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Nun war es Herbst geworden. Ein Jahr war vergangen, seitdem Gustav Erichson die Rose vom Trollhätta zum ersten Male gesehen; viel Unheil und Gram war aus Christiern's Hand über Schweden ausgegossen, viel Trost und Freude hatte die Hand Gustav Erichson's darüber gebreitet, seitdem die Erde einmal ihren Rundlauf um die Sonne vollbracht, und es war wieder Herbst geworden.
Warmer, sonniger, nordischer Herbst. Unter der hohen, weißlich blauen Kuppel, die der Himmel über Upsala wölbte, standen die goldenen Kugeln der Domthürme, unbeweglich fernhin im Glänze der schrägen Mittagssonne flimmernd. Sie blickten über den immer grünen »wilden« Wald, über Felstrümmer und Gestrüpp bis auf die hohen, goldbraunen Wipfel der Königshügel von Alt-Upsala und an ihnen vorüber bis auf das spiegelstille Meer. Alles schien in Gold und Blau getaucht, Himmel und Erde, und goldhelle Freude strahlte aus den blauen Augen der Mädchen, Frauen und Männer in Upsala zurück. Eine halbe Stunde weit drängten sie vor der Stadt auf dem breiten Wege nach Stockholm, nicht Bewohner von Upsala allein, aus Westermanland und Südermanland und von drüben her aus dem Sveareich und höher hinauf noch von den Eisseen Norrlands und Norbottens. Erwartungsvoll reckten sich die Köpft und blickten gen Süden – von dorther sollte er kommen – er. Niemand brauchte den Namen zu nennen, der von ihm sprach – nicht mehr »der Herr und Hauptmann der Gemeinen des schwedischen Reichs«, sondern der König von Schweden, Gustav Wasa.
Seit einer Woche tagten die »Edlen und Gemeinen des schwedischen Reichs« zu Strengnäs; seit zwei Tagen hatte der Reichstag Gustav Erichson zum König von Schweden erwählt.
Und da kam er, und sein Antlitz leuchtete. Seine Augen waren milder, als sie je einer seiner neuen Unterthanen gesehen; die Wärme, der Glanz, die sonnige Freudigkeit des Herbsttages lag über ihm. Im königlichen Schmuck, den Hermelin lang an den Seiten des Rosses, das ihn in stolzem Gang dahintrug, herabfallend, ritt er neben dem milchweißen Zelter Karin Stenbock's, der »Königsbraut von Schweden«. Auch sie grüßte gar hold nach rechts und links; sie trug keinen Hermelin, doch das jubelnde Volk staunte sie fast noch mehr an wegen ihrer Schönheit und des goldenen Haares, das unter dem Goldreif ihres Scheitels hervorquoll und gelöst in Glanzströmen über Nacken und Rücken herabfiel. So ritt Freja auf goldmähnigem Roß aus den Thoren Walhallas, um die Erde zu erhellen, wie Karin von Schweden in die Thore von Upsala einzog. So ließ Freja den göttlichen Blick über den Gesichtern der Menschen ruhen, die sie beglücken wollte, und lächelte.
Da plötzlich schwindet das Lächeln um Karins Lippen, und ein sinnender, seltsam ernster Zug stiegt über ihr Antlitz. Rasch erhebt sie den weißen Arm vom Nacken des Pferdes – es kommt etwas auf sie zugegaukelt durch die stille Luft, und sie faßt es mit der Hand. Ein weißer Falter ist es mit rothen, leuchtenden Augen auf den Flügeln; er setzt sich furchtlos auf ihre Hand und breitet wie auf dem Rand einer Herbstblume die schön geformten Schwingen auseinander. Die Frauen umher sehen es und zeigen es den Männern; der königliche Schmetterling der Berge ist ins Thal herabgekommen, Schwedens Königin zu begrüßen.
Weshalb blickt Schwedens Königin so abwesend, so traumverloren auf den weißen Falter, den letzten Sommerboten, daß sie nichts von dem stillen Jubel der Menge vernimmt, die das friedliche Vorzeichen begrüßt? Horcht ihr Ohr durch die stille Luft nach Westen hinüber? Hallt es leis, ganz leis und fern daher, wie das Brausen des Trollhätta?
