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Zweites Kapitel.
Der Zigeunerhäuptling kommt zu Besuch

»Gut, daß wir die Türe noch rechtzeitig zugemacht haben,« sagte Henrik. Denn als der Jüngste im Kreise hatte er das Recht, ein bißchen weniger tollkühn zu sein als die anderen. Er war ein halbes Jahr jünger als Klaus.

»Machen wir wieder auf! Man kriegt ja keine Luft mehr bei dieser Hitze und dem Tabaksgestank,« sagte Klaus.

Seitdem er ständig trainierte, hatte er mit dem geheimen Rauchen aufgehört. Und Kaffee trank er auch nicht. Ja, es ist kein Spaß, Boxer zu sein! Wie gemütlich hatten sie es doch vorigen Sommer gehabt, wenn sie draußen in Sonnberg, wo sein Vater seine Sommervilla hatte, in der Laube saßen und Knaster aus langen Meerschaumpfeifen rauchten, schwarzen Kaffee tranken und Goldgräber waren! Kaum hatte Klaus seine tapfere Bemerkung gemacht, als ein gewaltiger Lärm ertönte. Draußen war jemand, der die Türe einzudrücken versuchte. Zugleich vernahm man eine rauhe Stimme, sicher der Kerl mit der Hasenscharte:

»Macht auf, Buben! Wir tun euch nichts!«

Klaus fuhr wütend auf und brüllte:

»Tut uns nichts! Wer hat die Jacke voll bekommen? Wir oder ihr?«

»Verflucht, so macht doch auf!«

»Fällt uns ja nicht im tiefsten Schlaf ein!«

»Dann drücken wir die Türe ein!«

»Probiert's nur!«

Klaus und Tor krempelten sich die Hemdärmel auf und nahmen Kampfstellung ein.

Die Männer draußen hämmerten weiter gegen die Türe, die morsch und gebrechlich war und mehrere breite Spalten aufwies. Henrik legte das Auge an eine solche Ritze und sah undeutlich den Kerl mit der Hasenscharte. Er prallte zurück. In dem Gesicht des Mannes malte sich eine furchtbare Angst. Und nun rief er wieder mit einer Stimme, die vor Schrecken überschnappte:

»So seid doch so gut und laßt uns herein!«

Und der andere Kerl, es mußte wohl der Moppel sein, rief:

»Ihr bekommt fünfzig Kronen auf die Hand, wenn ihr uns hereinlaßt! Die Hütte gehört doch allen Menschen!«

»Aber warum habt ihr denn Steine auf uns geworfen?« fragte Klaus.

»Das waren nicht wir! Das waren die Anderen

»Was für Andere?«

»Das werden wir schon später sagen. Laßt uns jetzt nur herein!«

Jetzt hörte man eine neue Stimme, etwas weiter entfernt, eine heisere, polternde Stimme:

»Schufte! Verräter! Diebsgesindel!«

Und dann eine schrille, piepsende Stimme, bei der es den Jungen in der Hütte kalt über den Rücken lief:

»Heut ist bei uns das Pulver billig und die Gnade teuer, darauf könnt ihr Gift nehmen!«

Und plötzlich wurde es draußen ganz still. Die vier lauschten einige Minuten angespannt, aber konnten nichts hören.

»Auf diese Kriegslist fallen wir nicht herein,« sagte Klaus, »aber wir können ja inzwischen essen.«

Tor brachte den Kaffee, und die Knaben setzten die Mahlzeit fort, während sie eifrig besprachen, wer die zwei Kerle, die herein wollten, und die zwei anderen, die hinzugekommen waren, wohl sein konnten.

»Gewöhnliche Strolche,« meinte Per, »denn Tor behauptet ja, daß es keine Zigeuner waren!«

»Aber sie haben uns ja fünfzig Kronen geboten, wenn wir sie hereinlassen,« sagte Henrik.

»Und das hast du geglaubt! Menschenskind, dich kann man aber sauber reinlegen. Alles Bluff! Solche zerlumpten Kerle haben in ihrem ganzen Leben noch keinen Fünfziger gesehen!«

»Also ich,« sagte Klaus, »ich glaube, das waren überhaupt nur zwei! Ist euch nicht diese letzte unheimliche Stimme aufgefallen? Das war Bauchrednerei! Sie haben uns nur drankriegen wollen!«

»Ausgeschlossen,« unterbrach Henrik eifrig. »Ich habe doch durch die Türspalte das Gesicht von dem mit der Hasenscharte gesehen. So was von Angst habe ich noch nie in einem Gesicht gesehen! Er hat ja Schaum in den Mundwinkeln gehabt! Und die Augen sind ihm förmlich aus den Höhlen rausgehängt. Der war sicher verfolgt! Und scharf!«

»Von wem denn? Vielleicht von einem Bären?« spottete Klaus.

