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Drittes Kapitel

Der Winter kam. Es wurden harte Zeiten für die Tiere des Waldes und die Vögel des Feldes; es wurden kärgliche Weihnachten innerhalb lehmverstrichener Wände und der Spanten der Ewer. Die Westküste war übersäet von Wracken; da waren vereiste Schiffsrümpfe, zersplitterte Masten, zertrümmerte Boote und tote Schiffe. Reichtum lag da und rollte in der Brandung, ward zu nutzlosen Trümmern zerrieben und zermalmt, sank, trieb weg oder wurde im Sande begraben; denn Sturm und arge See und mörderliche Kälte hielten an, so daß Menschenhänden kein Zugreifen möglich war. Himmel und Erde verschwammen in eins in dem stiebenden Frostschnee; er wälzte sich herein über Armut und Lumpen, durch undichtes Fachwerk und zerbrochene Luken, zwängte sich hinein unter Dachfirste und Türen zu Wohlstand und verbrämten Mänteln. Bettler und verirrte Wanderer erfroren im Schutz von Gräben und Deichen, der arme Mann starb vor Kälte auf seinem Strohlager, und dem Vieh des Reichen erging es kaum besser.

Da legte sich der Sturm, und es ward stiller, klingender Frost. Es wurden teure Zeiten für Reiche und Länder, Winterbuße folgte der Sommertorheit – das schwedische Heer ging über die dänischen Gewässer.

Dann kam der Friede. Dann kam der Lenz mit hellem Laub und hellem Wetter, aber die seeländischen Burschen ritten in diesem Jahr den Mai nicht ein; es wimmelte überall von schwedischen Soldaten; es war Friede, aber dennoch waren die Lasten des Krieges zu tragen, und der Friede sah nicht danach aus, als werde er lange leben.

Das tat er auch nicht.

Als das Maienlaub unter dem Brand der Mittsommersonne dunkel und hart geworden war, zog der Schwede gegen die Wälle Kopenhagens heran.


Am zweiten Sonntag im August verbreitete sich während des Nachmittagsgottesdienstes plötzlich das Gerücht, daß der Schwede in Korsör gelandet sei.

Alsbald wimmelte es in allen Gassen. Die Leute gingen ruhig und gesetzt einher, aber sie redeten viel; sie redeten allesamt, und der Schall ihrer Stimmen und ihrer Fußtritte vereinigte sich zu einem starken, gemischten, summenden Klang, der niemals lauter ward, niemals schwächer, auch nicht aufhörte, sondern anhielt – mit einer wunderlich drückenden Einförmigkeit anhielt.

Das Gerücht drang mitten während der Predigt in die Kirchen. Mit hastigem, atemlosem Flüstern sprang es von der untersten Stuhlreihe zu einem, der in der zweiten saß, zu dreien in der dritten, vorüber an einem alleinsitzenden Greis in der vierten, zu denen in der fünften und weiter, ganz hinauf. Leute in der Mitte wandten sich zu denen hinter ihnen um und nickten bedeutungsvoll; ganz oben waren einzelne, die sich erhoben und spähend nach dem Ausgang hinsahen. – Nach einer Weile gab es auch kein Gesicht mehr, das zu dem Prediger hinaufsah; alle saßen gesenkten Hauptes, wie um die Gedanken über die Worte des Geistlichen zu sammeln, aber sie flüsterten einander zu, hielten wohl einmal inne, horchten einen Augenblick gespannt auf den Pfarrer, wie um zu mutmaßen, wieweit es noch bis zum Schlusse sei – dann flüsterten sie weiter. Das dumpfe Geräusch von der Menschenmasse draußen auf der Straße war deutlich zu hören, ward unerträglich zu hören; die Kirchgänger begannen mit geschäftiger Hast, die Gesangbücher heimlich in die Tasche zu stecken.

»Amen!«

Alle Gesichter sahen zu dem Prediger hinauf.

