Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Nun liegt Alles todt und gebändigt von der Ostaee bis zu den ewig unwirthbaren Kjölen Norrbottens hinauf. Schnee bedeckt mit weißem Leichentuch das Land, so weit der Blick vom Gipfel des Kinnakulle reicht; unter starrem Druck hält das Eis die ungestüm brausendem Bergwasser gefangen. In der Tiefe mag hier und da ein heimlicher Strom fortmurmeln oder murren, doch Niemand sieht, Niemand hört ihn. Der Winter herrscht, und ein schwedischer Winter ist lang. Manche, die jetzt noch athmen, werden es nicht erleben, daß der Frühling zurückkehrt.
Alles liegt gebändigt, nur der Trollhätta nicht. Er läßt sich kein Joch aufzwingen, nicht das des Winters und nicht das Christiern's von Dänemark. Unablässig rauscht er in die Tiefe, als suche er mit donnerndem Mahnruf die todte Natur zu wecken. Unablässig zertrümmert er die Eisnadeln, die wie Schergenspeere an seiner Seite hervorschießen, die ihn mit scheuer Hand zu unterdrücken und einzufangen streben, und reißt sie mit sich fort.
Es ist nur ein Mensch im ganzen ungeheuren Schwedenlande, der dem Trollhätta gleicht. Er heißt Gustav Erichson; nach dem Reisigbündel in seinem Wappen, das auf schwedisch Wase heißt, hat das Volk ihn Gustav Wasa genannt. Er ist der Sohn eines schwedischen Reichsraths und der Großneffe Sten Sture's des Vetteren, des Reichsverwesers, der im Kampfe gegen Christiern den Zweiten gefallen. In seinem Hause ist er aufgewachsen und hat, obwohl kaum dreißig Jahre zählend, vielfache Schicksale erfahren. Als Knaben sah König Johann von Dänemark ihn im Hause seines Ohms, wie er mit seinen Altersgenossen spielte und für sich die Rolle eines Cyrus erwählt hatte. Der dänische König belauschte ihn, und ihn ergriff eine ähnliche Unruhe, wie Astyages sie einst beim Anblick seines unbekannten Enkels empfunden. Um zu verhüten, daß der Knabe die spätere Rolle des Cyrus nicht zu genau innehalte, beschloß er, ihn mit sich nach Dänemark zu nehmen, doch setzte Sten Sture es durch Ueberredung durch, ihn davon abzuhalten. Dann gelangte Gustav Erichson auf die hohe Schule nach der alten Königsstadt Upsala, bis die inneren Kriege in Schweden wieder entbrannten und er unter der Fahne Sten Sture's, des Jüngeren, wider den landesverrätherischen Erzbischof Trolle kämpfte. In der ruhmvollen Schlacht bei Brännkjrka trug er das Banner des Reichs, doch was König Johann auf offenem Wege nicht erreicht, gelang seinem Nachfolger Christiern durch List, der selbst in Stockholm mit Sten Sture über den Frieden zu unterhandeln versprach und als Bürgschaft für seine dortige Sicherheit die Häupter sechs vornehmer schwedischer Heerführer, unter ihnen Gustav Wasa, als Geiseln begehrte. Vertrauensvoll willigte der Reichsverweser ein, doch wie der dänische König die Geiseln empfangen, kam er nicht nach Stockholm, und Gustav Erichson war sein Gefangener in Dänemark.
Ein Jahr verbrachte er als solcher auf dem festen Schloß Kallö im nördlichen Jütland. Hier vernahm er täglich von den großartigen Rüstungen, die in ganz Dänemark betrieben wurden, um Schweden zu unterwerfen. Niemand zweifelte in Jütland an der baldigen Ausführung; wegen der Streitigkeiten mit dem aufständischen Erzbischof stand Schweden unter päpstlichem Bann, und die Söldner Christiern's würfelten beim Becher um schwedische Jungfrauen und Lehensgüter.
In einer Chronik heißt es, »daß Herr Gustav Erichson durch solcherlei Schmähung über die Maßen von Zorn und Angst benommen war, so daß ihm weder Speise und Trank gut schmecken mochten, wäre er auch besser gespeist worden, als es geschah. So war ihm sein Schlaf weder ruhig noch lieblich und konnte er nichts Anderes denken, als wie er Gelegenheit finde, aus dem ungerechten Gefängniß zu entweichen«.
Und die Gelegenheit fand sich. Er entfloh in Bauernkleidung und erreichte mit kluger Vorsicht in wenigen Tagen zu Fuß die jütische Grenze. In Flensburg nahm er, um sich vor Entdeckung zu schützen, Dienste bei Ochsenhändlern, die jütländisches Vieh nach Deutschland trieben, und gelangte mit ihnen nach Lübeck. Hier wurde er erkannt und bedroht, doch durch die Macht seiner Persönlichkeit bewirkte er es, den Senat zu einem Beistandsversprechen zu bewegen, wenn es ihm gelinge, eine erfolgreiche Empörung wider den dänischen Usurpator zu bewerkstelligen.
Im Mai des Jahres 1520 traf Gustav Erichson auf einem Lübecker Schiffe wieder in Calmar ein, das, mit Stockholm, die einzige schwedische Stadt war, die den Dänen noch widerstand. Stockholm aber war bereits zu Wasser und zu Lande eingeschlossen, so daß er es nicht zu erreichen vermochte und in Verkleidung Smaland und Südermannland, die Landschaften um die Hauptstadt, durchirrte.
Dann siel Stockholm, und Schweden lag völlig in der Hand Christiern's von Dänemark, der mit freundlich umgewandelter Miene nicht als Sieger, sondern als Schutzherr des von ihm eroberten Landes den ganzen Adel des Reiches zu seiner Krönung in die Hauptstadt einlud.
Umsonst suchte Gustav Wasa mehrere seiner Freunde, umsonst seinen Schwager Joachim Brahe zu bewegen, der Einladung nicht Folge zu leisten. Im Beginn des Novembers desselben Jahres gingen sie nach Stockholm.
Gustav Erichson that es nicht. – Nun lag der Winter über Schweden und verdeckte das Blut, das in den Katar geflossen. Aber der Trollhätta brauste noch in die Tiefe, und so lange er nicht ins eisige Joch gezwungen, hatte der Winter nicht gesiegt. So lange Gustav Wasa noch ein treues, altschwedisches Herz fand, das der Gefahr trotzte und ihn in einem Felsen-Winkel des Nordens verbarg, war Schweden nicht unterworfen und floh der Schlaf die alte Königsbettstadt der Folkungen, in der Christiern von Dänemark sich Nachts zur Ruhe streckte.
