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Man gebraucht häufig das Wort »Hund« als Schimpfwort gegen Menschen. Und doch ist der Hund ein sehr treues und kluges Tier, die Erziehung schlägt bei ihm an und pflegt seine guten Eigenschaften zu entwickeln; die eigenen Interessen weiß er den Launen seines Brotgebers unterzuordnen, er bewacht das Haus, verjagt den Feind, spürt das Wild auf und apportiert das geschossene, ohne es zu fressen, durchgehends Eigenschaften, welche man auch an einem Menschen sehr schätzen müßte. Der Mensch ist nun aber ein so aristokratisches Wesen, daß er es nicht liebt, wenn man ihn einen Hund nennt. Einen Löwen oder Adler läßt er sich gern nennen, den »Hund« aber nimmt er übel. Ein treuer Hund! Sogar das gefällt ihm nicht. Was denkt sich wohl ein treuer Hund? Zerbricht er sich den Kopf darüber, wie er seinem Herrn ein Wild unter den Schuß bringe? Philosophiert er vielleicht: Dies Wild hat auch Knochen: die Knochen ißt mein Herr nicht – die fallen mir zu? Ich will nicht apodiktisch behaupten, daß er dies denkt; ich wollte niemanden damit beleidigen, aber nehmen wir an, er denke sich's.
Herr Andjaldy wußte genau, daß sein Herr ein edles Wild hat, einen wahren Paradiesvogel, dem er nachjagt. Er ist ihm einmal aus dem Käfig entflogen, und jetzt bedauert er, ihn nicht besser gehütet zu haben. Allein der Wald ist groß, in dem er diesem Wild auflauern muß, und er kommt selten zum Schuß.
Ferdinand Harter schmollt draußen auf seinem Gute irgendwo an der Theiß; seine geschiedene Gemahlin aber hat, seitdem sie einen Geschäftsmann geheiratet, die kleine Stadt verlassen und wohnt oben in Wien, von wo sie nur bei großen feierlichen Gelegenheiten herabkommt, um unter ihren früheren Bekannten in der Provinz zu glänzen.
So können sie nur sehr schwer und sehr selten zusammentreffen. Es müßte denn sein, daß auch Ferdinand Harter nach Wien übersiedelte.
Dazu hat er jedoch nicht den geringsten annehmbaren Grund. Und von einem ungarischen Magnaten, wie er, verlangt man gewiß Rechenschaft darüber und schenkt Ausflüchten nicht so leicht Glauben.
Jedoch zwischen beiden Orten liegt Budapest in der Mitte. Das wäre wohl ein geeigneter Platz.
Wie sollen aber Wild und Jäger nach Budapest hinüberkommen, wo weder das Eine, noch der Andere das Geringste zu thun hat.
Das ist das Problem des Augenblicks.
Weshalb sich der Diener seines Herrn über die Lösung dieses Problems so sehr den Kopf zerbricht, kann man nicht wissen. – Ich habe darüber meine Vermutungen – und es ist wohl möglich, daß am Ende der Geschichte auch andere meinen Verdacht teilen werden.
Er aber machte sich getreulich an die Verfolgung des Wildes.
Damals war schon wieder eine Art Belagerungszustand im Lande. Nicht ganz Pulver und Blei, sondern nur Blei ohne Pulver.
Und von diesem Blei bekamen die Zeitungen ihren Teil.
Demgemäß genügte es für einen Zeitungsschreiber, bei den Schwarzgelben in den Ruf eines wahren »Schweinehundes« zu kommen, wenn er es wagte, einen Artikel schreiben zu lassen, in dem er sich herausnahm, die neuesten Regierungsernennungen einer Kritik zu unterwerfen.
Und ein solcher Artikel erschien wirklich mit der vollen Namensunterschrift Andjaldy's. Eine solche Tollkühnheit durfte nicht ungeahndet bleiben. Konfiszierung, Einsperrung oder persönliche Ausschimpferei.
Andjaldy hatte jedoch giftmischerischen Takt genug, nur eine solche Dosis aqua toffana anzuwenden, welche die maßgebende Persönlichkeit bloß soweit giftig machte, daß sie zu dem letzteren dieser drei Mittel griff. Er erreichte sein Ziel. Binnen allerkürzester Zeit erhielt er eine Estafette, er möge sofort nach Budapest zur maßgebenden Persönlichkeit kommen.
