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»Du – lebst?« Mit diesen Worten prallte Feri Belteky vor der Geistererscheinung zurück.
»Es scheint, ich lebe. Wenigstens auf dem Dampfer ließ man mich den Fahrpreis für eine Person bezahlen und so bin ich wohl kein unsichtbarer Geist.«
»Mir schrieb ein Yankee, Du seiest gestorben.«
»Er schrieb die Wahrheit. Ich war durch und durch geschossen. Vorne war die Kugel hineingegangen und im Rücken wieder heraus. Ich war so gut wie tot, wie irgendwer in einem ähnlichen Falle. Dem persönlichen guten Willen des Generals verdanke ich es allein, daß man mich nicht begraben. Wie ich wieder ins Leben kam, haben mir die Aerzte erklärt, und wärest Du selber Arzt, so erzählte ich Dir das, damit Du es in einem unserer medizinischen Wochenblätter veröffentlichen könntest, denn es ist ein interessanter Fall. Die Kugel lief zwischen dem Rippenfell und den Rippen in mir umher, rund herum, und verletzte keine edleren Teile, nur das bäuerliche Fell und die bürgerlichen Knochen nahm sie mit. Da Du jedoch kein Doctor medicinae, sondern Doctor juris bist, so sprechen wir von etwas anderem. Hast Du mein Testament übergeben?«
O, Belteky war sicherlich nicht dazu Doctor juris utriusque, um nicht zu wissen, was die zweite Wahrheit sei.
Er antwortete mit lächelnder Überlegenheit: »Ich schenkte der aus so weiter Ferne kommenden Nachricht keinen Glauben; ich war überzeugt, Dich wiederzusehen, und darum habe ich die Testamentsübergabe verzögert.«
»Nun, das hast Du sehr gescheit gemacht. Alle Achtung vor Deiner Umsicht. Ich befände mich jetzt in einer höchst lächerlichen Lage. Geht mein Prozeß seinen stillen Gang?«
»Du bekamst in ihm einige günstige Urteile und jetzt ist er in der Appellation beim obersten Gerichtshof. Du kannst überzeugt sein, daß ich ihm gewissenhaft nachging. Die Staatspapiere Deiner Mutter sind unter richterlichem Verschluß und auf die abgelaufenen Coupons kreditiert Dir nunmehr bereits jedermann.«
»Danke, ich nehme den Kredit nicht in Anspruch, im Gegenteil, ich werde Dich ersuchen, all' die Leute zusammenzutrommeln, denen ich noch hier und da schuldig bin; ich will sie ausbezahlen. In Zukunft leben wir nicht von Schulden.«
»Ah! Du kamst mit Geld zurück?«
»Der freie Staat pflegt diejenigen, welche in seinem Dienste kampfunfähig geworden, zu belohnen. Mir gab man eine Abfindungssumme. Und dann werd' ich hier ohnehin nach irgend einer Arbeit mich umsehen.«
Feri Belteky schüttelte gewaltig den Kopf.
»Du hast Dich anscheinend sehr verändert.«
»Das kommt daher, daß ich mager geworden bin und mir der Bart wuchs.« Belteky hatte es nicht so gemeint. »Bei unserer nächsten Zusammenkunft rechne auch die Prozeßkosten zusammen, damit ich sie mit Dank begleichen kann. Und jetzt bitte ich Dich nur um das Eine, erzähle niemand die Geschichte meines angeblichen Todes auf dem Schlachtfelde. Ich will sie einfach ableugnen, um nicht jedermann auseinandersetzen zu müssen, wie es war und wie es nicht war. Und jetzt goodbye! Deine Zeit ist kostbar und meine auch.«
Er drückte ihm die Hand und ging. Daß Feri Belteky, als sein Freund sich entfernt hatte, sich die pfirsichblütenfarbigen Handschuhe voll Ingrimm von den Händen riß und sie in eine Ecke des Spindes warf, daß er seinen Bedienten fortjagte, ihm statt eines Fiakers einen Dienstmann zu holen, und daß er den Abschiedsbrief an Frau Vilagoschi schrieb, das alles wird nach dem Vorausgegangenen jedermann höchst natürlich finden. Denn welcher gescheite Mensch wird ein Fräulein zur Frau nehmen, das einen irrsinnigen Vater und einen taubstummen Bruder, aber keinerlei Vermögen auf Erden hat, da soeben ein gewisser jemand zurückkehrte, der diesem Mädchen sein ganzes Vermögen hatte hinterlassen wollen! Das wäre ein schlechter Kauf.
