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Schon um drei Uhr hielten die Autos wieder vor dem Portal des Justizgebäudes. Auch jetzt hatte man die Vorsicht gebraucht, van Geldern vorausfahren und den Eingang zum alten Justizgebäude benutzen zu lassen. Die Leute hatten sich bereits verlaufen, nur ein paar der hier umherbummelnden Kriminalstudenten wurden auf die Anfahrt der Gerichtspersonen aufmerksam.
Oben im Zeugenraum auf dem breiten Korridor vor dem Schwurgerichtssaal war alles in nervöser Spannung. Die Menschen, die nun schon seit Tagen hier ihrer Vernehmung harrten oder wenigstens immer noch zur Stelle sein mußten, wurden ungeduldig, ärgerlich über die langweilige und beängstigende Unterbrechung ihrer Lebensgewohnheiten, und warteten auf irgendeine Sensation, die sie aufreizen und von neuem beschäftigen sollte. Nur zu gern hätten sie alle dem Lokaltermin beigewohnt, der sich draußen in Westend vollzog.
Sergei Iwanowitsch Orloff stand mit dem Boxmeister O'Hara an der Steinbalustrade. Sie spielten »Quitt et Double« und waren mindestens bei der zwölften Partie. Der Boxer, der verlor, fluchte lästerlich. Loni Bomperle kam mit ihrer Freundin Hortense herüber und bat, die Herren sollten sie wenigstens am Gewinn beteiligen.
Greta Heerström saß, wie immer, neben ihrer Mutter, und die alte Dame bemühte sich vergeblich, das blasse Mädchen aus seiner grüblerischen Verzweiflung herauszureißen. Greta schüttelte den Kopf: »Wenn ich doch nur eine Ahnung hätte, was ich anfangen soll. Ich habe immer gehofft«, sie beugte sich zum Ohr der Mutter, »daß Vogel wiederkommen wird. Der ist der einzige, der uns helfen kann! ... Ach, Mutter, ich kann's doch nicht mit ansehen, daß er verurteilt wird! ... Ob ich denn noch einmal mit ihm werde sprechen dürfen, wenn sie ihn nachher abführen?«
»Aber gewiß, liebes Kind, sicherlich! Das können sie dir, als seiner Verlobten, gar nicht verweigern!«
»Ach, ich hoffe ja auch!« Greta tupfte mit ihrem Tuch die immer von neuem hervorquellenden Tränen vom Gesicht.
Bewegung kam in die Menschen. Ein großes, schlankes Mädchen mit auffallend weißem Gesicht unter dem dunklen Lockenkopf war an dem postenstehenden Schupo vorbei zu dem Justizwachtmeister herangetreten und sagte mit halblauter Stimme: »Ich habe 'was für den Herrn Vorsitzenden abzugeben!« Sie gab dem Beamten einen in weißes Papier gewickelten Karton: »Sei'n Sie doch so gut und geben Sie ihm den!«
»Von wem kommen Sie denn?«
Sie entblößte im Lachen prachtvolle Zähne: »Ach, das ist privat«, sie wandte sich zu den beiden Tischen hin, die eine Art von Sperre bildeten und verließ in sichtlicher Eile den Zeugenraum.
Man sah der hübschen Erscheinung einen Augen, blick nach und wandte sich wieder der Unterhaltung zu.
Dicht beim Eingang stand ein dünner, mittelgroßer Mann und sah gleichgültig zum Fenster hin. Der ging dem großen Mädchen nach. Unauffällig, scheinbar ohne Ziel und Absicht.
Aber Hilde Hammer war zu schlau und wachsam, als daß sie diesen Menschen nicht auch gesehen und erkannt hätte. Es war einer von den Beamten, die vor Monaten ihre Wohnung durchsucht hatten, um Willi zu fangen. Sie hütete sich wohl, schneller zu gehen.
Rasch tanzte sie die große Steintreppe hinunter.
Dabei dachte sie über die Haussuchung nach, bei der sie damals vor Angst fast umgekommen war. Und jetzt fiel ihr auch der Name des Kriminalbeamten ein, der ihr folgte. Aus ihrer Schilderung hatte Willi sofort den Assistenten Rothe erkannt. Hilde blickte sich um, da sah sie, daß der Beamte stehenblieb, daß er sie nur mit den Augen verfolgte. Sie lachte ihn an. Und er nickte ihr zu mit einem merkwürdigen Lachen.
