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20. Auf einen Hauch des Herrn.

Ferdinand Harter sah sich endlich seinem Ziele näher.

Der reichen Segen versprechende Frühling war da, der alle Felder mit üppigen Saaten bedeckte; und es fand sich ein Handelshaus in Wien, das ihm einen großartigen Vorschuß auf die Jahreserträgnisse seiner Güter bot. Er brauchte bloß hinaufzureisen, um das Geld zu erheben. Er nahm auch Andjaldy mit sich; das war seines Sekretärs letzter Dienst bei ihm, denn von da ab war dieser bei der k. ungarischen Hofkanzlei placiert, wo seinen schönen Fähigkeiten sich gewiß eine große Zukunft öffnet.

Das Bankierhaus, von dem er den Vorschuß erhalten sollte, zog die Sache von einem Tag zum andern hinaus, indem noch nicht alle Formalitäten erfüllt seien. Harter konnte nicht begreifen, was für Skrupel man noch haben könne, nachdem die Felder schon alle abgeschätzt waren. Er mußte deshalb mehrere Tage in Wien warten. Übrigens belohnte sich dies Warten auf andere Weise. An einem der Abende gab man zu irgend einem wohlthätigen Zweck einen Ball, und Ferdinand Harter war einer richtigen Ahnung gefolgt, als er hinging mit dem Gedanken, dort Malwine zu finden.

Wie hätte die schöne Frau dort fehlen sollen?

An solch einem Ballorte konnte Herr Lemming es in keiner Weise verhindern, daß sich Ferdinand Harter in eine Konversation mit Malwine einließ; höchstens konnte er darüber wachen, daß sich das Gespräch nicht auf verbotenes Terrain verirre. Das war übrigens auch gar nicht Harters Absicht; die geheimen Abmachungen mit Malwine konnte er brieflich treffen; wonach ihn jetzt verlangte, war, sie sprechen zu hören. Es liegt in dem Wohllaut einer weiblichen Stimme etwas Berauschendes, wenn auch das Gespräch sich nur über alltägliche Dinge bewegt, und Malwine besaß in hohem Grade diesen Zauber. Sie war zum Entzücken, auch wenn sie nur davon sprach, wie kalt es sei. Und in der That war es kalt. Es ging schon dem Ende Mai zu, und wie sollte da jemand beifallen, den Saal heizen zu lassen! Malwine aber schauerte zusammen, so oft sie vom Tanz auf ihren Sitz zurückkehrte. Auch dieser nervöse Schauer stand ihr gut; sie schüttelte so kokett die Schultern, daß dem, der ihr die Spitzenmantille umwarf, wohl die Sinne berückt werden konnten.

»Es ist wirklich kalt hier im Saale!«

»Ich empfinde nur die Wärme Ihrer Nähe,« war das Kompliment, mit dem Harter darauf antwortete.

»Nein wahrhaftig, sehen Sie bloß, auf den Fensterscheiben bilden sich Eisblumen. Das ist eine ungewöhnliche Erscheinung im Mai.«

»Sie zeichnen sich von den Blicken eiskalter Frauen ab,« scherzte Harter. Herr Lemming seinerseits fing an, den Eisblumen auf den Fenstern eine viel größere Aufmerksamkeit zu widmen, während Harter über sie nur scherzte.

Und doch, hohe und hochgeborene Tänzer und Tänzerinnen, thäten sie gut daran, die Musik einen Augenblick schweigen zu lassen, und in die Knie sinkend, mit bebenden Lippen ein » De profundis ad te clamavi Domine!« anzustimmen ... Der tötende Hauch des Herrn fährt da draußen durch die Nacht, und während innen die Tanzmusik aufspielt, werden Länder zu Asche! ... Das melden die Eisblumen am Fenster.

*

Am andern Tage erwachte Herr Harter in später Vormittagsstunde; er war bei hellem Morgen vom Balle nach Hause gekommen. Andjaldy wartete schon lange auf ihn. Als man Harter das Frühstück hineintrug, ging auch Andjaldy zu ihm hinein.

»Nun, was giebt's neues, lieber Emil?« fragte ihn dieser in heiterer Laune. Die verflossene Nacht nämlich hatte den gnädigen Herrn in eine überaus rosige Stimmung versetzt. Als er von Malwine Abschied nahm, drückte sie ihm die Hand. Als Harter Lemming einen guten Morgen wünschte, machte er ihm zugleich die Mitteilung, daß er dieser Tage zu ihm kommen werde, um »ihre Angelegenheit« definitiv in Ordnung zu bringen. Lemming sagte, sein Besuch werde ihn sehr erfreuen.