Andjaldy beeilte sich, dem Rufe Folge zu leisten.
Die maßgebende Persönlichkeit war ein sehr feiner und taktvoller Herr; namentlich gegen die Leute, die für die Zeitungen zu schreiben pflegen, benahm er sich überaus höflich.
Er war aber in diesem Genre ein wahrer Gourmet.
Er verspeiste sie nicht roh, sondern ließ sie vorher hübsch kochen, röstete sie, bestrich sie mit Senf, übergoß sie mit heißer Brühe, legte sie in Essig, und erst, wenn sie schon recht mürbe waren, fiel er mit Messer und Gabel über sie her.
»Also, mein lieber Freund,« begann die maßgebende Persönlichkeit in ihrer bekannten leutseligen Weise die Anrede an Andjaldy, »Sie sind nicht zufrieden mit den jetzigen Ernennungen? Ihnen gefallen diese Männer nicht? Sie sind hoffentlich ein loyaler Unterthan.«
»Gewiß.«
»Ich zweifle auch nicht daran. Es giebt jetzt überhaupt nur loyale Unterthanen im Lande. Da Sie also mit den Ernennungen nicht zufrieden sind, so stecken Sie jedenfalls voll guter Ratschläge für die Regierung, Wen man alles anstellen müßte?«
Auf diese Frage konnte die maßgebende Persönlichkeit nur zweierlei Antworten erwarten, entweder eine radikal grobe oder eine bescheiden demütige; entweder »hol das Donnerwetter, wen Sie immer auszuwählen belieben, mir ist kein Einziger recht;« oder aber »bitte unterthänigst, über diesen Gegenstand habe ich weiter keine Meinung.« Dann kann man den Ratgeber entweder mit einer süßen oder mit einer sauren Sauce begießen, bis er mürbe wird.
Wie überrascht war aber die maßgebende Persönlichkeit, als ihr Opfer sich auf die Hinterfüße stellte und antwortete:
»Allerdings habe ich entschiedene Ansichten darüber, welche Prinzipien man bei diesen Ernennungen im Auge haben müßte und wo man die geeigneten Individuen zu suchen hätte. Wenn Excellenz gestatten, werde ich diese meine Ansichten umständlich auseinandersetzen.«
Diese Antwort überraschte die maßgebende Persönlichkeit so sehr, daß sie dem Inquisiten einen Stuhl anwies und ihm sagte: »Bitte, nehmen Sie Platz.«
Die Ruhe, mit welcher der junge Mann den ihm angebotenen Sitz an einem so allgewaltigen Ort einnahm, zeigte, daß er Selbstvertrauen besaß und die gnädige Auszeichnung nicht als Sarkasmus auffaßte. Wer vor dem olympischen Jupiter sich niederzusetzen wagt, ist mindestens selbst ein Apoll.
Die Frage war aber eine von denen, die mit der Redensart zu schließen pflegt: »Wer mir darauf zu antworten weiß, erit mihi magnus Apollo.«
»Wie also hätten wir nach Ihrer weisen Einsicht bei den Ernennungen vorzugehen?« sagte der hohe Herr, mit ausgespreizten Beinen vor dem Fenster stehend.
