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Das Haus der Frau Rigitze Grubbe, der Witwe des seligen Hans Ulrik Gyldenlöve, lag an der Ecke der Östergade und der Pilesträde.
Zu jener Zeit war die Östergade ein ziemlich aristokratischer Aufenthaltsort; hier wohnten Mitglieder der Familien Trolle, Sehested, Rosenkrantz und Krag; Joachim Gersdorff wohnte neben Frau Rigitze, und in Carl van Manderns neuem, rotem Hause logierten in der Regel zwei oder mehrere ausländische Residenten. Doch war nur die eine Seite der Straße von so feinen Leuten bewohnt; auf der Nikolaj-Seite waren die Häuser niedrig, und hier wohnten hauptsächlich Handwerker, Krämer und Schifferleute. Ein paar Wirtshäuser lagen ebenfalls dort.
Es war an einem Sonntagvormittag zu Anfang September.
In dem Mansardenfenster von Frau Rigitzens Hause stand Marie Grubbe und sah hinaus: nicht ein Wagen! Keine Geschäftigkeit, lauter bedächtige Schritte und der schleppende Gesang eines vereinzelten Austernverkäufers. Der Sonnenschein zitterte über Dächer und Pflastersteine hinab, und alle Schatten waren scharf und kräftig, fast vierschrötig. Alles Ferne lag in einem leichten, rauchblauen Wärmenebel.
»Paßt au...f!« ward hinter ihr von einer weiblichen Stimme gerufen, die mit Geschick ein von vielem Kommandieren heiseres Organ nachahmte.
Marie wandte sich um.
Es war die Kammerzofe Lucie, die rief. Sie hatte eine Weile still oben auf einem Tisch gesessen und ihre ziemlich wohlgeformten Beine mit einem kritischen Blick betrachtet. Schließlich war sie dessen überdrüssig geworden und hatte gerufen, und nun saß sie da und lachte aus Leibeskräften und baumelte ausgelassen mit den Beinen hin und her.
Marie zuckte die Achseln und wollte sich mit einem halb verdrießlichen Lächeln wieder nach dem Fenster umwenden, aber Lucie sprang vom Tisch herunter, faßte sie um die Taille und zwang sie, sich auf einen kleinen Strohstuhl zu setzen, der daneben stand.
»Höre Sie, Jungfer!« sagte sie, »weiß Sie was?«
»Nun?«
»Sie vergißt, Ihre Briefschaften zu schreiben, und um halb zwei kommen die Gäste, so daß Sie nur knapp vier Stunden hat. Weiß Sie, was die haben sollen? Güldensuppe, Flundern und so einen andern breiten Fisch, gebratene Hühner mit Trisanet und Mansfelder Kuchen mit süßem Pflaumenmus. Fein ist es, aber fett ist es gerade nicht. Der Jungfer Bräutigam kommt ja auch.«
»Ach was, Unsinn!« rief Marie ärgerlich aus.
»Gott Vater bewahr uns! ist doch weder Aufgebot noch Verlöbnis, weil ich das sage. – Ich kann wirklich nicht begreifen, Jungfer, daß Sie sich nicht mehr aus Ihrem Vetter macht! Er ist das herrlichste, lustigste Mannsbild, das ich kenne. Was für Füße er hat! – Und königlich Blut ist in ihm; das kann man schon allein an seinen Händen sehen, so winzig klein wie die sind! – ach, und dabei so, als wären sie gegossen – bloß seine Nägel, die sind nicht größer als halbe Sechslinge und so rot und rund. – Was für ein Paar Beine hat er aufzuweisen! Wie Stahlfedern, wenn er dahergegangen kommt – hu hei! Und seine Augen, die blitzen und funkeln...«
Sie schlang die Arme um Marie und küßte sie so heftig und saugend stark auf den Hals, daß das Kind errötete und sich ihrer Umarmung entwand.
Lucie warf sich auf das Bett und lachte wie eine Besessene.