Wohl war es eine gewaltige, kläffende Meute, die von Ost gen West, von Nord gen Süd das weite Svea-Reich nach dem flüchtigen Edelwild durchhetzte. Manchmal schlug hie und da einer der eifrigsten Schweißhunde triumphirend an und verfolgte schnaubend die Spur, die er in dem Weißen Schnee entdeckt. Doch ebenso schnell war sie wieder verloren und Niemand begriff, wo sie plötzlich verschwunden. Vor Unmuth schäumend riß mancher dänische Führer sich in den Bart wenn er später vernahm, wie dicht er an dem Versteck des Gesuchten vorübergeschritten, daß er nur die Hand auszustrecken gebraucht, um den goldenen Preis, den König Christiern aus seinen Kopf gesetzt, zu erhaschen. Ja, manchmal hatte die Hand ihn schon gefaßt und ahnte nicht, wer es sei, und ließ ihn wieder los. Unzählige Sagen und Schwanke leben noch heute unter dem Landvolke Dalekarliens fort, wie Gustav Wasa die dänischen Verfolger getäuscht und ihnen immer wieder entronnen. Bald in einem Wagen, der mit Stroh bedeckt war, an den die Häscher hinantraten und mit ihren Spießen das Stroh durchstachen. Dabei erhielt der Verborgene einen tiefen Stich in den Schenkel, ohne sich durch einen Schmerzenslaut zu verrathen; aber das Blut floß durch den Wagen und hinterließ rothe Spuren im Schnee. Da schnitt der treue Fuhrmann seinem Pferde eine breite Wunde in den Fuß und entzog dadurch sein Gefährt dem Verdacht. Bald verbarg Gustav Erichson sich als Knecht bei einem Bauern dicht an der Grenze Norwegens und stand sorglos am Herdfeuer, als die dänischen Schergen hereindrangen und ihn selbst nach dem Aufenthalt Gustav Wasa's fragten. Doch in dem toddrohenden Augenblicke sprang das muthige Weib des Bauern hinzu, versetzte ihm mit einem Besen derbe Schläge über den Rücken und jagte ihn schimpfend als einen faulen Knecht, der nicht arbeiten, sondern nur sich Wärmen und schwatzen wolle, aus der Stube. Im tiefsten Walde und zwischen öden Felsen stiftete er tagelang mit Noth sein Leben – doch wohin die Spur Gustav Wasa's sich gewandt, da war eine andere breitere Spur zu verfolgen. Noch hielten der Winter und Christiern von Dänemark ringsum ihre eiserne Hand über Schweden, doch wie ein kurzer Blick der Sonne am Eise leckt und mehr vernichtet, als eine strenge Nacht erstarrt, so vermochten die dänischen Häscher die flüchtige Spur, die Gustav Erichson hinterlassen, nicht mehr zu vertilgen. Wie heimlicher Tropfenfall ging das geflüsterte Wort von Mund zu Mund, und drohende, funkelnde Augen folgten den weiterziehenden Söldnern. Manche verrostete Waffe glänzte in tiefer Nacht beim einsamen Oellampenschein unter der Hand ihres Besitzers auf, der sie sorgsam reinigte und prüfte. Die Saat des Blutbades zu Stockholm, von dem unermüdlichen Säemann Gustav Erichson ausgestreut, begann überall aufzugehen. Es war noch nicht Frühling in Schweden, aber ein Windhauch ging durch die Föhren seiner Berge, der das Nahen des Frühlings verkündete. Doch still im tiefen Schnee vergraben lag Schloß Torpa. Mit unendlicher weißer Fläche dehnte sich der gefrorene Spiegel des Wenersees gegen Norden. Wenig, außer den Wasserstraßen, besaß das 16. Jahrhundert in Schweden, was man heute für einen Weg ansehen würde, und auch das Wenige war so hoch verschneit, daß kein Pferd sich hindurch zu wagen vermochte.
Allein, wäre der Zugang von und nach Torpa auch frei gewesen, es würde ihn doch Niemand benutzt haben. Der Bann des dänischen Herrschers lag auf seinen Bewohnern und hielt jeden Gast zurück. Es führte keine Spur von und zum Hause Gustav Stenbock 's als diejenige dänischer Soldaten, die von Zeit zu Zeit unerwartet, zumeist in der Nacht, eintrafen, das Schloß, wie sie es das erstemal gethan, von oben bis unten durchsuchten und stets unverrichteter Sache wieder davonzogen.
Nur Eins schien sich geändert zu haben. Der Hausherr wie seine blinde Gattin war des fruchtlosen Grolls wider die dänische Gewaltherrschaft müde geworden, sie fügten sich in das Unvermeidliche, und die nachspürenden Häscher des Königs hatten zu ihrer Verwunderung jedesmal von noch freundlicherer Aufnahme zu berichten als ihre Vorgänger. Es lag darin eine Sinnesänderung eines der tödtlichsten Widersacher Dänemarks, die in Stockholm nicht unbemerkt blieb. Gustav Stenbock's Ansehen im Lande war groß und seine Name vermochte eine bedeutende Stütze für den mit dem Schwert erbeuteten Thron zu bieten. Der König ließ deshalb Sorge tragen, daß diese Botschaft überall, wohin seine Truppen gelangten, ausgesprengt wurde, und vernahm mit Freuden, daß ein heimliches Murren über den Verräther die südlichen und mittleren Landschaften Schwedens durchlief. Er wußte, daß jeder Fluch Stenbock fester an ihn binden und immer mehr von der unterdrückten Partei seiner früheren Kampfgenossen loslösen mußte.
Was indeß hauptsächlich dazu beitrug, dem argwöhnischen König jedes Mißtrauen zu benehmen, war die Anwesenheit und das Verhältniß, in welchem Gustav Rosen zum Stenbock'schen Hause stand.
Gustav Rosen war der Sohn eines Bruders Brita Stenbock's und einer dänischen Edelfrau, die ihrem Gatten große Besitzthümer in Dänemark zugebracht hatte. Sein Vater starb früh und die Mutter kehrte mit dem Knaben in ihr Vaterland zurück. Allein wie er kaum das zehnte Jahr erreicht, starb auch sie, und da er in Dänemark keine Verwandten besaß, die für seine Erziehung zu sorgen vermochten, kam er in das Haus seiner Tante, Brita Stenbock's.
Gustav Rosen hatte seine Mutter sehr geliebt. Sie stand vor ihm wie alles Schöne, wie ein anders geartetes Wesen als die Menschen, die ihn jetzt umgaben. Und einen goldigen Rahmen schlang um ihr Bild seine Knabenheimath, in der er mit ihr gelebt. Im Traume oft wehten die milderen Lüfte Seelands ihn an und mit Thränen im Auge wachte er auf. In seinem Ohr klang die süße Stimme der Mutter, die ihn mit wundersamen alten Volksliedern vom Ruhme Waldemar Seier's und der lieblichen Dagmar zur Ruh' sang, und die grünen Buchenwipfel murmelten drein im Sonnenlicht. Dann küßte Gerda Rosen ihn und lächelte mit den schönen Lippen so märchenhaft, so geheimnißvoll. –
Ein banger Schauer überlief den Knaben, wenn er daran gedachte und plötzlich aus seinen warmen Träumen der rauhe Wind ihn aufschreckte, der durch die düsteren Föhren des Trollhätta rauschte. Kalt und duftlos, ein Gruß vom ewigen Eise des Nordens, kam die Luft über den Wenersee; der Trollhätta überstürzte sich mit tosendem Gebrüll, daß des Knaben Herz bang und banger wurde. Aengstlich lief er aus der fremden, wilden Natur nach Hause zurück – da empfing ihn statt der Mutter das kalte Gesicht seiner Tante, die ihrem Bruder nie verzieh, daß er eine Dänin in sein Haus geführt hatte. Brita Stenbock's Stimme war niemals weich und liebevoll, aber ihrem Neffen gegenüber klang sie härter, herber als jedem Andern. Scheu und vereinsamt schlich Gustav Rosen auf sein dunkles Zimmer in dem großen, finstern, baumüberschatteten Gebäude und schluchzte, bis er einschlief und seine Freunde, die Träume, zu ihm kamen, und jeder düstere, unheimliche, fröstelnde Traum war Schweden, und jedes warme, leuchtende, winkende Traumbild war Dänemark.
