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Es war ein Frühling an der Pistakee-Bay in Illinois. Pistakee-Bay ist der indianische Name einer Bucht des Foxlake, eines der unzähligen Seen in dem wasserreichen Amerika, und der See ist eine Erweiterung des Foxriver, der in den Michigansee mündet, nachdem er sich in vielen Sümpfen und Teichen verfilzt und vertieft hat. Ein Mann in einem Kanoe hat von hier einen offenen Wasserweg durch die großen Seen nach St. Lawrence und nach dem Atlantischen Ozean, er kann sich durch die Moraste nordwärts nach Winnipeg und in die Hudsonbucht hinauspaddeln, oder einen Nebenfluß des Mississippi suchen und sich tausende von Meilen nach Neu-Orleans und der mexikanischen Bucht treiben lassen.
Jedes Frühjahr ziehen die Enten, vom Süden kommend, über die ungeheuern Landstrecken von Texas und Arkansas, lassen sich unterwegs auf den Seen und Flüssen nieder und reisen wieder weiter, fliegen und schwimmen, quaken und schnattern sich den ganzen Weg durch Luft und Wasser bis zu der kanadischen Grenze vorwärts, wobei sie beständig mit der Sonne und dem Frühling Schritt halten. Sie ziehen in meilenlangen, schwebenden Strichen über den Himmel, sie kommen in dichten Scharen wie fliegende Wolken, Eilboten des Frühlings, sie gehen wie ein Brausen der Freude über das nasse Amerika, wo die Regenschauer noch jeden Augenblick zu Hagel und Schnee erstarren, sie machen die Erde und den Himmel so ausgedehnt, so schweigend, so kalt und königlich, wie die Welt im Frühling ist und im Herzen des Jägers. Ich wohnte an der Pistakee-Bay, um die Enten in Empfang zu nehmen. Und dort traf ich Potowatomis Tochter.
Sie mischte sich in meine Jagd, fast ohne daß ich es merkte; nach und nach wurde sie ein Teil meines Tages und zuletzt mein ganzes Leben, der einzige Grund, weshalb ich da war und jeden Abend auf dem steilen Ufer an der Bucht lag, mit der Büchse vor mir in dem bereiften Gras.
Im Anfang widmete ich mich noch den Enten, ruderte jeden Morgen zu einer schilfbewachsenen Landzunge hinaus, die sich mitten in den See hinein erstreckte, und wo ich meine Lockenten ausgelegt hatte, ein Dutzend hübsch gearbeitete und bemalte Holzenten, die ich in einer ansprechenden Gruppe auf dem Wasser gerade vor der Landzunge geordnet hatte. Sie waren an einer Schnur mit einem Bleilot vor Anker gelegt und wippten in den kleinen, krausen Wellen auf und nieder, sie rollten wie eine Flotte von Kriegsschiffen und starrten höchst sonderbar mit ihren bunten Glasaugen im ganzen Raum umher. Sie waren sehr natürlich gemacht, korrekt bis in die kleinsten Einzelheiten; denn wenn man Enten narren will, muß es gründlich geschehen. Da waren Exemplare verschiedenster Art, von der dickbauchigen Kanvasback mit ihrem Spiegel auf dem Flügel, bis zu der kleinen, kurzen Bluebill, die so lustig auf den Wellen hüpfte, daß sie fast auf dem Schwanz stand und in den Himmel blickte, als wollte sie auf und davon. Eine Schar stumme Verräter, gemalte Todesvögel, die ich für den Frühlingszug dort oben ausgelegt hatte!
Es war wie ein grausamer Scherz, die Verbindung zu beobachten, die sich zwischen einem Schwarm Enten hoch oben in der Luft und dieser trügerischen Gruppe anzuspinnen pflegte, die sich gleich lebenden Leichen vor dem Schilf wiegte, in dem ich versteckt lag. Wenn der Morgenschwarm kam, konnte ich sehen, wie eine Schar plötzlich in ihrem langen, scharfen Flug abbrach, umkehrte und sich in einem großen Bogen durch den Himmel herabwarf, um zu untersuchen, was für Kameraden es wären, die sich bei der Landspitze niedergelassen hätten … ob sie es dort nicht zu gut hatten?
