Jean Paul
Jean Pauls Briefe und bevorstehender Lebenslauf
Jean Paul

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vorrede

Statt aller Korrespondenten brauchte bloß mein Buchbinder in Weimar, der alle meine Brief-Couverts leimt, als Zeuge aufzustehen, wie oft ich diese fülle für jene. Gleichwohl seh' ich noch kein einziges Schreiben gedruckt; man setzt die Publikation, scheint es, auf mein Verscheiden hinaus; ein schlechter Profit für den Briefsteller! – Daher kommt es, daß sich schon Morhof so sehr über das Verlieren und Vermodern der unedierten Briefe großer Gelehrter beschweren mußte. Es würd' ihm schmeicheln, wenn er noch am Leben wäre, daß ich die meinigen schon in die Welt schicke, eh' ich daraus fortgegangen. Tät' es jeder, so könnten keinem zwei fremde Briefe angedichtet werden wie dem jüngern Plinius, noch eigne abgesprochen, wie eben jene dem Tertullian.Die bekannten plinianischen über die Christen, die Semler dem Tertullian beimisset. In unserem Säkul ist alles publik, Sünden wie Briefe; die besten Staatsmänner machen daher wie die Franzosen – dieses neapolitanische Übel der Schweiz – von der Freiheit der allgemeinen Publizität selber Gebrauch und brechen, indes der Untertan die Geheimnisse der Regierung kundtut, dessen Briefe auf, um wieder hinter die seinigen zu kommen; denn gegen die Verheimlichung einer geistigen Schwangerschaft kehren sie ebenso eifrig vor als gegen die einer leiblichen. Überhaupt warum errichtet kein Mann, der Korrespondenz hat, eine Leihbibliothek von lauter Briefen? In Städten und an Höfen würde man, wie die Alten, gern mit einer solchen Lektüre von bloßen Manuskripten anfangen und dann weitergehen.

Die meinigen in diesem Buch sind ein Anfang. Sie wurden in Kuhschnappel geschrieben bei Gelegenheit eines dejeuner dansant und Pickenicks in Grems, und der sechste entwirft ein kleines, aber nettes Gesellschaftsstück von besagtem Pickenick.

Das letzte Drittel des Buchs vertrauet dem Leser eine Konjektural-Biographie meines zukünftigen Lebens in sogenannten poetischen Episteln an. Wahrhaftig es ist schön, daß sich der Mensch um jeden andern mehr zu scheren braucht als um sich; – von sich kann er sagen und verraten und vermuten, was er will; über seine Geheimnisse müssen alle Leute das Maul halten, nur er nicht. Daher hab' ich – kalt gegen die Engherzigkeit eines erbärmlichen Sprödetuns mit den Mysterien eigner Personalien – es geradezu ( ohne meine gewöhnlichen biographischen Fiktionen) in die Welt hinausgemalt, wie mein Leben aussehen werde von diesem Jahre an bis zu meinem letzten.

Die Dichtkunst wie die Tugend verachtet auf dem Wege zu ihrem Sieg den Untergang persönlicher Verhältnisse und flüchtiger Freuden. Dieses Spiel schadet nicht; indes in den andern Spielen der Erwachsenen, wie in den Spielen der Kinder, die hölzernen Trompeten und die Bleisoldaten vergiften und die Wiegenpferde und Blasröhre gefährlich erschüttern.

Als ein Doppeltgänger hab' ich in der Konjektural-Biographie mich selber gesehen und gemalt und, wie Moses im Pentateuch, sogar meinen Tod: letzterer bleibt mir in jedem Fall gewiß; und sollte dieser historische Roman meines Ichs mit einem frühern Bande beschließen, als ich vermutet hätte: so würde mein Kopf das, was er an eignen Konjekturen einbüßte, wieder an fremden gewinnen, die Doktor Gall in Wien (dem ich das Kranium hiemit legiere) daraus schöpfen müßte.

