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Ich als literarischer Jubilar – und als Greis
Leipz. im Nachsommer, 98.
Ich schreibe mich, Lieber, der doppelten Abreise sowohl aus Leipzig als aus der Kugel, worauf es liegt, immer näher. Ich stehe in dieser Epistel nun schon im Oktober des Lebens vor dir, mein Laub färbet sich, hängt aber noch, und der stumme Nachsommer zeigt Gespinste und Nebel auf der Erde und blauen Äther oben. Mach aber mit mir die Obstkammer dieses Herbstes auf und betrachte die kleine allgemeine deutsche Bibliothek samt den Supplementen, die ich in diesem kurzen Leben zusammengeschrieben habe.
Ich leugne nicht, ich hätte tausendmal lieber statt der mäßigen Regimentsbibliothek, die ich drucken lassen, eine alexandrinische gemacht. Aber die Sündflut macht das jedem Autor unmöglich. Sie kürzte das Leben der Menschen ab bis auf einen Stummel, den sie ihnen ließ, und mithin auch das Schreiben derselben; und wenn ein solcher Lebens-Fragmentist wie Voltaire im 80ten Jahre und Bande steht und angefangen hat: so wird er aus der Erde weggejagt und springt, noch beide Hände voll Samenkörner, ins Schattenreich hinein.
Zum Unglück erhält sich kein Autor auf der deutschen Lethe flott, der sie nicht befährt auf einigen von ihm gefüllten Bücherbrettern sitzend; mit einem Bändchen (wie etwan Persius oder Virgil) schöss' er den Augenblick auf den Grund hinab; wie Holz zu Boden sinkt als Sägespan. Gleichwohl werden die europäischen Publikume verdrüßlich, wenn ein Autor in jeder Messe aussteht mit der Ladenschürze und ein neues Kauffahrteischiff auslädt und feil hat. Hingegen wenn er begraben ist, so nehmen sie Besen und überfahren sein Museum wie eine Goldarbeiters-Stube und kehren die zerstreueten Papierschnitzel zusammen, damits ein mäßiges Bändchen wird, ein posthumum. Du kannst dirs erklären. Denn der Mensch ehret (nach Jakobi) nur das, was nicht nachzumachen ist; bei dem ersten Teile eines jeden originellen Buches begreift niemand, wie ein folgender nur möglich sei; je öfter nun aber ein folgender kommt, desto mehr leuchtet uns die Möglichkeit des Machens und also des Nachmachens ein. Das Grab hingegen ist der Isolierschemel der Werke; es wird ein absondernder heiliger Zauberkreis auf ewig um sie gezogen. –
Aber zur Sache! Ich finde, daß unter den Denkwürdigkeiten meines Alters vielleicht das Autorjubiläum, das ich da beginge, die größte sein würde. Ich bin ganz entschlossen dazu. Magister, Päpste, Universitäten, Schulen, Eheleute jubilieren häufig; warum sollen Autoren nichts machen? – Und da ich zum Glück schon Anno 1782 in meinem zweiten akademischen Jahre die grönländischen Prozesse schrieb und Anno 83 die Akten inrotulierte: so qualifizieret mich ja schon mein 69tes Jahr – welches meines Erachtens nicht schwer zu erleben sein kann – zum Jubel-Autor.
Anno 1832 werd' ich demnach in den literarischen und in den Literatur-Anzeiger eine kurze Beschreibung des Jubels unter dem Titel »Jubelseniorat des Verfassers des Jubelseniors« in jedem Fall einschicken – es müßte denn sein, daß ich schon etwas Besseres wäre als ein Mensch und ein alter Mann. In der Anzeige entschuldige ich mich mit nichts vor dem Lesepublikum, daß ich dasselbe nicht zur Jubelfeier eingeladen, als mit der Unmöglichkeit. Ich bitte, wo könnt' ich nur solche Leute und ihre Bedienten und Pferde, wenn ich auch Noahs Kasten hätte, unterbringen und stallen, die mich ganz gelesen – oder gar die, die es nur halb und flüchtig getan? Und gesetzt, ich hätte einen freien Platz, so groß wie Deutschland, für diese zuströmende Welt: so müßt' ich doch einen viel größern geräumigern für die ankommende Nachwelt mieten, in deren Lesebibliotheken ich zirkuliere, so daß ich die ganze Primarversammlung auf einen auswärtigen Planeten bestellen müßte, wie der Saturn ist – und wahrhaftig nach dem Tode, wo man die Nachwelt so gut als die Vorwelt kennen lernt, kann hierin viel geschehen.