»Ich werde meine Ansichten vortragen, doch bitte ich gleichfalls Platz zu nehmen, um mich nicht allein sitzen zu lassen.«
»O, ich danke,« war die ironische Antwort, »ich will noch wachsen!«
»Ich aber möchte nicht, daß man im Vorzimmer hört, was hier gesprochen wird –« sagte Andjaldy, sich vom Stuhle erhebend. »Wenn es daher die Absicht Eurer Excellenz ist, mir für den bewußten Zeitungsartikel einen allgemeinen Verweis zu erteilen, so bitte ich, das kurz abzumachen und dann über mich zu verfügen, wohin ich mich zu begeben habe, ob nach Haus, oder anderswo hin! Wenn aber Excellenz wünschen, daß ich wirklich sage, was ich denke, so bitte ich, mir gnädige Aufmerksamkeit zu schenken.«
»O bitte! belieben Sie sich nicht zu ereifern. Setzen wir uns lieber hübsch zu einander.«
»Ich glaube,« sagte Andjaldy, ohne Umstände auf den Gegenstand übergehend, »daß die jetzigen maßgebenden Kreise einen großen Fehler begehen, indem sie bei der Organisierung der Administration sich gerade auf die unpopulärsten Elemente stützen wollen.«
»Was zum Henker aber sollen wir thun, wenn das populäre Element sich nicht zur Stütze hergeben will? Eine Verwaltung müssen wir haben, und wenn wir sie nicht aus gutem Material bekommen, so bilden wir sie aus schlechtem.«
»Ist das gute schon versucht worden?«
»Oho! überall. Es war nicht möglich, auch nur irgendwo einen Geschworenen zu kriegen. Nicht einmal ein verhungerter Jurassor, der sieben Kinder auf dem Stroh liegen hat, will anbeißen«
»Darin liegt eben der Fehler, daß man unten bei den Verhungernden anfing. Die halten aus. Man hätte oben anfangen sollen. Bei denjenigen, welche glänzen. Was hat man an einem Elenden gewonnen, den Hunger und Not in solchen Handel treibt? Man wirft ihm einen verächtlichen Blick zu und geht an ihm vorüber; wenn aber ein Parteiführer sich angeln läßt, eine Notabilität, der bringt das ganze Lager in Verwirrung, reißt andere mit sich fort und erobert.«
»Sehr wahr gesprochen! Auch ein anderer wäre darauf gekommen. Die Frage ist nur die, wie man es anfängt, an sie heran zu gelangen. Nicht wahr, darauf werden Sie mir antworten: ›Brauchst Du einen Türken, so fang Dir einen‹ Gut, so will ich mich gleich an ›Sie‹ halten. Nun, erschrecken Sie nicht, ich meine nicht Ihre Person, Skribler brauche ich nicht, – die lasse ich simpliciter einsperren. Was aber würden Sie z. B. dazu sagen, wenn ich Ihnen anvertraute, daß ich einen berühmten, populären Mann kapern will, der kein anderer ist, als Ihr Prinzipal, Ferdinand Harter?«
Andjaldy fühlte sich keineswegs in die Ecke gedrückt.
»Wollen Sie es versuchen!«
»Ja, das ist Ihnen leicht, zu antworten: ›Wollen Sie es versuchen!‹ Denn Sie wissen recht gut, daß ich nicht mit ihm zusammen kommen kann, da er keine Dummheit begeht, um derentwillen ich ihn von Amtswegen hierher zitieren könnte; er hat nichts bei mir zu suchen, was ihn nötigte, zu mir zu kommen; lade ich ihn aber freundschaftlich ein, so wird er mir antworten, er sei krank, habe einen schmerzhaften Fuß, und wenn ich ihn gerade bei scherzhafter Laune antreffe, läßt er mir vielleicht sogar sagen, daß er eben so weit zu mir hat, wie ich zu ihm. Nicht wahr?«
»Und wenn ich sage, Ferdinand Harter wird auch ohne freundschaftliche Einladung, ohne amtlichen Befehl hierher kommen, freiwillig, aus eigenem Antrieb?«
Die maßgebende Persönlichkeit trat an den Schreibtisch, zog aus einem Schubfach einen Brief hervor und hielt ihn Andjaldy hin.