Nur Eins war in Dänemark nicht, Eins nicht – das kleine Mädchen mit dem goldlichten Haar, das manchmal bei Nacht heimlich zu ihm ins Zimmer geschlichen kam, sich auf seinen Bettrand setzte und ihm mit dem weißen Händchen die Thränen von der Wimper fortstrich. »Weine nicht, Gustav,« tröstete sie, »wenn ich groß bin, gehe ich mit Dir nach Dänemark.«
Dann leuchtete sein Auge auf, der Schlaf entfloh daraus und er erzählte wieder und immer wieder, was sein Herz den Tag hindurch verschweigen und zurückpressen mußte. Und wie er in Erinnerung vergessen Karin ansah, da war es ihm, als würde ihr süßes Kindergesicht größer und immer ausdrucksvoller und schöner – und dann war es ganz das traurig-liebreiche Antlitz seiner Mutter, und Schweden hatte nichts, gar nichts, was es für sich in Anspruch nehmen konnte, nicht einmal Karin. Durch Thränen lächelnd, schlang der Knabe die Arme um ihren Nacken und verbarg den Kopf an ihrer Brust, wie er es so oft an der Gerda Rosen's gethan, und Karin wurde mit traurig und bat wieder selbst mit schluchzender Stimme: »Weine nicht, Gustav; ich werde ja Deine Frau, und dann will ich auch Deine Mutter sein und wir gehen zusammen nach Dänemark.« Manchmal fand Brita Stenbock die Kinder Morgens so, Wang' an Wange schlafend. Dann erging ein strenges Strafgericht über Karin, daß sie wieder ungehorsam gewesen und den verstockten dänischen Vetter der viel schwerere Strafe verdiene, als daß er allein schlafen müsse, getröstet. Auch Stenbock wurde herbeigerufen, um Gustav für das Verbrechen, daß er sich hatte trösten lassen, zu züchtigen. Der aber hatte wichtigere Gedanken, mit denen die Zeit ihn bedrängte, und sagte gemeiniglich einfach: »Laß die Kinder gewähren, Brita, bis ihre Zeit kommt.«
Es war ihm vielleicht nicht unangenehm, die wachsende Zuneigung zwischen seiner Tochter und ihrem reichbegüterten Vetter zu gewahren. Der Name Stenbock war klangvoller als der Geldeswerth, den seine Besitzthümer darstellten, die unter den fast unablässigen Kriegen eines Jahrhunderts wie alle Landschaften des mittleren Schwedens beträchtlich gelitten hatten. Um die Erziehung seines Neffen bekümmerte Gustav Stenbock sich nicht; die Zeit gebrach ihm dazu und vielleicht ebenso sehr die eigene Kenntniß. Was einem schwedischen Edelmann zu lernen nöthig war, wußte der Geistliche, dessen Patronatsherr der Schloßbesitzer war, am besten, und obwohl Gustav's Natur sanft und träumerisch war und sehr von der anderer Knaben seines Alters und Standes abstach, brauchte man ihn doch zu körperlichen Uebungen nicht anzuspornen. Er ritt zum Schrecken Karin's die wildesten Pferde und warf geschickt mit den Knechten des Hauses den schwersten Ger in die Wette. In meilenweitem Umkreis des Trollhätta war kein Fels so steil und gefahrdrohend, den er nicht erkletterte, um Karin eine seltene Blume zu suchen, und bei jedem Wind schwamm er in die Wellen des Wenersees hinaus, bis er den Augen der am Ufer Stehenden entschwand und sie lange angstvoll harrten, bis sein blonder Kopf wieder zwischen den weißen Schaumhäuptern auftauchte. Dann kam er fröhlich zurück und setzte sich auf sonniger Halde zu den Füßen Karin's und erzählte, geheimnißvoll in ihre blauen Augen aufblickend, ihr von wundersamen Dingen, die er draußen auf der dunklen Fluth gesehen oder aus der Tiefe gehört. Sie dagegen sprach ihm wieder von alten Sagen aus der Vorzeit ihres Vaterlandes, denen er aufmerksam lauschte. Es lag etwas Verwandtes in den beiden Kindern, das oft die Verschiedenartigkeit ihres Geschlechtes fast auszugleichen schien, ein feinerer sinnender Zug, der über den Kreis und die Gedanken ihrer Umgebung hinausstrebte und so fremdartig zwischen dieser stand, wie ihre sanfter begabte äußere Gestalt unter der rauhen Felsenwildniß des Trollhätta. Nur in Einem war ihre Natur verschieden und ward es unmerklich mehr und mehr. Die Tage waren lange vorüber, in denen Karin in kindlichem Eifer ihren weinenden Vetter damit getröstet, daß sie mit ihm nach Dänemark gehen wolle, wenn sie groß geworden und seine Frau sei. Wie die Blume still ihre Eigenart nach dem Klima des Bodens ausbildet, aus dem sie kommt, war Karin darin das Kind ihres Landes. Ihr Auge leuchtete, wenn sie von den siegreichen Kämpfen Schwedens gegen Dänemark sprach; sie haßte das letztere mit kindlichem Ungestüm, Gustav Rosen aber schüttelte lachend den Kopf dazu und meinte, Menschen seien Menschen, diesseits wie jenseits des Sundes und brauchten sich nicht zu hassen und zu bekämpfen, sondern sollten sich lieben, wie er Karin liebe. Dann ballte das Mädchen zornig die kleine Hand und sagte: Nie – nie könnten ein Schwede und ein Däne sich lieben; sie seien Todfeinde von Geburt; aber zugleich schlang sie den Arm um den Hals ihres sie sonderbar traurig dabei anblickenden Gespielen und zog ihn an sich, und er erzählte ihr wieder von der schönen Dagmar, und wie König Waldemar geweint, wie sie gestorben, daß auch ihr die Thränen in den Augen standen und ihr kein Gedanke dabei kam, daß es eine dänische Königin gewesen, über die sie schluchzte. So lebten die Kinder und wuchsen auf. Um sie toste die wilde Zeit, und von den Erwachsenen gab kaum Jemand Acht auf sie. Sie hatten Niemanden, dem sie sich vertrauten, als sich selbst, und ihre Herzen lagen offen vor einander da. Und seltsam, je glühender die Jahre den Patriotismus in Karin reiften, desto weniger dachte sie je, daß es in Gustav's Innerem anders zu sein vermöge. Für sie war er ein so treuer Schwede, wie der junge Gustav Wasa, von dem man überall zu erzählen begann, und in ihren Träumen setzte sie nicht weniger stolze Hoffnung auf ihn, als ihr Vater und ihre Mutter auf jenen. Gustav Rosen dagegen sah in ihr mehr und mehr das Abbild seiner schönen Mutter, die nach dem Tode ihres Gatten vor den Verwandten desselben aus Schweden geflüchtet. Ihm war, als sei Karin gleich ihr eine Sclavin in fremdem Lande, und er werde dereinst ihr Befreier, um sie in ihre eigentliche Heimath hinüber zu bringen, ins schöne, sonnige, blühende Dänemark.
Jedenfalls konnten sich Beide kein Leben ohne einander mehr denken. Unendlich lang schien es ihnen, daß sie zuerst Hand in Hand über Felsen geklettert, durch die weiten Wälder gewandert; dahinter lag keine Erinnerung mehr. Und in der That war auch manches Jahr vergangen, seitdem Gustav Rosen nach Torpa gekommen, aus dem Knaben ein Jüngling, aus Karin eine hohe Jungfrau geworden. Aber gegen die Gewohnheit blieb ihr Verhältniß das alte. Keine Entfremdung trat zwischen sie, keine mädchenhafte Scheu von ihrer Seite. Nach wie vor gingen sie Hand in Hand; sie betrachteten sich nicht als Geschwister, sondern Karin sprach wie früher »wenn ich Deine Frau bin, Gustav«; nur das »wenn ich groß geworden« ließ sie fort, denn sie war es geworden. Doch ihr Benehmen gegen einander war unverändert; die Kindergespielen hatten sich in zwei Liebende verwandelt, ohne daß sie es wußten.
Die alte Liebe war es, nur in neuem Frühlingsgewande; unsichtbar webte der Lenz seine Blüthen um sie her, deren Duft sie mit glänzenden Augen athmeten, ohne zu ahnen, woher er stamme.
Dann plötzlich kam die Erkenntniß. Gustav Rosen hatte sein achtzehntes Jahr und mit ihm seine Mündigkeit erreicht. Er mußte nach Seeland hinüber, um selbst seine Güter in Empfang zu nehmen. Die erste Trennung war's, und der Gedanke an sie riß am Vorabend seiner Reise den traumhaften Schleier entzwei, der sie lange umhüllte. Er fühlte, daß er nicht gehen konnte, ohne ein Recht zu haben, zurückzukehren, und Karin weinte.
Jedermann im Stenbock'schen Hause glaubte Gustav Rosen zu kennen, und Niemand, selbst Karin nicht, kannte ihn ganz. Vielleicht eine Einzige – Brita Stenbock, und sie verweigerte ihre Einwilligung, als er bei dem Vater offen um Karin's Hand geworben. Sie mußte nachgeben, da Stenbock fest auf seinem Willen bestand, »die Kinder auch hierin gewähren zu lassen«, und, wie oben gesagt, die Zuneigung derselben von Jugend auf begünstigt hatte. Nun versuchte Brita wenigstens, die Reise Gustav's nach Dänemark zu hintertreiben, doch auch hierin stieß sie auf entschiedenen Widerspruch bei ihrem Gatten.
Er meinte, es sei nicht allein wünschenswerth, sondern nothwendig für Beide, daß sie, die das Leben ohne einander nicht kennen gelernt, eine Trennung erführen. Sie sollte kurz sein, und im Jubel über die Zustimmung des Vaters übertäubten die, welche sie betraf, den Gedanken daran.