Der von den Toten Auferstandene aber ging von seinem Freunde zu einem anderen, weiblichen Freunde, dem er den zweiten Besuch schuldig war. Diesmal stürzte er nicht direkt zu den Lemmings hinauf, sondern ließ beim Portier seine Visitenkarte zurück und kam erst nachmittags wieder. Malwine konnte sich auf das Wiedersehen vorbereiten, nicht so, wie damals, da er aus dem Meeresgrunde emporgetaucht war. Die gefühlvolle Umarmungsscene blieb denn auch diesmal fort. Elemer war nicht mehr das Schoßsöhnchen. Er war eine schöne, stattliche Mannsgestalt geworden, mit gerader Haltung und ruhigen Bewegungen. Sein Gesicht hatte sich in die Länge gedehnt, es war von einem dichten dunklen Bart umrahmt und sein Teint von der Sonne gebräunt; was ihn aber noch mehr verändert hatte, war der kalte, gedankenreiche Ernst, der so lebhaft abstach von der trägen Blasiertheit seiner Jünglingsjahre. Als Malwine ihn erblickte, fühlte sie, daß diese Gestalt Eindruck auf sie machte. Mit dem hier mußte man anders sprechen, als mit dem jungen Manne vor mehreren Jahren. Den konnte man nicht mehr einladen, sich neben sie zu setzen, sondern mußte ihm einen Sitz vis-à-vis antragen.
»Sie haben mich nun schon das zweite Mal durch die Nachricht Ihres Todes entsetzt!« sagte sie im Tone sanften Vorwurfs. »Sprechen Sie, ziemt sich das?« – »Das war ein blindes Gerücht.« – »Sie wurden aber schwer verwundet?« – »Es lohnt sich nicht, davon zu sprechen. Es war bloß eine Streifkugel.« – »Das ist aber doch nicht schön von Ihnen, daß Sie sich an Orte begeben, wo man Kugeln ausgesetzt ist; wie, wenn man Sie zum Krüppel zerschossen hätte, wenn Sie nur mit einem Beine zurückgekehrt wären?« – »Dann hätte ich auf einem Beine tanzen müssen, wie der Spanier Donato. Der ist ja, wie ich höre, jetzt sehr in Mode in Europa.« – »Aber so auf und davon zu gehen ohne Abschied! Wissen Sie, daß ich in Verzweiflung darüber war, nicht zu wissen, wo Sie hingeraten?« – »Ich war ja nicht weit weg.« – »Nun freilich nicht! wir waren bloß Gegenfüßler.« – »Das mag allerdings eine gênante Positur sein.« – »Eh! gehen Sie, Sie ziehen alles ins Lächerliche. Was brauchten Sie Ihre Nase in die Geschütze der amerikanischen Monitors zu stecken? Hatten Sie Lust, sich zu raufen, gab es denn nicht genug Gelegenheit bei uns zu Hause?« – »Hier zu Hause?« – »Nun ja, hier zu Hause, in Schleswig-Holstein. Dort wachsen für solche Helden die rechten Lorbeeren.« – »Schönen Dank dafür, gnädige Frau. Da weiß ich etwas Besseres.« – »Aber warum duzen Sie mich nicht? wozu das ›gnädige Frau‹?« – »Ich habe mir das Duzen abgewöhnt. In dem Weltteil, auf dem ich mich herumtrieb, duzt sich niemand; die Anrede an das Staatsoberhaupt und an die Holzhauer ist ein und dieselbe. Nur zu Gott sagt man Du.«
Malwine dachte bei sich: »Der affektiert jetzt Yankeemanieren; ist das seine schwache Seite, so stimmen wir unsere Rede auf die amerikanische Tonart.«
»Seien wir also hinfort ›Master‹ und ›Missis‹. Wissen Sie also, mein lieber Herr, daß Sie, als Sie ›durchbrannten‹ – ich weiß nicht, ob man dies auch in Amerika so nennt – ein unbeglichenes Guthaben bei mir zurückließen? Sie hatten 1000 Gulden bei mir, davon haben Sie nur 500 genommen, 500 aber ließen Sie mir auf dem Halse. Dafür werde ich Ihnen den Prozeß machen.«