Hilde Hammer ahnte, daß die Begegnung nicht so harmlos in ihren Folgen sein würde. Furcht befiel sie für den Geliebten, der verwundet in seinem Versteck lag. Willi hatte ständig hohes Fieber, und, wie der Arzt sagte, er durfte noch lange nicht aufstehen. – –
Im Zeugenraum, ganz in der Ecke, nicht weit von der Bank, auf der Greta mit ihrer Mutter saß, standen jetzt zwei Menschen, die sich leise unterhielten.
»Ich glaube, ich komme gleich ran«, sagte die Frau, deren Gesicht wie ein Puppenkopf in den zartesten Farben gemalt war.
Ihr Kavalier, sehr groß, sehr gut angezogen, bewegte kaum eine Miene seines Gesichts, als er kühl erwiderte: »Nun? ... Und wenn? Natürlich wirst du jetzt drankommen, hast ja lange genug gewartet!... Übrigens ist es vielleicht besser, wenn ich gehe!« Er sprach scharf akzentuiert wie ein Russe.
Sie hob die entblößten leuchtenden Arme in heftigem Erschrecken empor, wobei das kostbare Puppengesicht ganz in Unordnung geriet.
»Ich bitte dich! ... Um Gottes willen, Orloff, ich komme um vor Angst, wenn du mich hier allein läßt!«
»Schweig! ... Mußt du denn so laut sprechen?« Er bog die breite Brust vor, und sein Gesicht mit dem scharfen Munde, der schmalen Hakennase und den brennenden, schwarz überbuschten Augen berührte fast die Frau. »Ich habe dir doch hundertmal gesagt, daß die Vernehmung nichts, aber auch gar nichts als eine reine Formsache ist. Man wird dich fragen, ob du bei der... ob du bei der Dame warst an dem bestimmten Tage – das gibst du zu und – –«
Der Sprechende blickte nach rechts, wo Greta und ihre Mutter saßen. Er erschrak nicht, aber es war, als wenn ein unendlich gewandter und geschickter Schauspieler eine falsche Bewegung, die er zu machen im Begriff ist, mitten in ihrer Ausführung drosselt, ohne sich zu übereilen und ohne äußerlich das geringste merken zu lassen. Er faßte nur wie zufällig die Hand seiner Dame und drückte sie, während seine Augen blitzschnell den Befehl »Schweig!« funkten.
Langsam, ihr Erschrecken meisternd, blickte auch das blonde Mädchen zu Greta hin. Dann legte sie ihre Rechte auf den dargereichten Arm des Begleiters, und die beiden entfernten sich.
Greta starrte ihnen mit weit aufgerissenen Augen nach und sah, daß sie sich vor dem Saaleingang trennten. Mit einer raschen Bewegung erhob sie sich, als jetzt die Tür aufging und der Justizwachtmeister aufrief: »Die Zeugin Lula de la Rocca!«
Greta sah noch, daß der Mann den Ausgang suchte und den Zeugenraum verließ.
»Ich bitte dich, Mama«, flüsterte Greta aufgeregt, »frage mich jetzt nicht! ... Später erzähle ich dir alles ... ich muß sofort wieder in die Verhandlung!« Und war schon in den Saal geeilt, als dürfe sie auch nicht ein Wort von dem verlieren, was dort verhandelt wurde ...
*
Assistent Rothe war auf dem Treppenabsatz umgekehrt. Im Zeugenraum trat er an den Justizwachtmeister heran und fragte: »Was haben Sie denn dem Vorsitzenden da für'n Karton gebracht, Braune?«
Braune zuckte die Achseln. War er allwissend?
Da ging Rothe aus reiner Neugierde in den Saal hinein.
Der Vorsitzende hatte noch etwas mit dem Protokollführer zu erledigen. Lula de la Rocca saß auf der Zeugenbank, und Greta Heerström nahm neben ihr Platz.
