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Die zweisylbigen weiblichen Bestimmwörter mit en im Plural
Baireuth den 2. Nov. 1817
Das Nasloch fand ich, Verehrte, bei einigen Buchschreibern, welche, wie gewöhnlich, nur über das einzige Wort, das ihnen eben in die Feder gekommen, auf der Stelle des Papiers ein wenig grammatisch philosophierten und bald herausforschten, daß bei Nasenloch nur vom Loche nicht mehr als einer Nase die Rede sein könne; inzwischen ließen diese Schreiber die übrigen Wörter derselben Klasse, wie sie waren, und rochen mit dem Nasloch an ein Rosenblatt statt an ein Rosblatt und in eine Küchenstube anstatt in eine Küchstube. – Das sich leer schreibende und leer lesende Volk der Roman- und Almanachschreiber bedenkt im Erstaunen über den eignen Fund nicht, daß man in der Sprache über kein einzelnes Wort, ohne dessen ganze lange Sippschaft und die Hausverträge derselben zu kennen, etwas verfügen kann, über kein Bausteinchen ohne Übersicht des Sprachgebäudes. So setzen die weiblichen Doppelsylben, die im Plural ein n annehmen, gleich den männlichen des Oktoberbriefs sich an das Grundwort mit einem Wohllaut-n, z. B. Witwe, Nonne, Puppe, Lippe, Wange, Wunde, Asche, Staude, Nelke, Rose, Mode; diese haben folglich Witwen-, Puppen-, Nonnenstand etc. Der scharfe Wolke aber behauptet, dieses en müsse fort; denn entweder als Pluralzeichen sei es falsch, z. B. Säulenfuß, wo nur eine Säule, oder als veralteter Genitiv und Dativ, z. B. in Höllenfahrt, von dem alten Dativ »in der Höllen« anstatt »in der Hölle«. Aber es ist eben keines von beiden: z. B. Blumenpolype, Rosenmund bedeutet keinen Polypen und Mund von einer Blume oder von mehren, sondern einen, der eine ist, also den Nominativ; folglich sei – fährt Wolke fort, weil er meine gegenwärtigen Einwendungen in diesem Briefe noch nicht gelesen – bei allen Zusammenfügungen nicht nur das n, auch das e wegzuwerfen nach den Beispielen, die uns die Sprache längst gegeben, z. B. in Schulbuch, nicht Schulenbuch, Seelsorger, nicht Seelensorger, Mühlrad, nicht Mühlenrad. – Aber ich flehe hier Wolken, wie ich schon im Oktoberbriefe versucht, meine Freundin, zu bedenken an, zu welcher Disharmonika sich unsere Sprache verstummen würde, wenn man – aber lieber möchte ich mich mit dem Rücken an die Klaviatur einer mit allen Bälgen und Registern gezogenen Orgel andrücken und dem Durcheinanderheulen zuhören, als es in Dichtern vernehmen, wenn man einführte: der Katz-, Ratt- oder Ratzschwanz, der Roswangreiz (statt Rosenwangenreiz), das Pupp-, Nonn-, Witw-, Wanzbein, der Büchsschaft. – – Ach und wen würde man mehr entblättern als die Blumen, Rosen, Nelken, Tulpen, Lilien, Rauten, Kressen! Denn an den Blumennamen flattert mein Wohllaut-en wie ein Blättchen mehr. Auf der andern oder Wolkeschen Seite, wo ihm die Wörter zu Gebote stehen, die seit Jahrhunderten dem n entsagt, kenn' ich wieder nichts Veränderlicheres als eben diese Wörter mit ihren Entsagungen; wir haben Kirchenrat und doch Schulrat – Kutschbock und doch Kutschenrad – Seelsorger und doch Seelenkraft – Mühlstein und doch Mühlengang. – Ich wäre durchgängig für das n da, wo mit ihm der Wohllaut fehlte, also lieber z. B. Kutschenbock als Kutschbock, lieber Kirschenbaum als Kirschbaum.
