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Die alte Uhr

Es war Frühling, ich lag auf dem Rücken und schlief in den lichten, hellhörigen Morgen hinein. Einmal öffnete ich die Augen ohne zu erwachen und sah blendende Goldflammen zwischen den grünen und stillen Welten der Bäume vorm Fenster.

Während ich schlief und die Stille mein Haupt wie ein Wasser überrieselte, war ich meiner selbst soweit bewußt, daß ich ein tiefes Behagen fühlte, mein Herz strömte über von Traumglück, so daß es mich fast weckte. Schlafend war es mir gegenwärtig, daß Frühling war! Es wimmelte in meinem Kopf, es war, als ob flutende, blinde Kräfte mich zwingen wollten, mich zu rühren, zu springen, zu fliegen, und doch war ich gefesselt wie für ewige Zeiten.

Da merkte ich, wie etwas schwieg, etwas unendlich Feines und Zartes, etwas was nicht mehr war, was ich nicht mehr hörte. Langsam wurde es mir klar, daß meine Taschenuhr auf dem Tisch neben mir stehen geblieben war.

... Und lange, lange nachher tönte es mir im Schlaf wie ein feiner, klingender Nachhall im Ohr: Die alte Uhr ist tot! Und ich sah die hohe, gemalte Wanduhr meines Großvaters wieder vor mir, die meine früheste Kindheit in Ewigkeiten und Ewigkeiten eingeteilt hatte – vor langer Zeit. Mir war, als sähe ich die alte Uhr und meinen Großvater gleichzeitig vor mir, als seien sie ein und dasselbe Wesen geworden. Und während ich die übernatürliche und doch vertraute Gestalt sah, war ich mir selbst ebenso fern wie damals, als ich mich als zwei- oder dreijähriges Kind ganz tief drunten auf dem Fußboden bewegte und hoch oben Großvaters mildes Gesicht sah, das dieselben weisen und unergründlich liebevollen Züge hatte, wie die alte Uhr.

Die alte Uhr. Sie stand mit einem ausgelöschten Gesicht im Schatten, und gab die Zeit mit niedergeschlagenen Augen an. Der Perpendikel ging wie ein seltsam dünnes Bein hin und her; er trat so vorsichtig und mit einer Gebrechlichkeit auf, die ihm zur Ehre gereichte. Die Zeiger schienen etwas ausdrucksvoll Mahnendes sagen zu wollen, bald weitgespreizt und bald zusammengeklemmt, sie warnten, wieder und immer wieder, aber sie wurden nie verstanden. Es war eine sehr alte und sehr gründliche Uhr. Ich sehe das große schlafende Gesicht noch vor mir, das wie ein Gespenst in der Ecke stand, und ich höre, wie die Zähne im Innern die Sekunden zerbeißen: Ach! Und dann wieder: Ach!

Die alte Uhr ist tot. Das Bein hängt lang und ausgezehrt in der Mitte des Kastens hinter der schmalen Glasscheibe. Die Zeiger stehen in einem Winkel zueinander, der endlich, endlich der letzte geworden ist; aber was sie sagen, haben sie schon häufig genug gesagt, und niemand hat sie verstanden. Die alte Uhr starb heute morgen kurz nach fünf, flüstert mir jemand ins Ohr.

Und indem ich von einer anderen Woge auf dem singenden Meer des Schlafes gewiegt werde, muß ich im Traum lachen, mein Herz hüpft, indem es vor Glück und stürmischem Schmerz überquillt.


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