»Wie du dich heute anstellst!« rief Marie aus, »wenn du so fortfährst, dann gehe ich hinunter.«
»Aber was in aller Welt! Man darf doch wohl einmal etwas lustig sein. Es gibt wahrhaftig Trübseligkeit genug hier in der Welt. Ich habe wenigstens mehr davon, als ich mit mir herumschleppen kann. Ist nicht mein Bräutigam in Krieg gezogen und muß alles mögliche Böse und Schlimme ausstehen? Es ist der reine Jammer, wenn man daran denkt. Wenn sie ihn nun tot oder zum Krüppel geschossen haben! Gott sei mir armen Mädchen gnädig, ich würde ja nie wieder ein Mensch werden.«
Sie verbarg ihr Gesicht in den Kissen des Bettes und schluchzte: »Ach, nein, nein, nein, mein teurer, teurer Lorenz – ich will dir so treu, so treu sein, wenn der liebe Gott dich mir nur heil heimkehren läßt – ach, Jungfer, Jungfer! dies ist wirklich nicht zum Aushalten!«
Marie suchte sie mit Worten und mit Liebkosungen zu beruhigen. Endlich brachte sie es dahin, daß Lucie sich aufrichtete und die Augen trocknete.
»Ja, Jungfer,« sagte sie, »niemand weiß, wie ich mit mir selbst zu kämpfen habe. Man kann ja unmöglich immer so sein, wie man sollte. Und es nützt nichts, daß ich mir vornehme, mich nicht an alle die jungen Burschen zu kehren; kommen sie mit Lustigkeit und Komplimenten, und wenn es sich auch um mein Leben handelte, ich könnte sie nicht wegbeißen und mich ihnen entziehen; es juckt mir auf der Zunge, ihnen wieder zu antworten, und dann wird ja gar leicht mehr Geschäker daraus, als ich, strenge genommen, vor Lorenzen verantworten kann. Aber wenn ich dann daran denke, welchen Gefahren er ausgesetzt ist, ach! da reut es mich mehr, als irgendeine Menschenseele es sich auszudenken vermag. Denn ich liebe ihn, Jungfer, und keinen andern als ihn, das kann Sie mir glauben. Ach! wenn ich ins Bett kommen bin und der Mond da so hell auf den Estrich scheint, dann werde ich ein ganz anderer Mensch; es wird mir so traurig ums Herz, und da wein ich und weine, und es drückt hier oben im Halse, als sollt ich ersticken – ach, es ist eine Qual; ich liege und wälze mich im Bett und bete zu dem lieben Gott, und weiß knapp, um was ich bete, und zuweilen bin ich ganz von Sinnen, und dann setze ich mich aufrecht im Bett hin und halte meinen Kopf fest, und mir wird so schrecklich bange, daß ich vor Sehnsucht noch den Verstand verliere. – Aber, Herrgott, Jungfer! Sie weint ja; Sie geht doch nicht herum und sehnt sich heimlich nach jemand, so jung sie ist?«
Marie errötete und lächelte leise; es lag etwas Schmeichelhaftes für sie in dem Gedanken, daß sie verliebt sein und sich sehnen könne.
»Nein, nein,« sagte sie, »aber es ist so traurig, was du da sagst; es ist, als wäre alles nichts als Kummer und Verdruß!«
»Ei bewahre! es gibt zuweilen auch was anderes,« sagte Lucie und erhob sich, als man unten nach ihr rief, und dann ging sie, indem sie Marie schelmisch zunickte.
Marie seufzte, trat an das Fenster und sah hinaus, hinunter auf den grünen, kühlen St. Nikolaj-Kirchhof, auf die roten Mauern der Kirche, hinüber nach dem Schloß mit dem patinagrünen Kupferdach, hinweg über den Holm und die Reiferbahn, herum nach dem Ostertor mit dem spitzen Turm und nach Hallendaas mit seinen Gärten und Holzschuppen und mit dem bläulichen Sund da draußen, der mit dem blauen Himmel verschwamm, unter dem weiße, weichgeformte Wolken langsam dahintrieben, hinüber nach der Küste von Schoonen.
Seit drei Monaten war sie nun in Kopenhagen. Damals, als sie von Hause abreiste, hatte sie geglaubt, in der Residenzstadt zu leben, sei etwas ganz Verschiedenes von dem, was es, wie sie jetzt wußte, war. Es war ihr niemals eingefallen, daß es dort noch einsamer sein könne als auf dem Tjeler Edelhofe, wo sie doch einsam genug gelebt hatte.
An ihrem Vater hatte sie keine Gesellschaft gehabt, er war allzeit so ganz er selbst, daß er nie etwas für andere sein konnte; er wurde nicht vierzehn Jahre alt, wenn er mit einer Vierzehnjährigen sprach, und er wurde kein weibliches Wesen, weil er mit einem kleinen Mädchen plauderte; er war immer jenseits der Fünfzig, und er war immer Erik Grubbe.
