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Kurze Wochen sind vergangen, doch die Herrschaft des Winters über Schweden ist gebrochen. Nicht vom Süden, vom Norden aus den rauhen Thälern der Dalekarlen ist der Frühling gekommen. Der Frühling heißt Gustav Wasa.
Es ist Niemand vom Berg zur See, der Schweden hilft, denn er. Der Adel liegt gebrochen, und es ist gut, daß seine Kraft gelähmt und er unfähig ist, aus Eifersucht, die seit Jahrhunderten das Land zerrüttet und geknechtet, dem Befreier feindlich entgegenzuwirken. In den Städten, wo der Bürger wohnt, klirren die Waffen der Söldner Christiern's von Dänemark und halten ihn unter eisernem Druck.
In breiter Linie von Kopenhagen bis Stockholm ist das Land verwüstet, die Dörfer verbrannt, die Insassen in Schlachten gefallen, gerichtet oder entflohen, Galgen und Rad bezeichnen den Weg des Beherrschers der nordischen Reiche, seitdem er Torva verlassen. Seine Sense, der Tod, geht über die erwachenden Felder; sie mäht nieder, was ihr im Weg steht, hoch und gering, kalt und gleichgültig. Bei jedem Kopf, der fällt, blicken die finsteren Augen Christiern's suchend nach dem umher, der ihm folgen wird.
Es ist Niemand, der Schweden hilft, als das Volk, das starrnackige Bauernvolk der Kjölen. Darum sind die Dalekarlen aus Berg und Thal zusammengeströmt auf der großen Wiese, die der Frühling mit Himmelsschlüsseln überdeckt hat, und haben Herrn Gustav Wasa unter offenem Himmel zum »Herrn und Hauptmann ihrer und der Gemeinen des schwedischen Reichs« gekürt.
Und herab von den Bergen zog Gustav Wasa; mit Hunderten überschritt er die Dal-Elf, und Tausende strömten ihm zu. denn es war Frühling geworden –
»Schneerypen und Föhrenhüpfer im Baum
Der Thalpfeil trifft gar gut.«
Doch nicht minder als Schneehuhn und Eichkatze traf er die wohlgewappneten Reiter, mit denen der verrätherische Erzbischof Trolle bei Brunnbäck's Fähre den Dalekarlen entgegenrückte.
»Sie trieben die Jüten in Brunnbäck's Elb,
Die Wasser umsprudeln sie rings:
Weh war's ihnen nur, daß dem Christiern selb
Geschah nicht gleicherdings –
singt das alte Siegeslied. Roth rauschten die Wellen der Dal-Elf die erste Vergeltung der Blutnacht zu Stockholm ins Bottnische Meer; doch mit der Kunde davon zugleich drang Gustav Erichson gen Süden vor.
»Ich rief es Dir zu in Torpa, wir sehen uns wieder, König Christiern; Du meidest meinen Anblick nicht, ehe der Sund zwischen Dir und Schweden liegt« – mit der Botschaft sandte er einen Reiter an den Dänenkönig ab. Doch ehe dieser heimlich bei Nacht das Blatt an das Thor des Schlosses, in dem Christiern weilte, genagelt, hatte Gustav Wasa die Dänen zum zweiten Male bei Westeräs geschlagen und belagerte mit so viel Tausenden, daß es keine Bauernschar mehr, sondern ein stattliches Heer war, die von Slaghöck, dem Barbier-Gesellen und Beichtiger des Dänenkönigs, vertheidigte Stadt Westeräs. Auch diese erstürmten die Bauern –
»Und die Juten sie flüchteten alle nun, laut
Anstimmend solch kläglichen Sang:
Da trinke der Teufel das Porschbier, gebraut
Bei des Dalekarls Ambos und Zang'.«
Dann, als die Sommersonne am höchsten stand, und Tag und Nacht sich berührten, fiel die alte Königsstadt Upsala in Gustav Wasa's Hand.
Hier verweilte er. Der Ungestüm seiner begeisterten Anhänger war trefflich, um die dänischen Truppen auf offenem Felde zu schlagen, doch zur kunstgerechten, langwierigen Belagerung einer festen Stadt wie Stockholm reichte die rohe Kraft der Bauern nicht aus. Sie mußten an Kriegszucht gewöhnt, in den Waffen geübt werden. Ihre Bewaffnung bestand in Acker- und Jagdgeräth, der Axt, mit der sie Bäume im heimathlichen Gebirg fällten, dem Bogen und der Schleuder, die ihnen zur Jagd auf Schneehühner dienten, der Pike, mit der sie Wolf und Bär von ihren Herden abwehrten. Doch Gustav Erichson's Auge, seine Hand war überall. Auf die alte Zusage Lübecks, ihm Beihülfe zu leisten, fußend, hatte er vorausblickend Feuerwaffen von der Hansestadt erbeten und lehrte jetzt selbst den unkundigen Thal-Männern den Gebrauch der schweren Muskete. Führer, die er ausgewählt, durchzogen in allen Richtungen das Land und riefen die Bevölkerung zum Aufstand und zur Bildung streitbarer Mannschaft auf. Ueberall entstanden, einzelne Trupps, die sich vereinigten und mit Erfolg die dänischen Besatzungen in den kleineren Ortschaften angriffen. Bald war das platte Land vollständig in der Hand der Befreier, und Christiern's Heerführer mußten sich in die befestigten Städte, vorzüglich die Hafenorte zurückziehen, die von der dänischen Flotte, gleich Stockholm, immer neu mit Soldaten und Lebensmitteln versehen werden konnten. Brita Stenbock hatte Recht gehabt; binnen kurzer Wochen war ganz Schweden ein Torpa geworden, und König Christiern blickte knirschend aus den Fenstern seines Schlosses zu Kopenhagen über den Sund, über den er zurückgekehrt war, weil der wider ihn empörte Adel seine Abwesenheit benutzt hatte, auch in Dänemark die Unzufriedenheit des Volkes gegen seinen Tyrannen zu erregen.
