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Ist von wahren Kunstwerken die Rede, nicht von Kunststücken, so verlohnt ein Religions-Edikt darüber nicht einmal der Druckkosten, weil ja in manchem deutschen Kreise und Jahrzehend kein einziges erscheint. Wer wird ein Pilatus-Gericht Jahre lang niedersetzen und teuer besolden, damit es einmal einen göttlichen Sohn verhöre? Ja, ists sogar, wenn er kommt, nicht besser, ihn nicht zu richten und hinzurichten? – Ein getötetes oder verstümmeltes Kunstwerk ist Raub an der Ewigkeit; eine unterdrückte Wahrheit wahrscheinlicher nur einer an der Zeit; weil kein gemeines Individuum, geschweige ein ungemeines wiederkommt; weil der Zufall wohl eine Wahrheit, aber nie ein ganzes Kunstwerk verleiht; weil mehrere Baumeister leicht dasselbe ähnliche Lehrgebäude zimmern, aber nicht Väter denselben ähnlichen Sohn erschaffen.
Daß ein Kunstwerk als solches nie unsittlich sein kann – so wenig als eine Blume oder die Schöpfung – und daß jede partielle Unsittlichkeit sich, wie partielle Geschmacklosigkeit, durch den Geist des Ganzen in sein Widerspiel auflöset, brauchte z. B. gestern weniger bewiesen zu werden als vorgestern. Auch könnte ferner ein wahres Kunstwerk mit seinem Scheine nur dem Volke schaden; aber eben diesem kann es ja nicht einmal damit gefallen; ihm folglich einen Tacitus, Persius, Plato verbieten, heißet dem Blindgebornen Tizians Venus untersagen. Die längste Schürze für Thümmels adamitische Grazie ist das Augenfell der Menge.
Dasselbe gilt für das Lachen der Kunst; und ich berufe mich hier (doch mit Einschränkungen auf Zeit und Ort) auf Schlegels Worte über das griechische Belachen der GötterAthenäum III. S. 252. . Goldoni bittet in der Vorrede zu seiner Komödie, alles, was darin etwa gegen die Religion vorkomme, bloß für Späße dagegen zu halten. – »Das verbieten wir eben«, würde der deutsche Zensor sagen. Doch sobald er von gespielten, nicht von gelesenen Lustspielen spräche, hätt' er mehr Recht; aber leider auf Kosten unserer unsittlichen Zeit. Denn wenn in Griechenland bei den olympischen Spielen jedes Kunstwerk zensurfrei gedruckt, nämlich vorgelesen werden konnte dem ganzen Volk; und wenn folglich in diesem Falle entweder das Volk keiner Zensur bedurfte, oder das Werk keiner, oder eigentlich beide: so beweiset der deutsche Fall, wie schlecht die Zeit sowohl lese als schreibe.
Hingegen jene Werke, die keine Kunstwerke, sondern nur Lyoner, Nürnberger, Augsburger Arbeit sind, weniger zum Kunsthandel als zur Handelskunst gehörig, dem Volke aus den Augen gestohlen und sich eben daher ihm wieder ins Herz stehlen, dürfen schon der Menge ihrer Leser und ihrer eignen wegen nur an den kürzesten Zügeln und Ketten der Zensur ins Freie gelassen werden, sobald sie die Unsittlichkeit aushauchen, wozu ihnen das Gegengift fehlt. – Und doch gerade diese reißenden Tiere gehen ohne Käficht reißend ab und auf, die strengen Zensoren erlauben eher die Befleckung eines Lese-Volks als eines Fürsten-Namen. Aber lieber werde selber Gott als die Unschuld beleidigt; denn eine gedachte (gelesene) Blasphemie stimmt die Phantasie zu nichts (höchstens zum Gegenteil), aber eine gelesene Unzüchtigkeit überreizt die junge Seele im Treibhaus des Körpers zur Fortsetzung. – Wenigstens sollte es Verbote, wenn nicht mancher Bücher, doch mancher Leser geben, nämlich für Leihbibliotheken.