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Tristan der Sieche

Geschmolzen ist der Winterschnee,
Der Hornung wandelte zum See
Den Schloßhof, und in trübe Flüsse
Die Bächelchen durch Regengüsse.
Es ist so düster, naß und kalt
Um Tintayol in Thal und Bergen,
Kein Laut im ganzen Schlosse hallt,
Als lagen schon in ihren Särgen
Der König und die Alten. Kein
Gelag, kein Scherz, kein Freudenschrei'n.

Im dunkeln Zimmer siecht ein Knabe,
Ganz still und stumm, verfall'n dem Grabe;
Um seinen Hals ein weißes Tuch,
Durch das sich blut'ge Nässe schlug.
Der König seufzt zu Bettes Häupten,
Es stehn umher die Lords ergraut,
Sie sehen auf den Halbbetäubten
Und murmeln: Davor hilft kein Kraut!
Der Meister Sixt wiegt sonder Ende
Sein' sinnend Haupt und reibt die Hände.

Das Sinnen, Murmeln, Seufzen bang,
Es dauert schon drei Monden lang.
Ach, holder Knabe, wo verblieben
Die muntern Blicke, und die lieben
Schalkhaften Rosen deines Munds?
Wo ist der Witz der frischen Rede?
Der Frühling in des Wangenrunds
Geschmücktem Garten? All' und jede
Süßblühnde Blume dein, Tristan,
Hat sie geknickt der Kampforkan?

Herr Tristan hob vom heißen Pfühle
Sein mattes Haupt und sprach: Ich fühle,
Mein Oheim, daß ich hoffnungslos.
Bald geh' ich in der Erde Schooß.
Drum ist mein Wille, laßt mir richten
Ein Häuslein fern, mir ganz allein,
Halbtodt bereits, muß ich verzichten
Bei den Lebendigen noch zu sein.
Mir mehrt's die Qual, daß ich euch quäle,
Einsam will lassen ich die Seele.

Der alte König schluchzte, rief:
Welch ein Gedanke, Vetter, lief
Dir durch das Haupt? Ich sollt' verschulden
Dein hilfefernes Opferdulden?
Und Tristan schwang mit Eigensinn
Den Hals, daß rothes Blut erquollen,
Und rufte: Wenn ich nicht gewinn'
Mit Güt' Erfüllung meinem Wollen,
So reiß' ich, wenn du dich gewandt,
Zum Tod mir ab den Wundverband!

Ward ich gezeugt, bin ich geboren,
Daß vor den Augen, vor den Ohren,
Mir schwimme nichts als Thränenschwemm'
Und ächze nichts als Angstbeklemm?
Ist mir verfügt, ich solle scheiden,
Bevor ich noch recht angelangt,
Will mich der finstere Schnitter schneiden,
Da kaum erst meine Grüne prangt,
So laßt mich! Zieht die kranke Schnecke
Sich nicht in ihres Hauses Decke?

Schleppt nicht das wunde Wild die Pein
Versteckend hinter Busch und Stein?
Flieht nicht der Fisch zu Meerestiefen,
Den die Harpune machte triefen
Von dunklem Blut? Dem fremden Blick
Entziehen sich die Schmerzbeschwerten,
Auch ich leist' in dem Mißgeschick,
Was Fisch und Wild und Schnecke lehrten;
Nicht länger trage ich die Scham,
So bloß zu stehn mit meinem Gram.

Was sollte Marke thun? Er scheute,
Daß Tristan schaffe, was er heute
Ihm angedroht, denn Kranke sind
So launisch, wie Aprillenwind.
Er ließ das kleine Haus ihm rüsten,
Wo Donegal genächtiget,
Dann trugen sie zur sand'gen Küsten
Hinunter ihn auf seinem Bett.
Mit Beileid und mit großen Klagen
Ward Tristan in das Haus getragen.