Jede der kleineren oder größeren Scharen aber, die vereinzelt im Lande für die Befreiung Schwedens kämpfte, stellte sich bereitwillig unter den Befehl Gustav Wasa's und huldigte ihm als dem »Herrn und Hauptmann ihrer und der Gemeinen des schwedischen Reichs«.
So strömte Alles nach Upsala, ging Alles von Upsala aus, der alten Königsstadt, in der in grauen Tagen das mächtige Geschlecht der Ynglinger gethront. Sie lag nicht mehr auf ihrer alten Stelle, sondern eine Stunde östlich entfernt; nur ein unter Linden verborgenes Dorf bezeichnete den Platz, wo die Trümmer der einstigen Beherrscherin des Nordens unter Ranken und Grasnarbe schliefen. Zwischen den Häusern hier ragte eine uralte Kirche mit viereckigem, aus Granitblöcken ausgemauertem Thurm empor; ein Runenstein, in den Chor eingefügt, redete fremde, dem lebenden Geschlecht nicht mehr verständliche Sprache der Vorzeit. Hart neben der Kirche aber erhoben sich drei hochgethürmte Hügel, die »Königshügel«, noch immer im Munde der Landleute Thor, Frejr und Odin geweiht; Riesengräber, der Ynglinger muthmaßlich, sagenhafte Zeugen einer Welt, in welche die Götter Walhallas herabgestiegen, um Reiche zu gründen und die schönen Töchter der Erde zu umarmen. Nun rauschten dichte Buchenwipfel im Nordwind auf ihrer Kuppe und streuten ihr Laub auf die rauhkantigen Blöcke, die, granitene Ruhekissen der grimmen Recken, an den Baumpfosten ihrer Schlafkammern lehnten.
Wer auf einem der Steine saß, blickte zwischen den Stämmen durch gen Osten auf den grauen Riesendom der Stadt Upsala, dessen Anblick sogleich verrieth, daß starke, altgothische Hand ihn gebaut. Doppeltgethürmt stieg er über dem dunklen »Skog«, dem schwedischen Urwald, empor, der mit wildem Gemisch von Fichten und Tannen, Erlen und Birken die weite Thalebene bedeckte.
Ab und zu öffnete sich in ihm eine Lücke am Rand der für jene Zeit wohlgebauten Straße, die von Alt-Upsala zur Stadt hinüberführte, und Granitklötze lagen über rothen Porphyrblöcken abenteuerlich auf graulichem Felstrümmerboden gethürmt, nackt und mit Moos überzogen; hie und da nickte ein hohes Farrenkraut einsam und melancholisch aus den Fugen des Gesteins. Doch heiß lag dem Norden zum Trotz die schwedische Hochsommersonne darüber und ließ dem Wanderer um Mittag den kaum einstündigen Weg lang erscheinen, bis er den Domplatz von Upsala erreichte, von dem das gewaltige Schiff sich wie ein Riese unter Zwergen über die niedern, meist einstöckigen Häuser der Stadt emporhob. Fast alle waren aus Holz, die Dächer mit grauer Birkenrinde bekleidet. Eintönig wie der Norden war auch der Anblick Upsalas, in welchem schon ein halbes Jahrhundert zuvor Sten Sture, der Aeltere, die erste schwedische Universität gegründet hatte. Doch seit langen Jahren wieder standen die Lehrkanzeln verödet; die Wissenschaft war vor dem Waffenlärm verstummt, unter dem das lebende Geschlecht aufgewachsen, und trauernd stand die Königsstadt, ihres alten und neuen Glanzes beraubt, um den Dom, das Wahrzeichen ihrer stolzen Vergangenheit, geschart. Gras wuchs auf den Straßen, die der Fuß der Studenten, eifriger von als zur Quelle der Weisheit strömend, nicht mehr durcheilte; still und melancholisch, wie die Natur draußen, lag Upsala, darin sich wenige seiner Bewohner unter freiem Himmel begegneten und mit flüchtig-scheuem Gruß einander vorüberschritten.