In feierlicher Weise ward nach altschwedischer Sitte die Verlobung vollzogen und eingesegnet. Die Edelsten Schwedens waren auf Schloß Torpa versammelt; der Becher durchkreiste die Nacht, und mancher begeisterte Trinkspruch der Liebe für Schweden und des Hasses gegen Dänemark erscholl. Glück und Wein erhitzten die Stirn Rosen's; er wußte am Morgen nicht, was er gesprochen, nur daß Alle ihm die Hand gedrückt, daß Karin's Antlitz vor Freude geleuchtet und daß selbst das kalte Gesicht Brita Stenbock's ihm zugelächelt.
Hand in Hand, wie tausendmal, gingen am andern Tag die Verlobten zum Trollhätta hinüber. Ihr Schritt wurde langsamer, je näher sie dem brausenden Wasserfall kamen; hinter ihnen führte ein Knecht das Pferd des Jünglings.
»Mir ist, als sollten wir Abschied nehmen von unserer Jugend,« sagte das Mädchen, mit Thränen kämpfend.
Er lächelte. »Wir waren thörichte Kinder, wir nehmen Abschied von der Thorheit –«
»Aber glückliche Kinder,« schaltete sie leise ein.
Gustav Rosen blickte träumerisch um sich. »Es ist Alles, wie es seit dem Beginn unseres Lebens gewesen, und mein Herz schlägt wie damals, als Du mich zuerst an Deiner Kinderhand hieher geführt. Wie viel Jahre hindurch haben wir hier gesessen und den Schlag unserer Herzen nicht verstanden. Wir glaubten uns zu kennen, wie uns selbst, wie unsere geheimsten Gedanken, die uns nicht geheim waren, und doch lag dies Geheimniß in uns Beiden und wir ahnten es nicht. Ist es das letzte, Karin?«
Sie nickte ihm mit feuchten Augen zu; er drückte sie ungestüm an sich und küßte ihre Lippen. »Der Trollhätta ist der Dritte im Bunde, er ist unser ältester Freund. Bei ihm wollen wir uns zuerst wiederfinden, wenn ich zurückkomme. Versprich es mir, ich schicke Dir Botschaft vorauf.«
Er hatte sich auf sein Pferd geschwungen, und Karin reichte ihm zum letzten Mal die Hand. »Komm, wann Du willst,« sagte sie, »ich erwarte Dich am Trollhätta. Nein – komm nicht, wann Du willst, komm, wenn Du fühlst, daß mein Herz es nicht mehr erträgt; denke, daß es die Tropfen des Trollhätta zählt, und daß jeder eine Ewigkeit für Karin ist.« – –
Es war ein Zusammentreffen eigener Art, daß sich auf demselben Schiffe, das Rosen von Göteborg nach Kopenhagen führte, Gustav Erichson befand, der als Geißel für die Sicherheit des dänischen Königs in Stockholm nach Dänemark gebracht wurde. Er war um zehn Jahre älter als Rosen; sein gedankenvoll männliches, scharf ausgeprägtes Gesicht stand dem träumerischen Antlitz des Jünglings wie ein starker, schon in manchem Sturm erprobter Baum einer schlanken, mit sorglosen Blüthen bedeckten Blume gegenüber. Die Ueberfahrt war durch Winde gehemmt, die sich zum Sturm verstärkten. Mit Staunen sah Rosen, wie Gustav Erichson im Augenblick der Gefahr einem altgeübten Seemann gleich in die Raaen des bedrohten Schiffes hinaufflog und mehr denn einmal kühn sein Leben in die Wagschale warf, um jenes zu retten. Zuneigung und Scheu wechselte in ihm der machtvollen Persönlichkeit des jungen Mannes gegenüber, dessen scharfes Auge er nicht zu ertragen vermochte, wenn es bei einem Gespräch über die großen Fragen, die alle Gemüther der nordischen Welt bewegten, forschend auf ihm ruhte. Um keinen Preis wäre es ihm möglich gewesen, mit ihm von Karin, von seiner neugewonnenen Liebe zu reden. Ihm war, als könnten eher die tosenden Wasser des Trollhätta Verständniß dafür haben, als die durchdringenden Augen und das schneidende Lachen Gustav Wasa's.
Nur in Einem täuschte dieser sich ebenso sehr wie der unerfahrene Jüngling. Auch er glaubte, in wenig Wochen nach Schweden zurückzukehren, wenn die Friedensverhandlungen in Stockholm zum Ziel geführt.
Von den letzteren wußte Rosen kaum; was hatten sie, was hatte der uralte Zwist zwischen Dänemark und Schweden mit seiner Liebe zu thun? Er erfuhr erst davon, als sie den dänischen Boden betraten und bei der Landung Soldaten seinen Begleiter in Empfang nahmen, verhafteten und unter dem Jubelrufe des zudrängenden Volkes fortführten. Jetzt sagte man ihm, daß sein zufälliger Genosse der gefährlichste Rebell in Schweden gewesen und daß es eine thörichte Milde des Königs sei, ihn als Gefangenen nach Jütland zu bringen, statt ihm den Kopf vor die Füße zu legen. Alle Welt sagte es hier, wohin Gustav Rosen kam. Alle Welt sprach von dem bevorstehenden Kriege, der das Schattenbild der kalmarischen Union verwirklichen werde. Zum ersten Mal stand Rosen inmitten einer politischen Bewegung. Hier zweifelte Niemand daran, daß er mit Leib und Seele ein echter Däne sei, wie man jenseits des Sundes ihn ebenso unzweifelhaft für schwedisch gesinnt hielt. Und hinzukam, daß er hier etwas bedeutete, was er dort nicht gethan. Er sah sich plötzlich als das betrachtet, was er war, als ein reicher und vornehmer Herr, um dessen Gunst man sich bewarb. Die Männer blickten auf ihn und die Frauen nicht minder.
Das Blut stieg ihm in die Wangen; zum zweiten Mal überkam ihn das Gefühl – ein anderes wie aus Kindertagen zwar und vielleicht aus Eitelkeit sein Gezweig aussendend, doch verzeihlich mit achtzehn Jahren – daß Dänemark seine Heimath sei.
Allein, ob dies Gefühl ihn lieblich umgaukelte, es fesselte ihn keinen Moment. Er gedachte Karin's zu jeder Stunde; ihr Bild lieh Allem den heiteren Zauber, der ihn anwehte; aus dem Goldgrund jedes Bechers, den er leerte, blickte wie aus einem Spiegel, klein, doch bis ins Kleinste deutlich erkennbar, ihr süßes Angesicht, von den einsamen Bergen des Trollhätta umrahmt, zu ihm auf. Er eilte von Kopenhagen in das Innere Seelands auf seine Güter. Vieles war zu besichtigen, zu ordnen; unredliche Diener hatten jahrelang die Herren gespielt und für den Tag der Rechenschaftsablegung absichtliche Verwirrung gestiftet. Trotz seiner zur Schwärmerei neigenden Natur und seinem jugendlichen Alter war Gustav Rosen's Verstand scharf, und er haßte den Betrug, den er überall durchblicken sah. So verlängerte sich die Zeit etwas, die er auf seinen Besitzungen zubringen mußte, um eine gründliche Umgestaltung vorzunehmen. Dabei richtete er unausgesetzt sein Augenmerk darauf, den am herrlichsten gelegenen Punkt seines Eigenthums zu verschönern. Alles, was Karin liebte, wußte er herzustellen: einen fröhlich daherrauschenden Bach leitete er in ein künstlich vertieftes Bett, daß er über steilen Abhang herunterschoß und sein Brausen sie an den Fall des Trollhätta zu erinnern vermöge. Endlich kam der letzte Tag, und auf seinem schnellsten Rosse flog er nach Kopenhagen zurück.
Da traf ihn wie ein Blitz die Kunde, daß in kurzer Frist der Krieg gegen Schweden beginne und daß es Niemandem mehr gestattet sei, Dänemark zu verlassen.
Gustav Rosen wollte um jeden Preis hinüber. Er wandte sich an die einflußreichsten Persönlichkeiten, um die Erlaubniß zu erhalten. Umsonst; sie zuckten die Achseln und wiesen aus den strengen, ausnahmslosen Befehl des Königs hin. Sie meinten, daß er einen Versuch, eigenwillig sein Vorhaben durchzusetzen, mit dem Verluste seiner Güter, wenn nicht theurer, bezahlen könne.