Die Buhlerin des Vaters, die herrschte, als sei sie Frau im Hause, konnte Marie nicht ansehen, ohne daß nicht alles, was an Stolz und Bitterkeit in ihr war, gleich wachgerufen ward. Dies grobe, herrschsüchtige Bauerweib hatte sie so oft verletzt und gequält, daß Marie nicht einmal den Schall ihrer Schritte hören konnte, ohne sich gleich und fast unbewußt hart zu machen, trotzig und gehässig zu werden. Ihre Halbschwester, die kleine Ane, war kränklich und verhätschelt, Umstände, die sie keineswegs umgänglich machten, und nun kam noch dazu, daß die Mutter, Erik Grubbe gegenüber, Marien immer durch sie zu schaden suchte.
Was für Gesellschaft hatte sie da?
Ja, sie kannte jeden Weg und Steg im Bigumer Walde, jede Kuh, die auf der Wiese weidete, jeden Vogel auf dem Hühnerhof. Und der freundliche Gruß des Gesindes und der Bauern, wenn sie an ihnen vorüberging, sagte: die Jungfer leidet Unglimpf, und wir sehen es, wir sind betrübt darüber, und wir haben dieselbe Gesinnung gegen das Weibsbild droben wie Ihr.
Aber in Kopenhagen?
Hier hatte sie Lucie, und sie hielt große Stücke auf Lucie, aber sie war ja doch nur eine Dienerin; sie besaß Luciens ganzes Vertrauen und war froh darüber und dankbar dafür; aber Lucie besaß ihr Vertrauen nicht. Sie konnte ihren Klagen ihr gegenüber nicht Luft machen; sie wollte nicht, daß man zu ihr sagte, es sei traurig, so wie sie gestellt sei; und sie konnte durchaus nicht zugeben, daß eine dienende Person über ihre unglücklichen Familienverhältnisse sprach; nicht einmal über die Muhme wollte sie ein Wort hören. Und doch liebte sie die Muhme gar nicht, hatte auch keinen Grund dazu.
Rigitze Grubbe hatte die sehr strengen Anschauungen der Zeit über das Heilsame einer harten und wenig glimpflichen Erziehung, und sie nahm sich vor, Marie demgemäß zu erziehen. Sie hatte keine Kinder, hatte auch niemals welche gehabt, sie war daher eine äußerst ungeduldige Pflegemutter, dazu sehr unbeholfen, da die Mutterliebe sie niemals die kleinen und äußerst nützlichen Kunstgriffe gelehrt hatte, die es für Kind und Lehrmeister so viel leichter machen, auf dem Wege vorwärtszukommen. Und doch – so eine barsche Erziehung hätte Marie am dienlichsten sein können. Sie, deren Sinnen und Denken auf der einen Seite fast verkrüppelt war aus Mangel an wachsamer und fester Aufsicht, und auf der anderen Seite halbwegs verstümmelt infolge von unverständiger und launenhafter Grausamkeit, müßte es fast als Frieden und Linderung empfunden haben, sicher und harthändig den Weg geführt zu werden, den sie gehen sollte, von jemand, der vernünftigerweise nichts anderes als Gutes mit ihr im Sinne haben konnte.
Aber sie wurde nicht auf diese Weise geführt.
Frau Rigitze hatte so viel auf Händen an Politik und Intrigen, lebte so viel mit den Hofkreisen, daß sie ganze und halbe Tage vom Hause fern oder daheim so beschäftigt war, daß Marie mit sich und ihrer Zeit machen konnte, was sie wollte. Hatte Frau Rigitze endlich einen Augenblick für das Kind übrig, so machte ihre eigene Versäumnis sie doppelt ungeduldig und doppelt strenge. Das ganze Verhältnis mußte Marie daher als die reine, pure Ungereimtheit erscheinen und war nahe daran, ihr die Vorstellung beizubringen, daß sie ein Aschenbrödel sei, das alle haßten und niemand liebte.
Wie sie nun dort am Fenster stand und über die Stadt hinaussah, überkam sie dies Gefühl der Verlassenheit und Einsamkeit; sie lehnte den Kopf gegen den Fensterrahmen und starrte versunken zu den langsam dahinziehenden Wolken hinauf.