So war es bis vor wenig Wochen gewesen, doch ein Sommermonat hatte ausgereicht, Alles zu verwandeln. Wie er Wald und Feld draußen mit luftigem Grün überzog, so hatte er auch wie mit einem Zauberschlage das winterliche Ansehen der Stadt verändert. Auf ihren Straßen drängte es sich Kopf an Kopf; Gestalten, Gesichter verschiedenster Art. Mit ihren knochigen Stirnen, von denen das schlichtblonde Haar dick zu den Seiten herabfiel, überragten die Dalekarlen fast, dem Anschein nach, die niedrigen Gebäude. Zierlicher bewegten sich die gelenkigeren Söhne Gotlands und Ingermannlands zwischen ihnen; deutlich erkannte man die intelligenteren Züge des Städters, der in die Welt und ihre Verhältnisse jenseits der Ostsee hinausgeblickt und feinere, deutsche Sitte erlernt. In reicherer Tracht durchschritt er die Menge, gern an der Seite stattlicher, neugierig und forschend umschauender Männer, deren Sprache und Gebühren die Landfremden verrieth.
Das waren die Herren aus Lübeck, Gesandte des Oberhauptes der Hansa, die mit ihren Schiffen in Norrtelge gelandet, um dem Bedränger ihres alten Feindes und Rivalen in der Ostsee brauchbare Waffen zuzuführen, und ein Urtheil über die Bedeutung und Nachhaltigkeit des schwedischen Aufstandes und die Persönlichkeit des obersten Leiters desselben zu gewinnen. Mit klugen, kaufmännisch reservirten Mienen waren sie gekommen, schweigsam und prüfend; doch schon hatte die allgemeine Begeisterung auch sie erfaßt, und in den Berichten, die sie an die Trave zurücksandten, war jedes Mißtrauen in das Gelingen einer Sache, die in Gustav Erichson's Hand lag, gewichen. Oft sah man sie öffentlich an der Seite des Letzteren; öfter noch gewahrte man sie Abends in der späten Dämmerung das einfache Haus betreten, in welchem er wohnte, das sie selten vor dem Frühlicht wieder verließen. Doch zu andern Malen mischten sie sich fröhlich mit ihm unter das Volk und bewunderten mit durchaus nicht kaufmännischen Blicken die schmucken, vollnackigen Dirnen aus Upland und Gefleborg, die mit den seeblauen Augen unter den dicken, über den Scheitel geflochtenen blonden Zöpfen sich unverzagt durch die Menge drängten und in der allgemeinen Freude manche allzu eifrige Bewunderung lachend ertrugen, die sie sonst furchtlos mit derbkräftiger Hand von sich abzuhalten verstanden. Den Tag hindurch waren die um die Stadt belegenen Felder ein Lager, das von Waffen mannigfachster Art glänzte, in deren Handhabung Gustav Wasa selbst seine lernbegierigen Anhänger übte. Auf kurzmähnigen, untersetzten Pferden von unglaublicher Ausdauer tummelten sich die Reiter, und die neuen Feuerwaffen, von den umstehenden Alten furchtsam bestaunt, knallten vom Morgen bis zum Abend; denn die freigebige Klugheit der Lübecker Herren hatte sich nicht auf die Lieferung von Musketen beschränkt, sondern den für die Zeit beträchtlichen Kostenpunkt nicht achtend, Munitionsvorräthe in solcher Fülle dazu gesandt, daß sie bei der umständlichen und zeitraubenden Operation des Ladens für jahrelange Kriege einer ganzen Armee ausgereicht hätten.
Schwieriger jedenfalls reichten die Häuser Upsalas zur Unterbringung der zahllosen kriegerischen und unkriegerischen Gäste aus Süd und Nord aus. Doch von den Bewohnern der Stadt räumte jeglicher mit Freuden jeden Winkel seiner Behausung zur Aufnahme der Befreier ein. Ein Geist musterhafter Ordnung, nordischer Ehrbarkeit und Nüchternheit herrschte in der überfüllten Stadt; nur Abends nach vollbrachtem Waffentagwerk durchwogte Gesang, vorzüglich des neuen »Brunnbäckliedes«, die Nacht, welche die Uhr verkündete, während die Sonne um eine Stunde vor Mitternacht noch goldig am Horizont stand.
Doch aller Lärm und Gesang verstummte und alle Köpfe entblößten sich – die Frauen hoben ihre Kinder auf die Arme, kühner drängten die Mädchen sich durch die Männer, und in den Augen der Alten leuchtete es jugendlich auf, wenn Gustav Wasa's hohe Gestalt über die Straße kam.
Das that sie jetzt, einfach gekleidet und kaum größer als die der herumgedrängten Begleiter, aber dennoch zeichnete sie sich durch etwas Unnennbares aus, jeder Fremde hätte auf den ersten Blick Gustav Wasa aus der Zahl seiner Gefährten herauserkannt. Es war dasselbe Gesicht, das an jenem Novemberabend am Trollhätta plötzlich Karin Stenbock gegenüber gestanden, nur die Stirn gedankenvoller, ihren Jahren zum Trotz hie und da von leisen Furchen durchschnitten und überschattet. Auch eine Wunde zog sich an ihrer rechten Seite bis unter die Schläfe, eine breite Narbe, die nicht aussah, als ob sie von einer scharfen Kriegswaffe veranlaßt worden. Wie eingebrannt erschien sie und das Haar rundumher ebenfalls wie versengt. Doch der männlichen Schönheit des Gesichtes that es keinen Eintrag; es erhöhte eher die imponirende Energie seiner Züge, aus deren Augen eine Welt zurückspiegelte oder die eine Welt verschlossen, wenn sie dieselbe nicht ans Licht dringen lassen wollten. Niemand sah bis auf den Grund dieser Augen, weder die treuherzige Einfalt der Dalekarlen noch der kluge Blick der diplomatischen Kaufleute aus Deutschland. Wer die geheimsten Gedanken Gustav Erichson's zu wissen glaubte, sah sich gar oft enttäuscht.