Das kleine Haus war sauber, schmuck
Zurecht gemacht. Mit einem Druck
Auf eine Feder klang die Schelle,
Dann kam herbei der Diener schnelle,
Und fragte, was gefällig sei
Dem kranken Herrn? – Zog der am Faden,
So wurde gleich die Aussicht frei
Aufs offne Meer, weil sich der Laden
Des Fensters sacht zurücke schlug,
Von Büchern hatt' er auch genug.

So fehlt' ihm keine Sorg' und Pflege.
Er konnte sehn der Wogen Schläge,
Wenn das ihm Unterhaltung gab,
Und lesen manche Seit' hinab;
Sein Ohm besuchte ihn tagtäglich,
Es kamen viel die Alten auch,
Obschon er oft sie bat beweglich
Doch fortzubleiben. Denn zum Brauch
Ward der Besuch, fühlt' er im Stillen,
Auch wol geübt mit Widerwillen.

Die Wunde brannte, schloß sich nicht.
O traurig Kranksein! Welch Gedicht
Veroffenbarte deine Kunden
Begriffen nie von den Gesunden?
Die Thiere schmerzt es nur, wenn's schmerzt,
Sie kennen keines Leides Dauern,
Der Mensch wird von der Qual geherzt
Mit Folterruß in ständ'gen Schauern,
Die rück' und vor 'ne Ewigkeit
Ihm spiegeln vor vom grimmen Leid.

Tristan vermeinte, daß vor Jahren
Ihm sei das Schwert zu Hals gefahren,
Tristan vermeinete zu sehn
Jahrtausende derselben Wehn
In der zukünft'gen Zeit. So schwamm er
Im Meer der Qualen, uferlos,
Obgleich umfaßt von enger Kammer,
Darin sein Bette stand. Dem Tos
Der Leidenswogen zu entfliehen,
Sucht' er sich selber abzuziehen

Mit jedem Halm aus solcher Flut,
Den raffen könnt' ein Rest von Muth.
Er las. Doch was er da gelesen,
Er wüßt' es nicht. Das ganze Wesen
Von Cäsars Siege, Coriolan,
Von Alexanders Indenzuge,
Von Rolands Schwert – was ging's ihn an?
Im ödesten Gespensterfluge
Huscht' an ihm durch der Helden Reih'
Ein unfühlbares Einerlei.

Er zählte alle Glockenschläge,
Die Wogen draußen, immer rege,
Die Tropfen, die der Thauwind hing
An seiner Scheiben runden Ring;
Und wenn er Stundenlang gezählet,
So warf er sich verzweiflungsvoll
Zur andern Seite hin, gequälet,
Daß nie die letzte Zahl erscholl,
Die solcher Müh' ein Ende machte,
Zum Stillestehn das Zählen brachte.

Er dachte oft: Viel Andre schon
Erlitten, was ich Schmerzenssohn
Nun leide. Ach, rief er mit Weinen
Die Leiden hier, die sind die Meinen,
Kein fremder Schmerz erreichte sie.
Zuweilen sprach er lange Sätze,
Dann fehlte ihm ein Wort. Und wie
Auch schwärmender Gedanken Hetze
Nachjagte, hascht' er's nicht. Am End'
War es ein Wort, das Jeder kennt,

Und was, wenn er es fand, zum Frommen
Ihm nicht gereichte. Vorgenommen
Hat er sich dann und wann, das Aug'
Der Seele auf den grünen Strauch
Zu richten, der im Maie duftet,
Auf Blumenau und kühlen Bach,
Und wie es sonnet, wie es lüftet
In schöner Welt am guten Tag –
Allein es drang vom Vorgenommnen
Kein Trost zum Armen, zum Verkommnen.

Es sehnte sich sein krank Gefühl
In Fieberangst nach Schatten kühl,
Die nicht erkälten, nur erfrischen,
Er sehnte sich nach schwärmerischen
Genüssen, nach 'nem goldnen Wein,
Der nicht berausche, nach 'ner Sonne,
Die wärme ohne heiß zu sein,
Nach einer holden Zauberwonne
Im Schauen eines Angesichts –
Von wem? und wo? – nach einem Nichts!