Und wenn sie kamen, nichts ahnend, mit grüßendem Geschnatter, dann fiel ein Schuß: eine Ente stürzte kopfüber wie ein Binsenschuh in den See, und alle anderen hielten vor Entsetzen inne, ließen die Beine hängen und standen lotrecht in der Luft, als seien sie an den Himmel genagelt, und gegen solch einen gestreckten Vogelbauch fiel dann der zweite Schuß, und einen Augenblick danach war der Schwarm fort, in alle Winde zerstreut wie ein Bündel Pfeile aus einem Katapult. Und in der Stille, die auf die Schüsse folgt, wispert das Wasser um den Kiel, der geringste Stoß der Ruder gegen den Kahn klingt wie ein roher Alarm durch die Morgenstille, während ich zu der Stelle rudere, wo sich in dem blutgefärbten Wasser ein Federbüschel dreht. Und die stummen Vögel liegen da wie vorher und treten Wasser, glänzen in ihrer heiteren Bemalung wie ägyptische Särge und blicken starr vor sich hin, während die sanften Wellen sie wiegen.
Wenn der Morgenschwarm aber zu satt war oder zu wild dahinstrich, um meinen künstlichen Enten Aufmerksamkeit zu schenken, dann pfiff ich ihnen ein lockendes Lied aus meinem Versteck zwischen dem Schilf, wo ich mit Gummistiefeln im Wasser stand, das noch von dem Eis des Nachtfrostes knirschte, pfiff eine Melodie, die die Entensprache mit Hilfe einer kleinen, besonders abgestimmten Schalmei, einer duckcall, und mit Hilfe der hohlen Hand frech nachahmte.
Ra–rap! spielte ich. Wark, wark, wakwakwak! Wark, wark, wakwakwak! Es ging mir selbst durch Mark und Bein, wenn ich ganz allein in dem lautlosen Morgen vor Sonnenaufgang da stand und der Urheber dieser bestialischen Musik war. Ich kam mir selbst wie eine Ente aus der Hölle vor, die dieses abscheuliche Solo in der unschuldigen Natur zum besten gab. Wark, wark, wakwakwak!
Aber die Enten kamen. Mein Ruf war so bezaubernd, daß sie meinten, es müsse eine herrliche Ente sein, die ihnen diesen Morgengruß sandte. Ich sah, wie sie hoch oben in der Luft die Hälse reckten und lauschten, wie sie ihren Flug mäßigten und spähten; und dann beschrieben sie den großen, feinen Rückwärtsbogen, der die Augenlust des Jägers ist, bis eine oder zwei in den tödlichen Schuß hineinflogen. Ich konnte mehrere Töne auf der Schalmei und wußte immer die richtige Morgenstimmung zu treffen. Ich quakte in heller Freude zu ihnen hinauf, als wäre die Welt hier unten voller Nahrung, ich röchelte traurig, inständig, um sie durch Mitleid herabzuziehen, ich klagte, ich weinte auf der Schalmei, ich sandte feurige Schreie zum Himmel empor und zärtliche Wakwaks wie von einer lieblichen Ente; ich spielte sehr schön.
Ich hatte diese Kunst von einem alten Jäger in Arkansas, namens Low, gelernt. Er bedurfte keiner Schalmei, er konnte die Entensprache auswendig, er sang aus unbewehrter Kehle zu ihnen hinauf, so herzbewegend, so süß, daß ihnen die Flügel matt wurden und sie herabschweiften, um besser zu hören. Schon bevor ich sie sehen konnte, sprach er mit ihnen durch die Luft, quakte und warb, zauberte und log ihnen zärtlichen Unsinn vor, während er unbeweglich wie ein Baumstumpf auf einem umgestürzten Stamm mitten in dem überschwemmten Walde saß, die Gummistiefel bis übers Knie in dem eiskalten Wasser. Er lockte so herrlich, während er mit seinen bleichen Greisenaugen, die Enten zu entdecken vermochten, wo andre keine sahen, in den Himmel schaute; und zwischendurch hielt er dem Wild freundliche Ansprachen, sagte ihm köstliche Dinge oder schalt es, aber stets liebevoll, – er war mit einem Wort unwiderstehlich.