Dennoch unternahm er einen solchen. Die schwedische Küste lag im Abendgold so nah, so winkend vor ihm; ihm war, als höre er das Rauschen des Trollhätta, als seien von drüben die blauen Kinderaugen Karin's auf ihn gerichtet. Er bestach durch hohe Versprechungen einen Fischer, ihn um Mitternacht mit seinem Boot über den Sund zu führen, doch nahe unter dem ersehnten Ufer fiel er in die Hand eines dänischen Kreuzers und ward gefangen nach Kopenhagen zurückgebracht. Der Verdacht ruhte auf ihm, daß er als Spion über die dänischen Rüstungen nach Schweden zu berichten beabsichtigt habe, und man hielt ihn wochenlang, ohne sich um seinen Namen zu bekümmern, in einem düstern Thurm bei kaum zum Unterhalt seines Lebens ausreichender Nahrung, bis es ihm durch günstige Umstände möglich wurde, eine Bittschrift um Gehör in die Hände des Königs gelangen zu lassen.
Noch am selben Tage flogen die Riegel seines Gefängnisses auf; man bat ihn artig um Entschuldigung, daß man den Mißgriff begangen, ihn einzukerkern, und überreichte ihm einen Befehl, am andern Tage im königlichen Schlosse zu erscheinen.
König Christiern der Zweite von Dänemark war einer der aus den seltsamsten Widersprüchen zusammengesetzten Fürsten aller Zeiten. Als Jüngling ausschweifend wie Wenige seines Alters, liebte er die schöne Dyveke von Amsterdam, die er als Statthalter von Norwegen in Bergen fand, so zärtlich und heftig zugleich, daß er allen Drohungen seines Vaters Trotz bot und die härtesten Strafen über sich ergehen ließ, ohne von seiner Liebe zu lassen. Seine Natur war despotisch wie die eines orientalischen Herrschers. Was ihm entgegentrat, verfolgte er mit List und Gewalt, bis er es vernichtet hatte. Er haßte den Adel in Dänemark wie in Norwegen, weil derselbe sich weigerte, sich wie eine Gerte unter seiner Hand zu biegen. Rachsüchtig, heimtückisch und grausam, wie selten einer der Verworfensten, war er zugleich tapfer und von Alles durchdringendem Verstand. Weil er den Adel demüthigte, der die Rechte der Bürger hochfahrend mit Füßen trat, hingen diese ihm an. Sie fürchteten ihn mehr, als sie ihn liebten; doch auch sie berechneten klug, daß es besser sei, einen gewalttätigen Herrn über sich zu haben, der eine Stütze an ihnen suchte, als viele, die durch ihre Verbindung unter einander stark genug waren, der Bürger nicht zu achten. Und es kam hinzu, daß, wenn er sich unter das niedere Volk mischte, was im Interesse seiner weitblickenden Zwecke häufig geschah, Niemand in Dänemark von hinreißenderer Liebenswürdigkeit, von redlicherer Treuherzigkeit und Alles gewinnendem Zauber umkleidet erschien als Christiern der Zweite.
Dann war der stechende Blick seines Auges, die herrische Miene, die es umgab, verwandelt. Niemals besaß Jemand größere Herrschaft über seine Züge, niemals die erschreckendere Fähigkeit, die Gedanken, die unter ihnen lauerten, zu verbergen. Seine Lippen lächelten gleicherweise, wenn er den Becher aus der Hand des Bürgers nahm, um sein Wohl daraus zu trinken und ein Goldstück zum Lohn hineinfallen zu lassen; wenn er einem Mächtigen den Becher darreichte, den er ihm mit tödtlichem Gifte kredenzt hatte.
Ein Band aber knüpfte das ganze Volk an ihn. König Christiern war ein Däne vom Wirbel zur Zehe und verfolgte rastlos die uralte Tradition Dänemarks, das sich als Herrn des schwedischen Nachbarlandes betrachtete. Das kleine Inselvolk theilte den Ingrimm seines Herrschers, daß seine Macht zu beschränkt, seine Oberhoheit in so enge Grenzen gebannt sei. Ein Krieg, um Schweden völlig zu unterwerfen, rief auch die, welche den König am meisten fürchteten und verabscheuten, willig unter seine Fahne.
Bald nach seiner Thronbesteigung hatte Christiern sich mit Isabella von Spanien, der Schwester des deutschen Kaisers Karl's des Fünften vermählt, und es ist ein Zeichen dafür, daß trotz dem Fluch, mit dem die Geschichte sein Andenken beladen, sich etwas in ihm barg, was besserer Entwickelung fähig gewesen, daß sie in der Noth und dem Elende seines späteren Lebens nicht von ihm ließ, sondern standhaft bis an ihren Tod bei ihm ausharrte. Ueber sein Herz aber herrschte nach wie vor die schöne Dyveke, die seiner rechtmäßigen Gemahlin zum Hohn einen Flügel des königlichen Schlosses bewohnte, über seine Politik die schlaue Mutter seiner Geliebten, die ehemalige Gastwirthin zu Bergen, und sein heimtückischer Beichtvater, der ehemalige Barbiergehülfe Slaghök. Die Letzteren hauptsächlich waren es, die ihn zu immer härteren und unklugeren Maßregeln gegen den Adel zu treiben wußten. Sie waren die Unsterne seines Schicksals; der Stern seines Lebens aber trotz alledem, der einzige, der in die tiefe Gemüthsnacht Christiern's einen Abglanz sonnigen Lichtes geworfen, war das seltsame Holländerkind, das schöne, fröhlich-schwermüthige »Täubchen« von Amsterdam. Sie war neidlos und ohne Herrschsucht; sie liebte nicht den König, sondern den Geliebten, und suchte ihn mit leiser, kluger Hand aus dem Netz der verderblichen Rathschläge zurückzuleiten, mit denen Frau Sigbrit, ihre Mutter, ihn umgarnte. Hätte das sanfte, klugblickende Täubchen länger gelebt, die Geschichte würde muthmaßlich kein Blutbad zu Stockholm in ihren Tabellen verzeichnet haben.
Doch Dyveke starb. Es ruht noch heute ein Dunkel über ihrem Tode, ob derselbe ein natürlicher war, ob sie ermordet worden. Das Volk, das sie geliebt hatte, klagte den Adel an, sie vergiftet zu haben, und Christiern, durch ihren Tod bis zur Raserei gebracht, lieh dieser Beschuldigung bereitwillig Gehör. Der schwerste Verdacht ruhte auf nahen Verwandten des Schloßhauptmanns von Kopenhagen, Torben Oxe. Derselbe ward in den Kerker geworfen und gestand auf der Folter, daß er Dyveke früher, ehe der König sie kennen gelernt, geliebt habe. Wuthzitternd ließ Christiern ihn enthaupten, verbrennen und soll seine Asche mit eigener Hand in die Winde gestreut haben. Dann begann er eine blutige Verfolgung des Adels, überall hin, wohin der Verdacht, an dem Tode Dyveke's mitgewirkt zu haben, sich erstreckte. Zahllose Köpfe fielen unter dem Beil; die alte Sigbrit schürte immer aufs Neue die Gluth. Endlich begann sogar das Volk über die Ausrottung der edelsten Geschlechter zu murren, und sie lenkte gewandt den Grimm des Königs auf Schweden und seine Großen über. Das Stockholmer Blutbad war jahrelang vorher beschlossen, ehe es zur Ausführung kam.
Seltsam, doch zwei Männer verschiedenster Art und Absicht begegneten sich in dem nämlichen Gedanken, Christiern der Zweite und Gustav Erichson. Jener beschloß, den Adel zu vernichten, um Schweden zu unterwerfen; dieser, so sehr er den blutigen Frevel des dänischen Tyrannen verabscheute, sah ein, daß die heiß ersehnte Unabhängigkeit seines Vaterlandes nur durch die völlige Unterdrückung der Macht des schwedischen Magnatenthums möglich sei, das Jeden, der Schweden groß zu machen versuchte, mit eifersüchtigen Händen zurückhielt und selbst bekämpfte. Gustav Wasa wußte, daß der Mord des Adels zu Stockholm nicht nur das Signal, daß er auch die Bedingung für die Freiheit Schwedens von dänischer Herrschaft war.