Auch seine Begleiter heute Nachmittag, die am Nordende der Stadt wohl eine Stunde schon an seiner Seite hielten, während er, der immer Thätige, regungslos im Sattel saß und durch die schwüle Julinachmittagshitze die Straße, die nach Gefle führte, hinaufschaute. Er mußte etwas besonders Wichtiges aus der genannten Hafenstadt erwarten, daß er, der des Nachts kaum ruhte und keine Minute des Tages ungenutzt ließ, seine Ungeduld bemeisterte und, in tiefes Nachdenken versunken, das Entrinnen der Zeit diesmal nicht zu bemerken schien. Musternd tauschten hinter ihm seine Gefährten Muthmaßungen über den Gegenstand seines Harrens aus. Dasselbe konnte nach ihrer übereinstimmenden Meinung nur etwas höchst Bedeutungsvolles ankünden, eine Botschaft aus Rußland oder die Meldung von der Ankunft Lübeckscher Hülfstruppen. Doch wußten die hanseatischen Herren von dem Bevorstehen der letzteren nichts; aber andererseits vermutheten sie selbst, daß die undurchdringlichen Augen des jugendlichen Feldherrn, ohne sich ihrer Vermittelung zu bedienen und über ihren Köpfen weg, auf eigene Hand die Thüren in der alten Travestadt zu erspähen wußten, hinter denen sich Macht, Einfluß und vor Allem die harten Lübschen Thaler, welche der Handel gen Osten ansammelte, befanden. So waren sie Alle kaum minder erwartungsvoll als ihr Oberhaupt und blickten gleich ihm ausharrend den sonnenheißen Weg nach Gefle hinauf.
Jetzt zuckte es unmerklich um die Wimper Gustav Wasa's, und eine Minute später nahm auch der Blick der Andern einen dunklen Punkt wahr, der über den gelben Staub der Straße herankam. Er vergrößerte sich langsam, allmälig vermochte man zu erkennen, daß es eine für die damaligen Tage seltene Erscheinung aus dem Lande, ein offener Reisewagen war. Eine schwerfällige, von plumpen Pferden gezogene Kalesche – zwei Frauen saßen darin auf dem Rücksitz; die Eine mit eisgrauem Haar um die Schläfen blickte sonderbar ungeblendet grade in die vollen Sonnenstrahlen hinein, die Andere, deren Haar wie diese Strahlen selbst auf der weißen Stirn lag, hielt das Auge niedergeschlagen und wie mit ängstlicher Absicht etwas zur Seite gewendet. Nun rollte der Wagen an den harrenden Reitern vorüber. Neugierig doch ohne tieferes Interesse wandten einige von ihnen das Gesicht auf die Insassen desselben, während andere in ihrem leisen Gespräch fortfuhren – da zog Gustav Wasa mit rascher Bewegung den Hut von seinem Scheitel und verneigte sich bis auf die Mähne seines Pferdes.
In einem Nu waren ringsum alle Häupter entblößt, und alle Augen hingen mit gespanntem Staunen an dem Antlitz des jungen Mädchens, dem der ungewöhnlich ehrerbietige Gruß des Feldherrn galt. Schon war der Wagen, ohne innezuhalten, weiter gerollt. Hocherröthend hatte das wundersam schöne Mädchen stumm den Gruß erwidert und mit tiefblauen Augen eine Secunde lang das auf sie gewandte Gesicht des Reiters gestreift. Dann lenkte dieser sein Roß herum und ritt schweigsam in die Stadt zurück.
Es war offenbar, daß nichts weiter erwartet wurde. Gustav Wasa hatte Stunden hindurch unthätig verbracht, um ein Mädchen zu grüßen und einen Gruß von ihr zu erhalten. Blitzschnell durchlief die Kunde Upsala; diesmal war es Sache der Frauen, Muthmaßungen über Muthmaßungen zu häufen und auszuspinnen. Doch Niemand wußte, wer die schöne Fremde gewesen und wo sie geblieben. Man erfuhr nur, daß der Wagen die Stadt kaum berührt, an ihrem östlichen Ende wieder abgebogen und die Straße nach Alt-Upsala eingeschlagen.
Zu noch früher Nachmittagsstunde traf er dort ein. Dicht neben dem uralten Thurm der Kirche lag ein freundliches Haus, stattlicher gebaut als die übrigen des Dorfes, davor hielt er. Knechte und Mägde standen erwartungsvoll am Thore und empfingen die Ankommenden mit schweigender Ehrfurcht. Auf den Arm ihrer Tochter gestützt, stieg Brita Stenbock aus und trat ins Haus.