Heute ist Fastnacht – und Redoute – und die Larve und das HungertuchEin mit biblischen Historien bemaltes Tuch, das die Papisten von der Fastnacht bis zum Karfreitag aushängen. werden zusammen ausgehangen, und ich könnte mit Recht aufhören; inzwischen ist morgen Aschermittwoch, und ich habe an einen berühmten Gelehrten dieser Zeit etwas recht auf dieses Werklein Passendes geschrieben, was ich hier (besonders da dieses Buch mein letztes im Jahrhundert ist) einrücken kann, wovon ich aber wenig mehr weiß, weil ichs nicht kopieret habe. Es wird hier der berühmte Mann aufgefordert, in den florierenden Anzeigern zu sagen, ob ich wirklich folgendes an ihn erlassen habe:

»Der Teufel« (glaub' ich geschrieben zu haben) »ist los in diesem Jahrhundert und der heilige Geist ebenfalls, mein Herr! Ach eine harte Zeit steht an der Türe, Erdfälle und Lauwinen zugleich! Es werden einige Jahrzehende kommen – denn mehrere verträgt das unsterbliche Herz des Menschen nicht –, worin Chemie und Physik und Geogonie und Philosophie und Politik verschworen den Isis-Schleier der stillen hohen Gottheit für eine Gestalt selber und die Isis hinter ihm für nichts ausgeben werden. – Das der Nemesis gehorsame Herz, das bescheidnere frömmere Zeiten erzogen haben, wird zagen vor einer frechen ruchlosen Titanenzeit, worin nur Handel und Scharfsinn gebieten und worin ein geistiges Faustrecht zu Gerichte sitzt. Die jetzige Zeit wird von revolutionären Schatten bewohnt, die, wie die homerischen, nicht eher Kraft und Rede haben, als bis sie Blut getrunken. Wohl ist die Menschheit erwacht – ich weiß nicht, ob im Bette oder Grabe –; aber sie liegt noch, wie eine erweckte Leiche, umgekehrt auf dem Angesicht und blickt in die Erde.

Diese moralische Revolution (eine politische ist mehr die Tochter als Mutter einer moralischen), dieser Übermut des Geistes der Zeit geht bis zu den Kritikern herab, die den Dichter vor der Moral warnen und die es lieber haben, daß er, wenn er doch einmal sich mit Stoff befängt, das kleinere Übel wähle und eher zu tief in den unsittlichen greife als in den sittlichen. Ihr zerstörten Zerstörer, ihr werdet die Sünder, aber nicht die Dichter vermehren; leiden denn diese bei uns so sehr an der moralischen Teleologie? Und wer durch diese ein Prosaiker wird, der würde es auch durch die unsittlichste von der Welt verbleiben, wie die Franzosen beweisen. Ist nicht bei den zwei großen griechischen Dichtern, bei Homer und Sophokles, die Hippokrene ein heiliges Weihwasser und ihr Parnaß ein Altar der Nemesis und ganz gebauet auf einen moralischen Sinai? –

Inzwischen wird auch diese Zeit ihre Sonnenwende finden. Das Menschenherz verstaubt, aber nie sein Ziel. Wie nach den Naturkundigern ein ganzes Pflanzen- und Tierreich sich niederschlagen mußte als Blumenerde und Unterlage für das Menschenreich: so ist die Asche der schlimmern Zeiten das Düngesalz der bessern. – Jeder verbessere und revolutioniere nur vor allen Dingen statt der Zeit sein Ich; dann gibt sich alles, weil die Zeit aus Ichs besteht. Er arbeite und grabe still mit seiner Lampe an der Stirn in seinem dunkeln Bezirke und Schachte fort, unbekümmert um das Auf- und Abrauschen der Wasserwerke; und falls die Flammen, worein die Grubenlichter die Bergschwaden setzen, ihn ergriffen: so wäre doch für die künftigen Knappen die Luft gesäubert. – – Aber wir sind alle so: die Unermeßlichkeit des Raums bewilligen wir den Entwickelungen des Universums gern; hingegen die Unermeßlichkeit der Zeit schlagen wir ihnen ab, als gehörten nicht beide zusammen. Das tausendjährige Reich des Alls soll (verlangen wir) morgen an unserem Geburtstage draußen eben ausgeschifft vor der Türe stehen und uns gratulieren, damit wir auch davon profitieren.« – –

Aber wie gesagt, es ist noch ungewiß, ob ich mich gerade so an den berühmten Gelehrten ausgedrückt; denn ich schreib' es hier nur aus dem Kopf.

Weimar, am Fastnachtstage 1799.

Jean Paul Fr. Richter


 << zurück weiter >>