So schlang um Tristans Siechenbette
Der Schmerz die langgedehnte Kette,
Darin kein Glied vom andern wich
Und Jedes seinem Nachbar glich.
Zuletzt sprach er das Wort, das trübe,
Im Ernst, womit die Jugend scherzt:
Ich wollte, daß man auf mich hübe
Zur Gottessaat, die ausgemerzt
Vom Lichte ward! – Dann seufzt' er: Haben
Wir Ruhe auch, sind wir begraben?

In seines Neffen Marterstatt
Der König eines Morgens trat,
So wie er pflegte mit Gefolge.
Doch die Begleitung war nicht solche
Wie täglich sonst. Denn zu der Stell'n
Kam mit ein hochberühmter Meister
Aus weiter Ferne her. Von Cöln
Der alten Stadt, der heil'gen, reist er
Zu Schiff, geheischt nach Tintayol,
Für viele Säckel Goldes voll.

Schwer zinste Fürsten er und Herren,
Die sein bedurft; da half kein Sperren,
Sie haben, wie er wollt', gemußt,
Doch nahm er nicht aus Nehmens-Lust.
Er trug ein grobes Kleid. Klar Wasser
Und Brod war ihm Verköstigung;
Das Gold verbrauchte dieser Hasser
Des Pompes zur Befestigung
Des Schatzes von dem Armenspittel,
Das er gebaut durch Reichenmittel.

Der erste Arzt der Christenheit!
Des Rufs, erklungen weit und breit,
Daß, wo er nah' mit seinen Tränken,
Der Tod ablasse von dem Schwenken
Der mäh'nden Sense. Dieser ist
Des Königs letzte Hoffnungsleuchte.
Er tritt zum Siechenbette, mißt
Tristan mit Blicken, löst die feuchte,
Blutschwere Binde sanft vom Maal
Der Wund' und schaut in den Canal.

Man höret keinen Athem gehen,
Indeß er weilet bei'm Besehen.
Die hohle Wange Tristans fliegt
Ein leichtes Roth an. Stille liegt
Der junge Held; sein Herze klopfet.
Der Arzt sieht auf und schweiget, thut,
Was ihm das Handwerk heißt. Er tropfet.
Ein Wasser drein, nicht schlimm, nicht gut,
Legt Linnen frisch ums Maal, das große,
Und sagt: Das Weitre auf dem Schlosse!

Nein, rufet Tristan, Alles hier!
Was Ihr zu sagen habt, gilt mir.
Es trifft ja meinen Leib', so stehet
Mir zu die Frage, wie's ihm gehet?
Der Arzt blickt auf den König, und
Der graue Fürste spricht voll Würde:
Macht Eure Wissenschaft ihm kund,
Ein hoher Sinn verlangt die Bürde,
So ihm der Himmlischen Gericht
Auflegte, ganz, gemindert nicht.

Anhebt der Arzt: Ich kann mich irren,
Mein Ausspruch mög' Euch nicht verwirren,
Die edle Kunst der Arzenein
Ist groß, der Künstler Kraft ist klein.
Man spricht von einem Wundermädchen
Im fernen Irland, die versteh'
Das Leben, halt' es nur ein Fädchen,
Zu fesseln durch 'ne Panacee;
Was mich betrifft, ich sag': Vergiftet
War jenes Schwert, so dies gestiftet.