Während des allgemeinen Teils des Kirchengebetes dachten alle daran, ob der Pfarrer wohl etwas wisse. Dann wurde für das Königshaus gebetet, für die Räte des Reichs und den gemeinen Adel, für alle, die einer hohen Bestallung oder einem Amt vorzustehen hatten; und es waren viele, die Tränen in den Augen hatten; aber als der folgende Teil des Gebetes kam, begannen einige zu schluchzen, und leise, aber dennoch vernehmlich klang es von Hunderten von Lippen: »Gott wende ferner mildiglich von diesen Landen und Reichen Krieg und Blutvergießen, Pestilenz und jähen Tod, Hunger und Teurung, Sturm und Unwetter, Wassersnot und Feuersbrunst, auf daß wir auch für solch väterliche Gnade seinen heiligen Namen loben und preisen mögen.«

Ehe der Gesang noch zu Ende war, hatte sich die Kirche schon geleert, nur die Töne der Orgel sangen dadrinnen.

Am folgenden Tage hatten die Volksmassen, die wieder auf den Beinen waren, ein bestimmtes Ziel zum Nachgehen erhalten; denn die schwedische Flotte hatte in der Nacht vor Dragör Anker geworfen. Es herrschte an diesem Tage jedoch weniger Unruhe unter den Leuten, vermutlich weil es allgemein bekannt war, daß zwei von den Räten des Reiches abgereist waren, um mit dem Feind zu unterhandeln, und wie es hieß: mit so weitgehender Vollmacht, daß es zum Frieden führen müsse. Aber als die Räte am Dienstag zurückgekehrt waren, mit dem Bescheid, daß Friede nicht zu erlangen sei, erfolgte ein jäher und gewaltsamer Umschlag.

Das waren nicht länger Scharen gesetzter Bürger, die durch große und gefährliche Nachrichten rastlos geworden waren. Es war ein ganzer Mahlstrom seltsamer Gestalten, derengleichen nimmer innerhalb der Stadtwälle war gesehen worden und die gar nicht aussahen, als wohnten sie in diesen ruhigen, nüchternen Häusern mit ihren vielen Zeichen aller möglichen einfachen und alltäglichen Hantierungen. Diese Leidenschaftlichkeit in Flaschenjacken und Schoßröcken! Dieser Höllenlärm von diesen ernsten Lippen, und solch gewaltsame Gesten mit diesen Armen in diesen engen Rockärmeln! Keiner will allein sein, keiner will drinnen sein; da stehen sie mitten auf der Straße mit ihrer Angst und Verzweiflung, mit ihrem Jammer und ihren Tränen.

Seht den stattlichen alten Mann mit dem entblößten Haupt und den blutunterlaufenen Augen; er wendet sein aschfahles Gesicht der Mauer zu und hämmert mit den geballten Fäusten darauf los! Hört die Verwünschungen des dicken Schinders über die Reichsräte und diesen unseligen Krieg! Fühlt, wie das Blut in seinen jungen Wangen vor Haß erglüht gegen den Feind, der alle die Schrecknisse mit sich bringen wird, die er nun schon in seiner Phantasie durchlitten hat!

Wie sie brüllen vor Wut darüber, daß sie so ohnmächtig sind, wie sie glauben, und Gott im Himmel, welche Gebete, welche wahnsinnigen Gebete!

Die Wagen halten mitten auf der Straße still, Dienstboten stellen ihre Körbe und Eimer hin, in Beischläge und Torwege, und hier und dort kommen einzelne hastig aus den Häusern, mit ihren besten Kleidern angetan, rot im Gesicht vor Anstrengung, und sie sehen sich erstaunt um, sehen an sich selbst herab, fahren zwischen den Leuten umher und schwatzen eifrig, um die Aufmerksamkeit von ihrem geputzten Aussehen abzulenken.

Worauf sinnen sie? und woher kommen alle diese zerlumpten, betrunkenen Mannsleute? Es wimmelt von ihnen, sie schwenken und rufen, zanken und fallen, sie sitzen auf den Treppenstufen und sind krank, sie wollen sich ausschütten vor Lachen, jagen hinter den Frauenzimmern drein und wollen mit den Männern raufen.

Das war der erste Schrecken – der Schrecken des Instinkts. Nachmittags war er vorüber. Man war nach den Wällen gerufen worden, hatte mit Feiertagskräften gearbeitet, hatte unter seinem Spaten Gräben sich vertiefen und Brustwehren sich erhöhen sehen; Soldaten waren vorübergezogen; Handwerksburschen, Studenten und Diener der Edelleute hielten Wache mit allerhand seltsamen Waffen; Kanonen waren aufgefahren; der König war über den Wall geritten, und man wußte, er würde bleiben, – es war Vernunft in den Dingen, man wurde selbst vernünftig.


