Jean Paul
Jean Pauls Briefe und bevorstehender Lebenslauf
Jean Paul

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Stiefel führte mich in ein Haus mit einem Weinkranz, dessen parasitische Pflanze gern der Lorbeerkranz ist; halb Kuhschnappel saß darin, in Schöpfknechte verwandelt, sich im Hafen teerend. Und doch wars das Poshardtsche Haus. Der Reichsort hat nämlich eine Gebürgskette oder doch ein Dockengeländer von Weinbergen um sich her, wird aber vom Wein, weil er elend ist, nicht so viel ins Ausland los, als zu einem warmen Umschlag um den Magen gehört. Daher sondert sich der Reichsort in zwei Parteien, die eine besteht aus Weingästen und die andere aus dem Weinküfer, der jenen einschenkt. Hat dieser verzapft: so wird er aus dem Küfer ein Gast und irgendein Gast ein Küfer. Und durch dieses Alternieren – weil jede Gasse die absorbierende Erdart der andern wird – setzt der Marktflecken das ganze Produkt im vorteilhaftesten Aktivhandel an sich selber ab, und kein Tropfe kommt um oder bleibt da. – Du siehst, ich führe dich ins leibhafte Überlingen zurück.

Wir wurden in Veits Stube gebracht, worin niemand war als eine große Frau mit männlich gebogner Nase und mit freundlichen, aber scharfen Augen, Vitos Mutter, die den Sesseln die Konservations-Kappen abzog und dem Gips-Personale den rotflornen Staubmantel. Sie empfing uns mit einer in Kuhschnappel ungewöhnlichen Freiheit von Verwirrung und mit Ruhe und Herrschaft über sich. Endlich kam der Klub und der Sohn die Treppe herauf.

Die hereinbrechende Truppe war modisch-geschoren wie eine Kuppel Schoßhunde, obwohl eben am Gliede, das an diesen haarig bleibet, am Kopfe, der eine à la Tite, der andere à la Alcibiade, der dritte à la Caracalla. Sie verbogen sich modisch, d. h. sie traten steilrecht dicht an die Mutter und nickten vor ihr mit dem Kopfe, als wenn sie etwas bejahten. Bloß der bewegliche Sohn küßte ihr die Hand. Ein Berner, der Statthalter von HabsburgSo heißet im äußern Stande zu Bern, der den großen und kleinen Rat nachspiele, der Jüngling, der den General bei ihren Kriegsübungen macht. Nach neuern Nachrichten aber soll der obige Berner etwas ganz anderes sein, wiewohl immer aus einer guten Familie. , setzte nach seinem Knickse an die Frau den Hut wieder auf, und als diese fortging, tatens die andern mit ihrem nach. Da die gütige Mutter, die ihren Taufnamen Benigna verdient, der Truppe Kaffetiers und Erbschenken und Ratskellner und Erzküchenmeister und Futtermarschälle und Schweizerbäcker zuschickte – nämlich die Attribute oder Gaben dieser Leute –: so ist mir der tolle Gedanke zu passieren, daß ich die infulierte Assemblee für Juden nahm, die sich bedecken, wenn sie sich nähren. Benigna ging zuweilen durchs Zimmer; dann opferte die Gesellschaft wieder mit entblößtem Haupt, und zwar den Alten gleich, die sich nur vor zwei Gottheiten unter dem Opfern enthüllten, vor dem Honor und dem Saturn (der Zeit, die sogar an die Haare das Skalpiermesser setzt).

Ich fand die Scharade so langweilig wie du jetzt, bis ein neues Mitglied der Hut-Gilde dazukam – indem es erst auf der Stelle dazu erhoben wurde –, nämlich Herr Vito selber. Es ist so: die jungen Leute (einige von der Meßfreiheit großer Städte verzogen, andere von ihr angelockt) fanden es für ihren Kopf zu klein und für den Hut zu nachteilig, diesen immer abzuziehen; sie taten sich daher nach dem Muster eines frühern, im Juli des Modejournals von 1788 gezeichneten hutaufhabenden Klubs zusammen und sagten sich zu, einander nie barhaupt zu grüßen, sondern ein Exempel zu geben. Die Stube wurde eine Arbeitsloge und Vito ein Bruder; der Statthalter war der Logenmeister. Es gibt für einen, der aus einer großen Stadt herkömmt, nichts Schwereres, als in einer kleinen kein Narr zu werden; der bedeckten Loge wurd' es zu schwer. Mein eignes Buch über die Stadt wurde zu einer Pillory derselben verkehrt; die junge Bande sprach jedem den Kopf ab, der auf ihm Haare hatte oder keinen Hut.