Er gehet, sagt nichts weiter. Leicht
Errathen sie, wovon er schweigt;
Der König wirft sich auf den Jungen,
So früh, so blutig ihm entrungen.
Laut schelten die bestürzten Lords,
Giftmischer heißen sie Morolten,
Der ausgeübt, was andern Orts
Und ehedem doch nie gegolten,
Da hebt sich Tristan todtenbleich
Und spricht an Edelmuthe reich:

Bei meinem Stamm, bei meiner Ehre,
Ich dulde nicht, daß Schmach versehre
Des Todten Namen! Dieser Feind
Hat keinen gift'gen Mord gemeint,
Als er mir schlug die böse Schramme;
Der Mann, der gastlich Wein und Brod
Mit mir getheilt bei seiner Flamme,
Der meinem Schlummer Obdach bot
Und Deckenhülle, hat mit Nichten
Gewußt von solchen Giftgeschichten.

Vielmehr gesalbt, ihm unbekannt
Ward wol das Schwert von fremder Hand.
Vermuthlich that's die Zauberschwester,
Die alte Kön'gin, um so fester
Zu Machen ihn. Er ward gefällt
Von meinem unerfahrnen Arme;
Mein Mund vor ihn sich bürgend stellt
Zu schützen seinen Ruf vor Harme.
Ich muß ihn, da zum Ritter mich
Er schlug, vertreten ritterlich.

Sprich nicht soviel, rief Marke redlich,
Mein lieber Neff', es wird dir schädlich!
Nein, sagte Tristan, kennt man nur
Den Schaden, winket schon die Kur.
Der Ungewißheit finstre Mienen
Sind aufgehellt. Dem Himmel Dank!
Ich bin der Sohn von Rivalinen,
Der Leben schuf im Todesdrang!
Sein Sohn, dahin und fast im Sterben
Wird tapfer um die Heilung werben,

Da, wo sie einzig ist. – Ich thu'
Den Namen ab, mein Kleid dazu,
Mein Ritterkleid. Es geht ein Wandrer
Von Euch, ein Todter, und ein Andrer,
Lebend'ger kehrt Euch, fügt es Gott.
Ich will, dem Vater gleich, mich zeugen
Zum Andrenmal, dem Grab zum Spott;
Mich lüftet, das Geschick zu beugen,
Das unbeugsame. Hört anjetzt,
Was ich mir kühnlich vorgesetzt.

*

Zwischenspiel

Von dem Elend sang ich armer Kranken,
Von den Qualen fiebernder Gedanken,
Doch das Siechenzimmer kann zum Himmel
Wölben sich, erwogend vom Gewimmel
Süßverschlungener Engel! Wißt Ihr, wann?

Wenn den hingestreckt' erbleichten Mann
Süßgelinde Pflege hat umfahn
Einer holden Frauen, seidne Hände
Dar ihm reichen frommer Dienste Spende,
Und zwei blaue Augen ob ihm wachen.

Selig blickt er in das blaue Lachen,
All' das gute Sorgen, Schaffen, Machen,
Drin der leise Athem weht der Fraue,
Wie einst durch des Paradieses Aue
Strich der Hauch der Elohim gelind.

Ruhig liegt er, lächelnd wie ein Kind,
Sanft die Sinne ihm gefesselt sind
In den lieblichsten Gefängnißschranken
Von gerührtem Nehmen, von dem Danken
Für die Milde, dargeboten gerne.

»Möchten nie mir wieder andre Sterne
Aufgehn als die beiden Augensterne,
Möchte nie der engelvolle Himmel
Mich entlassen, ach, ins Weltgewimmel
Aus der seidnen Hände zartem Bann!«

*

Ich meine, daß dem Schlummrer da
Im Traum sind solche Wünsche nah.
Sie spielen um die rothen Lippen,
Die athmend reine Lüfte nippen.
Die weiche, schöne Frühlingswärm'
Anfächelt ihn im grünen Dämmer.
Fern liegt die Kammer vom Geschwärm
Des Hafens, und vom Schrei der Schlemmer
Im Königsschlosse zu Dublin,
Die täglich dort zur Tafel ziehn.

