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Henrik hatte noch keine zwei Minuten über die Sache nachgedacht, als er schon entschlossen war, Kaschmir alles zu erzählen.
»Kaschmir,« sagte er, »komm her und setz dich ein bissel auf mein Bett! Ich hab dir was zu erzählen, was niemand andrer hören darf!«
Kaschmir nahm seine Bettdecke, wickelte sich gut hinein und ging dann hinüber und setzte sich auf den Bettrand. Er bebte und zitterte wie im Fieber.
»Jetzt frißt sich Balsam in Wunde ein,« sagte er nur – »und morgen ich bin gsund!«
»Du, Kaschmir?« fragte Henrik leise, »weißt du, wer diese Leute waren? Das waren Polizisten!«
»Spitzeln?«
Der Zigeunerjunge starrte Henrik erschrocken an.
»Ja. Und wenn sie so herumgefragt haben, wo dein Onkel ist, so war das, weil sie glauben, daß er ein Mörder ist! Er soll irgendwo oben am Schwarzensee einen Mann getötet haben, an dem Tag, an dem wir zwei oben waren – damals, wo ich mir das Bein gebrochen habe und du den Messerstich in die Lunge bekommen hast! Verstehst du?«
»Ja,« flüsterte Kaschmir. »Aber ist das ganz gemeine Lüge!«
»Das glaub ich ja auch, denn er hat gar nicht wie ein Mörder ausgesehen, dein Onkel!«
»Überhaupt keine Mensch sieht wie Mörder aus,« sagte Kaschmir, »nur diese Krischtian Nelson mit der Narbe!«
»Schön! Aber weißt du, wo der Panther jetzt ist?«
»Ja, ist schon möglich, daß weiß ich.«
»Vielleicht hat's dir deine Großmutter erzählt? Ich hab ja gesehen, wie sie dir was zugeflüstert hat!«
»Kann möglich sein. Gut, daß du's nicht hast gehört!«
»Auf der Teufelsscharte gleich über dem Seerosenweiher.«
Blitzschnell hatte Kaschmir Henrik die Hand auf den Mund gelegt.
»Wirst still sein! Sag das nicht noch einmal,« flüsterte er mit heiserer Stimme.
»Es ist schon zu spät, Kaschmir, denn die Polizei weiß es bereits!«
»Ist nicht wahr!« schrie Kaschmir ganz außer sich vor Entsetzen. Er hatte die Decke abgeworfen und stand jetzt im bloßen Hemd mitten im Zimmer und zitterte wie Espenlaub.
»Ist es denn so gefährlich, daß sie es wissen?« fragte Henrik mißtrauisch.
»Ja, mordsverflixte Bauernklachel hat uns angezeigt wegen Hühnerdiebstahl, und Panther ist schon einmal gesessen – wegen Hölkusstich. Wenn sie ihn jetzt erwischen, dann kasteln sie ihn ein lebenslänglich, weiß man ja, was ihr Buros könnt zusammenlügen!«
»Ach, wenn er unschuldig ist, müssen sie ihn ja doch wieder loslassen!«
Es klopfte an die Türe. Und wie der Blitz war Kaschmir wieder in seinem Bett.
Es war der Kanari, der kam. Er sah ganz atemlos aus und hatte sich nicht einmal die Zeit genommen, sich zu waschen, so eilig hatte er es gehabt! Unter dem Arm trug er einen großen Stoß Zeitungen.