»Kennen Sie diese Handschrift?«
»Sehr gut. Es ist die Ferdinand Harters.«
»Lesen Sie.«
»Ich kenne den Inhalt. Es steht darin, er danke für das in ihn gesetzte Vertrauen; seine leidende Gesundheit erlaube ihm jedoch nicht, vor Beginn des Frühjahrs eine längere Reise anzutreten und dann müsse er in ein Bad.«
»Nun, und Sie glauben dennoch, daß er umgestimmt werden könnte?«
»Binnen acht Tagen wird er nicht nur gesund, sondern auch hier sein und seine Hochachtung bezeugen.«
»Wenn Sie dies Meisterstück vollbringen, daß Ferdinand Harter binnen acht Tagen an die Thür meines Zimmers klopft, so werde ich Ihnen – – – – –«
»Ich beanspruche keine Belohnung.«
»Das wollte ich auch nicht sagen. Dann erlasse ich Ihnen den Prozeß wegen dieser Skribelei.«
»O bitte,« sagte Andjaldy lachend, »ich verlange nicht einmal diese Remuneration, lassen Excellenz nur Ihre ganze väterliche Strenge walten. Ich weiß, warum ich etwas thue. Dafür aber kann ich mich verbürgen, daß Ferdinand Harter innerhalb acht Tagen hier sein wird.«
»Gut denn. Jetzt können Sie gehen. Bilden Sie sich aber nicht ein, daß Sie jetzt schon frei sind. Denn sollten Sie mit mir zu spaßen beliebt haben, so werden wir so frei sein, nach acht Tagen mit einander abzurechnen.«
»Nur um eins bitte ich: haben Euer Excellenz die Gnade, während dieser Zeit sich nicht in die Angelegenheiten zu mischen, sonst kann ich nicht ans Ziel gelangen.« – –
Es waren noch keine acht Tage vorüber, als Ferdinand Harter sich schon in Pest befand.
Die Empfangsstunde wurde noch für den Nachmittag desselben Tages festgesetzt und Ferdinand Harter erschien zur bestimmten Zeit, wenn auch nicht in seinem nationalen Galakleid ersten Ranges, immerhin aber im schwarzen Paradeanzug, bei der maßgebenden Persönlichkeit und zwar in Begleitung seines Sekretärs, der im Vorzimmer zurückblieb und sich dort mit seinen offiziellen Rangkollegen ganz gemütlich unterhielt.
Die Konferenz währte volle fünf Viertelstunden und man konnte von ihr im Vorzimmer nicht viel vernehmen; denn jede der innen befindlichen beiden Notabilitäten hatte die Gewohnheit, wenn sie zu sprechen anfing, sich nicht darum zu kümmern, ob der andere zuhöre oder gleichfalls spreche. Da ihrer zwei auf einmal sprachen, so ist eine derartige Unterhaltung durch die Thür nicht zu verstehen.
Als sich jedoch die Thür wieder öffnete, konnte man wenigstens erkennen, daß die maßgebende Persönlichkeit ihren Gast sehr gnädig hinaus geleitete, während dieser sichtlich echauffiert war.
»Auf Wiedersehen!« lautete das Abschiedswort an Ferdinand Harter, während an Andjaldy mit zutraulicher Herabgelassenheit die Worte gerichtet wurden: »Nun, jetzt können auch Sie nach Hause gehen.« Das hatte für Andjaldy etwas Verständliches.
»Was können nur die Alten drinnen so lange mit einander gesprochen haben?« flüsterte der maßgebende Sekretär seinem Kollegen zu.
»Das können wir nicht wissen!« lautete Andjaldy's weise Antwort.
Ob der maßgebende Sekretär je etwas davon erfahren hat, wollen wir nicht untersuchen; daß es aber für Andjaldy leicht war, alles zu erfahren, läßt uns die Geschichte von den doppelten Schlüsseln ahnen.
Ferdinand Harter war ein pünktlicher Mann; er gab sich Rechenschaft für jeden Tag. Stehenden Fußes schrieb er die bedeutenden Momente seines Lebens nieder und in seinem Tagebuche waren seine denkwürdigen Erlebnisse aufgezeichnet.
Andjaldy brauchte nur einen Abend abzupassen, an welchem sein Prinzipal von den geselligen Genüssen des Kasinos in Anspruch genommen war, um die Pforte seiner Geheimnisse zu öffnen und auf den letzten Tagebuchblättern war wie folgt zu lesen:
– Die Einsamkeit des Landlebens, weit entfernt meine Gedanken von ihr abzulenken, erfüllt meine Seele nur noch mehr mit der Erinnerung an sie. Ich kann keinen Strauch in meinem Garten, keine Blume in meinem Glashaus betrachten, ohne daß mir beifiele, dies war ihr Lieblingsstrauch oder ihre Lieblingsblume; an jener Stelle sah ich sie sitzen; hier hatte ich einen Streit mit ihr. Warum wußte ich damals noch nicht, daß ich sie so sehr liebe.