Nein, er ist zu weit – es ist das Rauschen in den Buchenwipfeln des Odinhügels. Sie grüßen herüber in die stummen Augen Karin's; herbstlich flimmernd bewegen sie ihr braunes Gezweig wider den Horizont.
Da wirbeln die Trommeln am ersten Hause von Upsala, und die Königsbraut fährt empor.
Der Bürgermeister der Stadt, von seinen Rathsherren umgeben, beugte das Knie vor seinem König und begrüßte ihn mit feierlicher Anrede, die der Letztere geduldig anhörte, aber doch merklich beruhigt aufathmete, als zu erkennen war, daß sie sich ihrem Ende entgegenneigte. Weiter bewegte sich der Zug, Jeder wußte, wohin, und die Straßen, die er berührte, waren in einen Wald, der Boden in einen aus Binsen und Tannennadeln gewirkten Riesenteppich verwandelt. Nun stieg der uralte Dom auf freiem Platze riesenhaft empor; unter dem Hauptportal harrte der Erzbischof von Upsala im großen Ornat, von seinem ganzen Clerus umgeben, eine hochgewachsene, würdevolle Erscheinung, dem man an den Augen gewahrte, daß er die Bedeutung seines Amtes anders erfaßte, als die Sendlinge Papst Julius des Zweiten, die zur selben Zeit Ablaßgelder einsammelnd Deutschland durchzogen. Der junge König schwang sich, trotz dem langschleppenden Hermelin, gewandt vom Roß und hob Karin von ihrem Zelter. Beide neigten sich vor dem Erzbischof, der die Hand über ihnen ausstreckte und ihnen voran auf den Altar des Domes zuschritt. Mit feinem Tact war die Kirche selbst im Innern nicht geschmückt. In wunderbarer Schönheit und Reinheit der Form strebten die gothischen Pfeiler, hoch und schlank, wie aus Garbenbündeln zusammengesetzt, zu schwindelnder Höhe empor, in der das alte Gewölbe baldachinartig über dem Mittelschiff ruhte. Durch die bunten Fensterrosen ergoß sich gedämpftes, mildes Licht, das eigenthümlich mit dem Glanz der zahllosen Kerzen verschmolz, die den mit goldgestickter Decke geschmückten Altar erhellten. Das Gefolge des königlichen Paares schon füllte einen großen Theil des weiten Raumes; hinter ihm aber, unabsehbar, drängte die Menge und wogte hinein und erkletterte wagehalsig die hohen Fenster, um wenigstens von draußen einen Blick ins Innere zu werfen. Denn drinnen wurde durch den Primas des Reichs König »Gösta« mit Karin Stenbock vermählt.