Hatten Gustav Wasa's unerforschliche Augen auch hierher gereicht? Mit zartem Sinn war Alles für den Aufenthalt von Frauen eingerichtet, kleiner und im Raume beschränkter, aber bequemer, weniger nordisch. Einfachheit athmend, als Torpa es geboten. Die Möbel, die schweren, kostbaren Vorhänge verriethen nicht schwedische Arbeit; der Reichthum, die Verbindungen einer großen überseeischen Handelsstadt sprachen aus ihnen. Hatte Gustav Wasa bei den Forderungen, die er an Musketen und Kriegsmannschaft zur Befreiung Schwedens gemacht, eben so wohl an einen Garten für die Rose vom Trollhätta gedacht, die er ihrem heimathlichen Boden entrissen?
Dieser Garten entsprach ihr allerdings besser als die rauhe Wildniß, in der sie bald hier bald dort geweilt, seit jener Nacht, in der sie mit den Dohlen über die Göta-Elf geflogen. Sie hatte Gustav Wasa nicht wiedergesehen, seitdem sie ihm ihr: »Fahrwohl!« übers Wasser gerufen. Pferde standen bereit, und ihr Vater hob sie vor sich auf den Sattel. Sie ritten bei Nacht, und bei Tage fanden sie in einsam gelegenen Häusern, deren Bewohner stets vorher von ihrer Ankunft unterrichtet waren, williges Unterkommen. So erreichten sie die wild zerklüfteten Berge, welche die Grenze zwischen Schweden und Norwegen bilden. Doch auch hier waren sie nicht sicher; überallhin war der Befehl an die dänischen Besatzungen der Städte ergangen, auf sie zu fahnden, und von dem König selbst ein hoher Preis »auf den Kopf Karin Stenbock's, lebend oder todt,« gesetzt. Durchs Hochgebirge, das noch mit tiefem Schnee bedeckt war, wandten sie sich deshalb immer weiter gegen Norden. Es war ein mühevoller Weg, der oft die Kräfte der Männer ermüdete; doch Karin schien nichts von aller Anstrengung, von Mangel und Kälte zu empfinden. Staunend sahen die Bauern auf ihre zarte, mädchenhafte Gestalt, die der Unbill des Wetters, der Entbehrung, der rauhen Gegend Trotz bot, und mancher, der auf die Mahnung von Männern nicht gehört hätte, wurde von den begeisterten Worten aus dem Munde Karin's fortgerissen, sein Acker- oder Handwerksgeräth zur Seite zu werfen und nach Dalekarlien zu wandern, wo, wie das Gerücht durchs Land flog, die Befreier Schwedens sich sammelten.
»Ich rufe Euch im Namen Gustav Wasa's,« sagte Karin, und ihre Wangen glühten. Dann begaben sie sich weiter. Wo sie durch weite, menschenleere Thäler kamen und ihren Gedanken nachzuhängen gezwungen wurden, war es ein traurig-düsterer Zug. Sie wußten nichts von dem, was nach ihrer Flucht in Torpa geschehen, nichts von dem Schicksal der in Christiern's grausame Hand gefallenen blinden Gattin und Mutter. Erst als die Clara-Elf überschritten, erreichte sie ein Bote und brachte die Meldung von der Errettung Brita Stenbock's, die zu Schiff über den Wenersee ebenfalls gen Norden geführt worden.
Schaudernd hörte Karin die Erzählung des Boten, wie Gustav Wasa mit seinen vier Genossen in dem unterirdischen Gange auf den Abzug der Dänen gewartet und Jener endlich, von Angst getrieben, der Todesgefahr getrotzt, durch den Gang über Leichen sich emporgetastet und sich zwischen diese horchend auf den Boden gelegt habe.
Doch auch er vermochte sich keine Vorstellung von dem zu bilden, was geschehen sollte. Er hörte nur, daß Brita Stenbock und Gustav Rosen gefesselt wurden und zurückblieben. Dann vernahm er drunten das Getöse vom Abzug des Königs, doch zugleich fiel der rothe Schein der Fackeln über sein Gesicht, näher und näher, ein roher Fuß trat mit eisenbeschlagenem Schuh auf seine Brust. Knistern und Krachen durchlief die Wände und erstickender Rauch füllte den Gang, daß er besinnungslos aufsprang, ob Feinde noch zugegen sein mochten oder nicht, und die Thür des Saales aufstieß. Kaum sah er durch den Qualm den Altar und die beiden regungslos an ihn geketteten Gestalten mehr; um eine halbe Minute später hätte sein Schwert ihre Stricke zu spät zerhauen, seine Arme, von denen Gustav Rosen's unterstützt, Brita Stenbock zu spät durch den brennenden Gang getragen. Glühendes Gebälk brach hinter ihnen zusammen und ein Scheit traf mit schwerer Wucht Gustav Wasa's Stirn, doch erreichte er die rettende Thür, die in den Schoß der Erde führte, wo er, von der ungeheuren Anstrengung erschöpft, mit seiner Bürde in den Armen die angstvoll seiner Rückkehr harrenden Dalekarlen traf und zu Boden sank. Nun erharrten sie ungeduldig, eine Ewigkeit erschien es ihnen, drunten die schützende Nacht wieder und gelangten ungesehen und ungefährdet an die Göta-Elf, die sie stromauf in den Wenersee entlang zogen.