»Ich glaube an Henriks Hypothese,« sagte Per, »oder richtiger gesagt, Diagnose! Die Symptome stimmen. Sie waren selbstverständlich von der Polizei verfolgt!«

»Nein, das glaub ich nicht, Per,« sagte Henrik, »die Polizei schimpft doch die Verbrecher, die sie verfolgt, nicht Schufte, Diebsgesindel und Verräter

»Wen sollten sie denn sonst so schimpfen?«

»Die Polizei schimpft überhaupt nicht! Die hätte gesagt: Im Namen des Gesetzes! Oder: Hände hoch!«

»Ja, das sagen sie immer,« sagte Tor. »Das wird jedenfalls gesetzliche Vorschrift sein!«

»Na ja,« Per hatte sich seine Pfeife wieder angezündet und machte ein paar lange nachdenkliche Züge, »sei's wie's will, ich für meine Person wünsche jetzt Nachtruhe! Ich wollte eigentlich noch ein bißchen Anatomie studieren, aber diese Kaffern haben mir ja meine Brille zerbrochen. Wir verbarrikadieren die Hütte mit dem Eßtisch. So – hoh-ruck, alle Mann!«

Da war nichts zu machen, denn Per war ja gewissermaßen diesmal der Führer der Expedition. Aber sowohl Tor wie Klaus knurrten mißbilligend. Das war kein guter Kampfgeist!

Es war ja gemütlicher, allein in der Hütte zu sein. Die Knaben warfen neues Reisig in das Herdfeuer, und bald loderte eine mächtige Flamme. Draußen war es allerdings Sommer, aber ein solches prasselndes Herdfeuer ist doch etwas ganz Eigenes, man wird nie müde, hineinzugucken.

»Heute Abend ersparen wir uns wenigstens, Bridge zu spielen,« sagte Klaus mit einem Seufzer der Erleichterung. »Jetzt machen wir ein gemütliches Sechsundsechszig, die Hilde kann uns gern haben! Die tät gleich umfallen, wenn sie das sähe! Wer hat denn die Karten?«

»Pst!« flüsterte Henrik, »jetzt kommt wer!«

Die Jungen spitzten die Ohren, und richtig! In weiter Entfernung hörte man ein Stimmengesumm. Das Summen kam näher und näher und wurde zu einem gewaltigen Spektakel mit Heulen, Schreien und Gelächter. Dann trommelte jemand an die Türe, und eine barsche, drohende Stimme rief:

»Aufmachen!«

Per bedeutete den anderen durch ein Zeichen, sich mäuschenstill zu verhalten.

»Aufmachen, oder wir zünden die Hütte an!«

»Wer da?« rief Per. Er war nun leichenblaß im Gesicht.

»Das wirst du schon rechtzeitig sehen. – Holt Zweige und Reisig, Burschen, dann räuchern wir die Graubeine aus. – Ja, haut nur die dürre Tanne drüben um, einer von euch, die brennt wie Zunder. Na – laßt ihr uns herein?«

»Ja,« rief Per, »jetzt öffnen wir.«

»Du bist ja wohl total übergeschnappt, Per!«

Klaus starrte seinen Bruder wütend an.

»Du hast doch vorhin selber die Türe durchaus offen lassen wollen!« sagte Per.

»Freiwillig ja! Aber drohen lassen wir uns nicht!«

»Vielleicht ist es besser, sich lebendig braten zu lassen!«

»Das trauen sie sich nicht!«

Nun hörten sie Axthiebe. Es war die dürre Tanne, die gefällt wurde. Und im nächsten Augenblick konnten sie aus den Geräuschen entnehmen, daß Haufen von Reisig und Ästen vor der Türe aufgestapelt wurden.

Klaus sah bedenklich drein. Ein dicker gelber Rauch begann durch die Türspalten hineinzuqualmen.

»Well,« sagte er, »so machen wir eben auf!«

Sie zogen den Tisch weg und öffneten die Türe. Kaum war der Bolzen zurückgeschoben, als ein kräftiger Bursche sich hereindrängte. Er hielt eine Teerfackel in der einen Hand und mit der anderen einen Kettenhund. Mit einer Handbewegung bedeutete er seinem Gefolge, draußen zu bleiben. Dann warf er die Fackel auf den Boden. Der Hund knurrte und fletschte die Zähne.

»Still, Kalypso!« donnerte er und der Hund legte sich erschrocken auf dem Boden nieder. Dann heftete er ein paar funkelnde Augen auf Per und fragte scharf:

»Wer bist denn du?«

»Ich bin stud. med. Kragstein,« stotterte Per.

»Und ihr?«

Er ließ den Blick blitzschnell über die drei anderen hinfegen. Dann lächelte er höhnisch, drehte sich um und rief zur Tür hinaus:

»Das sind ja lauter Wickelkinder!«

Ein brüllendes Lachen war die Antwort. Ein paar schwarze Gesichter tauchten im Fackelschein auf. Weiße Zähne gleißten aus braunen Fratzen.