Wenn er so dasaß, ein Tröpfchen unter seiner kalten Nase, glich er einem tausendjährigen Wesen, das nicht sterben kann; man sah ihm an, wie sein Greisenherz im Takt mit den kraftlosen, erfrornen Tönen im Walde vor Sonnenaufgang pulsierte, sein erloschner Blick stimmte mit der violetten Morgendämmerung zwischen den fernen Bäumen überein, die so winterlich hoffnungslos waren. Wie kalt und eisig still der Tag erwachte! Des alten Low Brust aber barg eine unverwüstliche Wärme: die Jägerlust; er rief und beschwor mit einer nie versiegenden Innigkeit, bis das beschwingte Wild kam und von ihm geschossen wurde. Die Schwärme gehorchten ihm, sie kamen von weit her, näher und näher, bis die langhalsigen, scharfen Schattenrisse der einzelnen Vögel sich von dem gelblichen Morgendunst über den Baumgipfeln abhoben und ihre Flügelschläge wie heiße, hastige Atemzüge schwollen, – und dann feuerte Low! Ich habe sogar erlebt, wie er einzelne Enten beschwor, die in scheinbar sehr wichtigen Geschäften hoch über dem Waldgipfel vorbeireisten; es gelang ihm, sie in ihrem Flug zum Schwanken und zum Umkehren zu bewegen, so daß sie näher kamen und spähten, was es für eine Stimme war, die aus den überschwemmten Wäldern kam.
Komm herab, du verfluchte, teure Ente, sagte Low mit inniger Vertraulichkeit und mit einer Stimme von Silber, während er dasaß und den schweren Zwilling, Kaliber acht, in seinen Händen hielt, die vor Kälte leise zitterten. Rrrong – rrrong! Komm herab … meine Ente … waarkwaarkwaark …
Wenn sie dann in einer langen, vorsichtigen Kurve herabstrich, murmelte Low, während der Schuß fast gleichzeitig aus seiner großen Kanone donnerte:
Und ich werde dir eine Hölle bereiten!
Ja, Low hatte mich schöne Künste gelehrt. Ich übte sie eine Woche lang ohne Skrupel. Dann aber begann ich an einer Zerstreutheit zu leiden, die einem Jäger nicht geziemt. Ich schoß fehl oder schoß gar nicht; ich hatte meine Gedanken anderwärts. Sie waren bei der Jungfrau vom See. Noch wußte ich nicht, wer sie war. Ich sollte erst später Gewißheit erhalten.
Es hatte angefangen, wie so etwas immer anfängt: mit einer unbedeutenden Beobachtung, die ich vergessen haben würde, wenn sie sich nicht wiederholt hätte.
Es liegt ein Wirtshaus an der Pistakee-Bay, und dort aß ich; aber ich wohnte allein in einem Hause, das zehn Minuten davon entfernt lag. Jeden Abend ging ich auf der steilen Uferhöhe durch den Wald nach Hause, und die Abende begannen jetzt heller und die Dämmerung länger zu werden. Nach Sonnenuntergang lag das Wasser des Sees einige Minuten still und gelb da; das pflegte um die Zeit zu sein, wenn ich vom Wirtshaus nach Hause ging. Da, eines Abends, als mein Blick auf das spiegelblanke, messinggelbe Wasser fiel, sah ich, daß im selben Augenblicke etwas von der Oberfläche verschwand.
Es war eine ganz schwache Spur in dem Wasserspiegel zurückgeblieben, kaum eine Unruhe oder Ringe, eher eine Vertiefung, nicht mehr, als ein Wassertropfen hinterlassen haben würde; ein Stückchen davon entfernt aber zeichnete sich eine lange, flache Kuppe auf dem blanken Wasser ab, eine Schwellung des Wassers, als glitte ein großer Körper darunter hin.
Am nächsten Abend sah ich es wieder, ganz auf dieselbe Weise, aber etwas näher am Ufer, und diesmal hatte ich die seltsame Empfindung, als ob dieses Etwas mich beobachtete, das in dem Augenblick, wo ich es erblickte, untertauchte. Jetzt war ich aufmerksam geworden. Am dritten Abend näherte ich mich vorsichtig durch den Wald …
Und da sah ich das Seltsame, daß ein dunkler Kopf sich still längs des Seeufers fortbewegte, etwa zwanzig Meter vom Ufer entfernt. Zu jeder Seite zogen sich ganz feine Wellenlinien durch das abendgelbe Wasser. Es war spät, das Licht auf dem tiefliegenden See war fast ganz verblichen, und während ich den mystischen Kopf beobachtete, sank die Dämmerung herab. Das Wasser wurde dunkel und farblos; aber noch immer schwamm der Kopf still längs des Uferhanges und kam gerade auf mich zu. Nicht ein Laut war von dem Schwimmenden zu hören, der dunkle Kopf schien sich mit einer übernatürlichen Weichheit aller Bewegungen durch die Wogen vorwärts zu schieben.