Doch im Augenblick, wo die feierliche Handlung beginnen sollte, nahte sich durch das Gedränge ein Bote dem König und flüsterte ihm eine Nachricht zu, die Gustav Wasa derartig berühren mußte, daß er mit einer kurzen Entschuldigung und Zusicherung baldiger Rückkehr dem Boten folgte und verschwand. Verwundert schaute die Menge ihm nach, wie er seine schöne Braut zwischen dem Vater und der blinden Mutter zurückließ, und ein neugieriges Surren durchlief die Kirche. Doch es verstummte ebenso schnell, denn schon nach wenigen Minuten erschien der König wieder. Mit strahlendem Antlitz trat er auf den Erzbischof zu und sagte:
»Verstattet, ehrwürdiger Herr, daß ich vor Euch das Wort von dieser Stelle nehme. Sie wird nicht entweiht dadurch, denn es ist heilig und kommt von Gott, wie Eures.«
Der König schwang sich schnell auf die Stufen des Altars und rief mit lauter, mächtig das Domgewölbe durchhaltender Stimme:
»Zwei Grüße sendet der Himmel an Schwedens Volk. Stockholm ist unser; heute bei Sonnenaufgang hat der dänische Befehlshaber die Schlüssel der Hauptstadt übergeben.«
Wie ein einziger, ungeheurer Jubelschrei brach es von allen Lippen; das letzte, lang ersehnte Ziel war errungen, Schweden war frei. Die stürmische Freude der Menge ließ sich nicht dämpfen; die neben einander Stehenden umarmten und küßten sich, tausendstimmig wogte der brausende Ruf an den Pfeilern empor und brach sich an dem Gewölbe und brandete zurück:
»König Gustav lebe! Schweden ist frei.« »Und wird es bleiben,« übertönte die Stimme Gustav Wasa's endlich den Jubel, »denn ich habe noch eine Kunde für Schwedens Volk. Mein Bote, den ich an Kaiser Karl den Fünften gesandt, ist zurückgekehrt. Der deutsche Kaiser sagt sich von der Sache seines Schwagers, König Christiern's von Dänemark, los. Er bietet Schweden Anerkennung und Freundschaft; das dänische Volk aber hat sich wider König Christiern empört, ihn aus Dänemark verjagt und geächtet.«
Diesmal durchhallte eine Stimme vernehmlich den jauchzenden Beifall, der den Worten folgte. Es war die Stimme Brita Stenbock's, und sie rief:
»Ich sehe Dich, Christiern von Dänemark, ohnmächtig, verachtet und verabscheut. Ich sehe, wie Deine bleiche Stirn, mit dem Fluch Deines Volkes, mit dem Hohn der Menschheit beladen, wider die Mauern Deines Kerkers stößt, und wie die Gespenster Stockholms durch die Gitter Deines Fensters hereinlachen und Dich feig ins Leben zurückschrecken, weil Du Dich vor dem Thron fürchtest, auf dem Du nicht sitzest und vor dem Dein Gericht aufhört. Die eine Hälfte hat sich erfüllt, Christiern von Dänemark, die andere harrt Deiner!«
Es überlief schauernd alle Anwesenden, so dämonisch lachte das blinde Weib auf zu den Worten, deren harter, unerbittlicher Ton wider die gothischen Pfeiler anschlug, wie das winterliche Eis, das der Trollhätta gebrochen und gegen die Felssäulen seines Ufers geschleudert. Brita Stenbock's Augen waren erloschen, aber ihr Haß war nicht todt – über Meer und Land verfolgte er den Todfeind und scheuchte ihn auf aus Ermattung, Schlaf und Verzweiflung und jagte ihn weiter ins Verderben.
Einen Augenblick stand Brita Stenbock selbst wie ein Gespenst der Rache, aufgereckt an den Kerkerfenstern der Zukunft und gleich dem Tod von Stockholm in das wahnwitzige Gesicht Christiern's hinüberstarrend – dann fiel sie erschöpft in die Arme ihrer Tochter zurück. Sie erholte sich schnell, allein ihre Aufregung hatte sich Karin mitgetheilt, deren Augen mit eigenthümlichem Glanz leuchteten, wie der König jetzt ihre Hand faßte und, sie auf den Altar zuführend, flüsterte:
»So ist doch noch die zweite Bedingung erfüllt in der Minute, bevor Du mein wirst, Rose vom Trollhätta – Schweden ist frei.«
Sie sah ihm nicht ins Gesicht, sie sagte: »Ja, alle Bedingungen sind jetzt erfüllt, Schweden ist frei.«
»Und Du bist seine Königin.«
Es rann durch die Glieder des Mädchens, er fühlte es, wie ein Schauer von Stolz und Bangen zugleich. Sie trat fest auf den Sammetteppich des Altars.