Nicht eine Silbe hatte sie vergessen von dem, was der Mensch da draußen eben mit Lula gesprochen hatte: »Ich habe dir doch schon hundertmal gesagt, daß diese Vernehmung eine reine Formsache ist! Man wird dich fragen, ob du an jenem Tage bei der Dame warst – das gibst du zu und – –«
Es war so gut wie nichts. Und konnte doch alles bedeuten! Warum war die Frau so ängstlich? Weshalb hatte sie Furcht vor der Vernehmung? Irgend etwas mußte da nicht stimmen! Greta glaubte, der Kopf müsse ihr zerspringen ... Was sollte sie nur tun, an wen sollte sie sich wenden? ... Wem konnte sie sich anvertrauen? Ein Fremder würde sie ja nicht verstehen, und einen, der es gut mit ihr meinte, gab es nicht ... außer Vierklee. Also hin zu Doktor Vierklee, sobald die Verhandlung zu Ende war.
Der Vorsitzende war jetzt dabei, den vor ihm liegenden Karton aus seiner Hülle zu befreien. Dann nahm er, an seinem Platze stehend, mit beiden Händen ein leuchtendes Brillantdiadem heraus.
Er hob es in die Höhe, und das Publikum, die Richter, die Sachverständigen wie die Zeugen (und besonders der Kriminalassistent Rothe), alle erhoben sich von ihren Plätzen, um das kostbare und Sensation versprechende Geschmeide zu sehen.
»Ein neuer Gruß unseres alten Freundes Willi Vogel!« Eine Bewegung von links nach rechts machend, zeigte Hallmann dem Angeklagten das Schmuckstück und lächelte: »Wissen Sie, woher das kommt, Angeklagter?«
Paulus schüttelte den Kopf.
»Wir haben nun bald die ganze Schmuckkassette von Martha Streckaus beisammen!« Hallmann legte das Diadem wieder in den Pappkasten, stülpte den Deckel darauf und schob ihn beiseite.
Der Staatsanwalt sagte wegwerfend: »Das sind Taschenspielerkunststücke, die in ihrer Wiederholung keinen Effekt mehr machen!«
Aber Vierklee erwiderte mit einer ironischen Verbeugung: »Es sind doch immerhin recht wertvolle Objekte, um die es sich bei diesem Taschenspieler handelt, Herr Staatsanwalt ... Ich möchte hierbei nicht unbetont lassen, daß die Annahme, der Angeklagte sei der eigentliche Absender, auf recht schwachen Füßen steht!«
Der Staatsanwalt entgegnete etwas. Aber Hallmann wischte das fort: »Meine Herren, sparen Sie sich bitte Ihre Argumente für die Plädoyers auf, zu denen wir schlimmstenfalls am Wochenende kommen müssen! ... Ich glaube übrigens, daß wir jetzt mit Fräulein de la Rocca die letzte Zeugin zu vernehmen haben ... Oder haben die Herren, Herr Rechtsanwalt! ... oder Sie, Herr Staatsanwalt, noch weitere Anträge zur Beweisaufnahme zu stellen?«
Vierklee ebenso wie Malkenthin verneinten, und Hallmann vereidigte das in Kriegsbemalung glänzende Mädchen.
»Wie heißen Sie?«
»Luise Ocker.«
»Also nicht Lula de la Rocca, wie Sie bei Ihrer ersten Vernehmung auf der Polizei angegeben haben? ... Sie kannten die ermordete Frau Streckaus?«
Das Mädchen nickte.
»Antworten Sie mit Ja oder Nein! Sie müssen, was Sie hier aussagen, auf Ihren Eid nehmen, auf dessen Bedeutung ich Sie hingewiesen habe!«
»Ja ... jawohl, Herr Vorsitzender.«
»Sie sind am ...«, Herr Hallmann suchte in den Akten, »Sie sind am fünften August 1930 bei Frau Streckaus in ihrem Modeatelier in der Tiergartenstraße gewesen. Ist Ihnen da der Gatte der Ermordeten«, Hallmann nickte zu van Geldern hin, »dort der Angeklagte ... sind Sie mit dem durch die Geschäftsinhaberin bekannt geworden?«
»Ich weiß es nicht mehr, Herr Vorsitzender ... ich ... ich weiß nicht!«
»Na ja, das kann man vergessen ... aber, daß Sie ihn gesehen haben, daran werden Sie sich erinnern? ... Bitte, schauen Sie sich ihn mal recht genau an!«
Das schlanke Mädchen wandte sich unsicher zur Seite und heftete seine ausdruckslosen Augen auf van Geldern, der diesen Blick voll erwiderte.
