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Karin von Schweden
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Drittes Capitel.

Nun lag Alles todt und gebändigt von der Ostsee bis zu den Kjölen des Nordens. Unter sonnenlosem Tag lag es, der kaum erschien, um wieder zu verschwinden, ohne Farbe, ohne Freude, ohne Muth. Brita Stenbock war am besten daran, sie sah ihn nicht, aber sie hörte desto feiner, und ihr Ohr vernahm, was ihr Auge nicht zu erforschen vermochte.

Gustav Rosen hatte seine Mutter und die schöne Dagmar seit jenem Abend nicht vergessen. Einen Augenblick hatte er wie auf schwankem Felsengrat gestanden, wo ein Windhauch ihn auf diese oder jene Seite hinunterstürzen mußte. Der Sturm, der über Schloß Torpa hingebraust, hatte ihn zurückgeworfen, das Blutbad in Stockholm, dessen Zeuge er gewesen, war in seiner Seele ausgelöscht.

Er sagte es sich nicht, er dachte nicht darüber, doch es war so. Es war eine Betäubung, in der sein Herz lag, seitdem er, um Karin's Zimmer nicht durch den Fuß eines fremden Söldners entweihen zu lassen, dem Zorn des Königs und den Hellebarden seiner Soldaten Trotz geboten und lächelnd selbst über die Schwelle getreten, die er seit Jahren nicht mehr überschritten. Ein ungeheurer, stummer Schmerz durchrang seine Brust. Er setzte keinen Zweifel in die Geliebte, klagte sie keiner Untreue in seinem eigenen Innern an. Aber daß sie so zu handeln vermocht, daß sie im Stande gewesen, heimlich etwas zu vollbringen, was ihr reines Bild mit dem Hauch des Verdachtes anwehen konnte, das empfand er mit unnennbar traurigem Gefühl; bitterer denn je fühlte er, daß es ein Etwas gab, das, für ihn ein wesenloser Schatten, in Karin's Seele zu riesenhafter Gestalt aufzuwachsen und trennend zwischen sie zu treten vermochte.

So wenig wie er für dieses Etwas Verständniß besaß, so wenig begriff Karin in ihrer ahnungslosen Unschuld den Schmerz ihres Verlobten um den Vorgang, dessen zufälliger Mitwisser er geworden. Was sie gethan, war ihr so natürlich, die Umstände hatten es so gebieterisch verlangt, daß sie es hätte thun müssen, auch wenn sie eine Vorstellung von dem Verdacht gehabt, den es erwecken konnte. Doch sie war achtzehn Jahre und ihre Seele wie der schneeige Schaum des Trollhätta. Unbefangen erzählte sie jetzt, da ihr kein Versprechen die Zunge mehr band, dem Geliebten alle Einzelnheiten des Ereignisses, das sich am Abend seiner Rückkehr zugetragen. Gustav Folkung war nicht der erste Flüchtling, dem Schloß Torpa Zuflucht gewährt. Doch sonst hatten die Verfolgten sich an den Schloßherrn gewandt, und zum ersten Male war Karin in die Lage versetzt worden, auf eigene Hand klug und entschieden handeln zu müssen.

Ohne Arg sprach Karin es aus, daß noch nie ein Schutzsuchender einen derartigen Eindruck auf sie gemacht, daß es fast geschienen, als gebiete er und sie müsse gehorchen. Rosen erbleichte, wie sie es sagte; es war, als ob er ein Wort hervorstoßen wollte, um seine schwer athmende Brust davon zu befreien, allein er schlang es zurück und hörte schweigsam zu, wie das Mädchen weiter erzählte, von der Angst sprach, die sie ausgestanden, als er schon vorher in ihr Zimmer zu eilen beabsichtigt, da sie ihr Wort gegeben, Folkung Niemandem zu verrathen, und wie sie zuletzt besinnungslos, es komme, was da wolle, es gewagt, mitten durch die dänischen Soldaten hinauszueilen, um die Hinterthür ihres Zimmers zu erreichen.

»Denn ich fürchtete, Du könntest ihn aus Unvorsichtigkeit, aus Ueberraschung verrathen, Gustav, ehe ich Dich gewarnt. Wir hörten Dich nachher hinter uns im Gang rufen: Hierher! Hierher! Warum thatst Du das?«

Sie sah mit den blauen Augen unsagbar unschuldsvoll fragend zu ihm auf. Seine Stirn überzog sich vor dem Blick mit dunkler Röthe wie die eines Verbrechers; verwirrt ergriff er ihre beiden Hände, bedeckte sie mit Küssen und stotterte:

»Verzeih mir, Karin. Ich war zu aufgeregt von Allem, was in Stockholm, was hier vorhergegangen; ich glaubte – ich dachte – die Verfolger abzulenken –«

Sie schüttelte, noch immer die Augen in den seinen haltend, das Haupt. »Daß ihr Männer, die man das starke Geschlecht nennt, bei solchen Dingen den Kopf verliert und zum Thörichtsten greift; denn statt die Dänen abzulenken, leitete Dein Ruf sie grade auf unsere Spur. Um eine Minute wäre es zu spät gewesen.«

Sie schwieg einen Augenblick und dachte nach.