Am Tage darauf wurde gegen Nachmittag die Vorstadt draußen vor dem Wassertor in Brand gesteckt. Der Brandgeruch trieb über die Stadt herein und machte die Leute unruhig; und als sich in der Dämmerung, während das Feuer seinen roten Schein über die wettergrauen Mauern des Frauenturms warf und in den goldenen Kugeln auf der Spitze des Petri-Kirchturms spielte, das Gerücht verbreitete, der Feind komme über den Valbyer Hügel heran, da ging es wie ein banger Seufzer durch die ganze Stadt. Durch alle Straßen, Gänge und Gassen erscholl es angstvoll und beklommen: »Die Schweden, die Schweden!« Knaben liefen durch die Stadt und riefen es mit gellender Stimme aus, Leute stürzten an die Türen und starrten ängstlich gen Westen, die Läden wurden geschlossen, die Eisenkrämer sammelten schleunigst ihren Kram zusammen; es war, als erwarteten die biederen Leute, daß das gewaltige Heer des Feindes sofort die Stadt überschwemmen werde.

Längs des Walles und in den anstoßenden Straßen war es schwarz von Menschen, die nach dem Feuer starrten; doch waren auch viele an Orten versammelt, wo man nichts von dem Brande sehen konnte, so vor dem geheimen Gang und der Wasserkunst. Gar mancherlei ward dort bemerkt: zuvörderst und vor allem, wann die Schweden ihren Angriff beginnen würden – jetzt in der Nacht oder morgen?

Gert Pyper, der Färber dort bei der Wasserkunst, meinte nun, es würde losgehen, sobald sie sich nach dem Marsche geordnet hätten. Worauf sollten sie auch warten?

Der isländische Kaufmann Erik Lauritzen drüben aus der Färbergasse meinte, es sei eine gewagte Sache, in Nacht und Finsternis eine fremde Stadt anzugreifen, wo man kaum weiß, was Land und was Wasser sei.

»Wasser,« sagte Färber Gert; »Gott gebe, wir wüßten selbst nur halb so gut Bescheid mit unseren Anstalten, wie es der Schwede weiß! Sprecht mir nicht davon! Er hat seine Spione, will ich Euch sagen, wo man es am wenigsten glauben sollte. Ja! Das wissen Bürgermeister und Rat auch nur zu gut, denn vom frühen Morgen sind die Rottmeister rundherum in allen Häusern und Wohnungen gewesen, um seine Spione herauszufinden; aber belauert die mal, wenn Ihr könnt! Der Schwede ist habil, das ist er, sonderlich in dem Geschäft; das ist eine natürliche Anlage; ich weiß es ja von mir selbst – es ist nun wohl an die zehn Jahre her, ich vergess ihm das nie von wegen dem Schabernack ... Indigofarbe, seht, die macht schwarz, und die macht dunkelblau, und die macht hellblau, einzig und allein je nachdem die Beize ist; auf die Beizung aber kommt es an. Brühen und Farbkessel herrichten, das kann jedweder Bursch, indes kommts nur auf den Handgriff an, aber beizen! – richtig beizen – das ist eine Kunst. Beizt man zu stark, so verbrennt man das Garn oder das Zeug, oder was es nun sein mag, so daß es in allen Stücken mürbe wird; und beizt man zu schwach, so kann die Farbe niemals halten und färbte man mit dem allerkostbarsten Blauholz. Seht, darum ist die Beizerei auch ein verschlossen Geheimnis, das man nicht weiterlehrt – seinen Sohn wohl, aber niemals den Gesellen. Nein ...«