Herr Harter fragte also Andjaldy in sehr heiterer Laune, was es neues gebe. »Die einzige Neuigkeit ist, daß wir diese Nacht vier Grad unter Null hatten.«

»Meiner Treu, das empfanden auch wir auf dem Balle. Ich fürchte sehr, die vielen leicht gekleideten Damen werden sich dort Husten, Schnupfen und Rheuma geholt haben.«

»Sie befürchten Das bloß, gnädiger Herr? Ich aber fürchte, daß heuer halb Ungarn wieder ohne Brot sein wird.«

»Wie kommen Sie auf diesen Gedanken?«

»Weil diese Nacht die Fröste alles verbrannt haben. Der Raps ist erfroren, der Roggen stand in der Blüte und ist zu Grunde gegangen, der Weizen milchte eben und erblindete, Heuer wird weder eine Rapshülse ein Senfkorn, noch eine Ähre ein Brotkorn, noch eine Traubenbeere einen Tropfen Most geben. Wir haben ein Mißjahr vor uns.«

»Ah, das bilden Sie sich nur ein!« rief Harter, dem ohnehin schon der heiße Thee den Schlund verbrannt hatte.

»Daß ich nicht der einzige bin, der sich dies einbildet, sondern daß es Leute giebt, welche sichere Kunde davon haben, das werden Gnaden aus den Mitteilungen Ihres Bankiers erfahren, der mich bereits mündlich davon verständigte.«

Damit überreichte er Harter einen Brief des Bankhauses.

Herr Harter las in dem Briefe, daß es den betreffenden Kaufleuten unendlich leid thue, allein, nachdem dasjenige, wovor sie seit Tagen zitterten und worauf jeder Geschäftsmann mit dem Thermometer in der Hand ängstlich beobachtend lauschte, wirklich eingetreten sei, nämlich daß in dieser Nacht das Quecksilber vier Grad unter Null fiel, so könne man volle Gewißheit haben, es müsse diese Nacht alles, aber auch alles, was grün war, erfroren sein; es könnten daher ungarischen Grundbesitzern schlechterdings keine Vorschüsse auf die diesjährige Fechsung gegeben werden.

»Nein, es kann nicht sein,« schrie Harter und lief ans Fenster. Vor dem Hotel war eine Allee schattiger Akazienbäume. Die Blätter derselben zeigten sich alle schwarz und hingen schlaff herab.

»Mein Gott, das ist ja eine verwüstete Welt!«

Nicht wegen der verwüsteten Welt raste er, sondern wegen des verbrannten Hoffnungsgrün seiner Leidenschaft, das, als es schon am üppigsten stand, von dem Frost jener Schreckensnacht vernichtet worden war.

»O, wie grausam ist das Schicksal, wie furchtbar das Verhängnis!«

Ferdinand Harter ballte seine Fäuste und blickte zähneknirschend gen Himmel, als suchte er einen Gegenstand, der sich zum Kampf herausfordern ließ. Auch der fand sich. Der Diener trat mit einer Visitenkarte herein. Ferdinand Harter las auf derselben den Namen seines Sohnes. Der kommt wie gerufen.

»Der Junker Elemer,« rief er wütend, die Visitenkarte vor Andjaldy auf den Tisch werfend. »Er wagt es noch, mir unter die Augen zu treten! Nach solch einem Schimpf! Er möge nur kommen!«

Andjaldy wollte sich vor diesem Auftritte entfernen. Er dachte christlich genug, um dieser freundschaftlichen Begegnung nicht im Wege stehen zu wollen. Harter hielt ihn zurück.

»Bleiben Sie nur hier, Sie sind mir nötig. Ich werde mit diesem Jungen nie mehr anders, als in Gegenwart von Zeugen sprechen. Setzen Sie sich an diesen Tisch und stehen Sie nicht auf, wenn er hereinkommt. Er trifft mich heute gerade in guter Laune.«

Durch die geöffnete Thür trat Elemer. Er machte einige Schritte auf seinen Vater zu, worauf Harter, mit einer abwehrenden Bewegung die Hand vorstreckend, ihm leidenschaftlich zurief: »Zurück, ein Meer liegt zwischen uns.«