»Im Namen des allmächtigen Gottes grüße ich Dich, König Gustav von Schweden, den die Edlen und Gemeinen des Volks zu ihrem Herrn erwählt. Königsgeschlechter sind gekommen und gegangen an dieser Stätte; eines anderen Glaubens Priester setzten die Krone auf der Ynglinger Stirn, die da Söhne Odin's, des Gewaltigen, sich glaubten. Doch sie fielen wie das Laub im Herbst, und ihr Gedächtniß ist vergangen. Und das stolze Geschlecht der Folkungen nahm hier die Krone aus der Hand der Verkündiger des Evangeliums, und sie salbten es mit geweihtem Oele von Rom. Aber wie die Wellen des Meeres ist es zerronnen, und seine Spur gelöscht. Viele kamen nach ihm in langer Reihe mit hohen Namen und stolzem Blick, von hier und von dort, und sie wurden gesalbet und geweiht – doch wo ist ihre Erinnerung? Denn es ist nicht der Oeltropfen aus der Hand eines Menschen, der Kleines groß macht und Niederes emporhebt; es ist der Geist des lebendigen Gottes, der das Recht und die Freiheit und die Menschlichkeit ist, der auch die Mächtigen erhellen muß, auf daß ihr Angedenken nicht schwinde unter den Guten, ihre Tage nicht wie Staub im Nordwinde sind. So grüße ich Dich in der alten Königsstadt, Gustav Wasa, und ich hebe freudig die Hand zu dem großen Könige über uns Allen empor und danke ihm.«
Also begann die Rede des greisen Erzbischofs von Upsala. Aus breiter, kraftvoller Mannesbrust gesprochen, rollten die Worte klangreich und feierlich über die tausend entblößten Häupter im Dome. Wie der Windhauch die Segel eines Schiffes, schwellten sie die Brust jedes schwedischen Hörers, dem aus ihnen eine friedliche, menschliche und doch stolze Zukunft des Vaterlandes emporstieg. Am gewaltigsten aber faßten sie Karin Stenbock, deren Körper es durchbebte, die bewundernd zu der majestätisch-schönen Gestalt an ihrer Seite, zu dem Manne aufblicken mußte, den sie preisen hörte als ein Werkzeug des Himmels, den sein Volk vergötterte, und der vor Allen sie ausgewählt, um gemeinsam mit ihr sein Werk zu vollenden, nach dem Kampf den Frieden über Schweden zu breiten, nach dem Sieg des Schwertes die Herrschaft des Rechtes, der Freiheit, des Glückes und der Menschlichkeit zu begründen. Ja, stolz und freudig zum ersten Male sah Karin auf den weißen Hermelin, der von den Schultern ihres königlichen Lebensgefährten herabfiel. Ihr war, als höre sie es über sich säuseln wie die Buchenwipfel des Odinhügels: »Andern zu nützen und dem Guten zu dienen.«
Wie anders noch hatte es sich erfüllt, als sie es damals gemeint. Wie anders vermochte eine Königin den Wahlspruch, den die Sonnenstrahlen über die schlafende Welt in ihre Seele geleuchtet, zu erfüllen, als sie damals gedacht. Nein, diese Pflicht war auch eine Wahl, eine stolze, freudige Wahl.
Und stolz und freudig schweiften die Augen Karin's während der Rede des Erzbischofs zum Gewölbe über ihr empor und zurück über die lauschenden Köpfe, die den Altar umdrängten.
Da plötzlich zuckt es in den schönen Augen, und ihr blauer Glanz wird starr und bleibt wie gebannt festgeheftet auf dem rothen Porphyrpfeiler, der zur Rechten des Altars das Gewölbe des Mittelschiffes trägt. Das Tageslicht fällt nicht dorthin und auch der Schein der Altarkerzen nicht; nur der Abglanz von beiden umwebt ihn mit einem magischen Gemisch von Dunkel und Helle. Und seltsam umrahmt es den Kopf eines Zuschauers, der, den Blick unverwandt auf den Altar gerichtet, an dem Pfeiler lehnt. Etwas Geisterhaftes wie das Licht, das es umfließt, hat das blasse Gesicht. Man sieht aus der Ferne nicht, ob es jung oder alt ist. Die Züge scheinen jugendlich wie die schlanke, hochgewachsene Gestalt, aber das Haar, das voll über der Stirn liegt, widerspricht der Jugend. Es ist blond gewesen, und einen Schimmer davon hat es noch; wie mit Asche überstreut fällt es herab und wie mit Asche überweht sind die Augen. Sie sind lebloser als die todten Augen Brita Stenbock's, die aufmerksam den ernst frohen Worten des Redners lauschen, als blickten sie durch sie in die Zukunft hinaus.
