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Das erste falbe Licht umspielte Schloß Torpa und kämpfte mit den ringsum rothflackernden Fackeln, als Gustav Rosen zurückkam. Seine Füße trugen ihn mechanisch vorwärts, wie von tödtlicher Krankheit in einer Nacht gepackt waren seine Wangen hohl, seine Augen glanzlos, wie erloschen. Er wußte nicht, was er wollte, er schritt weiter; gedankenlos zog es ihn an die Stätte seines Glückes und Elends zurück.
Im Schloßhof eilte ein Offizier auf ihn zu und sagte, daß der König schon mehrfach nach ihm gefragt habe. Er nahm den Arm des Jünglings und führte ihn mit sich die Treppe hinauf in das Zimmer, in welchem der Gebieter verweilte.
Den Vertrauten war es unverkennbar, daß König Christiern sich in einer unheimlichen Stimmung befand. Von zahlreichen Trabanten bewacht, standen die Knechte und Mägde des Stenbock'schen Hauses dicht zusammengedrängt in einem Winkel des Gemachs, und Christiern, auf einem Sessel am Fenster sitzend, rief sie einzeln vor sich und verhörte sie. Ihre Aussagen waren fast alle gleich und der Wahrheit gemäß, daß sie nichts von dem bevorstehenden Ueberfall des Königs gewußt, und daß sie ebenso sehr wie er selbst von demselben überrascht worden. Die Richtigkeit dieser Angabe lag auf der Hand, da Niemand von ihnen in der Verwirrung daran gedacht hatte, die Flucht zu ergreifen, sondern alle nach dem Entweichen der Dalekarlen ohne Widerstand von den Soldaten zusammengetrieben waren. Auch König Christiern wurde von der Wahrheit ihrer Aussagen überzeugt, denn er lachte jedem am Schlusse freundlich zu und sagte:
»Du hast Recht. Ich sehe, daß man Dich ohne Grund aus Deiner Nachtruhe gestört hat. Ich will Sorge tragen, daß es nicht wieder geschieht. Geh'!«
Er winkte, und der Verabschiedete wurde fortgeführt. Doch im Augenblicke, wo er durch die Thür des Vorsaales an den Rand der Treppe hinaustrat, traf ihn plötzlich von hinten das Beil des Henkers in den Nacken, daß der Körper dumpf zu Boden fiel und der Kopf, ohne mehr einen Schrei auszustoßen, über die Stufen hinunterflog. Einer nach dem Andern verschwand; endlich war nur noch eine Magd übrig. Christiern fühlte sich schon durch das gleichförmige Spiel gelangweilt, stand auf und trat ans Fenster. Dann wendete er sich zu dem Mädchen um und musterte die Züge ihres schönen, ausdrucksvollen Gesichtes, das, den echten schwedischen Nationaltypus darbietend, eine ins Gröbere übertragene Ähnlichkeit mit Karin Stenbock verrieth. Er blickte sie stechend an und lachte noch heftiger als bei den Uebrigen.
»Drunten an der Treppe liegt ein Dutzend von Narrenköpfen. Wenn Du Deinen auf der Schulter behalten willst. Dirne, so geh', sammele sie in Deiner Schürze und bring' sie mir herauf!«
Das Mädchen brach ohnmächtig zusammen. Er winkte: »Tragt sie fort und laßt sie ausführen, was ich befohlen!«
»Die Dirne hat Ähnlichkeit mit der Tochter von dem Schurken Stenbock; sie wird wohl eine Stiefschwester sein, von der unsere gute Wirthin so wenig ahnt, wie von den Köpfen, die grad' über ihre Treppe kollern,« raunte Einer aus der Umgebung des Königs halblaut seinem Nebenmanne zu.