»Grüß Gott, grüß Gott, Henrik,« sagte er und reichte ihm seine schwere, schwielige Hand, »also, ich hab geglaubt, du bist draußen in Sonnberg, frisch und munter, und da ruft mich dein Kamerad an und erzählt mir diese grausliche Geschichte. Du mußt dich ja hier schrecklich langweilen, was?«
»Tja, ich kann nicht gerade behaupten, daß ich vor Freude jauchze, Herr Larsen!«
»Nein, nein, das kann ich mir schon denken, aber wenn ich dir meine aufrichtige Meinung sagen soll, so kannst du noch glücklich und froh sein, daß du dir in dieser Nacht nur das Bein gebrochen hast.«
Henrik mußte lachen:
»Ich finde, es ist genug!«
Der Kanari hatte sich auf den Stuhl neben das Bett gesetzt. Nun rieb er sich nachdenklich mit dem Handrücken die Nasenspitze und fragte: »Ist es erlaubt hier zu pfeifen?«
»Ja, selbstverständlich, pfeifen Sie nur, soviel Sie wollen!«
»Nein, bist du närrisch! Pfeifen! In einem Krankenhaus! Ich wollt's nur wissen, damit ich nicht so auf Nadeln sitze. Wenn ich nur weiß, daß es nicht verboten ist, kann ich's ganz gut lassen! – Aber hör mal, das war doch eine unheimliche Gesellschaft, die sich diese Nacht in den Schwarzenwäldern herumgetrieben hat. Huttetu, einen haben sie ja oben sogar umgebrungen! Einen ganz friedlichen, unschuldigen Forellenfischer, der keiner Katz was zuleide getan hat.«
»Das hab ich gehört! Und eben deshalb hab ich Sie ja bitten lassen, zu kommen. Steht in den Zeitungen, die Sie mit haben, etwas über den Mord?«
Kaschmir saß aufrecht im Bett und verschlang jedes Wort, das gesprochen wurde. Er sah aus wie ein Raubtier auf der Lauer. Die Augen waren halb geschlossen, aber die Ohren sträubten sich geradezu.
»Gleich werden wir's haben,« sagte der Kanari, indem er in dem Zeitungsstoß zu blättern anfing, »zuerst ist etwas über einen Kasseneinbrecher gestanden, der am Nordende des Schwarzensees vom Gendarmeriepostenführer und seinen Leuten gefaßt worden ist. Du, das war dir ein frecher Bursch! Weißt du, was er getan hat? Er ist auf den Gendarmeriekommissär zugegangen und hat ihn um Feuer gebeten, und dabei war er gerade derjenige, auf den die ganze Treibjagd ging. Und in dem Moment, in dem der Kerl sich seine Zigarette anzündet, hat ihn der Postenführer augenblicklich erkannt und ihn arretiert. Und er hat nicht einmal Widerstand geleistet! Ist ganz gutwillig mitgegangen, als ob es so sein müßte. Er muß ja besoffen gewesen sein! Sie haben ihn zu dem Auto hinuntereskortiert und gleich ins Kreisgefängnis gebracht. Und da sitzt er jetzt. Oskar Hampe heißt er, das hab ich mir genau gemerkt!«
»Das ist ja der Moppel!« erklang es kurz aus Kaschmirs Bett. »Mit diese Namen ist er getauft und gestraft, der Hund, elendiger!«
Der Kanari warf einen erstaunten Blick zu Kaschmir hinüber.
»Vielleicht sollten wir lieber leise reden?« fragte er flüsternd.
»Macht gar nichts,« sagte Henrik, »es ist sogar ganz gut, wenn er alles hört. Das mit dem Moppel ist übrigens wirklich eine Neuigkeit! Er war ja in unserer Hütte und hat dort Krakeel gemacht. Er ist nicht weiter von mir gestanden, als Sie jetzt sitzen. Aber wir haben ihn eins, zwei, drei hinausgejagt! Also jetzt haben sie ihn hopp genommen! Geschieht ihm schon recht! Aber der Mord, steht nichts über den Mord drin?«
»So hab doch ein bissel Geduld, ich werds schon finden! Ja, da hab ich's: Raubmord oder Rachemord? Grausige Bluttat in den Schwarzenwäldern.«
Die Zeitung wurde ihm aus den Händen gerissen, und mit angehaltenem Atem las Henrik laut, damit auch Kaschmir es hörte:
»Das ist doch klar wie Mond am Himmel,« rief Kaschmir hinüber.
»Was meinst du?« fragte Henrik und runzelte mißtrauisch die Stirn.