»Jawohl, Meister Gert,« sagte der Kaufmann, »wohl, sehr wohl!«

»Nun,« fuhr der Färber fort, »wie ich erzählen wollte, so hatt ich vor ein Stücker zehn Jahren einen Burschen, der hatt ein schwedisches Weibsbild zur Mutter, und der hatt sich nun vorgesetzt, er wolle herauskriegen, was für eine Beize es war, die ich zum Zimmetbraun gebrauchte. Aber dieweil ich immer die Beize bei verschlossenen Türen abwäge, war das Ding ja nicht so bequem anzugreifen. Auf was, glaubt Ihr wohl, daß der Teufelsbube verfällt? Hört nur! Es ist so schlimm mit den großen Tieren da auf der Wasserkunst, die zernagen uns Wolle und auch Twist, und derohalb hängen wir immer das, was uns zum Färben gebracht wird, in großen Segeltuchsäcken unter der Decke auf. Bringt er da nicht, dies Satanspack, einen von den Lehrjungen dazu, ihn in einen von den Säcken da hinaufzuhissen und – ich komme herein, und ich wäge und mische und richte zu und bin schon halb zu Ende damit, da schicket es sich so künstlich, daß der Krampf eines seiner Beine da oben im Sack packt, und er fängt an zu zappeln und zu schreien: ich möcht ihm herunterhelfen ... und ob ich ihm half! – Tod und Teufel! aber es war auch ein rechter Canaillenstreich, den er mir da gespielt hat, ja, ja, ja! Und so sind sie allesamt, die Schweden, man kann ihnen nie über die Schwelle trauen!«

»Nein, darin habt Ihr ganz recht; sie sind gar arge Leute, die Schweden,« sagte Erik Lauritzen; »zu Hause haben sie nichts zu beißen und zu brechen, und kommen sie dann einmal hinaus, so hören sie gar nicht wieder auf zu schlemmen und zu prassen; sie sind geradeso wie die Armenhauskinder: sie essen sowohl für den gegenwärtigen Hunger wie auch für den zukünftigen und den vergangenen dazu. Stehlen und an sich raffen, das können sie besser als Rabengezücht und Lumpengesindel; – und so mordgierig sind sie! nicht umsonst sagt man: ihm sitzt das Messer so lose wie dem schwedischen Lasse.«

»Und so leichtfertig!« fiel der Färber ein, »es soll ja nie vorkommen, daß der Schinder ein Weibsbild zur Stadt hinauspeitscht und man da fragt, was das wohl für eine Kreatur ist, daß man nicht die Antwort bringt: es sei eine schwedische Dirne.«

»Ja, das Blut der Menschen ist so verschieden, und das der Tiere auch. Der Schwede ist nun unter den Menschen, was die Meerkatz unter den unvernünftigeren Biestern ist; da ist so viel unzüchtig Vernunft und hastig Glut in seinen Lebenssäften, daß die natürliche Vernünftigkeit, mit der Gott ja alle Menschen beschenket hat, seine argen Triebe und sündigen Begierden nicht zu zügeln vermag.«

Der Färber nickte ein paarmal zu dem, was der Kaufmann vorbrachte, und sagte dann: »Richtig, Erik Lauritzen, richtig; der Schwede ist von einer eigenen und absonderlichen Natur, andersartig als wir anderen Menschen. Ich kann allemal riechen, wenn eine fremdländische Person zu mir in meinen Laden tritt, ob er ein Schwede ist oder aus anderlei Volk. Der Schwede hat einen so scharfen Geruch an sich wie Ziegenböcke oder Fischlake. Ich hab so oft meine eigenen Gedanken bei der Sach gehabt, aber es ist so, wie Ihr es ausleget, es sind Dünste von seinen hitzigen und bestialischen Säften, so ist es.«

»Es ist doch kein Wunderzeichen,« warf ein altes Weib hin, das danebenstand, »wenn Schweden und Türken anders riechen als wie Christenmenschen tun.«

»Ach, was die da schwatzt, Mette Senfkökerin!« unterbrach sie der Färber, »glaubt Sie, daß der Schwede kein Christenmensch ist?«

»Ihr könnt sie ja Christen nennen, Färber Gert, wenns Euch so gefällt, aber Finnen und Heiden und Zauberer, das sind nach meinem Postillenbuch nie Christenmenschen gewesen; und das ist doch so wahr wie Gold, daß es zu Lebzeiten des hochseligen König Christian, damals als der Schwede in Jütland lag, also zuging, daß ein ganzes Regiment in einer Neumondnacht, als sie im besten Marschieren waren und es gerade Mitternacht wurde, auseinanderrannte wie die Werwölfe und anderes Teufelspack und heulend umherlief durch alle Wälder und Moore und Unheil anrichtete unter Menschen und Vieh.«

»Aber sie besuchen doch Sonntags die Kirche, weiß ich, und haben Pfarrer und Küster so wie wir.«