Aber eingeladen werden außer den Verlegern noch meine Rezensenten und – was auch Rezensenten sind – die Redakteurs schweigender Zeitungen und jeder Redakteur, der das Journal allein schreibt gleich der Bibel, die Spinoza einem Verfasser beimisset. Die Jubelschrift gibt die Namen an. Die Nachdrucker hab' ich nur invitiert, damit sie aus eignen Beuteln Jubelmünzen unter das Volk auswerfen – welches die Schelme gern tun werden, sobald ich ihnen dafür ein scharfes Pasquill auf sie selber assekuriere und verspreche, wofür ich nichts verlange, so daß es so viel ist, als druckten sie es nach, und noch dazu mit Recht. – In der Jubelschrift liefer' ich eine Jubelrede in extenso, die auch hier geliefert wird. In dieser Jubelrede beruf' ich mich auf die sonderbar erfüllten Weissagungen, die ich in der »sechsten poetischen Epistel« soll von mir gestellet haben. Ich muß sie aber hier erst stellen; ich wahrsage hier nämlich, daß ich wie Alkuin 40 Jahre lang mit derselben Feder schreiben werde, nämlich in demselben Stil. Es ist unsäglich, was ich in 34 Jahren von heute an bis zum Jubiläum wieder werde gelesen haben; leider ungleich genug den jetzigen Autoren, wie an Talent, so auch darin, daß sie sich der frugalsten Geistesdiät unterwerfen wie Schwangere der leiblichen, beide damit sie das Kind leichter zu gebären haben, wenn es mager geblieben. Mit den Jahren und Ideen werden nun freilich – da ich den ganzen Tag mit Hochzeittexten und Brautfackeln am Traualtare stehe und nichts tue als Ideen kopulieren – die Soldaten- und Priesterehen und die Ehen im verbotenen Grade zwischen besagten Gedanken so anwachsen und sie alle so untereinander verschwistern und verschwägern, gleich europäischen Höfen, daß im ganzen Kopf für Geld kein geschiedenes Ideen-Paar zu erfragen ist und daß ich in lauter Gleichnissen rede, fluche, bete und zanke. – Allein da ein Autor leicht wissen kann, was er sagt, aber nicht, was er gesagt hat in frühern Werken: so werd' ich oft manche Gleichnisse, wie Erisichthon seine verwandelte Tochter, mehr als einmal auf den Markt treiben, weil ich mich unmöglich den ganzen Tag lesen und so viele Trillionen Gleichnisse memorieren kann. Jeder Leser, der mir solche Duplikate oder partiale zweite Auflagen berichtet, wird mich bei totalen zweiten Auflagen ungemein verbinden und verbessern.
Im Lebens-Vendemiaire muß ferner mit der Herrschaft über sich auch der Scherz, die Ironie und die Laune höher wachsen, waren sie anders in den frühern Monaten gesäet. Auch der Wohlklang des Stils gewinnt viel. Die Gedankenstriche fahren von selber aus der Feder, ohne langes Denken. – Aber manches andere blühet ab oder stirbt aus. Der Handschrift sieht man es an, daß man schon vieles und flüchtig geschrieben, die wankende Hand nicht einmal gerechnet. In den – – – gehet man so sichtbar zurück; das – verbuttet und verschimmelt auch; und wie ists mit – bestellt?Ich halt' es für weltklug, diese Retrogradationen meines kleinen Erdkörpers nicht anzuzeigen, weil ich sonst irgendeinen groben Gesellen stutzig mache, daß er ein künftiges Werk von mir lieset und nachher in der Rezension bemerkt: »Das Alter guckt schon aus dem sonst trefflichen Werke heraus, und den Verf. scheinen jene herrlichen Gaben allgemach zu verlassen, die er hatte, zu etc.« –