»Ist doch klar, daß sie Bach hinaufgewatet sind!«
Der Kanari sah zuerst Kaschmir und dann Henrik verständnislos an.
»Das ist ein Freund von mir,« sagte Henrik. »Aber jetzt haben sie den Ermordeten wohl schon erkannt?«
Der Kanari schüttelte den Kopf:
»Nein, soviel ich weiß, nicht. Aber dem Mörder sind sie auf der Spur, hör nur zu!« – Wieder blätterte der Kanari in dem Zeitungsstoß. Dann las er laut:
Der Mörder in den Schwarzenwäldern gefunden?
»Ein Antiqui–ti–quiti–teteti–händler, ein Antiquitätenhändler, der sein Geschäft am Schwedensteig hat –.«
»Da wohnen ja meiste Graubeine,« unterbrach Kaschmir, »das ist eigentliche Schlangennest!«
Der Kanari nahm eine Brille aus der Westentasche, setzte sie sich auf die Nasenspitze und blickte mißbilligend zu Kaschmir hinüber.
»Hat der was damit zu tun?«
»Ja, etwas. Aber darüber können wir jetzt nicht reden. Lesen Sie nur weiter!«
»Weil er und andrer – Bruder meiniger – mich hierher in diese Krankenhaus gebracht hat. Aber das wissen ja diese Trotteln nicht, die all das zusammenlügen, was da steht in diese Blatteln!«
Kaschmir war so wütend, daß er mit den Füßen gegen die Wand stieß.
»Nehmts diese Blatteln schon einmal weg!« zeterte er und starrte den Kanari haßerfüllt an, »kann ich sie nicht sehen! Riechen sie nach Graubeine!«
»Aber das mit dem Revolver,« begann Henrik zaghaft.
»Das ist mordverflixteste Lüge, was ich in meine ganze Leben hab gehört!« rief Kaschmir. »Panther hat nie keinen Revolver gehabt – gar nie!«
»Weißt du das ganz sicher, Kaschmir?« fragte Henrik.
»Also, wenn das nicht ist die reine, lautere Wahrheit, so soll gleich Blitz hier einschlagen und mich mitten auseinander reißen!« sagte Kaschmir mit Grabesernst und schlug ein Kreuz auf seinem Hals.
»Hm,« murmelte Henrik und versank in Gedanken.
Der Schmied rieb sich die Nase und starrte mit seinen großen blauen Augen ganz verloren in das Zimmer.
»Ja, ich weiß ja gar nichts,« sagte er zu sich selbst.
Aber Henrik hatte rote Flecken auf den Wangen bekommen. Plötzlich fiel ihm etwas ein. Er griff sich an die Stirn:
»Der Revolverschuß,« murmelte er, »der Revolverschuß!«
Alle vier Jungen hatten ja deutlich einen Schuß vom anderen Ufer des Schwarzensees gehört, während der Panther und seine Leute noch vor der Elchkalbshütte gestanden hatten!
»Was sagst du?« fragte Kaschmir gespannt.
»Ich sage,« antwortete Henrik langsam und nachdenklich, »ich sage, daß ich und meine Kameraden vielleicht beweisen können, daß es nicht der Panther war, der diesen Kerl dort oben am Schwarzensee ermordet hat – wer nun der Ermordete sein mag!«
»Ermordete!« sagte Kaschmir beinahe gleichgültig, »ist das natürlich keine andere als wie Hasenschnauze!«
Henrik fuhr erschrocken zusammen und starrte Kaschmir mißtrauisch an.
»Warum gerade die Hasenscharte? Weißt du etwas?«
»Du bist doch dümmste, allerdümmste Buro auf ganze Welt, wenn du nicht einmal verstehst, daß es muß gewesen sein Hasenschnauze! Sag mir nur, warum hätte Mörder seine Gesicht so mit Hölkusstiche verschandelt, nachdem ohnehin schon tot ist? Natürlich damit so verflixt gute Kennzeichen wie Hasenscharte weg ist!«