Die friedlich stille Krankenstube,
Darinnen schläft der schöne Bube,
Betüncht ein sanftes, sattes Grün,
Im Fenster grüne Sträucher blühn,
Und grüne seidne Hänge scheiden
Das freche Licht vom trauten Raum,
Schneeweiße Linnen, dunkle Seiden
Umziehen seines Bettes Flaum,
Es deckt ein Teppich weich von Arras
Den Boden. Dort im Eck' der Sarras

Der ist das einz'ge Kriegsgewehr,
Er steht da wie von Ungefähr.
Wie paßt er zu dem Linden allen
Am Friedensort? Wie zu dem Ballen
Von festgeschnürtem Kaufmannsgut,
Der ragend in dem Vorderzimmer
Auf einer bast'nen Decke ruht?
Wie zu der blanken Laute Schimmer
Am Fuß des Betts? Wie zu dem Weib,
Sich weihend unsres Siechen Leib?

Das schöne Weib, das wunderholde,
Die blond' Isold' im Lockengolde,
Das von dem Purpurnetz umdrängt
Nicht frei dem Blick des Tages hängt! –
Es gibt so eigne, hohe Frauen,
Die aus dem unerforschten Sinn
Verhöhnend auf Gesunde schauen,
Und mit der zartsten Gottesminn'
Erweisen engelgutes Pflegen
Jedwedem Kranken. – Unser Degen

Der junge dort, ist kaum noch krank,
Sein Uebel brach Arom und Trank.
Denn vor Isolden's Panaceen
Kann keines Giftes Fluch bestehen.
Er schlummert Schlaf der Herstellung;
Zum wehevollsten Tod genöthet,
Ward er aufs Neue frühlingsjung
Mit Wangen frisch und sanft geröthet.
Bald wird er thun, was er gewohnt,
Wenn er sich noch ein wenig schont.

Dem Lager nah in Greifensessel
Lehnt sich Isold', und wenn die Fessel
Des Schlummers von ihm weichen will
Vor einer Mücke, wehrt sie still
Die ab mit einer Straußenfeder.
Sie hat so recht in Treuen Acht
Der kleinsten Regung, all und jeder;
Verschiebt ein Kissen sich, so macht
Sie leis' ihm gleich die andre Stütze,
Und sinnet immer wie sie nütze

Noch sonst dem jungen Paladin,
Der freilich ihr ein Andrer schien.
Sie näht an einer sammtnen Schaube,
Und säumet sie mit goldnem Laube.
Denn, spricht sie leis' in Flötenton,
Des Armen Kittel ist zerrissen,
Es wäre mir ja doch zum Hohn
Und liefe wieder mein Gewissen,
Ließ' ich, aus meiner Hut gesetzt,
Ihn von mir gehen, so zerfetzt.

So duftete des Schlummers Rose
In heiligen Erbarmens Schooße,
Von Andachtsstille, Dämmergrün
Umwebt und Balsamsträucher-Blühn. –
Auf rothen Sammtes Pausch und Nathe
Spielten die Finger schmal und fein,
Wie wenn die brennende Granate
Maifröste noch im Lenz beschnein.
Der späte Schau'r, der nicht versehret,
Die rothe Glut mit Weiß verkläret.

Nur Lieb' und Stille, Friedlichkeit
Um die so stolze Königsmaid!
Doch nahe war dem grünen Dämmer
Ein Störer schon. Dem Kreis der Schlemmer
Enttaumelte Herr Donegal,
Dem Zechsaal mit den Eberköpfen;
Die vollen Humpen hatten prall
Und groß sein Herz gemacht. Zu schöpfen
Gelang ihm einen tapfern Schluß
Aus manchem tiefen Kehlenguß.

Was? lallte der betrunkne Ire,
Ist's recht, daß hier sich auscurire
So recht mit Lüsten dieser Schuft,
Der unfern Feldherrn in die Kluft
Des Grabes förderte? Ich blickte
Ins Antlitz ihm, als unnütz schrein
Die Andern thaten. Neulich schickte
Mich die Prinzessin zu ihm 'nein,
Ihm was zu bringen; auf der Stellen
Erkannt' ich wieder den Gesellen.