»Ich weiß es, mein Herr!« erwiderte Elemer ruhig; »ich werde nicht auf das andere Ufer hinübersegeln. Wenn's beliebt, rücken wir den Tisch zwischen uns. Gestern erhielt ich Ihre Antwort auf meinen Brief, in dem ich Ihnen meinen Entschluß angezeigt hatte, Ilonka Vilagoschi zur Frau zu nehmen.«

»Eine englische Kunstreiterin!«

»Wenn sie es auch wäre! Sie gaben nicht Ihre Zustimmung zu diesem meinen Entschluß. Ich hielt dennoch um die Hand dieser Dame bei ihrer Mutter an.«

»Und was für eine Person ist diese Mutter?«

Elemer sah seinem Vater mit einem Blick tiefer Verachtung ins Auge und sagte leise: »Darauf mögen Sie die Antwort sich selbst geben ...«

Harter verbiß einen Augenblick seinen Zorn; diese Erinnerung kühlte ihn ab. Elemer behielt Zeit, fortzufahren: »Diese Frau hat mich abgewiesen und mir die Hand ihrer Tochter verweigert. Als Grund dafür sagte sie mir ins Gesicht, der Name Harter sei ein so schimpflicher, daß selbst die Tochter eines Bettlers, eine Seiltänzerin sich schämen müßte, ihn zu führen.«

»Schweig, Wahnwitziger.«

»Mein Herr, schreien Sie nicht so. Sprechen wir leise, damit man uns draußen auf dem Flur nicht vernimmt. Was diese Frau mir gesagt, müssen Sie von mir hören; schreien Sie dazwischen, so nötigen Sie mich, gleichfalls lauter zu schreien. Hören Sie mich still an, so werde ich flüsternd sprechen.«

Ferdinand Harter wollte ersticken vor namenloser Wut, Scham und Aufregung. Er setzte sich an den Tisch.

»Jene Frau sagte mir: Man zeigt mit dem Finger auf Deinen Vater, als auf einen, der den Staatsschatz bestohlen hat.«

»Junge!« brüllte Harter aufspringend und mit der Faust auf den Tisch schlagend. »Bist Du hierher gekommen, um Deinen Vater zu schmähen?«

»Ruhig, mein Herr. Es ist schon heraus. Es ist gesagt. Doch nicht, um Ihnen dies zu sagen, bin ich hierher gekommen, vielmehr damit kein anderer es Ihnen sagen soll. Ich weiß nicht, ob es wahr ist oder nicht, wessen man Sie bei der Verwaltung öffentlicher Kassen beschuldigt. Sie werden das schon selber ordnen.«

»Und Dich geht es nichts an.«

»Doch, mein Herr. Dieser Name steht auf dem Grabstein meiner Mutter, und es genügt nicht, daß dieser Name mit goldenen Buchstaben dort eingegraben ist. Dieser Name muß rein bleiben. Hier, ich übergebe Ihnen eine Schrift, in welcher ich anerkenne, daß ich mein ganzes mütterliches Erbteil aus Ihren Händen erhalten habe; Herr Andjaldy wird so gütig sein, diese Schrift als Zeuge zu unterzeichnen, erheben Sie mein ganzes mütterliches Erbteil und beeilen Sie sich, damit Ihren Namen von jener Beschuldigung rein zu waschen. Ich werde nie Rechenschaft von Ihnen verlangen, wohin Sie das Geld gethan. Das bleibe Ihr Geheimnis. Ich selbst werde ohne dasselbe zu leben wissen.«

Damit legte er die schon fertige Schrift vor seinen Vater hin und ersuchte Andjaldy, sie als Zeuge zu unterschreiben.

Hätte er den Blick gesehen, den Andjaldy ihm dabei zuwarf!

In der That war Elemer nie der Gefahr näher gewesen, daß jemand mit einem vom Tische aufgerafften Messer ihn plötzlich durchbohre, als in diesem Augenblick! Herrn Ferdinand Harters Gesicht aber verklärte sich mit einemmale zu einem wonnigen Lächeln. Er würgte alles Bittere hinunter und behielt nur den süßen Nachgeschmack im Munde. So ist er nun im Besitz des Mittels, das ihm Malwine zurückerobert! Edler Jüngling!

Der gefühlvoll gewordene Vater erhob sich in melodramatischer Stimmung von seinem Sitz und näherte sich mit gerührter Miene seinem Sohne. Jetzt aber war an Elemer die Reihe, mit abwehrender Bewegung seine Hand vorzustrecken.

