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Die Ehe des Rechtsanwalts Paulus van Geldern war ein einziger grausamer Irrtum gewesen. Es hatte in seinem Leben eine Zeit gegeben, da ihn die Spielleidenschaft aus den Bezirken bürgerlicher Existenz zu reißen drohte. Er war damals in einer furchtbaren Not. Von zehn Seiten zugleich drängte man ihn zum Offenbarungseid. Keine Nacht konnte er es wagen, in seiner Wohnung zu schlafen. Die Termine mußte er durch seinen Vertreter wahrnehmen lassen. Immer war er auf der Flucht vor den Gerichtsvollziehern, die ihn in Schuldhaft stecken wollten.
In dieser Zeit tiefster Erniedrigung und Haltlosigkeit führte ihn sein Geschick Martha Streckaus zu. Diese Frau, die es als Inhaberin eines gutgehenden Modesalons zu einigem Vermögen gebracht hatte, machte ihm, wohl aus Gründen gesellschaftlichen Ehrgeizes, den Vorschlag, sie zu heiraten. Durch die Lockungen ihres überaus schönen Körpers und durch die erlösende Aussicht, durch ihr Vermögen aus größter Bedrückung heraus endlich wieder den Anschluß an sein früheres Leben zu finden, ließ sich Paulus betören und willigte kurz entschlossen ein.
Er konnte seine Schulden bezahlen, war wieder ehrlich vor sich und den anderen. Er verdiente wieder, er arbeitete ohne Sorge und Angst vor dem Morgen. Er lebte auf, und er war dankbar.
Aber die Ernüchterung kam schnell.
Er mußte bald feststellen, daß Martha ein hochgradig hysterischer, im innersten Kern seines Wesens schlechter und boshafter Mensch war. Sie hatte es in den beiden Monaten, die der Hochzeit vorausgingen, verstanden, ihre Hysterie zu zügeln und alles in sich zu unterdrücken, was ihrem Verlobten über ihren wahren Charakter die Augen geöffnet hätte.
Um so mehr ließ sie sich nach der Eheschließung gehen, und nun folgten in erschreckend schneller Steigerung eheliche Szenen, deren eigentlicher Ursprung Paulus zunächst unfaßbar war, deren niedriges und unwürdiges Niveau ihn wehrlos machte.
Erst allmählich bekam er Klarheit darüber, daß solche Szenen, unabhängig von ihren jeweiligen Anlässen, Ausflüsse einer triebhaften Bösartigkeit waren, deren sich diese Frau in einer höhnischen Weise bewußt war.
Er gab es bald auf, sie bessern, erziehen, ändern zu wollen. Es war ein Beginnen, an dem ein Engel hätte verzweifeln müssen! Jede Ermahnung, jeder gute Rat, ja selbst die bescheidenste Bitte rief in ihr nur eine aus Wut und Frechheit gemischte Abwehr hervor ... So hatte er sie eines Tages gebeten – sie fing an etwas stark zu werden, und der Arzt hatte ihr eine bestimmte Diät vorgeschrieben –, das im Übermaß betriebene Konfektessen doch eine Zeitlang aufzugeben. Als er nachmittags in ihren Salon trat, hatte sie in den Geschäften der Nachbarschaft pfundweise Pralinen und Schokolade zusammengekauft und aß lächelnd, mit der Köchin schwatzend, was nur in sie hineinging. Minna saß neben ihr auf getürmten Seidenpolstern, bekam die erlesensten Bissen in den Mund gestopft, und beide waren nachher tagelang krank.
Die Feindschaft zwischen Paulus und seiner Frau war nach einem halben Jahr so weit gediehen, daß er sie nur noch verabscheute. Er vermied es tagelang, die Villa in Westend zu betreten. Blieb in seinem Büro in der Kronenstraße und schlief dort nachts auf dem Kanapee. Dann geschah es, daß Martha in aller Frühe bei ihm mit Nachschlüsseln, die sie sich hatte anfertigen lassen, einbrach. Die Szenen, die solchen Einbrüchen folgten, waren derart lärmend und widerwärtig, zerschlugen und zerhämmerten seine Nerven in einer so grausamen Weise, daß er den Rest des Tages über zu irgendwelcher Arbeit unfähig war.
Einmal aber wußte die Frau ihn doch in die Villa zu locken. Sie stellte das kostbarste Geschirr, wundervoll getriebene Teller, venezianische Gläser, Seltenheiten ersten Ranges, auf die orchideengeschmückte Tafel. Ließ vom Traiteur die teuersten Delikatessen kommen, spielte mit äußerstem Charme die Wirtin und legte ihrem Mann selbst das Gute vor; schenkte mit ihren schönen weißen Frauenhänden alten Champagner in die Kelche. Und als Paulus nun dachte, daß er einmal wenigstens eine ruhige Stunde allein mit seiner Frau verleben dürfe – klatschte Martha Streckaus in die Hände, und Minna Müller, die Köchin, Gesellschafterin, Ratgeberin und Vertraute in allen Dingen, erschien grinsend und nahm ungeniert am Tisch Platz. Paulus fühlte damals nicht mehr viel Abwehrsubstanz in sich. Er erhob sich und verließ wortlos das Haus.