Christiern der Zweite aber war seit dem Tode Dyveke's finsterer, erbarmungsloser, unheimlicher denn je. Sein guter Stern war ausgelöscht; einsam brütend saß er auf seinem Schloß und entwarf tagesscheue, tödtliche, weit vorausblickende Pläne.
So traf ihn Gustav Rosen's Bitte um Befreiung aus seiner Haft. König Christiern besaß manche Eigenschaft eines großen Staatsmannes; er kannte die Verhältnisse jedes Bedeutenderen von seinen Unterthanen bis ins Kleinste und wußte mit blitzartigem Blick zu erspähen, wo sich seinem Vortheil eine Handhabe darbot. Leutselig forderte er den Jüngling auf, ihm die Geschichte seines kurzen Lebens mitzutheilen; er hörte mit gewinnendem Ausdruck die ausführliche Darstellung Rosen's an; er lächelte bezaubernd, wie dieser von der Schönheit Karin Stenbock's sprach.
Ehe Rosen geendet, lag der Zwiespalt in der Natur des jungen Mannes offen vor ihm, hatte er den Werth, den dieser für seine Pläne gewinnen konnte, begriffen. Er verweigerte ihm seine Bitte, sogleich nach Schweden zurückkehren zu dürfen, aber er entließ ihn in höchster Gnade. In wenigen Wochen versprach er ihm, ihn selbst über den Sund zu führen, und gab ihm sein königliches Wort, wenn Frau Brita Stenbock die Zeit, die er versäume, zu seinen Ungunsten benutzen solle, persönlich seine Verbindung mit ihrer Tochter durchzusetzen. Es funkelte eine Secunde eigenthümlich in den unheimlichen Augen Christiern's während dieser Unterredung auf, dann geleitete er selbst den Jüngling an die Thür des Saales, in dem sie sich befanden, reichte ihm vor den Augen der erstaunten Dienerschaft die Hand und verabschiedete ihn mit bedeutungsvollem Gruß.
Gustav Rosen hätte nicht neunzehn Jahre zählen, nicht unter der harten Hand Brita Stenbock's aufgewachsen sein müssen, um nicht von der Stunde, die er mit dem Beherrscher Dänemarks zugebracht, bezaubert zu sein. Er war edlen Gemüths noch mehr als von edlem Namen und wollte gleiche Rechte für alle Menschen – Wollte der König nicht dasselbe? Vor seiner Zeit lagen die düsteren Racheakte Christiern's; er hatte kaum von ihnen vernommen, und die allgemeine Begeisterung für den Krieg gegen Schweden verwischte in dem Volke, das ihn umgab, das Gedächtniß daran. Nur wie ein Schatten flog manchmal ihm der Gedanke hindurch, daß Karin eine Schwedin sei; doch was bedeutete der zufällige Unterschied des Stammes gegen ihre, gegen eine Liebe? Auch ihn hatte die Geburt zu einem Schweden gemacht, und doch hatte jetzt das alte Knabengefühl sich ihm bestätigt, daß Dänemark seine Heimath sei. Es mußte auch die Heimath Karins sein, sobald sie es kennen gelernt, wie es die seiner Mutter, die der schönen Königin Dagmar gewesen. Verwob sich ihrer aller Bild ihm doch aus frühen Tagen innig, lieblich mit einander. –
Aber in Eins, in das Schwerste, mußte er sich fügen. Aus den Wochen wurden Monde, und nur seine Träume vermochten das schmale Gewässer zu überfliegen, und so unmöglich es ihm selbst war, ihnen zu folgen, so wenig konnte er eine Botschaft an die Geliebte senden, sie über sein Ausbleiben zu beruhigen. Dann endlich – endlich brach König Christiern mit seinem Heere auf. Gustav Rosen erhielt Befehl, seines Rufs in der Nähe gewärtig zu sein. Er hätte niemals die Waffen gegen das Land seiner Väter geführt, und mit keinem Worte gab der schlaue König den Wunsch zu verstehen, daß er es thun möge. Nur im Lager hielt er ihn fest, wo ihm die ehrenvollste Auszeichnung zu Theil wurde. Doch zugleich empfand der Jüngling, daß er von aufmerksamen Augen bewacht wurde, daß jeder Versuch, wider die Erlaubniß Christiern's Schloß Torpa zu erreichen, ebenso scheitern würde, wie die Flucht über den Sund es gethan. Theilnahmlos, vergeblich seine glühende Ungeduld bekämpfend, folgte er dem Heerzuge. Er war Zeuge der blutigen Schlacht bei Bogesund, in welcher der tapfere Sten Sture fiel und Schweden dem dänischen Eroberer zur Beute ward; doch hatte er keine Empfindung für die Bedeutung des unheilschwangeren Tages.
Am Abend desselben traf ihn der König stumm, verzweiflungsvoll an einen Baum gelehnt, in die klare Mondhelle hinausblickend. Christiern war im Eisenharnisch; ungestüm hatte er selbst die Entscheidung des Kampfes mit herbeigeführt. Finster-spöttisch schlug er, rückwärts herantretend, dem Träumer auf die Schulter und sagte:
»Wenn die Rose vom Trollhätta mich liebte, würde ich noch in dieser Stunde mein Roß satteln und zu ihr reiten, Gustav Rosen. Grüße sie von mir und grüße auch Brita Stenbock, ihre Mutter. Wenn sie mit dem Eidam nicht zufrieden ist, bringe sie mir im November mit in meine Reichs-Hauptstadt Stockholm, ich weiß ein Mittel dafür. Dich selbst erwarte ich dort am ersten November. Verstehst Du?«
Fünf Minuten später saß Rosen im Sattel und ritt durch die Nacht dahin, bis der Morgen kam und wieder das Dunkel das Licht verjagte. Da gönnte er mehr seinem Pferde als sich einige Stunden Rast und sandte der Abrede gemäß einen Boten nach Torpa vorauf, der Karin, und nur ihr, die Zeit seiner Ankunft melden sollte. Frühe Nachmittagsstunde war's, und genau hielt er sie für sein eigenes Eintreffen inne. Nun ragten die alten Ulmen auf, die das Schloß überschatteten und sein Zimmer dereinst so trübselig verdunkelt hatten. Er ließ sie zur Rechten liegen und eilte vorbei; ein anderer Schimmer umwebte sie heute als früher, sein Herz klopfte nicht mehr scheu und zaghaft bei ihrem Anblick, weil es die strenge Stimme der Tante fürchtete.
Gustav Rosen sagte es sich lächelnd, wie anders das Alles geworden, und doch klopfte sein Herz vielleicht ungestümer, scheuer, zaghafter denn je. Immer näher rauschte der Trollhätta ihm seinen donnernden Gruß entgegen – ihm war, als ob er gestern von ihm geritten, als sei es vor einer Minute erst gewesen und er kehre noch einmal um, und Karin müsse noch genau auf demselben Fleck stehen, auf dem sie ihn zum letzten Male geküßt und gesagt: »Mein Herz zählt die Tropfen des Trollhätta, und jeder enthält eine Ewigkeit für mich –«.
Hätte ihm in diesem Augenblicke Jemand den Namen »Bogesund« entgegengerufen, hätte ihn Jemand gefragt, wer die Schlacht gewonnen, er hätte nicht darauf gehört, er hätte es kaum gewußt.
Wie genau kannte er die Wege! Noch um die Ecke, noch eine Minute, eine halbe Minute, und er lag in den Armen der Geliebten –
Jetzt! Hier war die Stelle, und mit glühender Stirn, besinnungslos sprang er vom Pferde. Seine Augen flogen fieberhaft umher; hatte er sich dennoch geirrt? Betrog ihn die Erinnerung und war es eine andere Stelle gewesen, an der Karin ihre Thränen bekämpft und gesagt: »Komm, wann Du willst, ich erwarte Dich am Trollhätta!«
Nein, unmöglich! Jeder Föhrenstamm, jeder Stein war unauslöschlich in seinem Gedächtniß eingeprägt und war da. Sie mußte hier sein; sie hatte sich verborgen, um seine Ungeduld zu prüfen, und er eilte die Halde hinauf, blickte hinter jeden Felsen, durchsuchte jedes Gebüsch. So hatten sie als Kinder hier gespielt, und er kannte jeden Versteck, aus dem ihm beim Näherkommen so oft das goldene Haar verräterisch entgegengeleuchtet.