Ein schwarzer Kopf, der auf dem Wasser glitt, feine Streifen wie von langem, aufgelöstem Haar hinter sich herziehend …
Ich mußte wohl eine Bewegung gemacht, zu laut geatmet haben, oder der Kopf dort draußen hatte meinen Blick gefühlt, denn plötzlich war er verschwunden – nicht mit einem Platschen, nicht überrascht –, er war einfach nicht mehr da. Ich habe nie ein großes, lebendes Ding so spurlos von einer blanken Wasserfläche verschwinden sehen; es blieb keine Kräuselung, nicht der geringste Ring zurück. Wenige Sekunden später aber hob sich das Wasser ein gutes Stück weiter draußen zu einer großen, glatten Fläche, zu einer Wölbung, die gleich wieder einsank, als ob die Brust des Sees sich in einem tiefen Seufzer gehoben hätte.
Dies wiederholte sich drei Abende. Ich verbarg mich an dem Uferabhang oder zwischen Bäumen, ich hielt den Atem an, wenn der dunkle Kopf kam, aber das Wesen draußen wußte immer, daß ich da war, merkte es auf irgend einem übersinnlichen Wege und tauchte unter, bevor ich es zum Schuß bekommen konnte.
Ich ging einen Abend weit fort, um nicht zu stören, und da sah ich aus der Entfernung, daß der dunkle Kopf quer über die ganze Bucht schwamm, in einem Bogen dicht an dem Hause vorbei, wo ich wohnte, und darauf zu der Stelle, wo der Binnensee in den Auslauf des Michigansees überging. Dort verschwand er in der zunehmenden Dunkelheit.
Ach, das ist ja die Jungfrau vom See, dachte ich, Potowatomis junge Tochter, die Unsterbliche! Was will sie in der Pistakee-Bay? Weshalb hat sie ihr schwarzes Haar aus den großen, freien Seen durch die Ströme hierher geschleppt? Was will sie hier Abend für Abend? Ist sie auf dem Wege zum Mississippi, um in den kalten Nächten dem Frühling entgegenzuschwimmen? Weshalb kreist sie dann hier in der Pistakee-Bay? Hat die Seejungfrau mir etwas mitzuteilen, und was mag das in meiner Einsamkeit für mich zu bedeuten haben? Willst du mich in den einzigen aller Lenze, den ewig verlornen, zurückführen und ihn mit mir teilen, Potowatomis Tochter, die du von der Prairiesonne und den linden Wald- und Wasserwinden verzärtelt bist? Tauchst du eines Abends in der Dämmerung aus dem Waldsaum hervor, mit triefenden Mokkassins, nachdem du den See durchschwommen hast, schleichst du dich aus dem Gebüsch heran, um Hugh zu mir zu sagen und mich in den Wald hineinzuziehen, du Freundin meiner Träume, meine Squaw? Bei dem Antlitz des großen Geistes, bei den stinkenden Skalpen meiner Feinde, – ich werde mich deiner würdig erweisen!
Am nächsten Abend blieb ich zu Hause und stellte mich verborgen, mit einem Fernglas bewaffnet, ans Dachfenster. Das letzte Licht des Sonnenunterganges schwand schnell, aber ich sah sie, als sie vorbeischwamm, und ich hätte das Fernglas, einen gewöhnlichen Feldstecher, fast in wildem Entsetzen von mir geworfen, wie einen Zweig, den man im Urwald in die Hand nimmt, und der sich als eine lebende Larve erweist, – so erschüttert wurde ich, als ich in dem dunkeln Sehkreis des Fernglases, auf dem Hintergrund des gelben Wassers, geradeswegs in zwei schwarzbraune, nasse, von dunklem Haar umbuschte Augen blickte! Das Bild schwankte aus dem Fernglas, und als ich es wiederfand, war es so dunkel, daß ich nur einen schwarzen Klumpen unterscheiden konnte, der durch das fahle Wasser glitt. Kurze Zeit darauf tauchte Potowatomis Tochter unter. Aber diesmal erhob sich ein starker Strudel hinter ihr, und etwas weiter fort brodelte die Oberfläche zu einem Schaumkegel in die Höhe, als hätte sie sich, indem sie weiterschwamm, gewaltsam unters Wasser geworfen; oho, sie hatte sich mit den mädchenstarken Bewegungen ihrer Glieder in die Nacht der Wasser hinabgewühlt, mit den glatten, geschmeidigen Gliedern der Rothaut!