Der Sprecher fuhr zusammen, denn Christiern's Kopf flog herum und ein furchtbarer Blick zuckte über das Gesicht des Unvorsichtigen. Dann stürzte der König auf die Thür zu, packte mit eisernem Griff die Schulter des hinausschwankenden Mädchens. Er riß ihren Nacken herum und starrte ihr mit einem Ausdruck thierischer Wildheit ins Gesicht. »Er hat Recht, sie gehört zu der Brut,« murmelte er, »das ist die Fratze, die mich betrog.«
Und ehe das Mädchen auf die Knie zu fallen vermochte, entriß König Christiern der Zweite von Schweden, Norwegen und Dänemark dem neben ihm stehenden Trabanten sein breites Schwert und schlug mit eigener Hand den Kopf des eben begnadigten Mädchens vom Rumpfe, daß er auf einen Hieb mit dem blonden Haar über den Estrich fortrollte.
In diesem Augenblick trat Gustav Rosen in den Saal. Das umherfliegende Auge des Königs bemerkte ihn sogleich, und er schritt lustig auflachend auf den Jüngling zu.
»Da liegt der Kopf Deiner Schönen, Rosen, küsse ihn!« rief er.
Das Gehirn des jungen Mannes war so verwirrt, daß er bei dem Anblick des blondhaarigen Kopfes, dessen entfernte Aehnlichkeit der Tod nicht verringert hatte, fast zusammenbrach. Erst die helle Lache, die Christiern wieder aufschlug, riß ihn aus seiner Betäubung.
»Für diesmal ist sie's noch nicht,« fuhr der König fort, »die Trollhättarose ist uns Beiden entgangen – Verdammt!« – die Adern auf seiner Stirn schwollen plötzlich strotzend an, und er stampfte mit dem Fuß auf den Boden, daß die Wände klirrten und die Umstehenden zitternd zusammenflogen – »wer ist der Schurke, der sie entwischen ließ? Ihr seid alle Verräther, die ich viertheilen sollte!«
Niemand wagte dem wuthentstellten Gesicht des Monarchen entgegenzutreten, der das fortgeworfene Schwert vom Boden gehoben und es wie ein von plötzlichem Irrsinn Gefaßter dicht vor den Köpfen der zurückweichenden Dänen pfeifend durch die Luft schwang. Nur einmal erst hatten sie ihn so gesehen, nach dem Tode des Täubchens von Amsterdam, das Torben Oxe's Magschaft vergiftet haben sollte. Es war offenbar, die schlimmste Raserei ergriff ihn nicht, wenn Jemand seiner königlichen Macht Trotz geboten, sondern wenn ein Punkt, den Niemand kannte, in seinem Herzen getroffen worden, und es war nicht Gustav Erichson, es war Karin Stenbock, die sein Toben bis zum Wahnsinn gesteigert. Allmälig ließ es, da Niemand ihm Widerstand leistete, nach, er besah minutenlang das Blut an der Klinge, die er zwischen den Fingern hielt, dann setzte er sich mit düsterer Stirn auf den Sessel zurück, stützte die Hand auf den Griff des Schwertes, das er fest in den Holzboden gestoßen, und befahl:
»Führt Brita Stenbock herein!«
Nach einigen Augenblicken erschien die Geforderte. Ihre Arme waren mit schweren Ketten beladen, die der Dänenfürst stets auf seinen Reisen mit sich führte. Doch sie trug dieselben, als wären sie nicht vorhanden; kein Muskel ihres Gesichtes verrieth Furcht oder Erregung. Nur Gustav Rosen taumelte bei ihrem Anblick an den Pfeiler zurück, seine Augen hafteten entsetzt auf dem regungslosen Gesicht seiner Tante, und mit dunkler Röthe stieg das Schuldbewußtsein dessen, was er veranlaßt, über seine Schläfe herauf.
Minutenlang blieb es todtenstill in dem großen Gemach, in dessen Mitte Brita Stenbock aufrecht stand. Endlich brach sie das Schweigen und fragte laut:
»Wer hat mich gerufen?«
Der König fuhr wie erschreckt auf. Sein Blick hatte starr auf dem Boden verweilt. »Ich,« antwortete er unsicher.