Sie verstand so gut das Traurige, das Lucie von der Sehnsucht gesagt hatte; es war, als brenne es in einem, und es war nichts anderes dabei zu machen, als es brennen zu lassen, wie es wollte, – sie kannte das ja so gut. – Was sollte daraus werden? – Der eine Tag so wie der andere. – Nichts, nichts – nie etwas, worüber man sich freuen durfte; konnte es so weitergehen? – Ja! noch lange; – auch noch, wenn man sechzehn Jahre alt geworden war? – Es ging doch nicht für alle Menschen so weiter; – es war doch unmöglich, daß sie noch immer mit der Kindermütze gehen sollte, wenn sie sechzehn Jahre alt war! – Das hatte Schwester Ane Marie doch nicht getan; – die war jetzt verheiratet. – Sie konnte sich so deutlich all des Lärms und der Lustbarkeit erinnern, die es bei der Hochzeit gegeben, noch lange, nachdem sie schon zu Bett geschickt worden war, – und der Musik. – Sie könnte sich ja doch auch gern verheiraten. – Aber mit wem wohl nur? vielleicht mit dem Bruder ihres Schwagers? – Der war ja freilich schrecklich häßlich; aber wenn es sein mußte ... darauf konnte sie sich unmöglich freuen. Was gab es eigentlich in der Welt, worauf man sich freuen konnte? Gab es überhaupt irgend etwas? – nichts, soviel sie sehen konnte.
Sie trat von dem Fenster zurück, setzte sich nachdenklich an den Tisch und begann zu schreiben:
»Meinen gar freundlichen Gruß vorerst im Namen des Herrn, liebe Ane Marie, gute Schwester und Freundin, Gott bewahre Dich allzeit und sei bedankt für alles Gute. Ich habe beschlossen, Dir zu schreiben pour vous congratuler, alldieweil Deine Niederkunft glücklich gewesen ist und Du nun munter und bei guter Gesundheit bist. Liebe Schwester, mir geht es gut, und ich bin sowohl munter als auch gesund. Die Muhme lebt ja in viel Größe, und hier sind oft zahlreiche Gäste, die meisten sind Kavaliers vom Hofe, und außer einigen alten Frauen kommen nur Mannsleute hierher. Es sind viele unter ihnen, die unsere Mutter sel. gekannt haben und sie ob ihrer Schönheit und mancherlei mehr rühmen. Ich sitze immer mit den Fremden zu Tisch, aber niemand spricht mit mir, außer Ulrik Frederik, wovon ich am liebsten verschont wäre, sintemal er immer mehr für Schikane und Raillerie als für vernünftige Konversation ist. Er ist noch sehr jung und hat nicht das beste Lob und besucht wohl Herbergen als auch Bierstuben und dergleichen. Nun weiß ich kaum weiter etwas Neues, als daß wir heute Assemblee haben und daß er auch mit dabei ist. Jedesmal, so ich Französisch spreche, lacht er und sagt: es sei hundert Jahre alt, was ja wohl auch der Fall sein kann, sintemal Herr Jens noch ganz jung war, als er auf Reisen ging; im übrigen erteilt er mir viel Lob, dieweil ich es so gut zusammensetzen kann, er sagt, keine Hofdame könne es besser, aber das sind, glaube ich, Komplimente und ich mache mir nichts daraus. Seit geraumer Zeit habe ich von Tjele nichts vernommen. Die Muhme schimpft und wird jedesmal böse, wenn sie von der Enormität spricht, nämlich, daß unser lieber Vater mit der lebt, mit der er lebt, mit einem Frauenzimmer von so niedriger Extraktion. Ich kränke mich oft darüber, was jedoch nichts nützt. Lasse Du nun Stycho diesen Brief nicht sehen, aber grüße ihn von Herzen.
September 1657.
Deine liebe Schwester
Marie Grubbe.
Der wohlgeborenen Frau, Frau Ane Marie Grubbe, Stycho Höeghs auf Gjordslev Gemahlin, meiner guten Freundin und Schwester freundlichst zugeschrieben.«
Man hatte sich von Tische erhoben und war in den Saal gegangen, wo Lucie das Goldwasser herumreichte. Marie war in eine Fensternische geflüchtet und wurde von der faltigen Gardine halb versteckt. Ulrik Frederik ging zu ihr hin, verneigte sich übertrieben ehrerbietig vor ihr und sagte mit einem äußerst ernsthaften Gesicht, es tue ihm leid, daß er bei Tische so entfernt von Mademoiselle gesessen habe. Wie er so sprach, legte er seine kleine, braune Hand auf das Fensterbrett. Marie sah ihn an und wurde rot wie tropfendes Blut.