Gleich wollt' ich lärmen und hallohn,
Doch Vorsicht ist der Tugend Kron',
Heut aber füg' ich meinen Thaten
Die schönste zu; will ihm verrathen! –'
Er schwankte über'n Gang. Dann stieß
Er auf das Vorgemach, und rannte
Der Krankenstube Thür an, wies,
Sie aufgerannt, das weinentbrannte
Gesicht der hohen Wärterin,
Die sehr erschrak. – Nicht wahr, ich bin

Betrunken? rief mit dumpfem Stottern
Herr Donegal. Ihr haßt, wie Ottern,
Nicht wahr, ein Kerlchen aus dem Gleis
Gekommen was zu Bacchi Preis?
Nicht wahr, Prinzessin Mediciner,
Ich bin ein dummer Ignorant?
Der kranke Vogel, der den Diener,
Arzt, Schneider in Eu'r Hoheit fand,
Der hergeschwommen eines Tages
Zu Schiff in Kraft des Ruderschlages

Von einem einz'gen Ruderer
Mit einem Güterballen schwer,
Der Laute da, dem Schwert im Winkel,
Dem mattverliebten Blickgeblinkel,
Nicht wahr, der heißt Tantris? Nicht wahr,
Er selber sagt' es? Ist ein Kaufmann?
Nicht wahr, so legt' er selbst sich dar?
Seeräuber hemmten seine Laufbahn
Und schlugen ihn, und ließen nur
Ihm Leben, Ballen, Armatur?

Nicht wahr, das wußt' er auszukramen?
Geglaubt ward Alles von der Damen,
Nicht wahr? – – Er wollte fahren fort,
Fand aber weiter nicht ein Wort.
Mit offnem Maule stand er stille,
Und sagte nichts. Betrunknen schnappt
Oft plötzlich ab Vernunft und Wille,
Als wie durch einen Hieb gekappt;
Herr Donegal gab sein Vermächtniß
Nicht kund, verlassen vom Gedächtniß.

Isolde, klug so sehr als schön,
Ward nicht beirret vom Gehöhn
Der scheußlichen Mißreden, dachte
Nur nach, wie sie das Zimmer machte
Frei von dem tollen Trunkenbold.
Sie wußte wol, das Widersprechen
Niemals erreicht, was es gesollt,
Bei Männern, welche schwer vom Zechen,
Drum that sie so, als ginge ein
Ihr Sinn auf diese Faselein.

Sacht schritt sie nach dem Eck', wo nämlich
Das Schwert des Kranken stand. Vernehmlich
Doch leise sprach ihr holder Mund:
Wol, wackrer Donegal, den Bund
Woll'n schließen wir auf Tod und Leben,
Und zur Verdammniß diesem Schelm!
Vor blut'gen Thaten, wecht du, beben
Die Weiber stets; der Mann im Helm
Pflegt nie zu wanken, nie zu zittern,
Drum sollst ihm du das Haupt zersplittern.

Ein Bösewicht, ein Sündensohn
Ist dieser Mann, ich weiß es schon.
Sie zog das Schwert aus seiner Scheide,
Und stellte weg die scharfe Schneide.
Die Scheide gab sie Donegal'n –
Und sprach: Nun lasse du dir schärfen
Die Klinge hier, auf die gefall'n
Der Rost von vieles Regens Werfen.
Ward sie geschärfet, die jetzt stumpf,
So kehr', hau' ihm den Kopf vom Rumpf!

Herr Donegal, dem die Unterscheide
Entfallen waren von Scheid' und Schneide,
Weil rund um ihn das Zimmer ging,
Sah tiefen Blickes an das Ding
Und nahm, was äußerst stumpf ihm däuchte,
Und schwankte ab. Es trug darauf
Ihn wackelhaftig das gebeugte
Knie 'nunter bis zur Regentrauf'.
Dort fiel an eine Wasserschleuse
Der Trunkne nebst dem Schwertgehäuse.