über die Beziehung der beiden Frauen zueinander war er lange im Zweifel gewesen. Martha hatte, so redselig sie sonst sein konnte, nicht die Eigenschaft, über ihr früheres Leben viel zu sprechen. Sie sprach auch über ihr augenblickliches Dasein wenig. Und allmählich begriff Paulus van Geldern, daß sie guten Grund hatte, den Schleier ihres unruhvollen Treibens über Vergangenheit und Gegenwart auszubreiten. Mit Minna Müller verband sie eine alte und berechtigte Freundschaft. Die Müller war fünf Jahre älter als Martha, sie waren in demselben Schneideratelier junge Gehilfinnen gewesen. Als Martha mit zwanzig Jahren Direktrice wurde, nähte Minna immer noch Knopflöcher und Säume. Sie hatte kein Talent für die Dinge der Mode, und die Geschäftsinhaberin verwandte sie daher viel lieber in der Küche, wo Minna recht eigentlich hingehörte. Sie kochte fabelhaft. Besaß eine Zunge für Speisen und Weine wie ein alter Gourmet und hatte ein gradezu teuflisches Vergnügen, die verwegensten Pasteten, Soßen und Ragouts zu erfinden. Martha, die gern gut aß, hatte, als ein Freund ihr die Einrichtung eines eigenen Geschäfts ermöglichte, ihre Freundin Minna natürlich mitgenommen. So lebten sie jetzt zehn Jahre zusammen, waren ein Herz und eine Seele, konnten keinen Tag ohne einander auskommen; schrieben sich, auch wenn Minna in der Küche kochte und Martha in ihrem Polstersalon lag, die merkwürdigsten Briefe, in denen sie sich mit tausend Schmeichelnamen nannten oder sich ordinär beschimpften. Es waren zwei unnatürliche, vollständig aus der Art geschlagene Geschöpfe, auf die der Begriff Frau oder Mädchen kaum noch zutraf.
So war Paulus van Gelderns Ehe beschaffen, als in sein Leben eine Wendung trat, die in ihrer Folgewirkung den letzten Rest von Versöhnlichkeit, Verstehen und geduldigem Ertragen in ihm zunichte machte.
*
Er saß an einem schwülen Gewitternachmittag in seinem Büro, als ihm zwei Damen gemeldet wurden: Elsbeth Heerström und ihre Tochter Greta. Die beiden Frauen, besonders die ältere, machten einen bejammernswerten Eindruck und schienen nahe am Zusammenbrechen.
Paulus nahm sich ihrer sofort an, brachte Riechsalz, ließ Limonade holen und bekam es doch lange nicht fertig, zu erfahren, aus welchem Grunde ihn die Damen aufsuchten. Als er während dieser peinlichen Pause Greta Heerström ansah, wurde es ihm plötzlich erschreckend klar, daß er mit einer Frau verheiratet war, die er aus tiefster Seele haßte und verabscheute.
Die Augen des Mädchens, die so seltsam, fast unwirklich, unter den hellen Brauen standen, waren von Tränen verschleiert. Aber ihr süßer Glanz wurde dadurch nicht verwischt.
Während der ganzen nun folgenden Unterredung konnte er sich nicht von diesen Augen lösen, und als die Damen gegangen waren, stand er unter dem beseligenden Eindruck einer einmaligen, schicksalhaften Begegnung. Fast erschrocken stellte er fest, daß er ununterbrochen das junge Mädchen angestarrt hatte, während seine Gedanken, wie gut geschulte Soldaten, führerlos ihrer Pflicht nachgekommen waren. Sie hatten den vorgetragenen Fall bis ins kleinste aufgenommen und geordnet, und Paulus war erschüttert, denn die Affäre, in welcher ihn die Frauen um Rat baten, war schlimmer als schlimm. Witwe und Tochter eines ehemaligen kaiserlichen Hofbeamten, der mit dem Ende der Monarchie, als könnte er dieses nicht überleben, einem Schlaganfall erlegen war – hatten die beiden Frauen in ihrer Mitte einen jungen Menschen, einen Sohn und Bruder, der ihnen das Leben zerbrach. Er war nach einem ersten Fiasko bei einem Verwandten als Verwalter eines Gutes tätig gewesen; dort brachte er es fertig, seinem Onkel das Korn vom Boden herunter zu verkaufen. Seine unsaubere Gesinnung kam wieder an den Tag, als man ihn irgendeiner Geschäftsabwicklung wegen nach Berlin schickte. Er fälschte Quittungen und Wechsel und erhielt die erste Strafe, allerdings noch mit Bewährungsfrist.
Aber das Abgleiten Edgar Heerströms vollzog sich unaufhaltsam mit grausiger Geschwindigkeit. Er wurde Mitglied einer berüchtigten Einbrecherkolonne. Bei der Verhaftung hätte er beinahe einen Beamten erschossen. Jetzt stand er unter der Anklage des schweren Diebstahls, Raubes und versuchten Totschlages.
Nie war Paulus van Geldern eine schwerere Aufgabe gestellt worden. Und noch nie hatte er so verzweifelt gewünscht, Erfolg zu haben mit der Arbeit, die er allein für Greta Heerström leistete. Für sie hatte er das Perlenhalsband, das ihm seine Frau überließ, verkauft. Und es war ihm gelungen, durch Geldopfer die beiden schlimmsten Ankläger Edgars still zu machen. Nur ein Teppichdiebstahl, bei dem er ein hinzukommendes Dienstmädchen über den Haufen gerannt hatte, und der glücklicherweise fehlgegangene Schuß auf den Nachtschutzbeamten standen zur Anklage. Van Gelderns Bemühungen war es gelungen, auch für diese gewiß nicht leichten Delikte eine verhältnismäßig milde Bestrafung zu erwirken. Da geschah das Furchtbare, Unerklärliche. Seine Frau wurde plötzlich unter mysteriösen Umständen ermordet. Und es war, als ob Martha Streckaus noch über das Grab hinaus fortfahren wollte, in unmotivierter Bosheit das Verderben in ihres Mannes Leben zu tragen. Die Spuren und Zusammenhänge ihrer Ermordung wiesen mit erschreckender Eindeutigkeit auf ihn.
So kam es, daß aus dem Helfer der Angeklagte Paulus van Geldern wurde.