Die Alten zitierten die Alten sonst wohlwollend mit dem Beiwort »unsere frommen Alten«; aber von uns werden sie ironisch »die guten Alten« genannt. Doch das vergib; denn wenigstens ist unser Jahrhundert älter als jedes andere; und mithin sind wir als die erfahrungsreichern eigentlich die Alten, gegen tote Alte, aber nicht gegen lebendige gehalten. Allein in unserer frechen Literatur wirtschaften jetzt nicht Alte, sondern Junge vom Berge, bei denen man gerade nach der Ancienneté devanciert; die lebenden Alten, denen Pythagoras in Kroton zuletzt predigte, belehret ein junger vom Musenberge zuerst und fängt bei ihnen mit der peinlichen Frage und Folter an, von welcher sie der strengflüssige Jurist losgibt. Er postuliert freilich von sich mit dem Rechtgelehrten, daß die Bosheit das Alter ersetze; aber sei es auch, daß sie die Verhärtung des Herzens antizipiere: so hat der Mensch doch in jedem Jahrzehend einen Verstand, der nicht vor dem Jahrzehend kommt. Es gibt einige mit einer ganz unleserlichen Hand geschriebene Blätter im Buche der Natur, die nur einer lesen kann, der sich lange mit der Hand vertraut gemacht. –

Nur den Hut-Orden entschuldige! In Reichs- und in kleinen Städten ists schwer, die Vorzüge der jetzigen Zeit nicht zu überschätzen mitten unter den Nachteilen der vorigen. Nur ein biographischer Dramatiker wie ich hat es leicht; er bälgt auf der Stelle die massiven Gestalten zu durchsichtigen poetischen aus, und dann sieht er ihr Gutes und Schlechtes unverworren nebeneinander hängen.

Darüber wirst du dich wundern, daß ich mich selber zu einem Klubisten des Hut-Klubs rezipieren ließ – ich tats, mein Freund, um einen Vorwand zu bekommen, acht Tage darauf wieder daraus zu treten. Ich lege hier meine merkwürdige Renuntiationsakte bei, die ich gestern deshalb dem Orden zugeschickt. –

Der höfliche Veit schwur vor Freude, der neue Ordensbruder müßte mit ihm bei dem Gremser Pickenick sein. Aber der Hospitalprediger versetzte ganz entschlossen: »er gebe, hoff' er, seine Suppe dazu und könne also so gut seinen Gast mitbringen als jeder – und er zähle darauf, daß ich mitginge, da ich der seinige früher gewesen.« Ich glich es so aus, daß ich mit ihm gemeinschaftlich die Suppe aus unsern Operationskassen bestreiten wollte – ich nahm das Eingebrockte auf mich und er das Naß.

Grems ist ein der Reichsstadt Kuhschnappel zugehöriges gemeines Stadt- oder Kammergut und hat seinen Verwalter. Der alte Poshardt, als Mitglied des Sechsergerichts, hat die Oberaufsicht über beide gleichsam als Curator absentis. Das Gut rentiert der Stadtkasse durch hübsche Teiche, bei deren Fischerei der große und kleine Rat hinausfährt und sich die Rechnungen und eine Mahlzeit übergeben lässet; und immer wird so viel daraus gefischt, daß man mit den gelöseten Fischgeldern das Ratsessen bestreitet und noch den Karpfensatz übrig behält für das nächste Jahr.

Nun ist eine Viertelstunde davon ein Kirschenwäldchen (wie bei Frankfurt) belegen (ebenfalls gemeines Stadtgut), das der Stadtrat nicht eher und nicht länger verpachtet als auf den Siebenschläfertag, wo die Kirschen zeitig sind, und zwar an Frau und Kinder und andere Honoratiores. Die meisten Familien pachten einen Baum, manche ein paar. Am Siebenschläfer geben nun sämtliche Kirschen-Pächter vorher ein wetteiferndes Pickenick und machen sich dann zu Fuß ins Wäldchen hinaus zur Generalfuragierung, und jeder hält seine Kirschenlese. Da nun das Pachtgeld nur durch freundschaftliche Konnexionen angesetzt wird: so magst du dir wohl denken, was mancher bei seinem Baume profitieren möge.