Sie war zornig, oder sie fürchtete sich; sie schien um ihren jungen Rücken wie um eine Spule alles schwere Wasser gewunden zu haben, dessen sie habhaft werden und auf das sie ihre sehnigen Glieder wirken lassen konnte, sie schien das Wasser um sich her steinhart zu machen und ihre kleinen Indianerfüße dagegenzustemmen, wie gegen ein Schwimmbrett; und ihr langes Haar schien eine Schaumfigur nach sich zu ziehen, von der Oberfläche bis in die Tiefe hinein … hu hei, und nun schneidest du die nasse Nacht dort unten mit deinen niedrigen, starken Brauen, jetzt wirfst du das Wasser zur Seite, streckst dich und gleitest wie ein Pfeil über die Wasserpflanzen, jetzt beugst du dich und breitest die Arme aus zu einem neuen vollen Griff, wendest dich und fliegst zitternd in das tiefe, kalte Wasser, – Potowatomis herrliche Tochter, o du, die niemals sterben kann!
Gerade in diesen Tagen kam der Frühling zur Pistakee-Bay. Ein Vorbote nach dem andern hatte sich gemeldet. Die Wildgänse waren nordwärts gezogen, in langen, schimmernd weißen Flügen, die wie Harfen aussahen und wie eine Melodie aus den hohen Wolkenschlössern, die das Frühjahr auf dem Gipfel des blauen Himmels errichtet hatte, zu tönen schienen.
Das Rotkehlchen, der Star Amerikas, und der Blauvogel, der kleine Frühlingsbote, der wie ein beschwingter Saphir durch den kahlen Wald fliegt, waren gekommen.
In den Sümpfen und tiefen Gräben, die überflossen und von der launenhaften Sonne bald zu Wundern von Kristallklarheit gemacht wurden, mit schönen Dingen auf dem Grunde, Pflanzen und Schlammburgen, bald so verschlossen schienen, daß sie als düstere Pfützen die Unterwelt verdeckten, – in all diesen fließenden oder stillstehenden Gewässern lockten die Nachtwärme und die Sonne alle Tiere hervor, die herrlich durch Kiemen atmen und schwimmen und so wunderschön im Nassen gedeihen.
Große, goldglänzende Schildkröten rührten sich im Halbdunkel des Grundes, immer zwei und zwei, und spiegelten die Sonne in ihren facettierten Schildern.
Blasen stiegen aus dem Schlammboden auf; überall gurgelte und summte es gedämpft zwischen den keimenden Gewächsen. Statt des blauen Reiffrostes, der jeden Morgen auf dem jenseitigen Ufer gelegen hatte, breitete sich jetzt ein feiner, grüner Schatten über die Hänge, und der Wald hatte durch die gärenden Knospen eine rötliche Färbung bekommen; die Erde glich nicht mehr einem Schild aus dem Metall des Winters, das von Reif blau angelaufen ist, – sie reckte sich wie grüne Pfühle und nahm linde Regengüsse in Empfang. Es liegt etwas viel Tieferes darin, wenn man von dem Grünen der Erde, als von dem Erröten eines Menschen spricht.
Und die Abende wurden jetzt viel heller, obgleich die Dämmerung nicht von langer Dauer war. Höchstens zehn Minuten lang war der dunkle Mädchenkopf jetzt sichtbar, wenn er gleich nach Sonnenuntergang seinen verstohlnen und vorsichtigen Schwimmausflug längs des Ufers unternahm. So scheu war sie, so sehend, so wachsam, daß es mir noch nicht möglich gewesen war, ihr auf hundert Meter nahe zu kommen. Sie schien mit jedem Haar auf ihrem Kopf das geringste Lüftchen zu fühlen, es zu wittern; sie war empfindlicher gegen Laute, als man es sich überhaupt vorstellen kann. Und sie war leise, sanft wie ein Weidenkätzchen; nichts in der Welt war so weich, so gehorsam gegen das Wasser wie sie, wenn sie spurlos versank und nur ein Grübchen auf dem glatten Spiegel zurückließ. Leise, sanft … ja, stark wie ein Haifisch, geschmeidig wie eine Uhrfeder, wenn sie die kleinen Propeller, ihre Hände und Füße, in die Wassermauern grub und Spuren von zerschmettertem und gepeitschtem Schaum hinterließ.