»Weshalb kamst Du überhaupt durch den Gang?« fragte sie.

Das Roth auf der Stirn des Jünglings nahm eine andere Färbung an, und es flammte düster in seinen Augen auf.

»Dein Zimmer zeigte mir die Spur, Dein Bett, Karin. Wenn ich des Augenblicks denke, da ich diese Spur gewahrte –«

Er hielt gewaltsam inne und wandte sich ab.

»So wußtest Du, daß ich Jemand bei mir verborgen gehalten,« entgegnete sie mit vorwurfsvollem Ton, »und mußtest Dich doppelt in Acht nehmen, da Deine Unvorsichtigkeit mich dem schlimmsten Verdacht aussetzen konnte.«

Unwillkürlich mußte Gustav Rosen bei den letzten Worten noch einmal in die Augen des Mädchens sehen. Der Vorwurf ihrer Stimme lag auch in ihnen, aber da sie gewahrte, daß sie ihm weh gethan damit, leuchtete zugleich die alte, volle, glückliche Liebe so zauberisch hindurch, daß er erschüttert vor ihr auf die Kniee fiel und stammelte:

»Vergieb mir, Karin – vergieb mir!«

Sie wußte nicht, was sie ihm vergeben sollte. Ein Abgrund lag zwischen dem Verdachte, von dem sie gesprochen, daß seine Unvorsichtigkeit sie ihm hätte bloßstellen können, und zwischen dem Verdacht, den er ihr mit stummen Thränen, die auf ihre Hand fielen, abbat. Sie sagte nur wieder, wie sie es an jenem Abend gethan: »Du bist so sonderbar, Gustav –«

Sie hätte sagen sollen: Die Eifersucht ist sonderbar. Das zweiköpfige Ungethüm, dessen Farbe mit Jubel und Verzweiflung, Verschuldung und Reue wechselt. Das wie ein böser Geist, der einmal aus der Finsterniß beschworen, nicht mehr das Tageslicht verläßt. Das bei dem Unglücklichen, der zu seiner Beute geworden, wiederkehrt wie das Fieber, seine Augen blendet, sein Hirn umdunkelt, ihn durchrüttelt und besinnungslos zu Boden wirft. Das ihn mit dem Flüstern eines Blattes aus dem Schlaf reißt und ihn auf Schatten hetzt. Das er in lichter Stunde als seinen Todfeind erkennt und mit ihm ringt und kämpft und siegt, und dem er, wenn die Minute der Versuchung naht, machtlos immer wieder unterliegt.

Der Name Folkung kam nie wieder über Gustav Rosen's Lippen, doch in seinem Herzen stand er wie mit scharfem Messer eingeschnitten. Der December war lange vorüber und der für die Hochzeit festgesetzte Tag verronnen, ohne daß man seiner gedacht. Zu düster hatte der Himmel über Schweden gelegen, und es ließ sich nichts auf Brita Stenbock's kurzes Wort entgegnen, daß jetzt keine Zeit zu Festen sei. Eintönig verging der Winter auf Schloß Torpa. Keine menschliche Spur wies im tiefen Schnee auf eine Verbindung mit der Außenwelt hin; weit umher krächzten die Raben als die einzig lebenden Wesen draußen um das einsame, große Gebäude. Die strenge, lang andauernde Kälte machte selbst sie zutraulich, daß sie an die Küche kamen und den Mägden den Abfall fast aus den Händen zerrten, oder am Fenster stundenlang auf den Augenblick warteten, wo Karin sich ihres Darbens erbarmte und ihnen wie Tauben Futter ausstreute. Es waren kleine, graciöse Dohlen mit glänzend schwarzem Gefieder unter ihnen, die in der Nähe des Mädchens ihre Scheu ablegten und sich auch völlig wie Tauben geberdeten. Sie flogen Karin furchtlos auf die Schulter und pickten ihr vorsichtig die Saatkörner aus den Händen.

Von ihnen mußte sie auch erfahren, was draußen in der Welt zuging, denn sie hatte immer genaue Kunde davon, obwohl kein Mensch das Haus betrat. Sie wußte genau von dem Aufstand unter den Dalekarlen, den »Thalmännern«, in deren rauhe Wildniß Gustav Wasa geflüchtet war. Und ebenso genau kannte sie die Liste der Unglücklichen, die, dem Blutbade in Stockholm entronnen, im ganzen schwedischen Reich von den Schergen Christiern's aufgespürt und zum Richtplatz geschleppt worden. Selbst Kinder wurden nicht verschont. Zu Jönköping ward ein Edelmann aus dem Geschlecht der Ribbings mit seinen beiden Knaben in Gegenwart des Königs enthauptet. Der ältere von ihnen zählte acht Jahre, und wie sein Kopf unter dem Beile fiel, bespritzte sein Blut das Kleid seines fünfjährigen Bruders. Da bat dieser erschreckt den Henker: »Bitte, mache meine Kleider nicht schmutzig, sonst schilt mich meine Mutter,« und der Henker warf das Richtbeil aus der Hand und weigerte sich, den Knaben auch zu tödten. Doch König Christiern rief einen andern und ließ von ihm das Kind und den mitleidigen Henker enthaupten.