Athemlos lauschten Stenbock und seine Tochter; sie weinten Thränen des Glücks und des Schmerzes zugleich. Ihre Heimath war vom Boden verschwunden, wie Brita Stenbock's Augen sollten hinfort für jene die ihrigen sein und Torpa niemals wiedersehen. Doch was war Torpa gegen Schwedens Befreiung? Schweden war von jetzt an ihre Heimath – Karin empfand es wie eine Mahnung von oben, daß sie dem ganzen Vaterlande angehören solle, nicht der engen Scholle, auf der sie ihre Kindheit verträumt.
Und was war die Zerstörung eines Hauses gegen das Leben der Mutter, das sie hoffnungslos verloren gegeben, das Gustav Wasa mit Gefahr seines eigenen gerettet!
Dunkle Röthe schlug bei dem letzten Gedanken in die Wangen des Mädchens. Dachte sie der Worte, die der Trollhätta gehört:
»Die Hand ist frei, Gustav Erichson, und sie gehört dem, der zwei Dinge vollbringt.«
»Schwedens Zukunft komme über Dich, wenn sie um ein Weib verloren geht« – hatte Gustav Wasa, ins Boot zurückspringend, erwidert.
Hatte er eins von den zwei Dingen vollbracht? Die fiebernd heiß und kalten Wangen Karin's sprachen Ja. – Was war das zweite? Konnte er auch dies vollbringen?
Und wenn er es gethan, wenn er kam und sagte: Es ist geschehen, Karin, – was dann? Dann hat er ein volles, unbestreitbares Recht auf den Lohn, den die Augen, die andern Augen Karin's ihm verheißen – auf die Hand, die er begehrt. Warum nicht? – Die Augen, die das Herz zu verschenken gehabt, sind erloschen. Kein Strahl ist aus ihnen hervorgebrochen, wie der Bote von dem Geschick Gustav Rosen's erzählt; die Lippen haben sich nicht geregt, sie haben kein Wort hervorgebracht, das nach ihm gefragt. Die Augen sind erloschen, wie die Flammen von Torpa, und das Herz ist zu Asche geworden, wie die Trümmer des Schlosses.
Doch es glimmt lange fort unter der Asche von Torpa, Karin. Wer daneben steht, glaubt, es sei Alles todt und ausgebrannt, denn der Sturm, der darüber hinfährt, bändigt die verborgene Kohle, die ungeahnt in der Tiefe fortglimmt. Aber wenn er sich gelegt, wenn der Rauch sich zertheilt und die stille Ruhe zurückkehrt, wenn leise, leise der Sommerhauch über die todte Stätte weht – da weckt er die schlummernde Kohle.
Und weiter zog Karin an der Seite ihres Vaters und weckte die Kohlen, die unter der Asche Schwedens schliefen, mit der Mahnung:
»Ich rufe Euch im Namen Gustav Wasa's, er wird Schweden befreien!«
Heiß und kalt überfloß es wieder bei den Worten ihre Stirn. Hatte Gustav Wasa, wenn er Schweden befreit, das Zweite vollbracht, das der Trollhätta vernommen?
Erst im Westen Dalekarliens traf Karin mit ihrer Mutter zusammen. Dort verließ Stenbock sie, um sich zu dem Heere zu begeben, das Gustav Erichson gesammelt. In fieberhafter Ueberspannung beharrte Karin auf dem Entschluß, Männer-Kleidung anzulegen und selbst an dem Kampf um das höchste, einzige Ziel Theil zu nehmen. Die Sorge um die blinde Mutter erschien ihr weniger heilig, als dieser Gedanke, den selbst der feste Wille des Vaters nicht zu brechen vermochte. In der Noth wendete er sich heimlich an Gustav Wasa und erlangte einen Befehl von ihm für Karin, ihrer Absicht zu entsagen.
Als Feldherr Schwedens, schrieb dieser, verlange er unbedingten Gehorsam von Allen, die der Sache des Vaterlandes dienen wollten. Er erfülle, was Karin von ihm begehrt, und fordere, daß auch sie seinem Willen nachkomme. Auf seinen Wunsch solle sie sich mit der Mutter nach Alt-Upsala begeben, wo er ein Haus zu ihrer Aufnahme eingerichtet. Ein Wagen erharre sie in Gefle; genau war die Stunde ihrer dortigen Abfahrt und ihrer Ankunft in Upsala vorgeschrieben. Gustav Wasa's Gedanken ordneten und umfaßten Alles, das Kleinste wie das Größte.
So trafen sie in dem Hause neben der Kirche in Alt-Upsala ein. Es war nichts zu ordnen in ihm, nichts zu ändern; wie wenn sorgsame Frauenhand Alles eingerichtet, sprach jeder Fleck im Innern der Wohnung von Umsicht, von seinem Sinn. Er sprach von mehr, wenn man erwog, daß es nicht Frauenhand, sondern die eines Mannes gewesen. Wer darüber nachsinnen wollte, daß es dazu die Hand gewesen, in der die Zukunft Schwedens zu ruhen schien, der mußte sich sagen, die Einrichtung des lindenüberdachten Hauses neben der Kirche von Alt-Upsala verrieth mehr als Umsicht und seinen Sinn, ja mehr als Dankbarkeit und Freundschaft.