Umsonst! Er hatte Alles durchforscht und rief laut und flehentlich ihren Namen. Das Brausen des Sturzes verschlang den Ruf: »Karin – Karin!«
Allmälig kam er zur Besinnung. Der Bote mußte die Stunde seines Eintreffens falsch berichtet haben; sie erwartete ihn noch nicht. Er erstieg den Hügel, auf dem er nach Torpa hinüber zu blicken vermochte, bereit, sobald er sie gewahrte, sich zu verbergen, zurück zu schleichen und ihrer an der süßen, gedächtnißreichen Stelle des Abschieds zu harren.
Gustav Rosen harrte lange an dem Tage. Er harrte, bis die Dämmerung kam und die Krähen in lärmenden Scharen über dem Trollhätta krächzten und schattenhaft in dunkler Luft verschwanden. Da bestieg er still und herzklopfend sein Pferd wieder und ritt nach Torpa zurück.
Tausend Gedanken drängten sich in seinem Kopfe. War der Bote nicht eingetroffen? War – und sein Herz schlug angstvoller – Karin durch Krankheit verhindert worden? Hatte Brita Stenbock vielleicht – –?
Er spornte sein Roß, daß es, des schmerzlichen Antriebs ungewohnt, wie ein Pfeil dahinschoß. In wenigen Minuten hatte er das Schloß erreicht, sprang vor dem Portal ab und flog die Treppe hinauf. Eine Magd begegnete ihm: »Wo ist Karin?« fragte er athemlos; »ist sie krank?«
Sie antwortete verwundert: »Nein, das Fräulein ist Wohl und erwartet Euch dringend, Herr Rosen.«
Er riß aufathmend eine Thür auf und stürmte hinein. In der Mitte des Zimmers trat Karin ihm hastig entgegen.
»Gustav, Gustav!« rief sie angstvoll, »ist es wahr? Sage nein! Ist es wahr, daß Sten Sture gefallen ist?«
Ihre Wangen glühten wie Feuer, ihre Augen ruhten starr, erwartungsvoll an seinen Lippen.
»Karin,« stammelte er, ihre Hand fassend, »wußtest Du nicht, da ich kam? Wo warst Du? Seit Mittag harrte ich Deiner am Trollhätta!«
Das Mädchen sah wie erwachend um sich und fiel ihm schluchzend ungestüm um den Hals.
»O Gustav, Alles ist verloren!« jammerte sie.
Er wiederholte besinnungslos: »Alles ist gewonnen, wir haben uns wieder!« und bedeckte ihren Mund mit Küssen.
Sie rang sich los und blickte ihn vorwurfsvoll an. »Seit sechs Stunden bist Du gekommen und bringst uns jetzt erst Nachricht?«
»Seit sechs Stunden wartete ich drüben auf Dich; hast Du meine Botschaft nicht erhalten?« entgegnete er verwirrt.
Sie sagte fast heftig: »Ist es jetzt Zeit, an Kinderspiele zu denken? Wie konnte ich vermuthen, daß Du an Torpa vorüberreiten würdest?« fügte sie milder bei.
»Du hattest es versprochen – wäre die Welt um mich eingestürzt, Karin, ich wäre gekommen,« versetzte er leise. »Ist unsere Liebe Kinderspiel geworden, Karin?«
Seine Stimme brach schluchzend ab. Karin beugte sich hastig zu ihm hinüber und küßte ihm die hervorquellende Thräne vom Auge.
»Armer Gustav,« sagte sie zärtlich, »ich vergaß, was Du in der Gefangenschaft des dänischen Tyrannen geduldet haben mußt!« – –
»In der Gefangenschaft« war Gustav Rosen gewesen und war in der Aufregung und Verwirrung, welche die Schlacht bei Bogesund hervorgerufen, entflohen. Niemand zweifelte daran: es war selbstverständlich. Der Jüngling selbst schwieg dazu. Er war oft wie betäubt; die stürmischen Ereignisse des Tages schwirrten an seinem Ohr vorüber, ohne daß er ihren Zusammenhang begriff. Manchmal raffte er sich auf, um darüber zu denken, aber kaum im Beginn, fühlte er sich unsagbar müde und traurig. Er sah nur, daß Karin's Wange bleich war, und dann wieder fieberhaft glühte, wie an dem Tage, da er zurückgekommen. In den Farben ihres Gesichtes, in dem Ausdruck ihrer Augen las er die Begebenheiten der Welt. Sie war heftig, leidenschaftlich geworden, wie sie es früher nicht gewesen. Leidenschaftlich in ihrer Bewegung, wenn eine Botschaft von Calmar, von Stockholm, die dem Dänenkönig noch widerstanden, eintraf; leidenschaftlich auch in ihrer Liebe, wenn ihre Arme den Nacken des Geliebten umschlangen, wenn ihre Lippen ihn küßten.
Das war nicht mehr die sanfte, tröstende Kindergespielin ihres Vetters; die schönste Jungfrau des Nordens war es, wie die Phantasie der alten Sänger sich Freya gedacht, wie die Dichter ihrer Zeit sich das in menschliche Gestalt übertragene Bild der Schutzgöttin Schwedens vorstellen mochten. Und in dem wundersamen Bilde lebten zwei Seelen neben einander und blickten mit tiefen, deutungsvollen Augen in die Welt hinaus. Die Eine mit glänzend sehnsüchtigen Augen, unergründlich, wie Frühlingsblau, und geheimnißvoll, wie Sommermittag, liebte Gustav Rosen, Die andere schaute mit unruhvoll zitterndem Blick weit in die Ferne hinaus, vorbei an dem bangenden Antlitz des Geliebten, auf ein unsichtbares Ziel gerichtet, von unhemmbaren Kräften ihm entgegengetrieben, alle Stimmen der Nähe übertäubend, wie die fallenden, hallenden Wasser des Trollhätta.
Karin Stenbock's erste Frage war nicht gewesen, ob ihr Vater bei Bogesund verwundet worden. Sie hatte gefragt, ob Sten Sture gefallen. –
Ein furchtbares Ereigniß hatte jener Tag, der den Untergang Schwedens besiegelte, noch im Gefolge gehabt und selbst dies war von dem Brausen der Geschichte, in der Keiner des Einzelnen dachte, überhallt worden. Der Bote, der Gustav Rosen's Ankunft meldete, hatte auch die erste Kunde von dem Ausfall der Schlacht nach Torpa gebracht. Dann war Brita Stenbock besinnungslos hinausgestürzt, Niemand wußte wohin. Durch Sturm und Regen war sie fortgewandert in der Richtung nach Bogesund. Man fand sie vierzehn Meilen vor Torpa durchnäßt, zerfetzt, ohnmächtig am Boden und brachte sie zurück. Wochenlang lag sie zwischen Tod und Leben, eh' sie zum Bewußtsein erwachte. Dann sah sie auf – sie sah nicht mehr, Brita Stenbock war blind geworden.
Was waren die Augen eines Weibes, gegen das Schicksal Schwedens? Karin weinte an dem Bett der Mutter, doch dann riß eine Botschaft aus Stockholm sie fort. Die Wucht der Ereignisse hatte das Mädchen weit über ihr jugendliches Alter hinausgehoben; viele vereinzelte Fäden des Widerstandes, der noch hie und da zwischen Fels und See wider die Eroberer geleistet wurde, liefen in ihren Händen zusammen. Ihr Vater nahm an der Verteidigung Stockholms Theil, und selten verging ein Tag, an dem nicht eine geheime Botschaft und Aufträge für seine Gattin von ihm nach Torpa gelangten, an deren Stelle die kaum achtzehnjährige Karin jetzt zu treten genöthigt war. So hätte Brita Stenbock oft den Händen einer Magd überantwortet einsam und blind in ihrer Kammer gelegen, wenn nicht noch Jemand in Torpa gewesen, der treulich an ihrem Bette saß und jedes ihrer Wünsche gewärtig war – Gustav Rosen.