Alle diese Dinge wußte man in Torpa; allein Brita Stenbock verzog keine Miene dazu, kein Laut des Ingrimms kam mehr über ihre Lippen. Es war offenbar und wurde es von Tag zu Tag mehr, daß das Haus Stenbock Frieden mit dem Könige von Schweden geschlossen hatte. Das war klug, sehr klug, denn unter den wenigen adligen Familien, die übrig geblieben, nahm es eine der ersten Stellen ein und hatte durch die Gunst des Herrschers vielleicht Anspruch auf die höchste nach ihm im Lande. Zornig und verächtlich raunte man sich hie und da heimliche Verwünschungen über ihren Verrath an der Sache des Vaterlandes ins Ohr und flüsterte schon, daß Stenbock nach der bevorstehenden Rückkehr Christiern's nach Dänemark zum Statthalter Schwedens auserkoren sei. Noch gab es Manche, die nicht daran glaubten und heftig widersprachen – dann verstummten auch sie plötzlich, denn überall hin flog die Kunde, daß der König bei seiner Reise auf eine Einladung Stenbock's hin Torpa besuchen und der Vermählung Karin Stenbock's mit Gustav Rosen durch seine Anwesenheit Glanz verleihen werde. Das Gerücht hatte Recht. Brita Stenbock selbst hatte ihren Neffen aufgefordert, den König um diesen Gnadenbeweis anzugehen, und freudiger denn je war er dem Gebot seiner strengen Tante gefolgt. Der April wehte mit erstem, linderem Hauch vom Süden, wie Gustav Rosen Torpa verließ und den grundlosen Wegen zum Trotz gen Stockholm ritt. Dann sandte er Botschaft, daß der König eingewilligt und am ersten Mai in Torpa eintreffen werde, daß aber auch er nicht früher zurückzukommen vermöge, da es Christiern's Wille sei, daß er bis dahin bei ihm verweile und ihn auf der Reise geleite.

Der April ist noch kein Frühlingsmonat in Schweden. Noch immer lag der Schnee um Torpa, noch immer flogen die Dohlen erwartungsvoll um die Fenster und setzten sich auf Karin's Schulter und raunten ihr geheimnißvolle Kunde, die sie draußen gesammelt, ins Ohr.

Manchmal flogen sie, von einem plötzlichen Lärm erschreckt, auf. Es war viel Lärm mannichfacher Art in dem alten Gebäude, das den Winter hindurch so still gewesen. Der Hammer ertönte fast den ganzen Tag lang und zahlreiche Hände ruhten keinen Augenblick, Alles zum Empfang des hohen Gastes und der Festlichkeit, die während seiner Gegenwart stattfinden sollte, würdig zu bereiten. Die Zimmer für den König und sein Gefolge bot der linke Flügel des Schlosses; in der Mitte desselben ward ein Altar in einem großen Saale errichtet, das ganze Haus nach nordischem Winterbrauch mit Tannen- und Mistellaub ausgeschmückt.

So herrschte vom Morgen bis Abend unablässiges Getöse und Bewegung. Brita Stenbock's blinde Augen sahen Alles und ordneten Alles an, während es in Karin's lebendigem Blick eigenthümlich glänzte, wenn sie das, was die Mutter geheißen, ins Werk setzen ließ. Es war seltsam, aber unverkennbar: dieser Blick dachte nicht oder wenig an den Altar, den man in dem großen Mittelste erbaute. Es waren die andern Augen Karin Stenbock's, die Augen, die Gustav Rosen fürchtete, aber nicht verstand.

Erst wenn die Nacht kam, legte sich das Gelärm auf dem einsamen Edelgehöft. Die Arbeiter begaben sich zur Ruhe in die Behausungen, die in den Nebengebäuden für sie hergerichtet worden. Im Schlosse selbst übernachtete keiner von ihnen; sobald sie hinübergegangen, schloß Stenbock selbst die Außenthür des Hauses und schob den schweren Eichenriegel vor. Dann gelangte vor Tagesanbruch Niemand mehr herein und man vernahm von außen keinen Laut mehr in dem weiten Gebäude. Nur drinnen klang es ab und zu heimlich, als hätten die Dohlen Karin's einen Zugang gefunden und flatterten unter dem Schütze der Finsterniß mit vorsichtigem Flügelschlag über die Hintertreppe herauf und durch die langen, lichtlosen Gänge.


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