»Jawohl! könnt Ihr mir das bloß weismachen! Die Kirche besucht das Teufelspack wohl desselbigengleichen wie die Hexen zum Vespergottesdienst fahren, wenn der Böse Johannismette auf dem Blocksberg hält. Nein, und sie sind verhext und kugelfest; bei ihnen beißt nicht Kugel noch Blei, und sie haben einen bösen Blick, die Hälfte von ihnen; oder für was, glaubet Ihr, haben die Pocken jedesmal grassiert, sobald die Höllenkumpane ihre vermaledeiten Füße hier in das Land gesetzt haben? Antwortet mir auf das, Meister Färber! antwortet mir auf das, wenn Ihr könnt!«

Der Färber wollte just antworten, als Erik Lauritzen, der eine Weile dagestanden und sich unruhig umgesehen hatte, ausrief: »Still, still, Gert Pyper, was ist das wohl für eine Person, die dort so wie predigend redet und so dicht von den Leuten umdränget wird?«

Sie eilten zu dem Schwarm hin, und währenddes berichtete Färber Gert, daß es ihn bedünke, es sei ein gewisser Jesper Kiim, der die Predigt in der Heiligengeistkirche gehalten habe, der aber, wie er gelahrte Leute haben sagen hören, nicht so ganz richtig in seinem Glauben sei, wie es seiner Seligkeit und geistlichen Karriere dienlich wäre.

Es war ein doggenähnlicher, kleiner Mann von etwa dreißig Jahren mit langem, glattem und schwarzem Haar, breitem Gesicht, dicker, kleiner Nase, lebhaften, braunen Augen und roten Lippen. Er stand oben auf einer Haustürtreppe, gestikulierte stark und sprach schnell und feurig, aber ziemlich rauh und lispelnd.

... »Im sechsundzwanzigsten Kapitel«, sagte er, »schreibt der Evangelist Matthäus 51–54 also: ›Und siehe, einer von denen, die mit Jesu waren, reckte die Hand aus und zog sein Schwert und schlug des Hohenpriesters Knecht und hieb ihm ein Ohr ab. Da sprach Jesus zu ihm: ›Stecke das Schwert an seinen Ort; denn wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen. Oder meinest du, daß ich nicht könnte meinen Vater bitten, daß er mir zuschickte mehr denn zwölf Legionen Engel? Wie würde aber die Schrift erfüllet? Es muß also gehen.‹

»Ja, lieben Landsleute! es muß also gehen. – Nun lieget vor den niedrigen Wällen und der schwachen Befestigung dieser Stadt ein allmächtiger Haufe von wohlgerüsteten Kriegsleuten, und ihr König und Kriegsoberster hat seinen Mund aufgetan und Order und Befehl an sie ergehen lassen, daß sie mit Feuer und Schwert, mit Brennen und Belagerung sich diese Stadt und alles, so darinnen ist, Untertan und gänzlich zu eigen machen.

»Und die, so in der Stadt sind und sehen ihre Wohlfahrt bedräuet und ihren Ruin unmenschlich beschlossen, die legen Waffen an, die bringen Feuermörser und anderes schädliches Kriegsgerät auf die Wälle, und sie reden sich selber zu und sagen: Geziemet es uns nicht, mit brennender Lohe und blankem Schwert den Friedensstörern aufs Fell zu rücken, so uns platterdings wollen zugrunde richten? Wozu hat wohl Gott im Himmel Kuraschigkeit und Furchtlosigkeit in des Menschen Brust erwecket, wenn nicht, um solch einem Feind zu widerstehen und ihn zu verderben? Und wie der Apostel Petrus ziehen sie ihr Schlachtschwert und wollen plötzlich Malcho sein Ohr abhauen. Aber Jesus sagt: ›Stecke das Schwert an seinen Ort; denn wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen.‹ Wohl mag das für die Unvernunft der Zornigen wie eine wunderliche Rede klingen und scheinen wie eine Torheit für die unsehende Blindheit des Haßerfüllten. Aber das Wort ist nicht wie der Schall einer Trompete, bloß zu hören; – gleichwie ein Schiffsraum, der mit vielen nützlichen Dingen beladen ist, also ist das Wort geladen mit Vernünftigkeit und Bedenken, denn das Wort ist ein Sinn zum Auffassen und Verstehen. Derohalben lasset uns das Wort erforschen und sukzessive herausfinden, wie es richtig ausgeleget werden muß. – Aus welcher Ursache soll das Schwert an seinem Orte verbleiben und der, so das Schwert ziehet, durchs Schwert umkommen? Solches haben wir in dreien Stücken zu betrachten:

»Dieses ist nun das erste Stück, daß der Mensch ist ein weiser und über alle Maßen herrlich eingerichteter Mikrokosmus oder wie man es deuten kann: eine kleine Erde, eine Welt von Gutem als auch von Schlechtem; denn ist, wie der Apostel Jakobus sagt, schon die Zunge eine Welt von Unrecht, um wieviel mehr ist da der ganze Körper eine Welt! sowohl die begehrlichen Augen als auch die hastigen Füße und die greifenden Hände; sowohl der unersättliche Bauch wie die betenden Knie und die wachsamen Ohren? Und ist der Körper eine Welt, um wieviel mehr ist da nicht unsere kostbare und unsterbliche Seele eine Welt, ja, wie ein Garten voll süßer und bitterer Kräuter, voll gefräßiger Raubtiere der bösen Lüste und weißer Lämmer der Tugenden? Und ist nun der, so da eine solche Welt zerstöret, für besser zu achten als Brandstifter oder ein Gewalttäter oder ein Marktdieb? und ihr wisset, was für eine Strafe einem solchen zu erleiden und zu erdulden geziemet.«

Es war jetzt ganz dunkel geworden, und der Volkshaufe um den Prädikanten erschien nur wie eine große, schwarze, leise bewegte, beständig wechselnde Masse.

»Das zweite Stück ist dieses, daß der Mensch ein Mikrotheos ist, das heißt: eine Abspiegelung oder ein Gleichnis von Gott dem Allmächtigsten. Und ist der, so sich an Gottes Ebenbild vergreifet, nicht für schlimmer zu achten als der, der die heiligen Gefäße oder Gewänder der Kirche stiehlet oder Gewalt wider ein Gotteshaus verübet? und ihr wisset, welche Strafe einem solchen zu erleiden und auszustehen gebühret.

»Das letzte und dritte Stück ist dieses, daß der Mensch erst Pflichten habet gegen seinen Gott und ist schuldig, für ihn ohn Unterlaß zu kämpfen und zu streiten, angetan mit der schimmernd blanken Rüstung eines reinen Lebens und umgürtet mit dem schneidenden Schwerte der Wahrheit. Also gerüstet, zieme es ihm zu streiten, ein Streiter des Herrn, der den Rachen der Hölle zerreißet und den Bauch der Hölle zertritt. Derohalben gebühret es uns, das leiblich Schwert an seinem Ort bleiben zu lassen, denn wahrlich, wir haben genug, uns mit dem geistigen zu mühen!«

Von beiden Enden der Straße sah man hin und wieder Leute kommen, die sich mit kleinen Handlaternen nach Hause leuchteten. Allmählich, wie sie auf die Versammlung stießen, stellten sie sich unter den äußersten auf, so daß sich bald ein gewundener Halbkreis von blinkenden kleinen Lichtern bildete, die verloschen und aufleuchteten, je nachdem sich die Leute bewegten; und dann und wann wurde auch eine Laterne emporgehoben und ließ ihren Schein suchend auf den weißgetünchten Mauern und dunklen Fensterscheiben der Häuser herumflackern, bis er auf dem ernsten Antlitz des Prädikanten Ruhe fand.

»Aber wie! sprechet ihr in euren Herzen und saget: sollen wir uns denn selber, an Händen und Füßen gebunden, unserm Feind überantworten, zur bitteren Trübsal und der Knechtschaft und Erniedrigung? – O, meine Geliebten, sprechet nicht also! denn da seid ihr zu rechnen gleich denen, so da meinen, daß Jesus seinen Vater nicht bitten könne, daß er ihm zwölf Legionen Engel und noch mehr zusende. O, fallet nicht in Verzweiflung, murret nicht in euren Herzen wider des Herrn Ratschlag und machet eure Leber nicht schwarz wider seinen Willen! Denn der, den der Herr niederschlagen will, der wird zermalmet; der, den der Herr aufrichten will, der lebet in Sicherheit. Und er ist der, so viele Wege hat, uns aus den Wüsten und Wildnissen der Fährlichkeit zu führen; oder vermag er nicht das Herz des Feindes zu wenden, oder ließ er nicht den Todesengel durch Sancheribs Lager schreiten, oder habet ihr vergessen die verschlingenden Wasser des Roten Meeres oder König Pharaos hastigen Untergang? ...«

Hier ward Jesper Kiim unterbrochen.