Klaus fuhr auf:

»Wickelkinder haben Sie gesagt! Sagen Sie das noch einmal!«

Er stand mit geballten Fäusten vor dem langen, schulterbreiten, geschmeidigen Mann, bereit auf ihn loszugehen. Aber Henrik und Tor rissen nur Mund und Augen auf, teils vor Schrecken, aber hauptsächlich vor Bewunderung, denn einen solchen Mann hatten sie noch nie gesehen! Er war riesig breit über den Schultern, aber schlank und schmal um die Mitte. Um den Hals hatte er ein feuerrotes Tuch geschlungen, und schwere Goldringe baumelten von seinen Ohren. An Jacke und Weste blinkten Silberknöpfe, und an den Beinen hatte er blankpolierte Röhrenstiefel, die bis hoch über das Knie hinaufgingen. Das Gesicht, von blauschwarzen Locken umgeben, war beinahe kaffeebraun, mit dicken buschigen Brauen über ein paar sammtbraunen Augen. Er sah ganz wie Douglas Fairbanks in einem wilden spannenden Film aus.

»Sagen Sie das noch einmal, wenn Sie sich trauen,« stichelte Klaus, er mußte ja ganz den Verstand verloren haben!

Der Fremde beugte sich langsam vor und starrte Klaus an. Dann lächelte er verschmitzt, ließ den Hund los und zog mit einem blitzschnellen Griff ein langes blinkendes Messer aus der Scheide, schleuderte es in die Luft, so daß es herumschnurrte wie ein elektrischer Ventilator – und plötzlich erhaschte er es wieder im Fluge mit den Zähnen.

Klaus hatte, ohne es recht selbst zu wissen, die Fäuste in die Hosentaschen gesteckt, und Per hatte sich zitternd, Schritt für Schritt, ganz bis zum Herd zurückgezogen. Tor und Henrik standen stumm wie gelähmt da. Das mußte ja der leibhaftige Zigeunerhäuptling sein! Denn daran war jetzt nicht zu zweifeln, daß die Zigeuner unten vom Lager am Schwarzensee jetzt zu Besuch gekommen waren.

»Na,« sagte der Zigeunerhäuptling und zog das Messer langsam aus dem Mund, »das Ei will wohl wieder einmal klüger sein als die Henne? Aber nimm es nur mit Ruhe, mein Junge, ich kann die Leute gut leiden, die keine Angst haben! Ist sonst noch jemand heute Abend hier gewesen?«

»Ja, vor einer Stunde waren zwei Männer da,« antwortete Per eifrig. Er fühlte sich ganz erleichtert.

»Nur zwei?«

Der Zigeuner starrte Per mißtrauisch an.

»Ja, nur zwei!«

»Ein langer knochiger Bursche mit einem schwarzen Vollbart?«

»Nein, einen Vollbart hatte keiner von ihnen. Nur Schnurrbart, soviel ich gesehen habe.«

»Aber der andere, war er klein, schief und bucklig?«

»Nein, es waren zwei ausgewachsene Strolche!«

»Und der eine hat eine Hasenscharte gehabt,« warf Tor ein.

»Und den andern haben sie Moppel gerufen,« sagte Henrik.

Der Zigeuner lächelte befriedigt.

»Was haben diese Kerle denn hier gewollt?« fragte er.

Klaus war nicht faul zu antworten:

»Das wissen wir nicht. Aber frech waren sie. Da haben wir ihnen die Jacke vollgegeben und sie wieder in den Wald gejagt. Die Handschrift vergessen sie nicht so bald.«

Der Zigeuner lächelte:

»Mir scheint, du spielst gerne mit Zündhölzchen und Pulverfässern, mein Lieber! Aber hört jetzt auf den guten Rat eines erfahrenen Mannes, Burschen, und zieht so blitzschnell ab als ihr nur könnt! Die zwei Kerle können jeden Augenblick wieder herangeschlichen kommen, und vielleicht noch viele, viele andere mit ihnen. Vor uns, Buben, braucht ihr keine Angst zu haben, denn wir sind nur friedliches fahrendes Volk!«

Damit wendete er den Jungen den Rücken und ging. Die draußen gewartet hatten, es mochten wohl sieben oder acht Stück sein, scharten sich um ihn und überschütteten ihn mit Fragen. Aber das einzige, was die Knaben hören konnten, war eine erbitterte Stimme, die schrie:

»Setzen wir ihnen nach!«

Im selben Augenblick knallte weit weg ein Revolverschuß. Er hörte sich an, als käme er vom anderen Ufer des Schwarzensees. Der Schuß wirkte auf die Zigeuner wie ein Signal. Die ganze Bande stürzte den Abhang hinunter und war bald im Walde verschwunden.


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