Hier und heute, glaub' ich, kann ich, liebwürdigste Gönnerin, am besten auf einen besondern Haß und horror naturalis der Deutschen hindeuten; und dieser betrifft das e, gerade jenen dünnstimmigen Selblauter, den wieder die Franzosen überall bald als Harem-Stummen den weiblichen Hauptwörtern, bald als einen Vorlauter und Vorsänger den männlichen und den Zeitwörtern mitgeben. Wir werfen das e aus den Zeitwörtern (steh'n, steh't) – wir schneiden es dem Dativ ab – oder aus dem Genitiv heraus (Geld's) – wir verschlucken es in Partizipien (geles'ne) – wir nehmen die Sichel des Apostrophs und quieszieren es, baierisch zu reden, überall durch ein Häkchen – Dichter stoßen gar als Nachtigallen mitten im Gesange auf dasselbe wie auf Gewürm herab und schnappen es weg – Dinte, worein man einige Hippokrene gegossen, ist ordentlich das eau epilatoire zum Ausbeizen dieses Buchstäbchens oder Häkchens – Kurz ich finde einen allgemeinen Federkrieg gegen den Selblauter, eine freie Pürsch gegen dieses Schwa, wie sonst eine christliche gegen die Hebräer gewesen. – –
Die Ursache aber ist, daß er sich ebenso häufig wie diese unter uns fortgepflanzt. – Wohin ich nur sehe, gerat' ich auf dieses deutsche Schwa. – Den Entziffer-Kanzleien plaudert er die Geheimnisschrift am ersten aus, weil er am häufigsten dasitzt. – Kaufen Sie von einem Schriftgießer vier Zentner klein Cicero, so bekommen Sie nur 4900 Fraktur-a, dagegen aber 11 000 Fraktur-e. – Wie klagen nicht Wolke und Radlof (sie wollen vergeblich helfen) einstimmig darüber, daß er seit Jahrhunderten in die herrlichen Selblauter, wie gewiß a und o sind, als ein Wurm gekrochen und sie ausgehöhlt und entmannt oder vielmehr sich ihnen wie ein Croup an die Kehle gesetzt, daß sie kleinlaut und heiser geworden,Z. B. Rauher, Pachter, Burger, jetzo Räuber, Pächter, Bürger; sonst Romer, jetzo Römer. An die Zeit der Altfranken darf man gar nicht denken, wo selbst selbo hieß, ich redete ih redota, erfüllte gifullta. so wie er selber nur Erbärmliches, z. B. Wehe, Flehen, Enge, ausspricht. – Bei- und Mitleid hab' ich daher mit dem Vokal nicht im Geringsten, wenn ihn (vielleicht eben deshalb) sonst die Holländer, wie Asmus die Nachdruckerehrlichkeit, verkehrt gedruckt und geschrieben,Kramers niederdeutsche Grammatik. wie etwa, nur aber barbarisch genug, die Römer durch Umkehrung des Anfangbuchstaben eines Namens das weibliche Geschlecht bezeichnet haben.
Aber ich komme zu den Doppelwörtern unserer Briefe zurück. Der deutsche Groll gegen das e offenbart sich am stärksten in der volkreichsten Klasse derselben, die den Jennerbrief einnimmt, indem er lieber eine falsche Einzahl ausspricht, als mit e die richtige Mehrzahl zuläßt, z. B. Bäumeschule, Füßebank, Zähnepulver, Träumebuch; – desgleichen in der zweiten Klasse des Februarbriefes, wo bloß das e wegen Fischefang, Steinesammlung, Schafeherde nicht erscheinen dürfen;Man leite diese Wortfügung aus keiner Abneigung gegen die Mehrzahl her; denn dieser huldigt die Sprache in den Fällen, wo die Mehrzahl kein e, sondern ein er hat, sogar dann freigebig und gegen den Befehl des Sinns, wo die Einzahl regieren müßte, z. B. in Kälbermagen, Kindermörderin. nur einige wenige auf d ausgenommen, wie Hund und Pferd, in welchen das e als erweichendes Mittel das Erharten verhüten soll. – Gerade so wird in Liebesbrief, damit das weiche b durch das e erhalten und dieses doch nicht vorlaut werde, ein s eingeschlichtet, welches ich für meine Person gar nicht annehme, indem ich unbeschwert aus Liebedienerei zusammenfüge Liebebrief (wie der Engländer love-letter), so wie Wärme-, Kältegrad, und nicht Wärmes-, Kältesgrad.
– Nur ein Bestimmwort ließen die guten alten Deutschen in allen Trauungen mit Grundwörtern stehen, wie es stand, ohne ein e abzuschneiden oder ein Napoleon-n pluraliter einzurücken – und gerade ein Wort, das aus zwei e's hintereinander besteht (denn was will das h sagen?) –: es ist das Wort Ehe, das eigentlich Bund bedeutet. Nur noch eine größere grammatische Galanterie gibt es in unserer Sprache, das Wort Brautpaar, das den Bräutigam ganz in die Braut auflöst und verschmelzt.
Sie sehen übrigens aus allem, edle Freundin, daß in dieser Wörterklasse es fast wie im Windmonat selber, wo ich darüber schreibe, zugeht und ein Wind gegen den andern in einem Wort sich entgegenweht, z. B. in Ehre – Ehrenamt und Ehrliebe. Im nächsten und letzten Briefe und Monate wird es nicht besser gehen, sondern noch viel schlimmer, ich aber werde bleiben
Ihr etc.