Er hatte die Tante nie geliebt, und doch machte der Anblick der blinden Frau auf Keinen, selbst auf Karin nicht, so tiefen Eindruck, wie auf ihn. Brita Stenbock war ein hartes Weib und klagte nicht; sie hatte keinen Seufzer für ihr verlorenes Augenlicht, doch ebenso wenig dankte sie es dem jungen Manne, daß er Tage und Nächte bei ihr wachte, sich geduldiger, denn er es je als Knabe gemußt hatte, in ihre herrischen Launen, in die herben Worte fügte, mit denen sie ihn überhäufte, wenn er ihr eine verlangte Auskunft über den Stand der Dinge in Stockholm nicht zu geben vermochte und sie Karin rufen lassen mußte. Gustav Rosen empfand den Verlust ihrer Augen schmerzlicher als den der Freiheit Schwedens, vielleicht schmerzlicher als sie selbst. Sie war ihm ja nicht mehr die strenge, jähzornige Tante, unter deren Willen er sich beugen mußte; sie war die Mutter Karin's – deren Schönheit sie nicht mehr zu gewahren vermochte. Doch wenn er bei ihr den Dank für sein weiches Gefühl, seine unermüdete Sorgsamkeit nicht fand, so empfand Karin es doppelt, und oft traf ihn ein dankleuchtender Strahl ihres blauen Auges, und sie flüsterte, liebreich seinen Kopf zwischen ihre schmalen Hände fassend: »Wie gut bist Du, Gustav!«
Nur durfte kein Bote mit inhaltsschwerer Nachricht vom Kriegsschauplätze gekommen sein. Dann sah Karin Stenbock weder den Geliebten, noch hörte sie auf seine bittenden Worte. Ihre Augen waren blind, wie die ihrer Mutter, für Alles um sie her; wie geheimnißvoll übermächtig verzaubert stand sie, gleich dem alten Barden, von dem die Sage erzählte, daß er am Rande des Trollhätta stand und von der dämonischen Gewalt des donnernden Stromes überwältigt willenlos in seine Wasser hinabsprang. Sie hatte oft davon vernommen in Kindertagen und am Trollhätta gestanden, die Stelle betrachtet, an der es geschehen sein sollte, und es nicht verstanden. Nun sprach Rosen es ihr lächelnd einmal wieder in süßer Dämmerstunde, wo sie glücklich, wie einst als Kind neben ihm saß. Er sagte scherzend, sie erscheine ihm manchmal wie der alte Barde, und das Schicksal ihres Vaterlandes wie der tosende Sturz des Trollhätta, der sie seinen Armen entreiße. Aber auch er lachte glücklich, daß er aus diesem Abgrunde sie immer wieder auf seinen Armen emporzutragen vermöge.
»Was ist Dir, Karin?« fragte er plötzlich erschreckt. Er fühlte, wie das Mädchen bei seinen Worten zusammenschauderte und ihn fest umschlingend den Kopf ängstlich an seiner Brust verbarg.
Sie sah mit sonderbarem Blicke auf und küßte ihn. »Armer Gustav, werde nicht müde,« sagte sie leise; »wenn Du müde würdest und der Strom hätte mich gefaßt, daß es zu spät wäre und Du mich nicht mehr emporheben könntest –«
Sie schauderte wieder und warf sich an seine Brust zurück. »Verlaß Karin nicht,« flüsterte sie, »ich habe Dich ja so lieb – so lieb –«
Dann kam der Tag, an dem Stockholm fiel.
Die Uebermacht der dänischen Belagerer von der Seeseite war zu groß, die Vertheidiger entwichen landeinwärts und zerstreuten sich in Nord und Süd. Auch Gustav Stenbock kehrte nach Torpa zurück, Schweden war verloren, für jeden Einzelnen nur noch das eigene Leben zu retten.
Trübe Tage lagen über Schweden und besonders über Torpa, obwohl der Sommer des Jahres 1520 bis in den spätesten Herbst von seltener, ungetrübter Klarheit war. Doch die erwarteten Verfolgungen blieben aus. Der neue König schien alle seine Unterthanen mit gleicher väterlicher Milde und Liebe zu umfassen, ihrer Widerspenstigkeit gegen seinen Willen und seine Waffen nicht mehr zu gedenken. Allen Alles vergessen und vergeben zu haben. In versöhnlichster Weise erließ er Einladungen an den gesammten Adel des Landes, ohne Unterschied, ob derselbe gegen oder für ihn gekämpft, seiner feierlichen Krönung im Beginn des November zu Stockholm beizuwohnen.
Nur für Gustav Rosen waren die trüben Tage glückliche. Es war, wie wenn Karin nach langer, das Bewußtsein umdunkelnder Krankheit zur Gesundheit, zum Frohsinn, zur Liebe wieder erwacht sei. Sie stützte sich auf den Arm des Geliebten und durchstreifte mit ihm Wälder und Berge, wie sie es als Kinder gethan. Sie lächelte wieder, und sein Herz schlug unendlich freudig und sorglos. Seine Welt lag in ihren Augen, aus denen der bange Traum gewichen, und Karin's Herz schien nie für etwas Anderes Raum gehabt zu haben, als für die alte, unbeirrbare, neu gewordene und verklärte Kinderliebe. Feurigere Worte flüsterte er ihr jetzt ins Ohr, und sie verbarg erröthend, aber wonneselig, den Kopf an seiner Brust. Auch Gustav Stenbock war nichts in der trüben Zeit geblieben, als sich des stillen Glückes seiner Kinder zu erfreuen.
Nur Brita Stenbock blieb eisig gegen Rosen, wie zuvor, und war erfinderisch, dem Wunsche ihres Gatten gegenüber stets neue Vorwände zu ersinnen, um die Festsetzung des Hochzeitstages ihrer Tochter weiter hinauszuschieben. Doch endlich fand sich auch für ihre Weigerung kein erdenklicher Grund mehr, die Vermählung ward für den December unwiderruflich bestimmt, und heimlich zählten die Glücklichen die Tage. –
Da erhielt Stenbock die Einladung, Gustav Rosen aber den Befehl, zur Krönung Christiern's in Stockholm zu erscheinen.
Die Trennung war schmerzlich, thränenreicher von Karin's Seite als die erste. Sie konnte nur kurz sein, doch auch von jener hatte man dasselbe geglaubt. Allein unvermeidlich war sie auch; Stenbock selbst nöthigte seinen Schwiegersohn dazu, dessen Weigerung die schwersten Folgen für ihn nach sich ziehen mußte. Er selbst schützte eine Verletzung am Knie vor, die beschwerliche Winterreise nicht zu unternehmen. Er so wenig wie ein Anderer der Geladenen, mit Ausnahme Gustav Erichson's, glaubte an eine Gefahr, aber er hielt es für schimpflich, am Hofe des Eroberers zu erscheinen, gegen den er soeben noch das Schwert geführt.
Am Tage, an welchem Karin ohne den Arm Gustav Folkung's in die Wirbel des Trollhätta hinabgezogen worden wäre, hatte Stenbock sich anders besonnen. Alle Eingeladenen waren dem Gebot des Königs gefolgt, und er fürchtete hauptsächlich um seiner Kinder willen den Zorn desselben nutzlos gegen sie zu erwecken. Ohne seine Gattin, von deren heftigem Widerspruch er von vornherein überzeugt war, zu unterrichten, machte er sich auf den Weg nach Stockholm.
Da traf er Gustav Rosen, der von dort zurückkehrte, am Wettersee.
Aufgeregt, menschlich empört über die blutige That, deren Zeuge er gewesen, ritt Gustav Rosen an Stenbock's Seite nach Torpa zurück. Sie riß ihn dort zu heftigeren Worten hin, als er sie jemals ausgesprochen, daß es klang, als ob er die Schmach, den Frevel, der an Schweden verübt worden, auch als solchen empfinde. Und vielleicht war er auf dem Wege dahin, vielleicht hatte eine innere Stimme ihm gesagt, daß ein edles Herz sich von schönen Kinderträumen losreißen müsse, wenn ein Land, ein Volk, wenn sein Dänemark dem ungeheuren Verrath eines grausamen Fürsten wider Hunderte der Edelsten eines andern Stammes zujauchze. Vielleicht war der Jüngling an jenem Abend im Begriff, Gerda Rosen und die schöne Königin Dagmar, die Buchenwälder Seelands und die Sonnenträume seiner Kindheit zu vergessen und auch die andere Seele, die anderen Augen Karin Stenbock's zu verstehen.