Wenn ich meine Gemächer der Reihe nach durchschreite, glaube ich immer, in einem derselben müsse ich sie finden; und wenn alles um mich her schweigt, frage ich mich staunend, wohin der Laut ihrer Stimme entschwunden sei? Und doch, wie habe ich einst selbst den Ton ihrer Stimme gehaßt! Ich verschloß sogar die Thüre, welche aus ihren Zimmern in die meinigen führte. Und jetzt, wo eine Entfernung von sechzig Meilen zwischen uns liegt, weile ich beständig bei ihr. Wenn ich nur die Hälfte dieser Entfernung hinwegwischen könnte! Wenn wir mindestens in derselben Stadt wohnten! Könnten wir einander nur sehen! – – –
Was ist mir heute widerfahren?
Ich erhielt von ihr einen Brief.
Auf dem Couverte erkannte ich ihre Züge. Einst flößte mir diese Handschrift solchen Widerwillen ein, daß ich, wenn sie mir während meiner Abwesenheit schrieb, den Brief oft Tage lang unerbrochen auf meinem Tische liegen ließ.
Jetzt zitterte ich wie ein verliebter Poet.
Es war ein eigentümlicher Brief. Malwine wendet sich mit einer Bitte an mich. Und um was bittet sie mich? Um etwas sehr Prosaisches. Und für wen? Für ihren Mann. Sie fordert mich auf, mich mit meinem großen Einfluß in Regierungskreisen dafür zu verwenden, daß jene Branche der Truppenalimentation in Ungarn, welche in Pest ihren Sitz hat, an Lemming vergeben werde. Ist es nicht närrisch, eine solche Bitte an mich zu richten? Kann ich ihr etwas anderes antworten, als: Madame! ich habe durchaus keinen Einfluß bei der jetzigen Regierung, ich bin eine in Ungnade gefallene Persönlichkeit. Denn was habe ich damit zu schaffen, wie das Militär verpflegt wird, und hauptsächlich, was liegt mir daran, ob Herr Lemming oder ein anderer das Kommisbrot backen läßt? Was habe ich mit der Regierung gemein, und was mit Herrn Lemming, Ihrem Gatten, oder mit der Gattin des Herrn Lemming, der von mir geschiedenen fremden Dame?
Das wäre die natürlichste Antwort auf Malwinens Brief.
Doch ich antwortete ihr nicht dies, sondern, daß ich mich der alten glücklichen Tage erinnerte und daß ich dieser goldenen Erinnerung wegen einen Schritt thun würde, zu dem alle Schätze der Welt mich nicht vermocht hätten: hingehen, um mich persönlich für Herrn Lemming zu verwenden. Denn im Hintergrunde liegt der Gedanke, sie werde dann von Wien nach Pest herabkommen, und die Entfernung zwischen uns nur halb so groß sein. Ist das nicht eine Fügung des Schicksals? ist es nicht die Vorsehung, die sie mir wieder näher bringt? –
Heute that ich, um was sie mich gebeten.
Ich that ihretwegen einen Schritt, der auf eine sehr abschüssige Bahn führt, auf der es einem leicht begegnen kann, wenn man ausgleitet, nicht früher aufzustehen, als bis man unten am Fuße des Abhangs angelangt ist. Ich fand einen Vorwand, die maßgebenden Kreise zu besuchen, ohne meinen Annäherungstrieb zu verraten. Das ungewöhnliche Anwachsen der Gewässer. Die Dringlichkeit rascher Hülfe.
Dann sprachen wir von anderen Dingen.
Als fiele es mir nur ganz zufällig ein, erwähnte ich die vielen Mißbräuche, die im Namen der Regierung geschehen, wofür sie freilich nichts könne. Besonders in der Militärverpflegungsbranche.