»Ich glaube«, stotterte die Zeugin, »ich glaube ... ich habe den Herrn schon mal gesehen...«
»Sie sind, wie ich aus den Akten feststellen kann«, Hallmann blätterte wieder in dem mächtigen Faszikel, »nicht durch das Gericht, sondern von dem Herrn Verteidiger geladen worden?«
Vierklee erhob sich.
»Wenn Sie gestatten, Herr Landgerichtsdirektor, so möchte ich hier erklären, daß unserer Meinung nach nicht nur die Staatsanwaltschaft, sondern auch der Herr Untersuchungsrichter die Pflicht gehabt hätte, Fräulein Ocker als sehr wichtige Zeugin zu laben. Aus dieser Nichtladung ergaben sich ja die Protokollstreitigkeiten zwischen dem Untersuchungsrichter und meinem Klienten, die einmal in eine recht böse Gegensätzlichkeit auszuarten drohten.« Hallmann nickte, und Vierklee fuhr fort: »Wir sind nämlich der Ansicht, daß durch die Zeugin Luise Ocker damals wichtige Aufschlüsse zu erlangen gewesen wären, die heute vielleicht in solchem Maße nicht mehr möglich sind. Im Anfang meiner Verteidigertätigkeit in dieser Sache hat mir Herr van Geldern mitgeteilt, daß er sich erinnere, Fräulein Ocker eines Tages bei seiner Frau in ihrem Geschäftslokal gesehen zu haben. Und zwar sollen damals auf dem Tisch, an dem die beiden Damen saßen, Wertgegenstände gelegen haben, die Frau Streckaus, als er plötzlich unangemeldet eintrat, schnell mit ihrem Seidentuch bedeckte.«
Hallmann wandte sich dem Angeklagten zu: »Erinnern Sie sich dieser Unterredung, Angeklagter, und auch jenes Zusammentreffens mit der Zeugin hier? Aber warum haben Sie denn in aller Welt nichts davon gesagt ... vorhin, meine ich, als ich Sie ausdrücklich gefragt habe, ob Sie jemals bei Ihrer Frau einen Menschen getroffen haben, der vielleicht Schmuck an sie verkauft hat?«
Paulus stand auf.
»Ich bin ein bißchen müde geworden im Verlaufe der Verhandlung, Herr Landgerichtsdirektor. Und als Sie mich vorhin fragten, fiel mir die Begegnung mit Fräulein Ocker zwar ein, aber ich hatte im Augenblick nicht die Energie, hier die Sache noch einmal aufzurollen.«
»Das kann doch nur heißen, Angeklagter, daß Sie selbst der Meinung sind, die Aussage dieser Zeugin sei für Sie und für den Prozeß bedeutungslos?« meinte Malkenthin.
Vierklee mischte sich ein.
»Gestatten Sie, Herr Staatsanwalt, daß ich für meinen Klienten antworte. Herr van Geldern, der, wie wir ja wissen, noch immer an seiner Malaria leidet, hat offenbar nicht mehr die nötige Spannkraft, um seine Sache selbst in der erforderlichen Weise wahrzunehmen. Deswegen möchte ich jetzt den Herrn Vorsitzenden bitten, die Zeugin noch einmal zu fragen, ob sie im August vorigen Jahres bei der Getöteten zu Besuch gewesen ist?«
Die Zeugin sah unsicher von einem zum anderen. Sie hob ihre wenig bedeckten schönen Schultern, sprach etwas, aber niemand verstand eine Silbe.