»Das ist die Stimme Christiern's von Dänemark.«
Wer ihn anblickte, hätte glauben müssen, daß die todten Augen seiner unversöhnlichen Feindin Leben gewonnen, so scheu wich sein Blick der Richtung aus, in die unwillkürlich ihr Antlitz sich bewegt hatte. Wieder trat eine Pause ein, dann gebot er plötzlich:
»Nehmt ihr die Ketten ab!«
Die Trabanten gehorchten, sich erstaunt ansehend, dem Befehl. Der König erhob sich und machte zögernd einige Schritte vorwärts.
»Brita Stenbock, Du wolltest mich ermorden lassen.«
»Ich hätte Dich richten lassen; Du mordest,« versetzte sie kalt. Es war, als fürchte der, den Alle fürchteten, sich vor einem Weibe. Unruhig heftete er jetzt den Blick auf ihr Gesicht; er besaß keine Macht über die todten Augen Brita Stenbock's.
»Du hattest mich in Dein Haus geladen, ich baute auf schwedische Gastfreundschaft,« fuhr er langsam fort.
»Du hattest den Adel Schwedens nach Stockholm in Dein Haus geladen, er baute auf dänische Gastfreundschaft.«
Christiern schlug die Lider zu Boden. War es Erschlaffung nach dem Aufruhr, der in ihm getobt? Seine Lippen zitterten, er mußte sie gewaltsam zwingen, seinen Gedanken zu gehorchen und fortzufahren:
»Du reichtest mir die Hand und nanntest mich willkommen in Deinem Hause, Brita Stenbock.«
»Du reichtest Jedem die Hand, den Du tödten wolltest, und nanntest ihn willkommen. Ich habe Dir im Namen meines Vaterlandes gedankt und gesagt, ich hoffe, Dein Verweilen in diesem Hause werde Schweden zum Heil gereichen. Ich habe Deinen Trunk auf das Wohl meines Hauses mit einem Trunke auf Schwedens Wohl erwidert. Warum warst Du blind, meine Worte nicht zu verstehen? Warum ließest Du Deine sehenden Augen von der Blindheit bethören?«
Wie Hohn lag es in Ton und Wort, das sie sprach; immer athemloser staunend blickten die Umstehenden auf das kühne Weib und auf das von einem bangen, seltsamen Ausdruck veränderte Gesicht des Gebieters. Er hatte die Hand auf die Stirn gelegt und wollte antworten; doch immer schwerer schien seine Zunge zu werden, mühsam brachte er hervor:
»Es ist Kampf gegen Kampf, List Wider List. Du haßt mich, und Du hast Recht gethan, Brita Stenbock. Zwischen uns Männern herrscht Krieg und Klugheit, und ich achte Dich wie einen Mann. Du hast tapfer gekämpft; je mehr ich es erkenne, desto höher ehre ich Dich. Sprich offen – Deinem Geiste entsprang der Plan, und Niemand wußte ihn außer Dir. Du setztest ihn ins Werk und hattest keine Hand dafür als Deine. Sprich ja, und ich lohne Dir die Größe Deiner That, und Du bist frei.«
Sind es in dem weiten Gemach, wo hundert Blicke auf ihr ruhen, die todten Augen Brita Stenbock's allein, die sehen? Die den einzigen Punkt gewahren, wo sie zwischen den Maschen des Stahlhemdes hindurch den spitzen Dolch in das Herz, mitten in das versteinerte Herz ihres Todfeindes zu bohren vermögen?
Ein seltsames, hohnlachendes, triumphirendes Zucken flog um die Mundwinkel des blinden Weibes.
»Nein, Christiern von Dänemark, Du schätzest mich zu hoch. Mir gehört nur der Rath, doch weder der Gedanke noch die Ausführung. Ein Mädchen hat Dich überlistet; meine Tochter entwarf den Plan. Sie kannte Dich nicht und hatte nicht erwartet, daß Du mit einem Heer zu einer Hochzeit kommen würdest. Es sollte eine Schlacht in Torpa sein, und vor dem Altar hätten wir Dich gerichtet. Doch als meine Tochter die Zahl Deiner Begleiter gewahrte –«
Die Hand König Christiern's glitt langsam von der Stirn über seine Augen herab. »Als Deine Tochter die Zahl meiner Begleiter gewahrte –« sprach seine Lippe mit sonderbar schluchzendem Laut nach.