Manches Auge von den Zuhörern hing an dem Antlitz des Mädchens, das in wenigen Minuten zu Schwedens Königin erhöht war, und folgte jedem ihrer Blicke. Manches wandte sich deshalb und suchte den beglückten Gegenstand, auf dem jenes verweilte, und es fragten mehrere Lippen zugleich:
»Wer mag es sein, der mit dem sonderbaren Gesicht drüben am Pfeiler lehnt? Ich glaube, die Königin sieht ihn an.«
»Still,« antwortete eine Stimme, das Gemurmel dämpfend, »es ist der Botschafter des Königs an den deutschen Kaiser, der eben zurückgekommen. Er mag verwundert sein, was für ein Engelsgesicht der Gösta sich in seiner Abwesenheit geholt; man merkt's ihm an, daß er in seinem Leben etwas so Schönes nicht gesehen hat. Aber hört auf den Erzbischof; das Wichtigste kommt. Still!«
Das Geflüster verstummte, und alle Blicke richteten sich auf den hohen Kirchenfürsten, der von kostbarer, mit Edelgestein ausgelegter Goldschale die schlichten Goldreifen, das gleiche Treuesymbol der Königin und der Geringsten emporhob. Nur die Augen Karin Stenbock's regten sich nicht; nur die Augen des Mannes am Pfeiler hielten unbeweglich ausdruckslos ihre Richtung inne.
»Karin,« sagten die stummen, glanzlosen Augen am Pfeiler, »am Rand des Trollhätta stand der alte Barde und sah hinab. Um ihn blühte das Leben, die Sonne überfloß seine Stirn, die Blumen winkten, die Vögel sangen, und ihm graute vor der unheimlichen Gestalt, die aus dem Brausen des Abgrundes sich mit weißen Armen zu ihm aufreckte. Wie oft wollte er entfliehen; doch Zauber lag um seinen Leib, und er mußte hinuntersehen auf die donnernden Wasser, und willenlos zog es ihn näher und näher und, von den Geistern der Tiefe überwältigt, sprang er hinab, und der blendende Schaum schlug über ihn zusammen.«
Der Erzbischof faßte die kalte, starre Hand der Königsbraut von Schweden und streifte den schlichten Ring über ihren Finger. Athemlos stand die harrende Menge.
»Karin,« sagten die stummen, glanzlosen Augen am Pfeiler, »waren diese Lippen es, die sprachen: Werde nicht müde, armer Gustav – wenn Du müde würdest einmal und der Strom hätte mich gefaßt, daß es zu spät wäre und Du mich nicht mehr emporheben könntest. Waren es diese Lippen, die flüsterten: Verlaß Karin nicht – war es Gustav Rosen, dem sie sagten: Ich habe Dich ja so lieb, Gustav – so lieb –?«
»Der allmächtige Gott schütze und behüte Euch, König und Königin von Schweden. Er lenke Euer Herz zu Eurem Glück und zum Heile Eures Landes. Er erhebe sein Angesicht auf Euch und gebe Euch Frieden.«
Wie ein schlichter Bürger bog Gustav Wasa die Lippen zu seiner Gattin nieder. Wie aus langem Traum auffahrend, schwankten die blauen Augen der Königin von Schweden zum ersten Male von dem Antlitz zur Seite. Sie glitten mit irrem Blick über das lang herabfließende, schneeige Hermelingewand ihres königlichen Gatten, ihre Füße wankten, schaudernd streckte sie vornübergeneigt ihre Hände aus und fiel mit dem Angstschrei: »Du bist der Trollhätta –!« besinnungslos in die Arme Gustav Erichson's.
