Jean Paul
Über die deutschen Doppelwörter
Jean Paul

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Über das Zusammenfügen der deutschen Doppelwörter;
in 12 Briefen an eine vornehme Dame;
nebst einer geharnischten Nachschrift an die Gelehrten

Einleitung

Dem Anschein nach ist nichts regelloser als die Art, auf welche unsere Sprache in den Doppelwörtern das Bestimmwort mit dem GrundworteZ. B. im Doppelwort Baumschule ist Baum das Bestimm- und Schule das Grund-Wort. verknüpft; und die menschlichen Ehen werden bei den verschiedenen Völkern kaum mannigfaltiger geschlossen als bei uns die grammatischen der Doppelwörter. Das gewöhnlichste Band zwischen zwei Wörtern – was auch bei Menschenehen das gewöhnlichste – ist das bloße Zusammenstellen ohne Weiteres von Trauformel und Band, z. B. Halsband, Brautkranz – dann mit einem s und es, z. B. Staatsmann, Landesherr – sogar bei weiblichem Geschlecht, z. B. Erziehungsfach – ferner in der Einzahl ungeachtet der Mehrzahl, z. B. Fußbad, Schafherde – ferner in der Mehrzahl ungeachtet der Einzahl, z. B. Kindermörderin – ferner mit en und ens, z. B. Frauenkleid, Herzenskummer – ferner mit dem e und er der Mehrzahl, z. B. Mäusegift, Eierschale – ferner mit Wegschneidung des e, z. B. Sachregister – und endlich mit Zusetzung eines s an Bestimmwörter, die sich mit einem zweiten Bestimmwort verlängern, z. B. Nachttraum verlängert Sommernacht s-Traum. So werden demnach, um die meisten Beispiele in einem zusammen zu geben, dem Worte Krone die Bestimmwörter Baum, Kaiser, König, Fürst, Mann, Frau, Herz, Friede, Schlange, Schule, Liebe sämtlich anders verändert angefügt und nur die beiden ersten unverändert gelassen: Baum- und Kaiserkrone; dann Königs-, Fürsten-, Männer-, Frauen-, Herzens-, Schlangen-, Schul- und Liebes-krone.

Aber, Himmel, können wahre Kronenvereine und Verträge auf verschiedenere Weisen geschlossen werden als diese Wortvereine? Wenn man inzwischen bei einer solchen außerordentlichen Mannigfaltigkeit von Leittönen, womit ein Bestimmwort ins Grundwort übergeht und übertönt, bei den Sprachlehrern nach der Regel, welche den jedesmaligen bestimmten Leitton festsetzt, die Frage tut, so haben sie in ihren Büchern (wie z. B. Adelung) gar nicht an die Frage gedacht, sondern nur bloß die einzelnen Beispiele des Gebrauchs aufgeführt, es aber völlig uns und – was noch jämmerlicher ist – dem Ausländer überlassen, durch Sprachübung die dreißigtausend Doppelwörter unserer Sprache unter die verschiedenen Fahnen ihrer Regimenter richtig einzureiben. Freilich nur dreißigtausend nahm ich mit Wolke an; aber jede Messe kann sie vervielfachen; ja die schon vorhandenen will ich auf der Stelle verdoppeln durch bloßes Umkehren, z. B. Landtrauer in Trauerland, Priesterrock in Rockpriester, Staatsdiener in Dienerstaat, Bundestag in Tagesbund. Wenn aber der Sprachlehrer den Frager und Schüler bloß in den ganzen tiefen Wald seines deutschen Wörterbuchs hineinschickt, um sich Antwort abzuholen, und wenn er auf diese Weise uns und jeden, der Doppelwörter richtig bilden will, bloß auf unser anerzogenes Deutsch verweiset: so hab' ich ja, wie jeder, den ganzen Mann mit allen seinen Büchern unter den Armen und auf dem Pulte gar nicht nötig; so wenig als Cicero die Langische Grammatik, oder Jesaias die Danzische.