Fein und flink, unüberlistbar … Ich hatte alle Kniffe versucht, hatte mich auf alle erdenkliche Weise verborgen, doch sie entdeckte mich stets. Dasselbe lautlose Spiel wiederholte sich Abend für Abend.
Schließlich aber wurde sie mein. An einem sonnenwarmen Tage, nachdem es geregnet hatte, einem hohen Frühlingstage, da die ganze Welt wie ein Raum in dem blauesten Himmel erschien, grub ich mir ein Loch in den Uferhang und pflanzte einen Busch davor, einen Weidenbusch mit großen, ausgesprungenen Kätzchen. Heute sollte es geschehen!
Nun hatte sie sich lange genug bewundern lassen; jetzt wollte ich mich mit ihr messen. Lange, bevor es Abend wurde, saß ich in meiner Grube, von dem Busch vollkommen verborgen und die Büchse zwischen den Zweigen bereit gelegt. Ich saß so, daß sie meinen Schützengraben nicht bemerken konnte, bevor sie eine Landzunge, die sich aus dem steilen Ufer vorschob, umschwommen hätte; in diesem Augenblick aber würde sie nicht mehr als dreißig Meter von mir entfernt sein, so daß es darauf ankam, wer von uns beiden am geschwindesten wäre.
Das Wasser lag gelb und still da, als sie kam. Und wie ich vorausgesehen hatte, war sie flink, flink wie ein Fisch. Der schwarze Kopf war kaum auf meiner Seite der Landzunge sichtbar geworden, als er versank, – aber ich hatte doch Zeit gefunden, beide Läufe auf sie abzufeuern!
Beide auf einmal … In einem Umkreis von einem Meter rings um die Stelle, wo der Kopf verschwunden war, wurde der Wasserspiegel von dem Schrot aufgerissen, als zeige dort eine Egge ihre Zähne.
Während die Dämmerung zunahm, sprang ich in den Kahn und ruderte zur Stelle hinaus. Das Wasser war vier Meter tief, und es dauerte über eine Stunde, bevor ich sie fand. Sie war nicht senkrecht auf den Grund gesunken, obgleich sie mausetot war, – sie lag ein Stück weiter draußen. Als ich mit dem toten Körper heimruderte, war es ganz dunkel – ein sanftes Frühlingsdunkel –, und das Quaken der Frösche klang, als ob eine ganze Versammlung von zarten Wesen im Chor riefe: Dank, Dank, vielen Dank!
Es war eine Zibetratte, die ich geschossen hatte.
Potowatomis unsterbliche Tochter, die sich wie ein Stäubchen so spurlos sinken lassen und, wenn sie wollte, die Tiefe in großen Wölbungen aufwühlen konnte, – sie war ein Tier aus der Familie der Nager, nicht viel größer als ein Kaninchen.
Sie war das hübscheste kleine Tier, das ich jemals habe schwimmen sehen; sie gestaltete diesen Frühling an der Pistakee-Bay zu einer geheimnisvollen und wundersamen Zeit. – Sie hatte einen rundlichen Kopf mit feuchten, schwarzen Augen und Fühlborsten an der Schnauze, die das Wasser und jedes Lüftchen feiner zu spüren schienen, als wir zu verstehen imstande sind, so intim, daß ein Teil ihrer Nahrung darin bestanden haben mag, die Natur, die Seen, Wind und Regen zu wittern und einzusaugen.
Sie hatte einen prächtigen Schwanz, flach wie ein Ruder, stark und mit Schuppen bewehrt; er war mit Talgdrüsen versehen und schlug das Wasser zu Schaum; damit züchtigte Potowatomis geschmeidige Tochter die Wogen; sie hatte Schwimmborsten an den Zehen und das glatteste und weichste Fell der Welt. Am Bauch war sie grau. In diesem Fell, das so glatt war, daß man es kaum begreifen konnte, glitt Potowatomis Tochter wie ein Weberschiffchen über die Wasserpflanzen.
Die vier großen Nagezähne, über denen der Mund sich nicht schließen konnte, waren vorn gelbrot, – eine seltsame Farbe, die an Bernstein erinnerte; ich habe sie mir lange zur Erinnerung aufgehoben …