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Sechstes Kapitel.
Eine geheimnisvolle Botschaft

Henrik lag da und hatte vor Gewissensbissen Magenschmerzen. Das mit dem Buro hätte er doch wirklich nicht fragen müssen. Das hatte ja keine solche Eile. Er hätte sich einfach taub stellen sollen und so tun, als ob er schliefe. Jetzt kam eine Schwester herein und sah nach ihm, aber er traute sich nicht nach Kaschmir zu fragen. Wenn er schon tot war? Henrik schauderte, vor weniger als einer halben Stunde war Kaschmir dagelegen und springlebendig und unausstehlich gewesen, und jetzt lag er vielleicht steif und kalt auf einem Tisch drinnen in einem der anderen Krankenzimmer. Am ärgsten würde es für seine Großmutter sein, diese Marta aus Kebnekaise, denn der Kaschmir, das war offenbar ihr Augapfel. Ob sie wohl Zigeuner waren?

Um die Mittagszeit kam Klaus auf einen Sprung herein. Er schleppte einen ganzen Haufen Pakete und hatte es furchtbar eilig.

»Wie steht's?« fragte er. – »Ach was, das geht schon bald vorüber, Henrik! Ich muß das Dreiuhrschiff erreichen. Wir wohnen jetzt schon in Sonnberg. Hab nur zwanzig Minuten! Tut's dir saumäßig weh?«

»Es ist jetzt schon viel besser. Ich glaub förmlich, ich höre es wachsen!«

»Ja, das war halt ein Mordsglück, daß mein Bruder, der Mediziner, damals mit war. Denn wenn er dir nicht gleich den feinen Verband angelegt hätte, wäre dein Bein vielleicht im rechten Winkel gewachsen. – So herum!«

Klaus machte Henrik vor, was er meinte, und Henrik mußte lachen. Klaus wußte noch andere Neuigkeiten:

»Denk dir, ich hab ungenügend in Deutsch bekommen und ich hab doch so bombensicher auf ein befriedigend gerechnet. Da hast du übrigens dein Prüfungszeugnis! Auszeichnung! Gratuliere, du Kirchenlicht! Ich hab im Durchschnitt bloß »genügend«, aber durchgekommen bin ich doch wenigstens! Fein, jetzt schenkt mir der Alte vielleicht doch ein Motorrad. Der Direx hat übrigens eine Rede gehalten, ewig lang – und eine Hitze war's dir in dem Turnsaal! Wir wären schon alle beinahe zusammengefallen. Dich hat er auch in der Rede erwähnt. – Ja, jetzt sind wir also erwachsen, Henrik, in einer Hinsicht jedenfalls! Mittelschulprüfung! Schluß! Ich hab dir übrigens einen Radioapparat mitgebracht, du kannst ihn behalten, solange du hier liegst. Jetzt werde ich ihn geschwind montieren!«

Während Klaus' Hände wie die Klöppel auf- und niedergingen und den Radioapparat zusammenstellten, erzählte er weiter: »Die Hilde ist so stockdumm, der könntest du einen Nagel in den Kopf schlagen, ohne daß sie was merkt! Jetzt will sie den Willi, die Brillenschlange, bei uns draußen wohnen haben. Ich kenn doch seine Schrift. Jeden Tag kriegt sie einen Brief von ihm, richtigen Schmus, zuckersüß! Ich hab sie alle miteinander gelesen. In dem letzten schreibt er: ›Also auf baldiges fröhliches Wiedersehen, draußen in Sonnberg!‹ Die glaubt natürlich, daß Konsulatssekretär das feinste ist, was es überhaupt gibt – und dabei ist er doch nur ein ganz gewöhnlicher Schreiber. Aber er glaubt, er ist ein Diplomat. Weil er ein Jakett trägt und weiße Gamaschen! – Aber jetzt ist's höchste Zeit – der Tor ist schon um zwölf Uhr zu seinem Onkel gefahren. Ein furchtbar langes Gesicht hat er gemacht, denn dieser Onkel sagt, daß es eine Sünde ist zu boxen. Aber dafür ist's dicht am Wasser. Und er kennt draußen ein paar Buben, die haben ein Segelboot und Kanoes. Soll dich übrigens von ihm grüßen! Aber jetzt muß ich schauen, daß ich weiterkomm! Laß dir's gut gehen! Servus!« Und draußen war er.

Es war mitten in der Nacht, als Henrik plötzlich erwachte. Das Fenster klirrte. Bevor er noch recht zu sich gekommen war, hörte er ganz in der Nähe schleichende Schritte. Dann spürte er, wie eine Hand dicht an seiner Wange tappte, und da fuhr er zusammen wie bei einem Wespenstich.

»Pst, lieg du ganz mauserlstill und red kein Wort, Kaschmir,« hörte er eine grobe Männerstimme flüstern, »daß uns nur die Buros nicht hören!«

Henrik hielt vor Spannung den Atem an. Das war also jemand, der ihn für den Zigeunerknaben Kaschmir hielt! Und Henrik würde ihn nicht aus diesem Glauben reißen, hier im Hause gab es ohnehin nicht allzu viel Spaß! Gut übrigens, daß es heute Nacht so bewölkt war. Wer der Fremde auch sein mochte, so konnte er jedenfalls nicht sehen, daß er sich irrte.

Henrik brummte leise. Er fühlte, wie ihm ein Gegenstand in die Hand gesteckt wurde, der sich wie ein Krüglein anfühlte. Die Stimme flüsterte weiter:

»Da schickt dir dein Großmutterle den Mönchbalsam. Schau nur, daß dir die Buros nicht draufkommen! Und schmier dir die Hölkuswunde recht dick ein, wenn keine lebende Seele es sieht, und sprich dazu, du weißt schon was, viermal nach vorn und viermal nach rückwärts, aber daß nur niemand es hört! Und noch etwas! Der Panther ist verschwunden, wie in den Erdboden versunken! Aber wenn er vielleicht herkommt und dich besucht, so mußt du ihm ins Ohr flüstern, daß wir weitergezogen sind und uns jetzt auf dem Hohlweg bei der Teufelsscharte gerade über dem Seerosenweiher versteckt halten! Komm nur auch nach, Kaschmir, so geschwind du nur kannst, denn die Marta aus Kebnekaise ist ja vor lauter Sehnsucht schon ganz närrisch!«

Plötzlich war der geheimnisvolle Fremde lautlos wie ein Geist aus dem Zimmer verschwunden. Henrik fuhr sich über die Augen. Er war nicht ganz sicher, ob er nicht am Ende das ganze nur geträumt hatte. Halb im Dusel zog er die Nachtkästchenlade heraus und steckte den Salbentiegel hinein. Dann schlief er weiter.


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