Karin fühlte es, wie sie gegen Abend nachdenklich ins Freie hinausging. Unruhvoll hatte sie den Nachmittag verbracht; ihr Auge war durchs Fenster gerichtet und hing fast unverwandt an der Straße, die sie nach Upsala hergeführt. Als ob die Aufregung der letzten Monate ihre Nerven berührt, fuhr sie fast erschrocken bei jedem unerwarteten Geräusch zusammen, wenn eine Thür sich öffnete oder draußen eine fremde Stimme erklang. Erst langsam mit dem Sinken des Tags legte sich ihre Unruhe, und sie trat durch den Garten, der das Haus umgab, ins Feld hinaus. Verwundert maß sie die drei Königshügel, die dicht vor ihr aufragten, mit den Blicken und fragte einen alten Dorfbewohner nach ihrer Bedeutung und ihren Namen. Dann schritt sie durch das hohe, blumengeschmückte Gras der vor ihr liegenden Wiese und stieg gedankenvoll den Odinshügel, die mittlere von den drei Erhöhungen, hinan.
Vorjähriges Laub lag droben noch um den mächtigen Granitblock, auf dessen Rand sie sich setzte. Er mochte in grauer Zeit als Opferstein gedient haben, als der Hügel noch frei ins Land blickte; die alte Runenplatte drunten in der Kirchenwand, an der Karin betrachtend vorübergekommen, erzählte vielleicht davon. Es war eine Stätte, um die Gegenwart zu vergessen, mit den Gedanken in die Vergangenheit zurück, in die Zukunft voraus zu wandern. Was war Glück und Leid des Einzelnen in der großen Fluth, welche die Jahrhunderte, welche Jahrtausende heraufrauschten und wieder mit sich fortrafften? Wessen Stimme erklang an diesem Steine, ehe die Riesenbäume, die heute im Abendwind die Wipfel über ihm schüttelten, mit dünnen Fäden Wurzeln in die Erde hineinschlugen? Wer nach Jahrtausenden, nach Jahrhunderten wird von dem Mädchen Wissen, das jetzt auf ihm ruht und in die Welt hinausblickt, als begreife es ihr Getriebe? Nicht zur Freude ist das Leben geschaffen, zur Wahl nicht, sondern zur Pflicht. Andern zu nützen und dem Guten zu dienen, auch wo es Kampf und Ueberwindung gilt.
Leise sprachen Karin's Lippen die letzten Worte vor sich hin. Es war später Abend; allein die Sonne stand noch über dem Horizont. Fast wagerecht warf sie das seltsam grüne, melancholische Licht der nordischen Spätsonne über das stille Thal, dessen Bewohner schon zur Ruhe gegangen, weil nach wenig Stunden schon das Roth im Osten sie wieder zur Arbeit aufrief. Sonderbar still und schwermüthig saß es sich droben über der nächtlich schlafenden Welt, die noch der helle Tagesschein beglänzte. Ueber dem dunklen Fichtenwald leuchteten in der Ferne die Goldkugeln der Domthürme von Upsala und warfen ihren Widerstrahl in die sinnenden Augen Karin's.
»Woran denkst Du, Rose vom Trollhätta?« fragte plötzlich eine Stimme hinter ihr.
Sie fuhr jäh auf und stand Gustav Erichson gegenüber. Sie hatte ihn kaum gesehen seit jenem Abend, da sie ihn durch den unterirdischen Gang Torpas gerettet und im letzten Augenblick sich seinen ungestümen Armen entrungen. Seitdem hatte das Schicksal die Rolle getauscht; durch denselben Gang hatte er sie gerettet, sie bewußtlos ohne Widerstand auf seinen Armen fortgetragen.
Er hatte weit mehr noch gethan – ihre plötzlich erglühte Schläfe sprach es aus, daß Alles zugleich deutlich vor ihrem Bewußtsein erwachte, und dennoch stand sie regungslos, wie sie es damals am Trollhätta gethan, als seine starke Hand zum ersten Male sie dem Leben wiedergegeben. Ihr Auge ruhte ungewiß auf der Brandwunde, die seine Stirn überzog, auf seiner ganzen männlich hohen Gestalt; doch ihre Lippen vermochten kein Wort hervorzubringen, und seine Brauen runzelten sich, wie sie es damals gethan; der freudig-fröhliche Ausdruck, den sein Gesicht bei der ersten Frage besessen, schwand, und er fuhr mit verändertem, herberem und doch unsicherem Tone fort:
»Verdiene ich auch heut' keinen Dank, Karin? Hab' ich auch diesmal die Hand nicht verdient?«
Sie mißverstand ihn. Ihre Lippen zitterten, kaum hörbar brachte sie stockend die Antwort hervor:
»Schweden ist noch nicht frei.«
»Du hast Recht, so sollst Du es wenigstens sein.« Er stieß es mit bebender Stimme aus, unsäglich bitter und mit Gewalt das unwillkürliche Zucken seiner Wimpern bekämpfend. »Du mahnst mich, daß, wer für die Freiheit sein Leben einsetzt, es nicht um Lohn thun darf; daß, wer für die Freiheit eines Volkes kämpft, nicht die eines Einzelnen gefährden soll. Ich gebe Dir Dein Wort zurück, Karin Stenbock, ob Schweden frei wird oder nicht. Worte find federleicht geworden, seit Christiern von Dänemark in Torpa war. Lebe wohl!«
Ehe das Mädchen etwas zu erwidern im Stande war, hatte er den Rücken gewandt und den Fuß des Odinhügels erreicht. Er schwang sich auf sein drunten harrendes Pferd und jagte auf der Straße nach Upsala zurück. Karin stand todtenbleich und sah ihm nach; das Roß bäumte sich unausgesetzt unter ihm, die besinnungslose Aufregung des Reiters sprach deutlich aus den ängstlich schmerzvollen Bewegungen des Thieres.