»Da kam sie zu mir und sagte: Christiern von Dänemark ist nicht nur ein Tyrann, er ist auch ein Thor. Ist die Freiheit Schwedens, ist sein Verderben es werth, Mutter, daß ich einen Abend lang die Rolle der Wirthstochter aus Bergen spiele?«
Selbst Brita Stenbock schrak innehaltend zusammen, ein so wilder, stöhnender, brüllender Laut rang sich aus der Brust des Königs, der wie leblos in seinen Sessel zurückfiel und beide Hände heftig über sein Gesicht schlug. Niemand wagte in dem Zimmer zu athmen; unter der königlichen Hand rollten schwere Tropfen, dem Blute gleich, das den Boden bedeckte, hervor; es war so still, daß man vernahm, wie sie auf den Estrich hinabfielen. Dann lösten sich die Hände, sie klammerten sich krampfhaft um den Griff des fest in die Bretter gestoßenen Schwertes und rissen es heraus. Dazu schlug König Christiern ein helles Gelächter auf und sagte:
»Du erzählst gut, Brita Stenbock, aber die Zeit ist zu kurz, als daß wir uns länger von Dir unterhalten lassen könnten. Also wir, der Tyrann, haben schwedische Gastfreundschaft, Treue und Manneswort untergraben? Du hast wieder Recht, wir waren ein Thor!«
»Spotte, Christiern,« fiel die greise Frau, sich furchtlos aufrichtend, in seine Worte, »ich habe Dich getroffen. Meine Augen sind blind, und Andere mögen glauben, daß Du lachst. Ich sehe Dich und sehe in Dein Herz und weiß, es blutet unter meiner Hand.«
Mit einem Wuthschrei von bebender Lippe stürzte der König, das Schwert aufhebend, vorwärts auf das wehrlose Weib zu. Eine Secunde, und es hätte das Schicksal des Mädchens getheilt, und der grauhaarige Kopf lag neben dem blonden am Boden. Doch diesmal sprang Gustav Rosen entsetzt vor und fing den tödtlichen Hieb mit dem Arm auf. Einen Augenblick stand Christiern unbeweglich, starrte in das bleiche Gesicht des Jünglings. Dann ließ er das Schwert aus den gekrümmten Fingern fallen und sagte mit eisiger Stimme:
»Ich danke Dir, Rosen. Du bist durch meine Schuld um eine Braut gekommen, ich will Dir eine andere wieder verschaffen. – Bist Du bereit, Brita Stenbock?«
Der Sinn lag nicht in den Worten, er lag in dem Ton der letzten Frage. Alle verstanden ihn, auch die, an welche er gerichtet war. Doch ihre Miene zuckte nicht; sie hob noch einmal stolz den Kopf:
»Du richtest mich nicht, Christiern, Du tödtest mich nur. Für mich hat der Tod keine Furcht, und was nützt er Dir? Mich kannst Du mit dem Schwert treffen, den Geist dieses Hauses kann es nicht ertödten. Meine Augen sind blind, aber durch ihre Nacht höre ich in die Zukunft. Der Tag kommt, da ganz Schweden ein Torpa sein wird; ich sehe Blut fließen, mehr denn in den Mälar geronnen, doch es rollt gegen den Sund und Riesenfackeln erhellen es. Bei ihrem Schein sehe ich Dich, Christiern von Dänemark, ohnmächtig, verlassen, verachtet und verabscheut. Ich sehe, wie Deine bleiche Stirn, mit dem Fluch Deines Volkes, mit dem Hohn der Menschheit beladen, wider die Mauer Deines Kerkers stößt, und wie die Gespenster Stockholms durch die Gitter Deines Fensters hereinlachen und Dich feig ins Leben zurückschrecken, weil Du Dich vor dem Throne fürchtest, auf dem Du nicht sitzest und vor dem Dein Gericht aufhört. Dann aber wird der Trollhätta den Gesang von Schwedens Freiheit jedem Ohr vernehmlich rauschen wie in dieser Stunde, wo nur ich ihn höre.«
Majestätisch reckte die Sprecherin die Hand empor, und durch die lautlose Stille, die ihren Worten folgte, tönte Allen vernehmlich, als wälze er seine Wassermassen Wider die Mauern Torpas, das donnernde Brausen des Trollhätta, der das letzte Eis des Winters zerschmettert in die See hinabtrug und die Kunde über Schweden rief, daß der Frühling gekommen.