»Mein Herr, ein Meer liegt zwischen uns! Ich trug meine Schuld an Sie ab und weiter haben wir mit einander nichts mehr gemein. Und weil ich das Leben, welches ich von Ihnen erhalten, Ihnen nicht zurückgeben kann, so werde ich suchen, es dem Vaterlande zu weihen. Ihren Namen aber gebe ich Ihnen zurück. Seien Sie der letzte Sprößling Ihrer Familie. Ich habe meinen Namen heute mit einem ungarischen vertauscht. Gott mit Ihnen!«

Mit diesen Worten verließ er Herrn Ferdinand Harters Zimmer.

Ferdinand Harter steckte triumphierend die Schrift seines Sohnes in die Brusttasche und dachte nur: »Und wenn ich doch nicht der letzte Sprößling der Familie Harter bleibe!«

*

Der kleine Tote war schon angekleidet, schön, wie man zum Himmel fahrende Engel herauszuputzen pflegt; nur der Geistliche wurde noch erwartet, der ihn einsegnen soll.

Seine Mutter kann ihn nicht hinausbegleiten auf den Friedhof, denn sie liegt krank darnieder; vom Vater, der nicht bei Sinnen ist, kann selbstverständlich nicht die Rede sein; nur die Schwester ist da, um den Gang zur ewigen Ruhestätte zu machen, die zarte Jungfrau. Sie hat niemand, der ihr, der Trauernden, seinen Arm leihe bei dem schweren Gange, auf dessen Schulter sie sich niederbeugen könnte, will sie das thränenbedeckte Gesicht verbergen; und schnürte ihr der Schmerz den Busen zusammen – einsam muß die Schluchzende einherschreiten hinter dem kleinen Sarge bis ans Ende. Die Nachmittagssonne schien warm durch das schwarze Laub der vom Froste der vergangenen Nacht verbrannten Akazien. Der Himmel will mit seiner Glut erwärmen, was er bereut, gestern mit seinem Frosthauch verbrannt zu haben. Nur daß dies nicht mehr in seiner Macht steht.

So erzählen die Blätter des schwarzen Fächers.

Aber zwischen den Zeilen im weißen Rahmen ist doch etwas zu lesen. Im stillen Korridor weckte das Echo der Schall von Tritten, welche das Mädchen so gut kennt. Der Jungfrau Herz pocht mächtig bei diesem Klang. Sie eilt zu der Mutter, ihr das Kissen zu richten und einen Kuß auf ihre Wangen zu drücken. Als sie wieder aufblickt, steht vor ihr der – Rechte. Es ist Elemer im schlichten schwarzen Kleide.

Mit einem Gesichte voll ernster Rührung tritt er nach stummer Begrüßung vor das Bett der Frau Vilagoschi.

»Ich sagte Ihnen, gnädige Frau, daß wir uns noch einmal treffen würden. – Da bin ich. Ich komme von Herrn Ferdinand Harter. Sie sagten, ich sei ein reicher Herr, an meinem Namen klebe der Fluch unrechtmäßig erworbenen Vermögens. Nun, heute bin ich nicht mehr reich, auch kein Herr und kein Harter mehr. Mein Vermögen habe ich Herrn Ferdinand Harter abgetreten, möge er damit die Wunden heilen, die er geschlagen. Ich selbst bin Agent einer englischen Maschinenfabrik geworden mit einem honetten Einkommen, das mit meiner Thätigkeit wächst und eine Familie anständig zu ernähren vermag; meinen Namen aber habe ich gewechselt: Von heute an heiße ich Elemer Sziwosch. Es wird ein rechtschaffener Name sein. Nehmen Sie mich als Ihren Schwiegersohn an?«

Frau Vilagoschi versagte das Wort in der beklommenen Brust.

Sie deutete nur mit der Hand nach Ilonka. Möge er diese um Antwort fragen. Ilonka stand am Sarge ihres kleinen Bruders, ihre Wangen waren so bleich. Mit dem Blicke aufrichtiger Liebe wandte sich Elemer zu ihr, sein fragendes Auge erwartete ihre Antwort. Die Lippen der Jungfrau bebten, sie zitterte am ganzen Körper; zuletzt warf sie sich über die Leiche ihres Brüderchens und stammelte schluchzend: »Kannst Du's mir verzeihen, daß ich jetzt glücklich zu sein vermag?«

... Und gewiß, er verzieh es ihr ...

*

 


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