Es war nur Einer in dem weiten Gewölbe, der es verstand; Wenige überhaupt vernahmen es. Die Menge sah die junge Königin nur von fern in die Arme ihres Gatten fallen, die sich fest um sie zusammengeschlossen; sah nicht, daß der König ihren Leib wie leblos kraftvoll aufrechterhalten und stützen mußte. Sorgsam mit starkem Arm hielt er sie und flüsterte ihr liebreiche Worte ins Ohr.
»Ihr tragt die Schuld daran, Frau Mutter,« sagte er dann, sich vorwurfsvoll zu Brita Stenbock wendend; »was vergangen, ist todt und mag schlafen. Warum mußtet Ihr die Schatten von Torpa aufwecken und in die Freude dieses Tages hineinwerfen?«
Die blinde Frau antwortete nicht, doch ihre Tochter richtete sich langsam auf.
»Die Schatten von Torpa« – wiederholte sie, mit der Hand über die Stirn gleitend; »Du sagst es, sie sind todt – was vergangen, ist todt und muß schlafen.« Und Karin faßte den Arm ihres Gatten und durchschritt festen Fußes mit ihm die Kirche. Das königliche Gefolge reihte sich hinter sie, daran schloß sich mit Jubelrufen das unermeßliche Gedränge des Volkes. Nach wenig Minuten stand Niemand mehr unter dem hohen Domgewölbe, als der Einzige, der das Wort verstanden, das Karin von Schweden gesprochen.
Er stand noch immer an demselben Pfeiler, die Altarkerzen waren ausgelöscht, und nur das Licht des Tages fiel matt durch die bunten Scheiben; doch die stummen, glanzlosen Augen warm noch unverwandt auf die leere Stätte vor dem Altar gerichtet. Sie blieben es, bis der Schließer kam und den einsamen Gast verwundert betrachtete.
»Seid Ihr unwohl, Herr?« fragte er endlich respectvoll. Da fuhr Gustav Rosen zusammen, blickte ihm sich besinnend ins Gesicht und ging schweigend hinaus.
Draußen, nachdem der Hochzeitszug die Brücke des Fyrisöflusses überschritten, hielt König Gustav einen Augenblick inne und deutete auf einen am Rande der westlichen Stadthälfte emporsteigenden grünen Hügel, der sich, Upsala überblickend, sanft gen Süden abdachte.
»Dort wollen wir uns ein Schloß bauen und glücklich sein,« sagte er leise, sich zu seiner jungen Lebensgefährtin hinüberneigend. Sie hob den Blick: »Ja, man wird die Bäume des Odinhügels von dort sehen,« versetzte sie ernst. Nun strömte Alles dem Königspaar zu dem Hause nach, das die Stadt für seine Hochzeit in Bereitschaft gesetzt hatte. Es war das stattlichste in Upsala; mit der früh einbrechenden Dämmerung harrte in seinen großen Sälen ein festliches Banquet. Auf kronengeschmückten Sesseln saß zu Häupten der Tafel das erste Königspaar, das Schweden seit einem halben Jahrhundert gesehen; neben Gustav Wasa zur Linken das ernstmilde Gesicht des Primas des Reichs. Viel und bedeutungsvoll trotz der Heiterkeit des Festes sprach mit ihm der König von der neuen Geisteswelt, die südlich der Ostsee in Deutschland erwacht; erfreut lauschten die Lübecker Herren auf ein oftmals im Munde des Fürsten wiederkehrendes Wort, bis dieser den Pokal vor sich erhob und mit lauter, klangvoller Stimme rief:
