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10.
Gebet, daß mein Sterbetag schön und rein sei

Mein Gott, gib, daß mein Sterbetag schön sei und rein,
Voll eines großen Friedens soll der Tag mir sein,
Da alle Zweifel, meines Dichtens und die andern, alle Dinge, die im Leben
Mich höhnisch anschaun, sich vielleicht von meiner müden Stirne heben.
Und so wie jene, die sich damit brüsten, wünsch ich nicht
Den Tod, nein: ganz, ganz einfach nur und still,
So wie ein kleines Mädchen eine Puppe will.
Du weißt ja, o mein Gott, wie vieles dem gebricht,
Was hier auf Erden Glück die Menschen heißen,
Und daß es das nicht gibt, und daß kein Ruhm auf dieser Welt
Vollkommen ist und keine Liebe – keine Blume ohne Fehl,
Daß immer jedem Weiß ein Schwarzes sich gesellt.

Doch gib, mein Gott, daß er schön sei und rein,
Der Tag, an dem ich, friedevoller Dichter, still in meines Bettes Nähe
Um mich versammelt wunderschöne Kinder stehen sähe:
Söhne nachtschwarzen Auges, Töchter in den Augen blauen Himmelsschein.
Sie sollen kommen, ohne Tränen, und den Vater sehn
Und von dem großen Ernste, der mein Antlitz dann erfüllt,
Soll schauernd ein Geheimnis, grenzenlos und süß, sie überwehn,
Darin mein Tod wie eine Himmelsgnade ihnen sich enthüllt.

Und meine Söhne sollen sprechen: Eitel ist der Ruhm, und er erregt
Verwirrung denen, die nicht wissen, daß bloß Gott allein
Der Dichter ist, der auf den zärtlich frischen Rosenschein
Bräutlicher Lippen den Geruch der blühenden Linden legt.
Und meine Söhne sollen sprechen: Liebe ist ein Hohn
Und reißt die Wesen voneinander aus der Eintracht mitten:
Sieh, unsres Vaters Herz hat bis zur Stund gelitten,
Daß seiner Liebsten Herz dereinst von ihm geflohn …

Und meine Töchter sollen also zu sich sagen:
Wir wissen nichts von dem, was hinterm Grab beginnt,
Doch unser Vater stirbt so wie ein Wasser rinnt
In einem Wald an herbstlich klaren Tagen.

Mein Gott, gib, daß mein Sterbetag schön sei und rein,
Daß meiner Kinder Hände in den meinen ruhn,
So wie der brave Ackersmann und seine Kinder in der Fabel tun,
Daß ich in einer großen Herzensstille zu dir gehe ein.


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