Benigna kam – zwischen die Kinder- und die Klubisten-Stube geteilt – aus jener wieder und visitierte den Zustand des eidgenossischen Fruchtmagazins und Weinlagers; und entschuldigte die Unsichtbarkeit ihres Mannes mit dem Posttag. Aber der Sechser, wie sie ihn nennen, macht sich nur aus einem Paar Gelehrten nichts. Sie vernahm freundlich von Vito meinen Suppen-Beitrag zum Pickenick – beim Himmel! sie lieset mich so sehr wie ich. Mit einer Frau rückst du in Stunden weiter – weil sie mehr Mut hat und gibt – als mit einer Jungfrau in Tagen. Diese ist eine frische Walnuß, von deren Kern du erst die grüne, dann die steinerne, endlich die Spinnweben-Haut zu schälen hast; die ältere aber machst du nur auf. Sie steckte mir einen langen Lorbeer-Fechser in mein Haar, schlug mich aber vorher damit stark auf die Schreibfinger, weil ich für meinen schnellen Fieberwechsel zwischen Ernst und Scherz nichts Bessers verdiene als diese Pfänderstrafe. »Wer kann«, versetzt' ich, »mit einem so liebenden Wunsch auf Hieb und Stoß fechten? Für den Mann ist das Komische bloß das Umgekehrte der comédie larmoyante. Aber ihr Weiber wollt nur eigentlich gar keines – mein Schlegel hingegen will nichts als das, er könnte euere Bisamratze sein.« –

Um es ihr klar zu machen, sagt' ich, daß Schlegel (entweder mein Tauf-Namensvetter oder der andere oder beide) gerade das Sentimentalische oder das Edle in meinen Werken verworfen und sezernierten, wie die Bisamratze oder Zibethmaus von den genossenen Perlenmuscheln die Perlen als unverdaulich wieder von sich gibt für Perlenfischer.

Sie mußte mir ihre Handbibliothek zeigen, die vielleicht so schwer ist als der größte Foliant und die in ihrer Kinderstube steht. Sie hat keine literarische Freundin als Marietta, die sie nur verstohlen oder auf dem Kirchweg sieht und hört. Aber die Hoffnung auf die Nachtstunde, wo die Poesie, als der frühere Traum, sie auf der Himmelsleiter in einen tief gestirnten Himmel aufrichtet, führt und hebt sie bei den schweren Tritten auf dem ausgetretenen Steige des Tages. Ihr Sohn ist für sie und für Marietten der Buchhändler und Verleiher, aber diese bekommt von ihm noch den Verleiher dazu – er soll sie sehr lieben. Ein wenig voreilig und im Nachdenken über den Sechser – dem drunten seine Schmierbücher lieber waren als ein Paar Gelehrte, die größere geben können – tat ich die Frage, ob sie glücklich sei; »gewiß – bis auf die Sorgen, die immer die Kinder, wenn sie auch geraten, machen«, versetzte sie.

Aber den andern Tag wurd' ich belehrt. Da ich so gern ein Wind bin oder ein Kerbtier, wodurch der Blütenstaub der Freundschaft zwischen verwandten Blumenkelchen hin- und hergelangt: so malt' ich der Spezialin Benignens Liebe für ihre Marietta aus. »Was hilfts aber,« versetzte sie lebhaft, »wenn der alte Poshardt sich nicht ändert?« – »Unmöglich«, sagt' ich, »kann der Mann ein Nero, ein Freund Hein, ein Moloch sein, wenn eine Frau wie Benigna so glücklich bei ihm ist.« – »Ich rede«, fuhr sie fort, »nicht von ihr, sondern von meiner Tochter. Aber die Poshardtin so glücklich? O die Arme! Sie darf kaum lesen, solang' er wacht; mich und Marietta heißet er gelehrte Weiber, mit denen sie nichts zu schaffen haben soll; und da Sie Bücher schreiben, so hat er Sie lieber hinaus- als hineingehen sehen.« Jawohl, die Arme! Halte mich aber zurück, damit ich dir nicht ein breites Gemälde von der gerührten liebenden Hochachtung auspacke und aufspanne, womit jede Seele wie diese mein Herz bewegt, welche duldet und das Dulden verhehlt und die, gleich den Großen, nur in der Finsternis die Hinrichtung empfängt. – O das Schweigen des Schmerzes wird in jeder fremden guten Brust gehört!

Gestern trug mir ein Stummer einen Kauf von Blumen an, der offenbar, wie der Kauf bei den römischen Erbschaften und Geschenken, nur eine Fiktion war; aber wie bewegte mich das! Und noch tiefer würde sich mein Inneres regen und ich müßte etwas geben, wenn ich in Paris vor Haustüren vorbeiginge und wenn, wie zuweilen, hausarme Weiber darunter ständen und nur die Hand ausstreckten, ohne ein Wort zu sagen! – – Plötzlich rufet jetzt vor mir das Kirchengeläute den Namen des heutigen Tages aus! Ach guter Viktor! Ich will dir nichts über das lange Gewölke sagen, das der längste Tag über dich wie über die Länder herzieht; ich wollte dir nur sagen, daß ich an den Johannistag dachte.


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