Liest man das Armeebudget, so sollte man glauben, unsere Soldaten schwämmen in Kaffee und Tokayer. – Jawohl schwimmen sie, das heißt die Armeelieferanten. Ich aber kenne einen rechtschaffenen Mann, der nicht so sei wie die übrigen; ich habe keinen Grund, für ihn eine besondere Vorliebe zu hegen und werde nie in ein freundschaftliches Verhältnis zu ihm treten; sei es doch derselbe Mann, der meine von mir geschiedene Gattin zur Frau genommen. Ich gehe daher diesem Menschen vor der Welt mit vollem Recht aus dem Wege; doch müsse ich anerkennen, daß er ein verläßlicher Mann sei, und wenn ich ihn der Pester Unternehmung empfehle, so geschehe dies nur im Interesse des Staates.
Diesmal aber nahmen sie mich bös beim Worte.
Wenn mir das Wohl des Staatssäckels so sehr am Herzen liege, entgegnete mir mein großer Herr, so möge ich doch selbst mit meinen Fähigkeiten dafür eintreten. Denn sobald vom Untersten bis zum Obersten jedermann reine Hände hätte, wäre es unmöglich, daß auch nur ein Schmuggler in der Reihe zurückbliebe; doch wenn nur einer unter den vielen Defraudant sei, so zwinge er die ganze Linie, ihm nachzufolgen. Proponiere ich Lemming, so sei dieser Vorschlag annehmbar; dann möge ich aber auch die Kontrolle über ihn übernehmen; ich möge das hohe Regierungsamt acceptieren, welchem dieser Verwaltungszweig unterstellt ist, und Rat werden. Ich wies dies Anerbieten mit aller Würde zurück. Eine solche Schwenkung erlaube mir meine Vergangenheit nicht. Ich weiß nicht, was in meinem Gesichte liegen muß, wodurch meine Gedanken sich verraten.
Durch meine Weigerung schien ich nur weiteres Zureden provozieren zu wollen. Las man vielleicht in meinem Auge, daß ich bei dem Gedanken bebe, durch eine einzige Wendung auf einen Punkt zu gelangen, wo ich mich tagtäglich beständig derjenigen gegenüber befinden muß, mit der zusammenzutreffen mein sehnlichster Wunsch ist? wo ich nicht nur in einer Stadt mit ihr wohnen könnte, sondern auch alle Fäden ihrer Interessen in meine Hand bekäme? und wo der Mann, den sie gewählt, mein handküssender Diener wäre, der Vollstrecker meiner Befehle, der mir alles zu verdanken hätte, den sein eigenes Interesse an mich kettete?
Dieser Gedanke betäubte mich. Ich weiß nicht, was ich weiter gesagt habe. Ich muß mich schlecht gewehrt haben, denn als ich wegging tönten mir die Worte nach: auf Wiedersehen! –
Das Tagebuch des großen Patrioten fuhr also fort:
– Wahrlich, jetzt ist alles aus. Mit unverhofften Wendungen kann man nicht rechnen.
Die vollendeten Thatsachen kehren sich einzeln gegen uns. Wenn das Vaterland nichts für sich thut, wie soll ich alles für das Vaterland thun?
Es ist aber dennoch etwas Großes um die allgemeine Achtung. Jetzt halten mich alle diese für ihren Führer. Was würden sie sagen, wenn ich mich von ihnen trennte? Würden sie mir folgen? Wie aber, wenn ich mich täuschte und sie mich allein ließen? Keine Vorwürfe fürchte ich mehr, als die Vilagoschis.
Dieser Mensch scheint dazu geboren zu sein, jede unangenehme Sache, die schon tief vergraben war, von neuem auszugraben und sie, hübsch glänzend poliert, der Welt vor die Augen zu stellen.
Als ich vor einundzwanzig Jahren Marie sitzen ließ, das arme einfältige Ding, das alles glaubte, was junge Leute den Mädchen zuflüstern, dachte ich, sie werde entweder vor Kummer sterben, oder die Verborgenheit aufsuchen, und ich würde sie nie mehr zu Gesichte bekommen, niemand würde mehr von ihr sprechen. Da erbarmte sich ihrer dieser Mensch und nahm das von mir verlassene Mädchen zum Weibe. Und von da ab mußte mir bei jedem Schritt Marie begegnen, als eine in allgemeiner Achtung stehende Frau, die mich nicht einmal eines Blickes würdigte, und von da ab wußte jedermann, wie sehr sie ihren Mann achte und mich verachte; und vergebens kämpfte ich gegen dieses Wissen an.