Isolde aber, kindesfroh,
Daß ferner keine Störung droh'
Von diesem Menschen, der gefallen,
Hört' ihres Schläfers Athem wallen
So ruhig, wie zuvor, geweckt
Mit Nichten von des Schlemmers Toben.
Die Schaube hing sie, reich besteckt
Mit Goldgesticke, unten, oben,
Zum Fenster, sprach: Er wird sich freun,
Erwacht er nun, des Kleids, des neu'n.

Da fiel ihr Blick hinab zum Schwerte,
Das seiner Scheide jetzt entbehrte,
Und lieblich sprach sie: Fast vergaß
Ich doch von meinen Pflichten was.
Ein schlimmer Zufall muß mich lehren,
Was gutem Vorsatz schon entfiel,
Ich seh' das Schwert ist staubig, kehren
Will ich den Staub vom Waffenspiel.
Gleich setzte sie sich hin, zu säubern
Das Schwert, gelassen von den Räubern,

Wie er ihr sagte, welche schwer
Verwundet ihn auf offnem Meer.
In ihrem Angesichte blühte
Wie Silberblick, die reinste Güte.
Ja, kühn sei die Barmherzigkeit
Geprießen gleich dem Silberblicke.
Der, herrlich funkelnd, aus dem Neid
Emporglänzt niedrer Erzgeschicke!
So funkelt auf aus niederm Trieb
Erbarmen und Erbarmens Lieb'

Und strahlt in süßer Farbenglorie
Als unsres reinsten Seins Victorie!
Sie rieb das Schwert wie eine Magd;
O Gott, wer hätte da gesagt,
Daß dieses Heiligthumes Zirke,
Der Priesterin, die opfern thut,
Ein böser Engel nahe wirke
Mit gräßlicher Zerstörerwuth;
Und hebe schon die schwarze Kralle,
In Milch zu träufeln Gift und Galle?

Ach Menschen, glaubet nicht, wenn ihr
Verweilet wonnig im Revier
Der eintrachtseligen Gedanken,
Der Boden könne nimmer wanken!
Es steht ein kleines Etwas nur
Inmitten eurer Küss' und Flüche,
Inmitten ew'ger Treue Schwur,
Und Hassen aus der Höllen Küche,
Und heißer Lieb' und Dolch und Strick –
Das Etwas ist ein Augenblick.

Isolde rührt die Schärf am Schwerte
Mit ihrem Finger. Was? Versehrte
Sie einer Viper gift'ger Zahn?
Nicht doch! Sie rührt ja wieder an
Dieselbe Stelle. Doch mit Schaudern
Thut abermals die Hand sie weg.
Ein stilles, irres, wildes Plaudern
Geht über ihrer Lippen Steg;
Sie legt zum Fenstersims die Stirne,
Und kühlt ihr fieberndes Gehirne.

Sie flüstert: Tantris – – Tristan! leis,
Doch irrt ich mich auch wol, wer weiß?
Sie hebt das Schwert bis zum Geblinze
Des Lichts durch eines Vorhangs Klinze,
Fast schreit sie da! Denn sie gewahrt,
Was ihr Gefühl nicht vorgetrogen,
Im Schwerte scharf, den großen Schart
Umröthet, und mit Blut bezogen,
Sie setzt es hin, gewaltig geht
Sie fort in zorn'ger Majestät.

Und Jener schläft, indeß, den Rachen
Geöffnet, rings Dämonen lachen!
Zurücke kehrt sein grimmer Vogt,
Ihr Athem fleucht, der Busen wogt!
Sie faßt die Schnur des Vorhangs, reißet
Mit einem Ruck ihn auf. Da bricht,
Da wallet, flutet, glänzt und gleißet
Herein das grelle Tageslicht,
Im Lichte hält sie, Eis vor Grolle,
Den Splitter aus der Schmuckchatolle.