Auch König Christiern horchte einen Moment unwillkürlich hinüber. Doch es war das alte, düster unheimliche Gesicht, über dessen unerkennbaren Abgründen wie ein Irrlicht das verräterische Lachen gaukelte.
»Deine Augen sind noch zu scharf und sehen zu weit in die Ferne, Brita Stenbock,« sagte er spöttisch; »ich will Licht um Dich machen, daß Du die Nähe gewahrst. Ich will Dir ein Riesendenkmal setzen, das der Trollhätta nicht mehr umrauscht; denn er ist mein, und seine Wasser sollen hinfort fügsam und zahm unter meiner Hand fortmurmeln wie Dein Volk. Der Geist dieses Hauses wird sich nicht über Dein Vaterland verbreiten und Schweden kein Torpa werden, denn die Riesenfackel, die Du gesehen, ist Torpa, bei deren Schein Du ohnmächtig und verlassen liegst.
Nein, nicht ganz verlassen« – König Christiern wendete sich rasch um – »ich habe gesagt, daß ich Dir Dank schulde, Gustav Rosen, weil Du mich daran erinnert, was dem König, und was dem Henker zukommt. Du wirst billig denken und begreifen, daß ich in dieser Minute Deine junge Braut nicht hierher schaffen kann, aber ich bin zu Deiner Hochzeit gekommen, und für wenige feurige Augenblicke wird Dir auch wohl eine alte, zumal da sie demselben edlen Geschlecht angehört, genügen. – Hauptmann Wolmarson!«
Der Gerufene trat heran, und Christiern raunte ihm einige schnelle Worte zu. Dann drehte er sich noch einmal nach Rosen's Seite.
»Ich werde Deine Güter trefflich verwalten, Rosen, sei unbesorgt; ich danke Dir dafür.« Und mit einem blitzartigen Blick Brita Stenbock's unbewegtes Gesicht streifend, verließ der König den Saal. Drunten im Hof riefen Hörnertöne zum Aufbruch; in kurzen Minuten war der Schloßhof mit Reitern erfüllt, und ihr Gebieter gab das Zeichen zum Fortmarsch. Nur fünf Pferde harrten noch aufgesattelt vor der Thür, Hauptmann Wolmarson's und seiner mit ihm zurückgebliebenen Gefährten.
Die letzteren sind keine Soldaten, es sind die Gehülfen des Mannes, der von seinem knapp anliegenden Wamms den langen rothen »Gevattermantel« abgeworfen und mit roher Faust Gustav Rosen die Hände auf dem Rücken zusammengeschnürt. Obwohl es ihm seinen Kopf kosten wird, wenn König Christiern es erfährt, kann der Offizier, der dabei steht, sein Schaudern nicht verbergen, wie er die Henkersknechte lachend Brita Stenbock's Glieder mit Fesseln zusammenschließen und sie mit dem Jüngling unentrinnbar an den Altar, der zu anderer Feier für ihn errichtet worden, anketten sieht. Nun ist es geschehen, und davonschreitend, wendet der Gevatter sich noch einmal um und lacht:
»Das Hochzeitspaar ist bereit; ein lustiger Bräutigam, eine schmucke Braut. Holt den Pfaffen, daß er den Segen spricht!«
Einer von den Knechten springt in die Küche und kommt schnell zurück. Grinsend vertheilt er die Last, die er in den Händen trägt, und seine Gefährten vertheilen sich in den Zimmern, die an den Saal stoßen, den sie eben verlassen. Entsetzt stürzt der dänische Hauptmann ins Freie hinunter und schwingt sich auf sein Roß; dann folgen nach fünf Minuten ihm die andern und jagen, sich oftmals umblickend, davon.