Es gehört vielleicht unter die wenigen großen Entdeckungen, die in diesem noch jungen Jahrhunderte gemacht worden, und zwar von mir selber, daß ich die feste Regel herausgefunden, nach welcher sich die verschiedenen Bestimmwörter den Grundwörtern anknüpfen und die verschiedenen Klassen von Doppelwörtern bilden. Auch erfährt jeder nach dem Zusammenbauen eines Doppelworts die Hülfe einer ungenannt verwebenden Regel; denn Logik ist der Instinkt der Sprache.

Nur etwas steht uns hier im Wege, was ich nicht umgehen kann, nämlich der Ort selber, wo ich die Regel aufstellen und durchführen will, das gegenwärtige Morgenblatt. Grammatische Aufsätze sind, wenn sie keine bessere Sprache angehen als die eigne, nur für wenige deutsche Leser; denn die meisten, obgleich jeder Leser zugleich auch Schreiber ist und also die Aufsätze gebrauchen könnte, eignen sich den Freibrief der Leserinnen an, zu schreiben, wie nur der Himmel will und nicht der Sprachlehrer. Wie unter Friedrich dem 2ten die Konsistorialräte den Befehl gehabt, keinen theologischen Kandidaten wegen bloßer Unwissenheit im Hebräischen abzuweisen:Siehe: kleiner Voltaire von Schummel. so wird auch Unwissenheit in der deutschen Sprache für kein Hindernis genommen, als Schriftsteller zu erscheinen, weder im juristischen noch im dichterischen Fache. Noch mehr aber – als den Lesern – befürcht' ich den Leserinnen einige Morgenblätter durch meine grammatischen Sennesblätter zu verleiden, so daß sie sich nach einem bessern Blättergebäck umsehen.

Und dieses hab' ich aufzutreiben gesucht.

Glücklicher Weise haben nämlich deutsche Professoren allmählich den leicht beweglichen Franzosen den Kunstgriff abgelernt, die langweiligsten Kenntnisse den kurzweiligsten Leserinnen dadurch beizubringen, daß sie solche in Briefe kleiden und ihnen, wie andere bittere Pillen, in Brief-Oblaten gewickelt eingeben. Ja manche Deutsche übertrafen noch die gewandten Franzosen und machten alles nicht nur den Leserinnen leicht, sondern auch sich selber, indem sie den Brief (die gelehrte Materie ruhte mit ihrer ganzen Kern-Schwere unversehrt in der Mitte fest) in den artigen Anfang einfaßten: »reizende Freundin« und in das rührende Ende: »leben Sie wohl« eintauchten und so den grammatischen dürren Aufsatz oder Aktenstock, wie einen Spazierstock, oben und unten silbern beschlugen. Ich habe diese bequeme niedliche blätternde Einkleidung schwerfälliger Materien schon in den Zirkelbriefen meines Jubelseniors versucht und bin seitdem von manchem Professor glücklich genug nachgeahmt worden; denn die Sache ist nicht im Geringsten schwer. Hier ist von keiner putzenden Einkleidung, wie bei Fontenelle über die Welten-Mehrheit, die Rede, sondern alles, was billig gefodert wird, ist, daß der Autor, wie gesagt, die Anrede an die Freundin zweimal, anfangs und zuletzt, gleichsam wie Anfang- und Schlußleisten eines Buchdruckerstocks hinstellt – webt er sie öfter ein, so gibt er freilich darüber –, dazwischen aber seine mathematischen, chemischen, physikalischen oder andere Kenntnisse, die er einkleiden will, ohne Weiteres nackt aufführt, so daß der Brief gewissermaßen einem guten Schauspiel ähnlich ist, das nach Home gerade in der Mitte der Handlung die größte Verwicklung zeigt.

Hier folgen endlich die Briefe, worin ich in die Fußstapfen eines Merkels und Eulers nach Vermögen getreten. Merkel schrieb seine kritischen an ein einfaches Frauenzimmer; Euler aber seine physikalischen geradezu an eine deutsche Prinzessin. Ich wandle wohl leicht den schlichten Mittelweg, wenn ich meine grammatischen bloß an eine vornehme Dame richte.


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