»Doch immer kann's noch Zufall sein!«
Sie zucket heftig vor dem Schein
Der blanken Kling' in sich zusammen,
Der blauen Augen wilde Flammen
Wirft starrend sie ins Leere. Fest
Legt sie die Hand, darin der Splitter,
Zur Schärfe, und die Andre preßt
Sie auf des Herzens Krampfgezitter,
Sie scheuet noch das letzte Licht –
Der dort erwacht, sie achtet's nicht.

»Hinweg mit diesem feigen Stocken!«
Ruft sie und füget unerschrocken
Den Splitter in den Schart. Er paßt!
Sie stöhnet schwer. Wie Judith faßt
Mit beiden Händen sie die Klinge,
Und wendet sich. Vom heft'gen Schwung
Des Leibes löst sich das Geschlinge
Des Netzes, und der Fesselung,
Der purpurseidenen, entfallen
Bis zu den Knien die Haare wallen.

Gelösten Haares, zorndurchrollt
Das schöne Auge, sonst so hold,
Aus weißer Stirne blaue Adern,
Die weiße Wang' entflammt vom Hadern
Der Flecke, deren tiefes Roth
Enttrieb die heil'ge Wuth dem Herzen,
Geschürzter Lippe überdroht
Von aufgezogner Braune Schwärzen,
Umflogen rings vom Lockengold,
Erschwungnen Schwertes kehrt Isold'

Zum Schützling sich, der in dem Schrecke
Dem ersten, halb von seiner Decke
Ins Knie gestürzt war, fleh'nd empor
Die Hände streckt. So wild verlor
Sich nie der süßesten Träume Lachen
Von einem Trüger, dankerfüllt,
In das entsetzenvollste Wachen,
Durch schrecklich nahen Tod umbrüllt!
Er starret an die Pflegerinne,
Im Nu geschaffen zur Erinne,

Noch immer schön! Es zuckt um sie
Furchtbarer Grazien Magie.
Sprachlos ist Er, sie auch, so wahret
Das Paar, in Haß und Furcht gepaaret
Sein Schweigen eine kurze Zeit.
Dann rufet sie und lächelt schrecklich:
Du heißest Tristan! Nur zum Leid
Ward dir Isolden's Kunst erwecklich!
Du hiebest in dein Schwert den Schart,
Deß Splitter hier behalten ward.

Dein Läugen schlau, dein seines Treugen
Nicht Klage fürchtet' es noch Zeugen;
Doch durch den Splitter klagt der Mord,
Durch einen Schart spricht Zeugenwort!
Morolt sank, unsrer Krone Pfleger,
Doch bracht' er uns Beweises Last
Auf seinen Mörder! Bist der Träger
Des Schwerts, in dessen Scharte paßt
Der Splitter, den die Rache segnet,
Der, falscher Tantris, du begegnet

In mir zu frühem Tode bist,
So üb' ich Rach' und strafe List!
Sie zückt das Schwert auf ihn ... Verhängniß
Ach, war es wol, vor der Bedrängniß
Den Silberblick zu preisen! Gleich,
So wie er glänzt, wird aufgestoßen
Der Zapfen vor dem hehren Reich
Der Farbenhimmelspracht. Mit Tosen
Zerbricht der Regenbogen, zischt
Das wüthende Metall, und gischt.

Hinaus zum Schlunde! Gräßlich Brennen!
Und rauchenden Höllenflusses Rennen!
Also Isolden's Reize! Licht,
Bestrahlend göttlich fromme Pflicht!
Mordfackel nun! Der schart'ge Degen,
Sich setzend seinen Herrn zum Ziel –
Indessen soll, habt ihr dagegen
Nichts einzuwenden, Tristans Kiel
Wie er am Leben mochte bleiben,
Im nächsten Lied dem Oehme schreiben.

* * *


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