Und wieder ist es grabesstill in Schloß Torpa, so still, wie es um die Geisterstunde gewesen, da Karin Stenbock des dänischen Königs in ihrem Zimmer geharrt. Die ersten Strahlen der Morgensonne flammen über die grauen Giebel, durch die höchsten, laublosen Ulmenäste – doch Geisterstunde ist auch jetzt im Schlosse. Geisterhaft still liegen die todten Dalekarlen zwischen ihren lautlosen Gegnern noch in den Gängen; von den blutbespritzten Stufen blicken die rumpflosen Köpfe mit stieren, weitgeöffneten Augen herauf – kein Ton des Lebens, der Freude oder des Schmerzes.
Ein Schrei des Jammers wäre ein Gruß des Himmels in dieser schaudernden Ruhe, durch die nur, bald hier, bald dort, ein leises, gespenstisches Knistern tönt, wie wenn die Wände sich unter unsichtbarer Hand zu krümmen begännen.
Da klingt eine menschliche Stimme durch die Oede: »Mutter, hörst Du's?«
Es ist Gustav Rosen's Stimme, der vergeblich an seinen Banden rüttelt. Sie sind unzerreißbar für seine gefesselten Hände, und kraftlos fallen seine Arme zurück.
Brita Stenbock hört, was er meint, doch ihre Antwort ist eisig, als stände er, ein Knabe, vor ihrem Sessel und harrte der Strafe.
»Ich bin nicht Deine Mutter, Gustav Rosen, und ich danke dem Himmel, daß er mich behütet hat, es zu werden. Die Hochzeitsfackel, die Christiern von Dänemark mir entzündet, ist mir lieber, als hätte ich an diesem Altar meine Tochter in Deine verrätherischen Hände gelegt. Mein Blut, das Blut der Tapfern, die drüben für Schwedens Freiheit gefallen, komme über Dich!«
Das Knistern wird stärker auf allen Seiten, es ist ein Sausen, das in der stillen Morgenluft wie Sturm durch die Gänge zu rollen beginnt. Es ist, als ob die Todten in ihnen auferstehen und mit schwerem Fuß über die Leichen ihrer Gefährten stolpern, um auch sie aufzuwecken.
»Mutter,« ruft der Jüngling verzweiflungsvoll, »Du bist die Mutter Karin's. Du mußt mir das letzte Wort in ihrem Namen sagen. In einer Minute gehen wir zusammen dahin, wo nicht Schweden und Dänen sind – wo nur die Vergebung, die Barmherzigkeit, die Liebe herrscht. Sei barmherzig, Mutter!«
Ein Schauer, vielleicht der erste ihres Lebens, durchrinnt das starke Weib. Gewaltsam strebt sie den Arm vergeblich zu befreien und heftet vergeblich die blinden Augen in die Richtung des Flehenden. Dann glättet ein milder Zug ihre scharfen Lippen, und sie antwortet freundlich:
»Dein Herz hat nicht in unsere harte Welt gehört; der Himmel wird Dir verzeihen, wie Karin, wie ich es thue. Schlaf' in Frieden, Gustav« – – –
Droben auf einer Anhöhe, etwa fünfhundert Schritt von Torpa entfernt, hält, von seinen Getreuen umgeben, König Christiern der Zweite. Es liegt ungeduldig auf seiner zuckenden Braue, unter der das stechende Auge bewegungslos auf das von der Sonne überglänzte Schloß gerichtet ist. Nun ziehen die Runzeln seiner Stirn sich auseinander; wie ein rosiges Gewölk umschwebt es den First des weiten, langgestreckten Gebäudes. Von innen kommt es, und schon drängen dichtere, schwarzgraue Wolken nach, in denen es wie Wetterleuchten hin und wieder zuckt. Dunkel liegt die Westseite des Schlosses, während die Fenster auf der Ostseite im Widerschein der Sonne glühen; doch jetzt flammen sie auch im Westen, im Süden, auf allen Seiten empor. Langzüngelnd leckt es hinauf und hinab, es umklammert das Gemäuer mit rothen, tausendfachen Armen. Da schlägt die Lohe hoch auflodernd aus dem Dache, der gen Süden geneigte Giebel wankt und stürzt krachend nach innen, und ein aufsprühender Feuerregen folgt ihm und schleudert brennende Trümmer in die Luft. Sie Wirbeln wie leuchtende Meteore umher und fallen in weitem Umkreis bis an den Gischt des Trollhätta und bis vor die Füße der stumm hinüber blickenden Dänen hinunter.