»Das wird nicht nötig sein, gnädige Frau; denn ich werde auch die erhobenen 500 Gulden zurückgeben und Sie ersuchen, sie Herrn Ferdinand Harter einzuhändigen. Er wird diese Summe brauchen, wenn wir einmal mit einander abrechnen.«
Malwine riß ihre Augen weit auf. »Wenn Sie mit einander abrechnen?«
»Sie wissen ja, gnädige Frau, daß die Firma » Harter and Son« sich aufgelöst hat, und daß wir jeder apart ein Geschäft zu errichten im Begriffe sind: Der Eine mit Bändern, der andere mit etwas Anderem.« – »Sie eröffnen eine Bandkrämerei?« – »Nicht ich. Damit wird Ferdinand Harter handeln: mit Ordensbändern. Ich beabsichtige in einem ernsten Artikel zu arbeiten; wahrscheinlich werde ich Maschinen importieren.« – »Ah, ich verstehe,« flüsterte Malwine. »Jetzt verstehe ich alles!« Damit neigte sie sich hinüber zu dem ihr vis-à-vis sitzenden jungen Mann und legte ihre Hand auf die seine. »Sie sind Emissär des Komitees, welches Kanonen einschmuggeln soll.«
Es war Malwine ganz gleich, ob Elemer unter dem Banner des Doppeladlers das Dannewirk erstürmte oder mit Emissären verbotene Wege wandelte. Ihretwegen mochte er eben so gut schwarzgelb oder roter Republikaner sein, wenn sie nur hinter sein Geheimnis kommen konnte. »Nicht doch, meine Gnädige, ich spreche von Dresch- und Mähmaschinen.« Malwine nickte schlau mit ihrem schönen Kopf, wie einer, der mehr weiß, als man ihm sagt, der aber in den Betreffenden nicht weiter dringen will.
»Dann würden Sie demnach so etwas wie Spediteur sein? Erhielten Sie denn von den Vereinigten Staaten keine Belohnung dafür, daß Sie für sie kämpften?« – »Jawohl, eine Versorgung auf Lebenszeit.« – »Das ist schön! mit wieviel Jahresgehalt?« – »Mit soviel, als ich mir mit meinen zwei Händen und meinem Verstande zu verdienen vermag. Das Geschenk, das mir Amerika gemacht hat, besteht darin, daß, wer arbeiten will, nicht verhungert.« – »Und trotzdem lieben und schätzen Sie jene Amerikaner so hoch?« – »Ich liebe sie. Denn bei ihnen habe ich die Menschen lieben gelernt, auch die Männer. Ich schätze sie, denn bei ihnen ist jedermann ein freier Mensch, sogar die Frauen.« – »Ah! das ist eine Freiheit, die mir gefällt,« lachte Malwine. »Nehmen Sie das nicht in dem Sinne, meine Gnädige, in dem man bei uns von emanzipierten Frauen spricht. In Amerika sind die Frauen frei, weil niemand sich die Freiheit nehmen darf, sie auch nur mit einem Blick zu kränken. Dort geht das sechszehnjährige Mädchen allein, ohne Begleitung, seiner Arbeit, seinen Geschäften oder Zerstreuungen nach; es reist allein zu Lande und zu Wasser; aber wehe dem Manne, der wagen würde, es zu beleidigen, wäre es auch nur mit einem unverschämten Blick, oder einem zweideutigen Wort; der nächstbeste Mann in seiner Umgebung würde ihn zu Boden schlagen wie einen Hund. In der neuen Welt stehen die Frauen unter dem Schutz des Publikums; und wer eine Frau beleidigt, der beleidigt die Gesellschaft und wird über Bord geworfen.«
Elemers schönes, sonnengebräuntes Gesicht erschien durchwärmt bei diesen Worten; seine Augen leuchteten, wie wenn man in einem dunkeln Hause plötzlich ein Licht anzündet. Malwine sah einen Augenblick durch diese beleuchteten Fenster hinein, bevor die darin Wohnenden die Vorhänge herablassen konnten.