Ich bin wieder bei der in den literarischen Anzeiger kommenden Jubelschrift. Mit Vorbedacht zieh' ich dir aus ihr weder die verschiedene Ehre aus, die man am Jubiläum teils mir antat, teils ich den Gästen – noch das ländliche Mahl, ganz wie es in einer geßnerischen Idylle gemolken und gesäuert wird – noch das Fußgestell aus Werken, die mir teils abgestohlen, teils geschenkt, teils zugeschriebenNicht den Lesern, sondern den Käufern hab' ich es zu sagen, daß seit den Mumien kein Buch von mir ist oder sein wird, dem nicht mein Name vorsteht. Zarte buchhändlerische Seelen hoffen die Hanswürste, die im Mittelalter der Kaufmann als Aushängeschild und Zeitungsaviso seiner Ware mitbrachte, durch Ankündigungen zu ersetzen, die außer den gewöhnlichen Lügen noch die enthalten, daß ich die Ware geschrieben. Freilich wollen sie mir durch das Fremde, was sie mir zuschreiben und schenken, das Eigne erstatten, was mir andere stehlen, es seien ganze Personen oder einzelne Reden. Aber letztere sind besser: hier trägt man meine Sünden, dort trag' ich fremde. worden ohne Schenken – noch kleinere Jubelfeierlichkeiten, weil ich dabei die seit Jahren an mich eingegangnen Briefe anführen müßte, die ich zusammengeschnürt vorzeigte und auf denen, wenn Sulzer das Schlagen gelehrter Bildnisse auf Münzen wünscht, die aufgepreßten Siegel gleichsam Medaillen für den Autor sind – noch tausend andere Dinge. Wichtiger scheint mir die Jubelrede, die der Jubilar an die Rezensenten hält und die ich aus der Jubelschrift in extenso nehmen kann. Der graue Jubelredner tritt nach einigen guten Diskursen über Druckfehler und über die Ausgabe seiner opera omnia und nach dem Kontrakte über die letztere zufällig oder absichtlich unter die wie ein Krater oder eine Kanzel aufgeschlichteten Werke – in der Tat sind sie sein MezzovoSo heißet der Parnaß jetzt. –, und er hält aus dem Stegreif folgende kurze Abschieds- und Erntepredigt an diejenigen Gäste, die ihn rezensiert:
»Statuere, meine Herren, quis sit sapiens, vel maxime videtur esse sapientis, sagt unser Cicero, oder verdeutscht: ein Rezensent, der einen Verfasser lobt und malt, meint sich auch mit.
Gehörten freilich einige von Ihnen zu den damaligenJetzigen. kantischen oder fichtischen Idealisten: so hätten diese Grund, sich, die Wahrheit zu sagen, für die einzigen Menschen von Kopf anzusehen und den Rest für gar nichts. Ein guter Idealist senket, er mag uns so viele unbekannte X für U machen, als er will, stets den Pumpenstiefel in sich hinab und schöpft alles aus sich herauf, die physische Welt und mithin auch die nur in sie eingefleischte fremde geistige. Der Idealist entwickelt das Auge und mithin alles, was er damit sieht, aus sich und folglich jedes Buch, das er bloß wie ein Träumer zu lesen glaubt, indes ers wirklich selber macht. Den Stolz, den daher ein Idealist damalsJetzt. haben konnte, goutiert' ich so sehr, daß ich meines alten Leibgebers Ausspruch hierüber noch jetzt unterschreibe und hersage: ›Wie? da der echte Idealist alles selber macht, alle Sterne am Himmel und die physische und die gelehrte Welt; da er die Werke der besten Autoren geschrieben, von Homer bis Goethe; und da er keine herrliche Zeile loben, exedieren und übersetzen kann, die er nicht eben darum selber gemacht: so wär' er ja ein Narr, wenn er, ein mit tragbaren gelehrten Welten und Meuselschen Deutschlanden ausgepolstertes Ich, er, der Musensitz der Musensitze, er, der den Magisterhut nicht auf, sondern in dem Kopfe hat und den Kopf nirgends als wie die inkorporierten Weisheitszähne und den philosophischen Bart und Mantel nur in sich – ein Narr, sag' ich, wär' der ganze Gott, wenn er eine demütige Haut wäre und nicht geradezu sagte: alles, was ich lobe und lerne, schaff' ich und lehr' ich eben dadurch, und ich möchte den sehen, der neben mir existierte, geschweige brillierte.‹
Freilich wirft ein solcher Universalmann (aus ontologischen Gründen) keine Fehler vor als solche, die er eben selber macht.