Nichts, kein Schatten des Lebens regt sich um die höher wogende Gluth. Die Vögel fliehen aus den Wipfeln der Ulmen, sonst nichts. Wie das Auge eines Falken hängt König Christiern's Blick unverwandt an der Thür, dem Erdboden, der das Schloß umgibt. Die Todten entrinnen nicht mehr, und die Lebenden haben ihre Fesseln nicht gebrochen. Erst wie die Giebel prasselnd einstürzen, wendet sich das königliche Auge, und die bisher zusammengepreßten Lippen lachen mit erschreckendem Ausdruck:
»Das war Deine Riesenfackel; gute Nacht, Brita Stenbock.«
Heftig stößt er seinem schwarzen, senkrecht unter ihm aufsteigenden Pferde den Sporn in die Weiche. »Die Hochzeit ist vorüber. Wir haben uns gut belustigt auf Torpa; jetzt beginnt Deine Arbeit wieder, Gevatter. Halte Dich an meiner Seite. Vorwärts!«
Und nach einer Minute sind auch die einzigen Zuschauer verschwunden, und fast gespenstisch steht das brennende, todteinsame Haus in der glänzenden, lachenden Frühlingssonne. Es ist, als umfinge sie es wie mit letztem Gruß der alten Liebe, die in ihm emporgewachsen, still und sonnig, die manchen Sommer und manchen Winter überdauert, bis der Sturm kam, der die Flammen anschürte und sie in einer Nacht in Asche verwandelt.
Doch Stürme toben aus, und Flammen erlöschen. Aber die Sonne ist ewig, Karin – sie allein kehrt in jedem Frühling, an jedem Morgen wieder, Karin.
König Christiern der Zweite hat Recht. Ehe der Abend kommt, ist Torpa vom Erdboden verschwunden. Doch wahrer hat Brita Stenbock gesprochen: Die Geister kann Schwert und Feuer nicht ertödten, weder die des Hasses noch die der Liebe. Und in ihnen lebt Torpa fort, als stände es noch da und blickte zum Trollhätta hinüber. Weder in Schweden läßt es sich ertödten noch im Herzen, Karin, denn Torpa ist ewig wie die Sonne.
Nun ist es wieder Abend, und dichter, qualmender Rauch umhüllt nur die schuttbedeckte Stelle noch, auf der es gestanden. Und abermals ziehen die Dohlen über die Göta-Elf, doch es find nur fünf diesmal, die aus dem Felsenloch am Trollhätta, in dem sie die Nacht erharrt, hervorkommen, und sie ziehen gen Norden hinüber. Bleiches Licht streut wieder der Mond über das Wasser, wie das breite Boot drüben an derselben Stelle zum jenseitigen Ufer stößt, wo Karin rückwärts gewandt: »Fahrwohl, Gustav Wasa!« gerufen.
Er ist wohlgefahren. Wenn der Boden dem schwankend aus dem Kahn ans Ufer tretenden Jüngling die Worte aufriefe, die über ihm gesprochen worden, so hießen sie jetzt: »Fahrwohl, Gustav Rosen.«
»Fahrwohl, Gustav!« – Gustav Erichson sagt es, und Brita Stenbock sagt es. Sie reichen ihm Beide die Hand – der Tod hat die des Jünglings in der seinen gehalten und ihre Flecken ausgelöscht.
»Fahrwohl« – der Vereinsamte steht und horcht auf die Schritte, die durch die Nacht verklingen. Wie der letzte Gruß eines andern Lebens kommen sie zurück, leiser und leiser, und das Rauschen des Trollhätta übertönt sie.
Es ist gut sitzen am Rande des Trollhätta für den, der etwas vergessen will, das die fallenden Wasser überhallen.