Auch an dem Unglück mit meiner zweiten Gattin glaube ich, trägt er die Schuld.
Malwine erfuhr mein Vorleben und das kühlte sie gegen mich ab. Vilagoschi dagegen war der Mann, von dem man ihr erzählte, wie jedermann ihn achte, seine Frau aber am meisten.
Als ich den Antrag stellte, der Beamtenkörper des Komitats sollte abdanken, hätte ich es so gerne gesehen, wenn dieser Mensch auf seinem Posten verblieben und mir nicht gefolgt wäre.
Hätte ich ihn wenigstens nur für einen Tag vor seinem Weibe erniedrigen können! Hätte sie nur den Unterschied zu sehen vermögen zwischen mir und ihm! Ich im Nimbus der Popularität, er dagegen im abgetragenen Gewande der Geringschätzung, das zerlumpt und schmutzig ist, das aber doch der Frierende anzieht, weil es warm hält.
Und nun soll ich das »warme« Gewand ausziehen und den Nimbus jenem andern überlassen?
Wenn dieser eine Mensch nicht auf der Welt wäre, vielleicht würde ich leichter zu einem Entschlusse kommen. Aus diesem Lande wird ohnehin nichts mehr. Ich kann es doch meiner Vergangenheit wegen nicht thun! Ich sehe ein, daß es Sünde wäre, eine solche Thatkraft, wie sie mir im Busen schlummert, zu begraben; aber ich sehe, daß es meine Pflicht ist, tot zu bleiben. Ich wäre auch völlig tot, wenn dies Weib mich nicht daran erinnerte, daß ich noch träume. Beständig träume ich von ihr. Und jetzt wäre die Gelegenheit da, den Traum zu erfassen, und ihm zu sagen: auch wachend halte ich dich in meiner Hand. Hirnlose Phantasie! Sie war mein. Ich stieß sie von mir; ich wollte sie nicht. Und jetzt werde ich sie mir aus dem Kopfe schlagen, wie die glänzenden Trugbilder von Rang und Ehren.
Harter wird die Rolle des verwittweten Bären fortsetzen. Winter und üble Laune hat er genug dazu.«
*
Das war das letzte Tagebuchblatt.
Andjaldy sah, daß die eine Dosis Gift noch nicht bis aufs Herzblut gewirkt hatte. Wiederholen wir also das Gift in stärkerer Dosis!
Einige Tage darauf erhielt Harter aus Pest einen Brief in den bekannten Schriftzügen.
Malwine sagte ihm ihren Dank für seine freundliche Vermittelung. Dieselbe habe auch schon einigen Erfolg gehabt. Sie wünsche für seine Freundlichkeit sich einst dankbar erweisen zu können.
Zugleich sendet sie ein paar Photographien von sich; nur deshalb, weil diese besser seien, als jene, welche die Photographen daheim auf dem Lande mit ihren primitiven Apparaten zu Wege gebracht. Ist auch jedes andere Verhältnis abgebrochen, so kann ja deshalb die alte gute Freundschaft zwischen den von einander Getrennten fortbestehen.
O, das waren freilich andere Photographien als die, welche die Provinzial-Chemiker mit Hülfe der Sonne aufs Papier gebrannt!
Auf dem einen Blatte war Malwine als Amazone aufgenommen, zu Pferde sitzend, im lang herabhängenden Reitkleide, das die Schönheit ihres Wuchses hervortreten ließ; auf dem andern sah sie im häuslichem Negligé, in einem weißen gesticktem anschließenden Kleide, mit aufgelösten Locken, im Armstuhl, mit der Hand in dem photographischem Album blätternd; der kleine Fuß mit dem winzigen Pantoffel ruhte auf einem Sammetschemel und der verräterische Saum des Kleides ließ die zierlichen Knöchel sehen.
Auf dem geöffneten Blatt des Photographiealbums bemerkte man ein Portrait in verschwindender unkenntlicher Kleinheit.
Ferdinand Harter suchte seine stark vergrößernde Lupe hervor, mit welcher er auf der Landkarte die Namen der kleinen Ortschaften aufzusuchen pflegte; er sah hindurch, um zu entdecken wer wohl jenes Porträt wäre, auf welches das andere Porträt seine Augen richtete.