»Ich habe in Wien mehrere amerikanische Frauen gesehen, die alle sehr häßlich waren; denen würde es auch in Europa leicht fallen, ihre Tugend zu schützen.« – »Die ich gesehen habe, waren alle sehr schön.« – »Vielleicht schöner sogar als die hiesigen?« – »Die Schönheit duldet keinen Vergleich.« – »Ich wundere mich, daß Sie keine von ihnen geheiratet haben.« – »Dazu gehört zuerst, daß jemand eine Frau zu erhalten imstande sei; die amerikanische Frau bringt, so lange ihre Eltern leben, ihrem Manne außer ihrem Herzen und den Kleidern, welche sie an hat, nichts mit.« – »Also ein armer Mensch darf dort nicht lieben?« – »Der arme Mensch muß dort arbeiten, um lieben zu können.«
Malwine brach zuletzt in lautes Gelächter aus. »Wissen Sie, worüber ich lache?« – »Ich argwöhne es.« – »Ich lache darüber, daß Sie von Amerika heimkehren wie ein gefährlicher Dieb, der ins Arbeitshaus gesteckt, und weil er sich gut aufgeführt hat, entlassen wurde. Nun weiß er nicht genug davon zu erzählen, was für ein herrliches Ding es um die Arbeit sei, wie sehr sie den Menschen veredle, und daß er hinfort nie wieder stehlen werde. Er hält auch Wort, so lange nämlich, bis er in das erste unbewachte Zimmer gerät und die erste goldene Uhr ihm entgegenlächelt. Auch Sie sind aus dem großen Arbeitshause Amerika so herausgekommen. – Sie sind doch nicht böse, daß ich lache?« – »Haben Sie ja auch gelacht, als wir schieden.« – »Und ich wollte, Sie lachten gleichfalls. Mir gefällt Ihre ernste Physiognomie nicht. Der Richter, wenn er ein Geständnis abnimmt, der geistliche Herr, wenn er predigt, sie alle mögen eine strenge Miene annehmen; wenn sie aber unter vier Augen mit mir sind, so sollten sie, ob Richter, ob Geistlicher, es bleiben lassen, denn ich glaube ihnen nicht. – Ihnen aber steht es geradezu schlecht.« – »Ich weiß das, und werde nicht länger lästig fallen.« – »Da hat man's! Zuerst waren Sie nur sauer, jetzt sind Sie sogar bitter.« – »Oder vielmehr schlechter als beides: Ungenießbar. Verzeihung dafür, gnädige Frau. Ich selbst bin mir meiner Unausstehlichkeit so bewußt, daß ich am liebsten mein eignes Ich, während es schläft, irgendwo zurücklassen und ihm durchgehen möchte, so daß es mich nicht mehr findet.« – »Mir scheint, das ist bereits geschehen. Ich bin sehr geneigt zu glauben, daß man Sie wirklich totgeschossen hat; irgend eine Yankeeseele fand dann Ihren Leib und zog ihn an, und wandelt jetzt mit ihrem Gesicht umher, während Sie selbst in der Gestalt eines Schmetterlings in den Savannen von Blume zu Blume flattern und ihnen der Reihe nach schön thun, wie Sie es einst daheim zu thun gewohnt waren.« – »Das kann sein!« sagte Elemer lächelnd. Auch er hatte ja einmal Ähnliches gedacht. – »Nur Eins vergessen Sie nicht, Master, wenn Sie auch hundertmal aus der jenseitigen Welt zurückgekehrt sind; das Eine nämlich, daß es in der alten Welt noch jemand gab, der viel an Sie gedacht hat.«
Elemer verneigte sich stumm und schickte sich zum Gehen an. »Werden Sie nicht hinüber zu Lemming gehen?« frug Malwine. – »Die Geschäfte, die wir mit einander hatten, wird mein Advokat ins Reine bringen.« – »So, also Geschäfte hatten Sie mit einander? Nun, ich werde Sie darüber nicht ausfragen. Hoffentlich bekommt man Sie wieder zu sehen?« – »Sobald ich einmal von Wien zurückkehre, wohin ich heute Abend abreise.« – »Und was suchen Sie in Wien?« – »Menschen, die mich nicht kennen.« – »Sie vermeiden Ihre Bekannten?« – »Wie jeder Dieb, der soeben aus dem Arbeitshause entlassen.« – »Sie fürchten also selbst, daß wenn Sie die Nummer eines gewissen Hauses erführen, dies Haus vor einem Einbruch nicht sicher wäre? Wollen Sie nicht die Adresse haben?« – »Nein, das will ich nicht.«
Damit verbeugte sich Elemer und nahm Abschied. Als er Malwine verlassen hatte, ging die Dame lange Zeit in großer Aufregung im Zimmer auf und ab; dann gab sie dem Reitknecht Befehl, ihr ein Pferd zu satteln und ritt aus.
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