Bankier antwortete in demselben affectlosen Tone: »Sie erwartet den Tag der Auferstehung.«

»Sie ist tot!« rief Harter zusammenfahrend.

»Sie hat sich umgebracht,« antwortete Lemming.

»Das kann nicht sein! Das ist nicht wahr!«

»Es ist so. Hier ein Schreiben von ihrer eigenen Hand, worin sie ihren traurigen Entschluß mitteilt. Sie kennen diese Handschrift, lesen Sie.« Und damit reichte er Ferdinand Harter ein beschriebenes Blatt, von welchem dieser, dem die Buchstaben vor den Augen herumtanzten, die Worte herablas:

» Ich bin des Lebens überdrüssig; – die Welt ekelt mich an; ich hasse mich selbst; – ich sterbe freiwillig – Gott sei meiner Seele gnädig!«

Ferdinand Harter ließ das Blatt aus der erstarrten Hand auf den Tisch fallen. Jener kleine, klapperdürre Mann aber trat zu ihm hin, faßte die Hand des großen gnädigen Herrn am Gelenk und sagte zu ihm: »Jetzt erst sind wir quitt, Illustrissime!«

*

 


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