Diesmal war die Entfernung zwischen ihnen schon zu groß, als Karin die Herrschaft über sich zurückerlangt und mit zitterndem Munde »Gustav Wasa!« rief. Er hörte den Ruf nicht mehr; namenlose Bangniß kam über sie; die schlafende Welt und die Sonne drehte sich vor ihren Augen. – »Worte sind federleicht geworden, seit Christiern von Dänemark in Torpa war,« murmelte sie, einige Schritte zurückwankend. Dann verließ plötzlich die Kraft sie, und mit den Händen vortastend, fiel sie an dem alten Opfersteine zu Boden.
Karin saß am andern Tage wieder droben, doch Gustav Wasa kam nicht zurück. Tag um Tag saß sie an derselben Stelle am Odinsteine und sah mit großen, bewegungslosen Augen hinüber nach Upsala. Sie hörte auf das Rauschen der Bäume über ihr; wie ein Jahr kam der Tag und rann hin wie ein Jahr. Von der Welt draußen drang keine Kunde dort hinauf; sie begehrte nicht nach ihr. Sie ordnete die Welt drinnen, und die Blätter halfen ihr, die sommerwelk aus den hohen Wipfeln auf den Opferstein herabfielen. Wochen vergingen; überall, bis an die Ostsee hinab, siegten die Waffen der Schweden. Nur Stockholm widerstand noch und ward jetzt von einem Heere, dem Lübecker Hülfstruppen zugesellt waren, belagert.
Man erwartete bald die Uebergabe der Stadt – da rann noch einmal ein Schrei des Entsetzens durch Schweden; wie ein Blitz flog die Schreckensbotschaft von Ort zu Ort, daß Gustav Erichson's Mutter und Schwestern, die sich seit dem Beginn des Aufstandes als Gefangene in Stockholm befunden, auf den Befehl Christiern's von Dänemark ermordet worden.
Auch nach Alt-Upsala gelangte die Kunde. Es war gegen Abend schon, als Karin Stenbock sie vernahm; der Ueberbringer derselben fügte hinzu, daß seit dieser Botschaft Niemand Gustav Wasa mehr gesehen. Es herrschte in Upsala die größte Bestürzung, da er sich, Speise und Trank verweigernd, eingeschlossen und Niemandem Antwort gebe. Leute, die lange an seiner Thür gelauscht, hätten gehört – wer ihn kenne, wolle es nicht glauben, aber sie könnten beschwören, daß sie Gustav Erichson weinen gehört.
Langsam schlug Karin, ohne etwas zu erwidern, ihren gewohnten Weg nach dem Odinshügel ein. Sie setzte sich auf den alten Stein, wie sonst, und blickte in die Abendsonne, bis die Goldkugeln der Domthürme von Upsala zu funkeln begannen. Dann warf sie sich vor dem Opfersteine auf die Kniee und legte minutenlang die Stirn fest auf den kalten Granit. Ruhig erhob sie sich wieder und schritt den Hügel hinab, doch nicht ihrer Wohnung zu, sondern zur Straße gen Upsala hinunter. Sie verfolgte diese, nicht hastig und nicht langsam, bis sie die Stadt erreichte, an deren Eingang sie nach dem Hause Gustav Wasa's fragte. Ein kleines Mädchen lief neben ihr her und brachte sie bis dorthin. Verwundert machten die Offiziere, die rathlos auf dem Flur des Hauses standen, ihr Raum und deuteten ihr auf ihr Verlangen achselzuckend das Zimmer, in dem sich der Feldherr seit zwei Tagen dem Anblick seiner nächsten Vertrauten entzogen. Doch ruhig klopfte sie an die Thür und sagte:
»Karin Stenbock wünscht Gustav Wasa zu sprechen.« Und zum sprachlosen Erstaunen der Umstehenden öffnete sich die Jedem verschlossene Thür hastig wie von selbst; doch ebenso schnell schloß Karin sie wieder hinter sich und sagte, die Augen ernst in das blasse, verstörte Gesicht des vor ihr stehenden Mannes heftend:
»Das Wort einer Schwedin ist nicht wie das Christiern's von Dänemark. Ich will Dir Mutter und Schwester sein, Gustav Wasa.«