»Pardon, Mademoiselle, ich sehe, Ihr werdet ganz rot vor Zorn, daß ich mir erlaube, Euch meine schuldigst untertänige Reverenz zu machen. Es ist nun wohl auch zu dreist, zu fragen, womit ich so jämmerlich gewesen bin, Euch zu erzürnen?«
»Ich bin fürwahr weder erzürnt noch rot.«
»Es gefällt Euch, diese Couleur weiß zu nennen? Bien? Es sollte mich nur verlangen zu wissen, wie Ihr die Couleur benennet, die die sogenannte rote Rose hat?«
»Aber könnet Ihr denn nie ein vernünftiges Wort sagen?«
»Ja – laßt mich sehen! – ja, ich muß bekennen, daß es mir wirklich schon vorgekommen ist – aber nur selten.
Doch Chloë, Chloë zürne nicht!
Toll brennet deiner Augen Licht
Mich, wie das Hundsgestirn die Hunde,
Und Worte schäumen mir vom Munde,
Dem Geifer gleich der Wasserscheu ...«
»Ja, das könnt Ihr wohl sagen!«
»Ach, Mademoiselle, Ihr kennt nur wenig von Amors Macht! – Werdet Ihr es glauben? es gibt Nächte, wo ich mich liebeskrank nach dem Silkegaard hinabschleiche, mich über die Mauer von Christen Skeels Garten schwinge, und da stehe ich wie eine Statue zwischen duftenden Rosen und starre zum Fenster in Eurer Kammer hinauf, bis die schmächtige Aurora ihre rosigen Finger durch meine Locken gleiten läßt.«
»Ah, Monsieur! ich vermeine, Ihr hättet im Namen fehlgegriffen, als Ihr Amor nanntet; Evan hättet Ihr füglich sagen sollen – und mag sein, daß man leichtiglich irregeht, wenn man bei nächtlicher Weile umherschwärmet; mitnichten seid Ihr in Skeels Garten gewesen, Ihr waret bei »Mogens in Cappadocia« unter Römern und Bouteillen; und habet Ihr Euch nicht regen können und waret still wie eine Statue, da sind es nimmermehr Liebesgedanken gewesen, so bewirket haben, daß Ihr Eure Beine nicht vom Fleck bewegen konntet.«
»Ihr tut mir schweres Unrecht; geschiehet es hin und wieder einmal, daß ich in die Häuser der Weinküper komme, da ist es nicht des Pläsiers oder der Lustigkeit halber, es ist ganz allein, um den nagenden Kummer zu vergessen, der mich erstickt.«
»Ah!«
»Ihr trauet mir nicht, Ihr habet keinen Glauben an die Beständigkeit meiner Amour – Himmel! sehet Ihr das östliche Schalloch auf St. Nikolaj? Drei Tage habe ich da gesessen und auf Euer holdes Antlitz herabgestarret, wie Ihr an Eurem Nährahmen saßet.«
»Wie ungeschickt Ihr doch seid! Ihr könnet fast nie Euren Mund auftun, ohne daß man Euch auf loser Rede ertappen kann; niemals habe ich an meinem Nährahmen nach Nikolaj hinaus gesessen. Kennet Ihr den Reim:
Schwarz war die Nacht und kühl,
Der Kobold dem Mann in die Hände fiel.
Zum Kobold sprach der Mann:
›Willst frei du sein, sag an,
Willst heim du in dein Reich,
So lehre mich sogleich
Ohne Lug,
Ohne Trug
Das Wahrste, was dir bekannt.‹
›Hör!‹ sprach der Kobold und schwieg wie gebannt.
Der Mann gab ihn frei, und der Kobold entschwand.
Niemand kann den Kobold anklagen,
Weil er eine Lüge tät sagen.«
Ulrik Frederik verbeugte sich ehrerbietig vor ihr und ging, ohne ein Wort zu sagen.
Sie sah ihm nach, wie er über den Estrich dahinschritt; ja, sein Gang war hübsch; seine seidenen Strümpfe waren so schimmerndweiß und saßen so stramm, es war weder Kniff noch Falte darin; die Partie unten am Knöchel war so schön! und der lange, schmale Schuh – es war so ergötzlich, ihn anzusehen; – sie hatte nie zuvor bemerkt, daß er eine kleine rosenrote Narbe an der Stirn hatte.
Sie guckte verstohlen auf ihre Hände nieder, verzog den Mund ein wenig – es schien ihr, als seien die Finger zu kurz.