Die Menge hatte ihn ziemlich ruhig angehört; nur draußen aus den äußersten Reihen war hin und wieder ein gedämpftes, drohendes Murmeln erklungen. Da war es, daß Mette Senfkökerins scharfe Stimme ihm gellend zuschrie: »Hu, du Höllengast! Willst du schweigen, schwarzer Hund, der du bist! – höret nicht auf ihn, es ist schwedisches Geld, das aus seinem Munde spricht!«

Es wurde einen Augenblick ganz still, aber dann brach der Lärm los: Hohnworte, Flüche und Verwünschungen regneten auf ihn herab. Er versuchte zu reden, aber da wurden die Rufe noch stärker, und die, so der Treppe zunächst waren, drängten drohend auf ihn ein. Ein weißhaariges Männchen ganz vorn, das die ganze Zeit während der Predigt geweint hatte, stach nun wütend nach ihm mit seinem langen, silberknopfigen Stock.

»Nieder mit ihm!« schrie man, »nieder mit ihm! er soll widerrufen, was er gesagt hat; er soll gestehen, was er gekriegt hat, um uns zu verführen. Nieder mit ihm! Gebt ihn uns hierher zum Geständnis! Wir wollen es ihm schon abzwacken!«

»Er soll in den Keller, das soll er,« riefen andere, »er soll in den Ratsstubenkeller! Langt ihn herab! langt ihn herab!«

Ein paar starke Kerle hatten ihn schon gepackt. Der Unglückliche klammerte sich an das Holzgeländer der Treppe; da rissen sie dieses und auch ihn auf die Straße hinab, hinunter unter die Menge. Er wurde mit Fußtritten und Faustschlägen empfangen. Alle Weiber zerrten an seinem Haar und seinen Kleidern, so daß kleine Jungen, die an der Hand ihres Vaters dastanden und zusahen, vor Vergnügen hüpften.

»Laßt Mette vorkommen!« wurde von hinten hergeschrien, »geht beiseite! beiseite! Mette soll ihn in Verhör nehmen.«

Mette kam hervor. »Will Er seine Teufelspredigt wieder zurücknehmen? will Er das, Meister Lurifax?«

»Nimmermehr, nimmermehr! Man soll Gott mehr gehorchen denn den Menschen, wie geschrieben stehet.«

»Soll man das!« sagte Mette und zog ihren Holzpantoffel aus und bedrohte ihn damit, »aber die Menschen haben Holzpantoffel, das haben sie, und du bist ein Soldknecht des Satans und nicht Gottes des Herrn, ich werd dich schlagen, das werd ich, daß dein Gehirn da nebenan auf der Mauer sitzen soll!« und sie schlug ihn mit dem Pantoffel.

»Versündiget Euch nicht, Mette«, stöhnte der Magister.

»Da soll denn doch der Satan!« kreischte sie.

»Still, still,« rief man, »nehmt euch in acht, nehmt euch in acht und dränget nicht so; da kommt Gyldenlöv, der Generalleutnant!«

Eine hohe Gestalt ritt vorüber.

»Lange lebe Gyldenlöv! der tapfere Gyldenlöv!« brüllte die Menge.

Man schwenkte mit Hüten und Mützen, und die Rufe wollten kein Ende nehmen; dann ritt die Gestalt weiter, dem Walle zu.

Es war der Generalleutnant der Miliz, Oberst zu Pferde und zu Fuß, Ulrik Christian Gyldenlöve, des Königs Halbbruder.

Die Menge zerstreute sich, es wurden weniger und weniger, bald waren es nur noch ein paar einzelne.

»Es ist gleichwohl kurios,« sagte Färber Gert, »da schlagen wir dem den Kopf entzwei, der von Friedfertigkeit redet, und rufen uns heiser für den, der am meisten schuld an dem Kriege ist.«

»Gott befohlen, Gert Pyper, Gott befohlen und eine geruhsame gute Nacht!« sagte der Kaufmann abbrechend und eilte von ihm weg.

»Der denkt an Mettes Pantoffel!« murmelte der Färber; dann ging auch er.

Drüben auf der Treppe saß Jesper Kiim ganz allein und hielt sich den schmerzenden Kopf; und oben auf dem Wall gingen die Wächter auf und nieder und spähten über das dunkle Land hinaus, wo alles still war, ganz still, obwohl Tausende von Feinden da draußen lagen.


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