»Ihr Edlen und Gemeinen des schwedischen Volkes! Mein erster Gruß gilt der Freiheit dieses Landes. Doch Ihr habt erfahren, daß sie nicht in Händen, daß sie im Haupte ruht; daß ein Volk allzeit die Knechtschaft abzuschütteln vermag, ob seine Arme gleich gekettet sind, wenn sein Geist frei ist. Die Freiheit, die ich meine, die ich Euch bringen will, hängt nicht am Falle Stockholms, nicht an der Entthronung Christiern's von Dänemark. Sie entstammt der Erde nicht, der Himmel hat einem Größeren, denn ich, sie übergeben, um sie zu verkünden. Ich trinke darauf, nach ernster Sitte der Väter, daß das Werk des Mönches zu Wittenberg gedeihe, daß es die römischen Fesseln sprenge dort und hier – mein Gruß gilt Martin Luther!«
Fast Alle, die um den langen Tisch saßen, sprangen begeistert auf. Wie ein zündender Funke fiel das Wort in Jedes Gemüth, doch alle Blicke richteten sich erwartungsvoll gespannt auf die hohe, ehrwürdige Gestalt zur Linken des Königs. Dann brach ein betäubender Beifallsruf von allen Lippen; mit fester Hand erhob der Erzbischof von Upsala seinen Becher, stieß ihn wider den Gustav Wasa's und sagte:
»Auf das Wohl Martin Luther's.«
Auch Karin's Becher traf den ihres Gatten mit hellem Klang. Nun flogen nach uraltschwedischer Sitte die »Skäls« herüber und hinüber. Seltsame Aehnlichkeit und seltsamen Gegensatz bot die Tafel zu der, die im Beginn des Frühjahrs die schuttüberdeckten Wände von Torpa gesehen. Viele der nämlichen Gesichter auch hier, doch mit wie anderem Ausdruck! Sorgloser Frohsinn sprach aus den kraftvollen Zügen Gustav Stenbock's; das blinde Antlitz neben ihm hatte den eisigen Zug verloren, der zum letzten Male es vor dem Altar im Dom überflogen, und an der Seite eines Königs von Schweden saß wieder Karin.
Doch nicht zitternd, nicht fieberhaft erblassend und erglühend – mit stäten, ernsten Augen, schön und ruhevoll – schön, wie der milde Herbst, der über Schwedens junger Freiheit lag, ruhevoll, wie die Buchenwipfel des Odinhügels, die in den blauen Himmel emporragten.
Und drunten am andern Ende der langen Tafel saß ein stummer Gast, wie er am Tisch zu Schloß Torpa gesessen. Seine Lippen sprachen nicht, sie berührten nicht Speise noch Trank. Ueber den zitternden Lichtern weit vor ihm ruhte die Königin von Schweden vor seinem Blick, aber hinter ihr, fern, unendlich fern und klein vor seinen Augen schwebte wie ein Traumbild Karin Stenbock. Durch die Wand des Festsaals schauten sie hinaus in ein Felsenthal, das der Trollhätta durchrauschte – da stand, von der linden Frühlingssonne das goldblonde Haar überfluthet, Karin Stenbock und sagte: »Weine nicht, Gustav; wenn ich groß bin, gehe ich mit Dir nach Dänemark.«
Alles Klingen der Becher, allen Lärm des Festes überklangen die leisen Worte, die das Traumbild sprach, das so weit und doch so sonnenhell über dem Sessel der Königin von Schweden in die stummen, glanzlosen Augen nickte. Nun lächelte es durch Thränen und bat wieder mit schluchzender Stimme: »Weine nicht, Gustav; ich werde ja Deine Frau, und dann will ich auch Deine Mutter sein, und wir gehen zusammen nach Dänemark.«
Eine Thräne fiel aus der Wimper des stummen Gastes auf den unberührten silbernen Teller – und wieder fuhr Gustav Rosen erschreckt auf, denn die Stimme seines Nachbars zur Rechten fragte theilnahmsvoll: »Seid Ihr unwohl, Herr?«
Der Angeredete erhob sich schweigend, wie er es wenige Stunden zuvor im Dom gethan, und wollte den Saal verlassen, da traf ihn ein Blick des Königs, der gleichfalls von seinem Sitz emporgesprungen.