»Sie müssen schon etwas lauter sprechen, Fräulein!«
»Ich kann mich nicht genau entsinnen, Herr Vorsitzender!«
»Haben Sie bei Ihrem Besuch, den Sie ja nicht direkt in Abrede stellen wollen, wenn ich Sie recht verstanden habe – haben Sie damals an Frau Streckaus Schmucksachen verkauft ... für sich selbst oder für jemand anderen? ...«
Luise Ocker schüttelte den Kopf. Dann sagte sie langsam, mit schwerfälliger Stimme: »Wo sollte ich denn die Sachen hergehabt haben?«
»Also Sie wissen nichts von einem solchen Verkauf?«
»Nein, Herr Vorsitzender!«
»Dann setzen Sie sich auf Ihren Platz!«
Und nach kurzer Pause, in der er leise nach links und rechts sprach: »Ich schließe die Verhandlung für heute. Aber ich bitte die Zeugen, morgen früh um neun Uhr alle pünktlich zur Stelle zu sein. Wir werden morgen die Herren medizinischen Sachverständigen hören, und bei diesen Gutachten kann unter Umständen jeder Zeuge nötig werden!«
Assistent Rothe stand leise von seinem Stuhl neben dem kleinen Tisch des Justizwachtmeisters auf. Er hatte gut aufgepaßt. Er hatte scharf nachgedacht. Er witterte Zusammenhänge. Das schwarzhaarige Mädchen da draußen auf der Treppe, die Geliebte von Willi Vogel, brachte den Schmuck, der gewiß Tausende wert war – und die Brillanten stammten zweifellos von der ermordeten Frau Streckaus – und das Mädel da, die Blonde, die er vorhin mit dem großen schwarzen Herrn hatte stehen und sprechen sehen, die sollte, wenn auch früher, Schmucksachen an Martha Streckaus verkaust haben – – Ja, die hatte auch Schmucksachen an die Ermordete verkauft!
Sein Spürinstinkt sagte dem Assistenten, was die Männer da oben um den grünen Tisch herum weder sahen noch wußten. Dieser einfache, unverbildete Mensch fühlte klar und untrüglich die Angst und das ratlose Ausweichen der Ocker. Er roch förmlich, daß es nicht Unschuld und Unbekanntheit mit den Dingen war, nach denen Hallmann fragte, die die Zeugin so einsilbig und wortkarg machte. Ihm sprang das Schuldbewußtsein des Mädchens fast greifbar entgegen.
Der Assistent verließ auf Zehenspitzen die Verhandlung, noch ehe sie beendet war, und ging in die Telefonzelle.
»Dort Polizeipräsidium? – Ja – hier Rothe – Herr Kommissar Dammann, ja? – Wollen Herr Kommissar mit Joha und Farland um sechs im Weißen Hirsch sein? – Ja? – Ich bin auf Willis Fährte gestoßen – ich glaube, wir fassen 'n heute!–Also pünktlich sechs Uhr – danke sehr, Herr Kommissar.«
Assistent Rothe sah auf seine Uhr, während er die Zelle verließ. Es war noch nicht fünf. Er hatte voll, kommen Zeit, sich alles zurechtzulegen.
*
Doktor Vierklee wollte eben mit dem eiligen Schritt, der ihm eigen war, den leeren Gerichtssaal verlassen, als Greta an ihn herantrat. Er sah sofort die starke Erregung auf ihrem Gesicht.
Draußen auf dem Korridor ließ er sich alles von ihr erzählen, dachte einen Augenblick nach und fragte: »Ist das Mädchen schon fort, die Lula?«
»Ich weiß nicht, Herr Doktor!«
Joachim Vierklee setzte sich in so schnelle Bewegung, daß Greta ihm kaum folgen konnte. Im Laufen sagte er leise: »Ich vermute, wir werden sie unten bei der Gerichtskasse antreffen, wo die Zeugengebühren ausgezahlt werden ... Sie, gnädiges Fräulein, gehen bitte in die Vorhalle und warten dort, bis Sie mich kommen sehen ... dann reden wir weiter ... oder nein ... drüben auf der anderen Straßenseite, da steht mein Wagen, eine graue Limousine. Setzen Sie sich hinein und sagen Sie meinem Schofför, er soll sich fertig halten, wir müssen in dem Augenblick, wo ich komme und einsteige, abfahren können.«
Dann war er schon fort. Links um die Ecke biegend in einen Seitenkorridor, verschwand er gleich in einer Amtsstube.
Greta eilte auf die Straße hinaus. Angst und Erwartung nahmen ihr fast den Atem. Sie riß sich zusammen, als sie ins Auto stieg und Vierklees Weisung an den Schofför weitergab. Niemand sollte ihr anmerken, um was es ging!