Und wirklich redete er sich ein, daß, wenn auch das Bild nicht deutlich zu erkennen war, dennoch die Knöpfe des Dolmanys und der Schnitt der Mente völlig jenen glichen, in denen er sich einst hatte photographieren lassen. In diesen phantasiereichen Untersuchungen störte ihn die Dazwischenkunft seines Sekretärs. Herr Andjaldy suchte diesmal seinen Chef in einer sehr prosaischen Angelegenheit auf.
»Da liegen ein paar Briefe umher, deren Schreiber auf ablaufende Wechsel aufmerksam machen, welche sie zu prolongieren nicht mehr geneigt sind, da sie Aussicht haben, bei einem anderen Geschäfte ihr Kapital mit größerem Gewinnst umzusetzen.«
»So, so? jetzt bin ich schon nicht mehr gut genug? so lange aber die Macht in meinen Händen lag, kamen sie selbst, mir die Prolongation aufzudrängen, auch wenn ich sie nicht verlangt hatte. Vielleicht kommen sie noch einmal, sie mir anzubieten.«
Andjaldy zuckte mit den Achseln. »Es sind hier auch noch eine Menge anderer Briefe.« Ins Ausland geflüchtete ungarische Emigranten von 1849, sowie Leitartikelschreiber auswärtiger Blätter drängen um die ausgebliebene Unterstützung, deren Hülfsquellen bei Harter schon längst versiegten.
»Sonderbar, wird das nie ein Ende nehmen?«
»O ja! es kostet Ihnen ja nur ein Wort, und all das hätte gleich ein Ende.«
Er brauchte nur ein Wort an seiner Titulatur zu ändern und niemals liefen wieder solche Briefe ein.
»Aber es ist noch ein Stoß Rechnungen zurück.«
»Was für Rechnungen?«
»Sie werden sich ja erinnern. Schon ein sehr altes Geschlecht von Rechnungen.«
»In der That, das sind noch Andenken von der geschiedenen gnädigen Frau; ehrliche Seiden- und Putzwarenhändler haben die Mühe nicht gescheut, diese Dinge aufzubewahren und sie nach langer Zeit wieder hervorzusuchen und zu präsentieren dem – geschiedenen Gatten.«
Irgend ein Mensch von gewöhnlichem Schlage hätte bei solchen Erinnerungen seinen Lippen wenigsten ein gelindes »Verwünscht« entschlüpfen lassen und alle Blitzsteine und Donnerwetter um Rat gefragt, ob sie nicht in derlei Gläubiger hineinfahren könnten, die einem Menschen das Konto seiner Gattin auf den Hals bringen, nachdem des Menschen Gattin bereits die Gattin eines andern Menschen ist, aber statt dessen frug Ferdinand Harter bloß: »Ist die Summe groß?«
»Freilich sie steigt auf ein paar tausend Gulden.«
»Ist Geld in unserer Kasse?«
»In der muß immer Geld sein. Ob aber auch dafür, weiß ich nicht.«
»Es muß dafür welches da sein. Lösen Sie alle Rechnungen ein, welche aus der Zeit datieren, als Malwine noch meine Frau war.«
Das ist gewiß sehr schön.
Nur müßten die Geschäftsleute große Tröpfe sein, sollten sie aus Versehen noch einige posthume Kontis gerichtlich legitimieren lassen, da von diesem Herrn Geld so leicht zu bekommen ist, dagegen von Herrn Lemming so schwer.
Ferdinand Harter gab aus seiner Tischlade eine Anzahl Staatspapiere heraus, mit denen sich die Dinge in Ordnung bringen ließen, und schloß an ihrer Statt die beiden Porträts sorgfältig ein.
*
Drei Tage darauf brachte das Amtsblatt die Ernennung Ferdinand Harters zum k. k. Rat.
Laien schlugen die Hände über den Kopf zusammen; in dem bekannten Klub aber fing man an Zwei gegen Eins zu setzen, so bald man auf Ferdinand Harter gegen seinen Tigerrivalen wettete.
*