»Der König will reden: still!« durchlief es die Reihen; jedes Geräusch verstummte, und Gusta Wasa sprach:
»Wir haben das Wohl manches tapferen Mannes getrunken, von dessen Thaten um die Freiheit Schwedens wir Alle Zeugen gewesen. Doch manches Verdienst auch hat sich in der Stille geborgen, wohin nur der Blick von Wenigen reichte. Mancher Kampf ist gekämpft worden, den kein Auge gesehen, ob er vielleicht der schwerste war. Ich grüße auch die, welche erst sich überwinden mußten, ehe sie das ewige Recht unseres Zieles erkannt. Ich grüße mit diesem Trunke den Mann, der die schwerste Aufgabe übernommen, den deutschen Kaiser von der Sache seines Verwandten zu trennen und für uns zu gewinnen, und sie siegreich durchgeführt. Den Mann, ohne dessen Muth die edle Mutter Eurer Königin heut' nicht mehr bei uns verweilte, dem Ihr Alle wie ich gleich viel verdankt – Dich, Gustav Rosen!« Auf einen Zug leerte der König seinen Becher, und Alle folgten ihm. Gustav Wasa dachte nur jener Nacht, in der er die dem Tode Geweihten in Torpa gerettet, in der Rosen die ganze ungeheure Schuld, die er auf sein Haupt geladen, erkannt – erkannt, daß er in dem dänischen Tyrannen fluchwürdigen Zielen gedient und zur Sühne sich jedem Dienste für die Sache seines Vaterlandes willig erboten. Da hatte Gustav Erichson ihn, weise vorausblickend, als Botschafter an den Kaiser Karl den Fünften betraut.
Hatte er damals noch einen andern, geheimeren Zweck mit der weiten Entfernung des Jünglings verfolgt? Unbewußt vielleicht – doch jetzt war er lang vergessen. In seinem Gedächtniß haftete lang nur noch das »Niemals«, das Karin gesprochen, als er auf den Wassern der Göta-Elf gefragt: »Willst Du zu Gustav Rosen zurück?«
»Niemals. Zwischen mir und ihm liegt ein Abgrund, wie der Trollhätta zwischen diesem Ufer und jenem. Mein Herz gehört dem nicht mehr, der Schweden verrieth.«
Was wußte Gustav Rosen von den Augen Karin's, die Schweden gehörten? Was weiß Gustav Wasa von den Augen Karin's, die Gustav Rosen geliebt?«
Nun ist Schweden befreit.
Hatte der Gesandte Gustav Erichson's an den deutschen Kaiser gedacht, er könne auch eine andere Schuld dadurch sühnen? Hatte er gedacht, er werde zurückkommen und sagen können: ich war verblendet, als ich Schweden verrieth – jetzt habe ich geholfen, Dein und mein Vaterland zu retten!?
Der Weg ist weit vom Trollhätta bis an die Alpen. Als Gustav Rosen's Fuß Upsala betrat, läuteten die Glocken des Doms, läuteten alle Glocken Schwedens zur Hochzeit seiner Königin.
Es war ein stolzer, ritterlicher König, in dessen Hände sie die ihren gelegt; es war ein starker, ein weiser und war ein edler Mann. Wohl gab es keine Jungfrau im Schwedenlande, die heut' nicht Karin's Schicksal beneidete, wohl vielleicht manchen Mann auch, der Gustav Wasa's neue Krone geringer an Werth geschätzt hätte, als die weiße Perle, die, wie aus dem Schaum des Trollhätta ans Licht getragen, goldumrahmt an seiner Seite saß. Auch sie erhob sich bei dem letzten Wort, das er gesprochen – »Dich, Gustav Rosen!« sagte er, und sie stand auf. Ein Blick, der erste von ihr, fiel an das Ende des Tisches – eine Secunde lang war die Königin von Schweden aus dem Sessel verschwunden und das ferne Bild hinter ihr kam heran und stand einsam und fremd da im Festessaal zu Upsala – dann wichen die Augen Karin's zur Seite, und es schwand wieder zurück in die weite Ferne, unerreichbar, unwiederbringlich.
Und tiefer sank die Nacht, und die Mitternacht kam und mit ihr die Stille im Hochzeitshaus zu Upsala. Schweigen lag auf dem weiten Schwedenreiche; nur ein Nordlicht, hoch bis an den Zenith aufstrahlend, stand über der alten Königsstadt.